Ein Schritt vorwärts, dann der nächste. Und der nächste. Gottesgleich schlenderte der Krieger den beiden Angreifer entgegen, die sich nun als etwas völlig anderes entpuppt hatten.
Knurrend fletschten sie die Zähne, sodass ekelhaft viel Speichel auf den Boden tropfte. Das schwarze Fell bedeckte überall den Körper und wenn Hina eine Faszination für diese Tiere entwickeln würde, würden die Tiere flauschig aussehen. Nur wusste sie aus eigenen Kämpfen, dass das Fell dieser Wesen einfachen Waffen wie Schwerter abfingen und selbst Kugeln, ihnen nichts anhaben konnten. Messerscharf waren ebenfalls ihre Klauen, die ungeduldig auf dem Boden scharten. Ihnen war die augenblickliche Macht des Kriegers nicht entgangen. Auch Hina spürte die Gänsehaut, wie seine Kräfte den Raum einfingen. Wie unsichtbare Tentakel umschloss der Krieger ihren Körper und schien ihr Leben, ihre Seele und ihr ganzes Ich als solches im Griff zu haben, ohne, dass Hina überhaupt etwas tun konnte. Doch von ihr ging aktuell keine Gefahr aus, sodass er lediglich die Aufmerksamkeit an die zwei Wölfe richtete, dessen spitze Ohren nervös zuckten. Sie schienen sich nicht mehr sicher zu sein, ob sie wirklich gegen eine solch mächtige Kreatur kämpfen wollten.
„Ihr seid Ungeziefer“, bemerkte der Krieger gelangweilt. So schnell hatte Hina noch keinen Fenriswolf zu Boden fliegen sehen. Die Klinge durchstieß das Fleisch des Tiers wie Butter, die beiden Hälften lagen am Boden, ausblutend wie eine Kuh auf der Schlachtbank. Atemlos blickten die toten Augen das Mädchen an, das immer noch starr auf dem Boden saß.
Der zweite Wolf knurrte etwas: „Du wagst es…“, doch die leere Drohung flog so schnell vorbei, wie der Wolf durch die Wand preschte. Trotz dessen beachtliche Größe und Körpermaße hatte der Mann ihn einfach durch eine Betonwand geschmettert, als wäre sie aus Styropor und der Wolf ein federleichter Vogel.
„Schweig…“, flüsterte der Krieger und sah um sich. Der Wolf jaulte, doch blieb am Boden. Ob er schon tot war? Hina wusste es nicht, erschrak eher, als sich die kühlen Augen auf sie richteten. Wie ein neues Spielzeug betrachtete der Mann sie neugierig, wusste nichts mit ihr anzufangen. Die unsichtbare Arme strichen an der Haut entlang, erzeugten immer wieder unangenehme Gänsehaut und Zitteranfälle. Selbst in ihrem Verstand suchten sie nach etwas, das den Mann vor ihr weiterbringen konnte. Er fand nicht, nach was er suchte, verschwand aus ihrem Kopf, sodass Hina kraftlos zusammensank. Schwer atmend hievte sie sich wieder hoch und blickte dem Krieger engstirnig entgegen.
„Ein faszinierendes Wesen.“ Eine Feststellung, klar und tonlos. Als wäre Hina gar nicht anwesend. Neugierig war er, doch sie würde keine Gefahr darstellen. Mickrig wie sie augenblicklich war, konnte sie ihm das nicht mal verübeln. Wie ein Häufchen Elend blickte sie die Augen an, dessen Farbverläufe ineinander woben wie Wasserfarben, das Gesicht war markant, die Lippen zu einem missmutigen Strich verzogen. Einzig die unnatürlichen Schlitzaugen, die ihn als Echse auswiesen, verrieten Hina, wie wirklich gefährlich dieser Mann vor ihr war. Ihm gefiel ist aktuelle Situation nicht. Nun, ihr ebenso wenig.
„Wir sollten verschwinden.“ Diese Idee war dermaßen dumm, doch ihr blieb keine andere Wahl.
„Wir?“, höhnte der Krieger, der noch nicht einmal sein Schwert in die Scheide zurückgesteckt hatte. Würde Hina einen Fehler begehen, wäre sie Schaschlik. Reden war nie ihre Stärke gewesen, doch der einzige Ausweg stand vor ihr, wie sie aus dieser Hölle herauskommen sollte.
„Siehst du das rote Licht? Es werden weitere mächtigere Kreaturen kommen und...“
Der Mann machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das stört mich nicht. Es amüsiert mich.“ Es amüsierte ihn zu töten? Hina schluckte, obwohl ihr Hals staubtrocken war. Sie änderte ihre Taktik.
„Du willst sicher noch mehr von der Welt sehen, nicht?“, fragte sie. Ein wenig stellte sich der Kopf schräg, als hätte sie einen wunden Punkt erwischt.
„Das hier ist nicht alles, es gibt viel mehr da draußen, was man...“, sie zögerte.
„Was mein ist?“, stellte er klar und fragte damit gleichzeitig. Hina nickte eifrig, obwohl sie eigentlich komplett anderer Meinung war.
„Du lügst.“ Er holte mit dem Schwert aus. „Ich mag es nicht, angelogen zu werden.“ Er wollte sie töten! Das Herz schlug ihr bis zur Brust, als langsam das Blut aus ihrem Gesicht wich. Kopfschmerzen bahnten sich, und sie sagte das erste, was ihr einfiel.
„Ohne mich schafft du es nicht!“ Er hielt inne.
„Was?“, fragte er mit Argwohn in der Stimme. „Ich schaffe alles.“ Schnaubend wollte er seinen Angriff fortsetzen.
„Ohne mich wirst du nicht hinauskommen!“, schrie sie in die Leere. Der Hall sorgte für gespenstische Stimmung, als Stille den Raum übernahm, man ein Klappern hörte und das Schwert zu Boden fiel.
„Törichtes Mädchen“, raunte er und machte kehrt. War es ihm etwa langweilig geworden, sie umzubringen? Oder amüsierte sie ihn einfach nur? Hina war mit ihrem Latein am Ende, als sie den Krieger, der doch keiner war, durch die Schwelle trat und in den Gängen verschwand. Atemlos saß sie noch einige Minuten da, dann blickte sie die Klinge an.
Was für eine Wahl hatte man ihr gegeben? Keine.
Welche hatte sie nun? Ebenfalls keine.
Würde sie je eine haben? Hier sterben würde sie jedenfalls nichts.
Also nahm sie die Klinge auf, obwohl sie nichts mit ihr anzufangen wusste, schnitt mit ihr ein Band von ihrer Kleidung und befestigte es an ihrer Taille. Die Klinge klapperte bei der Bewegung, doch es war immerhin eine Waffe.
So schnell sie konnte rannte sie dem Krieger hinterher und hoffte, damit nicht ihr Todesurteil unterschrieben zu haben. Was für eine Traumtänzerin sie doch war, ihr Leben in einen totbringenden Unbekannten und einen geistlosen Fremden zu legen.