Jo war sich Aidens Gegenwart nur allzu bewusst. Sie hatte seine Blicke auf sich gespürt und ein wohliges Kribbeln war durch ihren gesamten Körper gegangen. Himmel, sie fühlte sich so zu ihm hingezogen, dass sie am liebsten das Training durch eine ganz andere Art der körperlichen Betätigung ersetzt hätte.
Schon als sie die Halle betreten und ihn erblickt hatte, hatte sie gewusst, dass es besser gewesen wäre, direkt wieder zu gehen. Aiden stellte für sie eine Versuchung dar, wie einst der verbotene Apfel für Eva. Aber da Jo wusste, dass sie ihm nicht ewig würde aus dem Weg gehen können, war sie geblieben und nun rannte sie auf dem Laufband, während sie sich zwang, nicht zu ihm hinüberzublicken. Sie konnte seine raschen Schritte auf dem Laufband hören, die sich mit ihren vermischten und sie hatte seinen viel zu männlichen Duft in der Nase. Verflucht, wie konnte es sein, dass er so gut roch?
Jo spürte Schweißperlen auf ihrer Stirn und sie war sich nicht sicher, ob sie vom Laufen kamen oder ob es Aidens Anwesenheit war, die sie zum Schwitzen brachte.
Gerade musterte sie seine angestrengte Miene aus dem Augenwinkel, als eine Stimme, sie völlig überraschte. „Ach, hier seid ihr!“
Jo zuckte zusammen, was sie völlig aus dem Laufrhythmus brachte. Sie kam ins Straucheln, spürte bereits, wie sie zu Boden fiel, als sie noch rasch einen Satz zur Seite machte. Nicht sehr elegant kam sie neben dem Sportgerät zum Stehen und fluchte. „Bastian!“, fuhr sie den Mann an, der sie so erschreckt hatte, dass sie gerade beinah auf dem Hintern gelandet wäre.
Überrascht blickte er in ihr Gesicht, ehe er grinste. „Jojo, seit wann haut dich meine Anwesenheit denn so um?“
Sie funkelte ihn nur an, während sie bemerkte, dass Aiden neben ihr sein Laufband angehalten hatte. Er war deutlich eleganter abgestiegen und drückte nun den Stopp-Knopf auf ihrem Gerät.
Sein Blick streifte sie nur kurz, ehe er sich an Bastian wandte: „Du hast uns etwas überrascht“, sagte er und Jo war dankbar, dass er sich mit einschloss.
„Ich dachte eigentlichen, ihr hättet die Tür gehört“, merkte Bastian an und deutete hinter sich, ehe er mit den Schultern zuckte. „Wie dem auch sei. Ich habe euch gesucht.“
„Wieso?“, wollte Jo wissen.
„Wie es aussieht, startet euer Einsatz früher als gedacht. Taye hat da etwas arrangieren können und ich glaube, es ist unsere beste Chance an die Mistkerle heranzukommen. Die anderen sind bereits im Besprechungsraum.“
Jo hatte bei Bastians Worten große Augen bekommen und warf jetzt einen Blick auf die Uhr. Überrascht musste sie feststellen, dass sie länger auf dem Laufband gewesen war, als sie angenommen hatte.
„Also zieht euch schnell um und kommt dann zu uns.“ Bastian machte bereits wieder auf dem Absatz kehrt.
Jo griff gerade nach ihrem Pullover, als Bastian sich doch noch einmal herumdrehte: „Ach und Jojo? Gestern hatten wir keine Zeit mehr, aber bevor ihr heute aufbrecht, schuldest du mir noch eine Runde auf der Matte.“ Er deutete hinüber zu der Trainingsmatte, die eigens für ein Kampftraining gedacht war.
Jo zog die Augenbrauen nach oben: „Ich bin mir nicht sicher, ob es deiner Frau gefallen wird, wenn ich deinen Körper mit ein paar blauen Flecken verziere“, gab sie spöttisch zu bedenken und sofort blitzten Bastians Augen auf.
„Lassen wir es drauf ankommen, Jojo. Und wenn ich dich am Boden festgenagelt hab, stelle ich dir meine Frau vor.“ Er zwinkerte ihr zu und ging davon, ohne auf Jos Schnauben zu reagieren.
„Angeber“, rief sie ihm nach und sie wusste, dass er es gehört hatte.
„Das ist er“, stimmte Aiden zu und griff nach seinem Handtuch, ehe er ebenfalls auf den Ausgang zusteuerte.
Jo folgte ihm, denn sie würde nach oben gehen müssen, um sich rasch frisch zu machen und umzuziehen.
„Was ist das eigentlich zwischen euch?“, wollte Aiden auf einmal wissen, als sie gemeinsam die Halle verließen.
„Zwischen uns?“, wiederholte Jo überrascht. „Bastian und mir, meinst du?“
Aiden nickte nur knapp und sie machte einen nichtssagenden Laut. „Wir sind zusammen aufgewachsen. Bastian ist nur ein paar Monate älter als ich und unsere Väter waren eng befreundet.“
„Waren?“, hakte Aiden nach und Jo schluckte. „Meine Eltern sind nicht mehr am Leben“, erklärte sie mit möglichst neutraler Stimme und machte sich sogleich darauf gefasst, dass sie sich noch weiter würde erklären müssen. Doch Aiden überraschte sie, indem er sie nicht mitleidig ansah und auch nicht weiter nachhakte. Stattdessen sagte er nur knapp: „Das tut mir leid.“ Dann kam er zum eigentlichen Thema zurück und Jo war wirklich froh, nicht über ihre Eltern sprechen zu müssen.
„Also habt ihr als Kinder miteinander gespielt?“
Jo nickte. „Ich habe meinen Vater oft hier her begleitet, da verbrachten wir viel Zeit miteinander. Und nachdem meine Eltern starben, nahm mich Bastians Familie auf.“ Sie schluckte, als sie daran dachte, doch sie ließ nicht zu, dass die düsteren Erinnerungen sie jetzt überwältigten.
„Dann warst du also noch ein Kind“, stellte Aiden fest und es war keine Frage. Dennoch nickte Jo. „Gerade fünf Jahre alt geworden“, bestätigte sie. „Ich verbrachte also mehr Zeit hier, als in dem Haus meiner Familie. Als ich volljährig wurde und die Wandlung abgeschlossen war, habe ich das Nest dann verlassen. Ich ging als Jägerin nach New York und wurde dort Vellris, Gray und Peroy zugeteilt.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Und bei ihnen blieb ich dann auch.“
Aiden sah sie neugierig an und es schien, als wollte er etwas fragen. Doch schließlich nickte er nur. „Wer gab dir sein Blut für die Wandlung?“, wollte er dann plötzlich wissen, als sie den Treppenabsatz im ersten Stock erreicht hatten.
Jo blinzelte kurz irritiert, denn die Frage überraschte sie. Dann erklärte sie jedoch bereitwillig: „Meine Großmutter.“ Jo hatte für die vollständige Wandlung das vampirische Blut eines Familienmitglieds benötigt und glücklicherweise war ihre Großmutter bereit gewesen, es ihr zu geben. Auch wenn sie sonst kein enges Verhältnis gepflegt hatten, doch das musste sie Aiden jetzt nicht erklären. „Allerdings starb auch sie im letzten Jahr. Wir standen uns nicht sehr nah“, fügte sie dann doch noch rasch hinterher, weil sie nicht wollte, dass er sie jetzt vielleicht doch bemitleidete.
Abermals gab Aiden nur einen zustimmenden Laut von sich, ehe er auf die Tür deutete, die zu seinem Schlafzimmer führte. „Wir sollten uns wohl etwas beeilen“, meinte er dann und Jo stimmte ihm zu. Sie wollte die anderen wirklich ungern noch länger warten lassen.
Also huschte Jo rasch in ihr Zimmer, raste in vampirischer Geschwindigkeit unter die Dusche und war wenige Minuten später frisch gewaschen und umgezogen.