Kurz darauf saß Aiden neben Jo auf der Rücksitzbank der dunklen Limousine und musste den Blick eines ziemlich grimmigen Gray ertragen, der zu Jos anderer Seite hockte und die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Gleichzeitig hatte Aiden auch Vellris Miene im Rückspiegel ausgemacht. Und auch er hatte wenig begeistert ausgesehen.
Aiden konnte es den beiden nicht verübeln, schließlich war er es, der sich nicht an den Plan gehalten hatte. Seinetwegen war die Mission gefährdet und auch wenn er seine Entscheidung nicht leichtfertig getroffen hatte, so war es dennoch eine heikle Angelegenheit.
Gerade setzte er zu einer Erklärung an, als Jo einen Jubelschrei ausstieß. Irritiert sah Aiden sie an, als sie ihm um den Hals fiel.
„Wir haben es geschafft“, rief sie und strahlte. „Ich schwöre, diese Amanda Smith – oder wie auch immer ihr wirklicher Name lautet – hat Dreck am Stecken. Wir sind auf der richtigen Spur und sie ist uns sowas von auf den Leim gegangen.“
Aiden konnte nicht verhindern, dass seine Mundwinkel zuckten. Ihre Aufregung war ansteckend und auch wenn die Dinge anders gekommen waren, als zuvor vereinbart, so hatten sie das heutige Etappenziel dennoch mit Bravour erreicht.
„Habt ihr gehört, wie gut er war?“, wollte Jo wissen und wandte sich nun an Gray und Vellris. Letzterer verdrehte nur die Augen, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Straßenverkehr richtete. Aiden wusste, dass die beiden Männer über einen Empfänger im Auto jedes Wort hatten mithören können, genau wie Taye in der improvisierten Kommandozentrale.
„Ja, ganz toll“, bestätigte Gray mit hörbarem Sarkasmus.
„Hör auf zu schmollen.“ Jo boxte ihm freundschaftlich gegen die Schulter. „Ich hatte meinen Sender verloren und Aiden hat...“
„Vellris hat es mir schon erklärt“, unterbrach Gray sie nach wie vor übellaunig.
„Entschuldigt, Leute“, mischte Aiden sich jetzt endlich ein. „Ich weiß, ich bin vom Plan abgewichen. Aber als ich sah, dass Jo die Kette verloren hatte, musste ich etwas tun. Mir lief die Zeit davon, also tat ich, was mir als erstes einfiel.“
„Klar.“ Gray schnaubte spöttisch und Aiden bekam langsam das Gefühl, dass es hier um mehr ging, als nur darum, dass Aiden den Plan gefährdet hatte.
„Es ist ja aber alles gut gegangen.“ Jo kramte in ihrer Tasche und angelte die Visitenkarte hervor. Aufgeregt wedelte sie damit herum: „Seht ihr, hier ist das goldene Ticket und damit sind wir einen großen Schritt näher am Ziel. Amanda Smith hat uns förmlich aus der Hand gefressen.“
„Hast du bei deiner spontanen Planänderung darüber nachgedacht, dass Duncan mein Gesicht auf sämtliche Dokumentenfälschungen gesetzt hat?“ Gray wandte sich nun direkt an Aiden und ging nicht auf Jo ein. „Was glaubst du, werden diese Spinner denken, wenn sie eine Hintergrundüberprüfung durchführen und dabei auf Noah Frosts Führerschein stoßen und feststellen, dass er so gar nicht aussieht wie du?“
Aiden schluckte. Verflucht, Gray hatte Recht. Das war ein Problem. Ein gigantisches.
„Und wo soll euch euer lieber Fahrer eigentlich gerade hinbringen? In das Hotel vielleicht, in dem Evelyn Frost mit einem Mann eingecheckt hat, der nicht einmal dieselbe Haarfarbe hat, wie der, den sie nun mit aufs Zimmer nimmt?“
Jos Lächeln gefror, als offenbar auch ihr bewusst wurde, dass Grays Einwände berechtigt waren.
Aiden entfuhr ein Fluch. Auf der Party war alles glatt gelaufen, aber sein Alleingang stellte ein Problem dar, das ihren gesamten weiteren Plan gefährdete.
„Wärst du einfach auf deinem Posten geblieben“, fuhr Gray fort. „Hätte ich die Kette vielleicht bemerkt. Und selbst wenn nicht, wir hatten nicht vor, uns auf der Party zu trennen. Auch ohne Jos Wanze, hätten wir immer noch meine gehabt.“ Gray deutete auf seine Armbanduhr und abermals musste Aiden zugeben, dass er völlig Recht hatte.
Himmel, was hatte Aiden sich nur dabei gedacht?
Und wie zum Henker, sollte er die Suppe jetzt auslöffeln, die er ihnen allen eingebrockt hatte?
In Aidens Kopf rasten die Gedanken, aber so sehr er auch nach einer Lösung suchte, er konnte sich nur immer und immer wieder selbst Vorwürfe machen.
„Okay, Gray. Das reicht jetzt.“ Vellris räusperte sich und als er sich auf dem Fahrersitz zu ihnen herumdrehte, bemerkte Aiden erst, dass sie angehalten hatten. Ein Blick aus dem Fenster genügte, um zu erkennen, dass sie in einer Tiefgarage parkten.
„Ich wollte ihm nur klarmachen, wie dämlich sein Verhalten war“, betonte Gray noch einmal und Vellris seufzte. „Ja, ich denke, das haben wir jetzt alle begriffen.“
Jo hockte zwischen Gray und Aiden und wirkte, wie ein Häufchen Elend, sodass Aiden den Wunsch verspürte, sie in den Arm zu nehmen. Aber da die ganze Misere auf seinem Mist gewachsen war, behielt er die Hände bei sich. Er setzte gerade zu einer erneuten Entschuldigung an, als Vellris sich abermals räusperte. „Während ihr beiden auf der Party wart, hat Taye sich mit Duncan in Verbindung gesetzt. Keine Ahnung, wie er es so schnell geschafft hat, aber inzwischen prangt auf jedem verfluchten Dokument, das auf Noah Frost ausgestellt wurde, deine Visage.“
Aiden bekam große Augen, als er das hörte und auch Jo richtete sich kerzengerade auf.
„Wagt es nicht, jetzt wieder dämlich zu grinsen, denn Aiden, du hast uns trotzdem in Schwierigkeiten gebracht“, fuhr Vellris an ihn und Jo gerichtet fort. „Das Problem mit dem Hotel bleibt bestehen. Ihr könnt dort unmöglich zusammen auftauchen. Selbst wenn die Angestellten keine Fragen stellen werden, gibt es Überwachungsbilder. Duncan ist dabei, sich darum zu kümmern, dass jede Aufnahme, die euch bei eurem bisherigen Aufenthalt zeigt, gelöscht wird. Wir dürfen trotzdem nicht riskieren, dass jemand eine Unstimmigkeit bemerkt. Deshalb wird Jo allein zurück ins Hotel gehen. Du packst eure Koffer und checkst aus.“
Jo nickte und Aiden wartete darauf, dass Vellris weitersprach. „Aiden, du wirst telefonisch darum bitten, dass dein Koffer nachgesendet wird. Du hattest einen dringenden Geschäftstermin und musstest überstürzt die Stadt verlassen.“
Jetzt war es an Aiden einen zustimmenden Laut von sich zu geben.
„Und danach fahren wir nach Philadelphia. Ihr bezieht euer Hotel dort bereits heute und dann werdet ihr das Zimmer erst wieder verlassen, um zu dieser Gala zu gehen. Denn wie ihr bei der Party unmissverständlich klar gemacht habt, haben Mr. und Mrs. Frost vor, einige Stunden Zweisamkeit zu verbringen.“
Jetzt konnte Aiden sich beim besten Willen ein Grinsen nicht mehr verkneifen und als er in Jos erschrockenes Gesicht schaute, hätte er am liebsten laut gelacht.
Gray hingehen stöhnte und machte einen Laut, der klang, als müsse er sich übergeben: „Die Show, die ihr da abgezogen habt, war so übertrieben“, maulte er. „Ich wundere mich, dass man euch dieses Theater abgenommen hat.“
Aiden biss sich auf die Zunge. Nun, für seinen Geschmack war ihr Auftritt perfekt gewesen. Was vielleicht auch daran lag, dass Aiden dabei nur sehr wenig hatte spielen müssen.