Einen Moment herrschte absolute Stille und vermutlich hätte man jetzt auch ganz ohne vampirisches Supergehör einen Stecknadelkopf zu Boden fallen hören können.
Dann fauchte Jo: „Willst du damit sagen, dass ich zu klein bin, um zu kämpfen?“
Aiden sah sie verblüfft an. Gerade hatte er versucht, sie in Schutz zu nehmen und sie ging auf ihn los?
Tatsächlich stapfte sie grimmig auf ihn zu und baute sich vor ihm auf. Obwohl sie zu ihm aufblicken musste, hatte er das Gefühl, sie schaue auf ihn herab und er hatte keine Ahnung, wie sie das anstellte. Die Hände stemmte sie in die Seiten, als sie ihre Gewitterhimmelaugen zu schmalen Schlitzen zusammenkniff.
„Ich meinte nur…“, setzte er an, doch Vellirs fiel ihm ins Wort. „Glaubst du, die Idioten, die wir jagen, interessiert es, ob sie zwei Köpfe kleiner ist? Glaubst du, sie würden sich zurückhalten, nur weil sie eine Frau ist? Wohl kaum.“
„Ganz im Gegenteil“, fügte Peroy knapp hinzu und Aiden begriff, dass sie Recht hatten.
Die Tatsache, dass sie eine Frau war, machte den Job nur noch gefährlicher für sie.
„Los“, zischte Jo jetzt herausfordernd. „Versuch es.“
Aiden hob langsam eine Augenbraue, unsicher, ob sie das ernst meinte.
„Los“, wiederholte sie allerdings bereits. „Kämpfe!“
Damit holte sie aus und verpasste ihm einen Kinnhaken, der sich gewaschen hatte.
Aidens Reflexe schalteten sofort in den Kampfmodus, seine Arme hoben sich von selbst, während er sich von dem Schlag erholte.
Jo funkelte ihn herausfordernd an, doch er hatte nicht vor gegen sie zu anzutreten. Sie war eine Frau und Aiden hatte, verdammt noch mal, noch nie eine Frau geschlagen.
Als sie zu ihrem nächsten Schlag ausholte, fing Aiden ihre Faust ab. Seine Finger schlossen sich mühelos um ihre. „Hör schon auf“, verlangte er.
„Nein“, kam ihre knappe Antwort und sie holte mit dem anderen Arm aus. Diesmal gelang es Aiden nicht, den Hieb abzufangen, doch er wich ihr aus, musste dabei aber seinen Griff lockern. Sofort nutzte Jo diese Nachlässigkeit aus, sie riss sich los und verpasste ihm einen heftigen Tritt gegen die Brust. Aiden wurde zurückgeschleudert, erhaschte im letzten Moment ihren Fuß und riss sie mit sich zu Boden.
„Schluss jetzt“, knurrte Aiden langsam wirklich genervt, doch Jo schien sich dafür nicht zu interessieren. Sie rollte sich ab und war gleich darauf wieder auf den Beinen. Keine Sekunde später stand auch Aiden wieder auf den Füßen. Blitzschnell stürzte er sich auf sie, um sie festzuhalten.
Doch Jo wehrte sich, verpasste ihm einen erneuten Schlag mit dem Handrücken, der Aiden aufstöhnen ließ. Allmählich machte sie ihn wirklich wütend.
Mit der ganzen Masse seines Körpers drückte er sie gegen die Wand hinter ihnen, sodass ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt war. Als sie Anstalten machte, ihr Bein zu heben, presste er seine Oberschenkel gegen ihre. Jos Muskeln drängten gegen seine und er musste zugeben, dass sie stärker war, als er erwartet hatte. Dennoch konnte er sie problemlos festhalten und obwohl sie versuchte, ihn weiter mit den Fäusten zu bearbeiten, hatte er auch ihre Arme rasch eingefangen. So umklammert, hatte sie keine Chance mehr und das wussten sie beide.
Keuchend starrte sie ihn an, als er seinen Kopf senkte und sich ihre Nasen beinah berührten.
Ihre Miene war verbissen, die Lippen fest aufeinander gepresst und die Wangen leicht gerötet. Verflucht, sie war unfassbar attraktiv und Aiden war sich ihres Körpers nur allzu bewusst. Beinah überall berührten sie sich, nur durch den wenigen Stoff ihrer Kleidung voneinander getrennt.
Ohne dass er etwas dagegen tun konnte, wurde Aiden hart.
„Wieso hältst du dich zurück?“, fragte Jo und brachte ihn damit vollkommen aus der Fassung.
Aiden suchte noch nach einer Antwort, als Jo plötzlich ihren Kopf nach vorn stieß. Ihre Stirn traf seine Nase und er stöhnte auf. Abrupt ließ er sie los, machte einige Schritte zurück, während das Blut aus seiner Nase schoss. Der Abstand half ihm, endlich wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Und möglicherweise trug der Schmerz seinen Teil dazu bei.
„Wieso hast du nicht gekämpft?“, wollte Jo abermals wissen.
„Ich schlage keine Frauen.“ Aiden wischte sich grimmig das Blut aus dem Gesicht.
„Das verlange ich auch nicht.“ Sie reckte das Kinn in die Höhe und stemmte die Hände in die Seiten. „Wir trainieren hier. Nicht mehr und nicht weniger.“
„Ach ja?“ Aiden deutete auf seine Nase. Doch als sie nur mit den Schultern zuckte, wandte er sich ab und durchquerte die Halle.
Als er kurz darauf aus der angrenzenden Waffenkammer zurückkehrte, starrten die anderen Männer zwischen ihm und Jo hin und her, doch darum kümmerte Aiden sich nicht weiter.
„Schön“, sagte er. „Trainieren wir.“ Ohne Vorwarnung warf er Jo einen Schlagstock zu und war nicht überrascht, dass sie ihn problemlos auffing.
In ihrer Miene machte sich für einen kurzen Moment Überraschung breit, dann nickte sie und ging leicht in die Knie. Den Schlagstock fest umklammert, wartete sie auf seinen Angriff.