Aiden hatte sich in Rekordgeschwindigkeit geduscht und in saubere Kleidung geschlüpft. Als er aus seinem Zimmer trat, zog er sich noch schnell das schwarze T-Shirt über den Kopf und erblickte dann Jo, die bereits die ersten Stufen der Treppe hinuntereilte. Während des Gehens band sie sich das feuchte Haar im Nacken zu einem lockeren Knoten zusammen, sodass Aidens Blick einen Moment auf ihrem zarten Hals verweilte. Dann machte er sich daran, ihr zu folgen. Jo hatte sich ebenfalls umgezogen und trug wie er eine schwarze Trainingshose. Während er sich mit einem Shirt zufriedengegeben hatte, hatte sie einen der übergroßen Hoodies übergeworfen, die sie offenbar mit Vorliebe trug. Aiden hatte den unförmigen Dingern noch nie etwas abgewinnen können. Besonders an Frauen verdeckte er für seinen Geschmack viel zu viel, doch bei Jo musste er zugeben, dass es ihm gefiel. Vermutlich lag das allerdings weniger an dem Kleidungsstück, als daran, dass sie in seinen Augen alles hätte tragen können. Sie war einfach umwerfend.
Jo blieb vor der Tür stehen, die in den Konferenzsaal führte und warf einen Blick über die Schulter. Ihre Gewitteraugen erfassten ihn und sie schenkte ihm ein Lächeln, dass sein Blut zum Kochen brachte.
„Fertig?“, fragte sie und Aiden schluckte ertappt. Er war sich nicht sicher, was sie meinte, doch womöglich hatte sie seine gierigen Blicke in ihrem Rücken gespürt.
Da ihm jedoch dummerweise kein lässiger Spruch einfiel, machte er nur eine vage Handbewegung, die ihr jedoch zu genügen schien. „Dann wollen wir mal“, sagte sie und betrat vor ihm den Besprechungsraum.
„Da seid ihr ja“, empfing Bastian sie und Aiden nickte kurz in die Runde. Tatsächlich saßen sowohl Tarun, Gray, Vellris und Peroy bereits am Tisch, aber auch Duncan, Bastian und Taye hatten ihre Plätze eingenommen.
Jo ließ sich auf den freien Stuhl neben Vellris fallen, wodurch für Aiden nur der Platz zwischen Taye und Bastian übrig blieb.
„Dann können wir jetzt ja beginnen.“ Duncan ergriff das Wort und alle Blicke richteten sich gespannt auf ihn. „Taye würdest du das Team über die neusten Entwicklungen in Kenntnis setzen?“
„Natürlich.“ Taye legte die großen Hände vor sich auf den Tisch. „Ich habe mich mit einigen meiner Kontaktleute in Verbindung gesetzt, die ich noch aus meiner Zeit als Cop kenne. Und tatsächlich habe ich einen Hinweis erhalten, der uns in die Karten spielt.“
Aiden lauschte aufmerksam jedem seiner Worte.
„Am morgigen Abend soll in Manhattan eine große Party stattfinden. Alles ziemlich exklusiv und die Karten dafür sind zum einen verdammt teuer und zum anderen erhält man sie nur auf Empfehlung.“ Taye räusperte sich. „Diese Veranstaltung dient offenbar dazu, potentielle neue Käufer zu prüfen, die am Erwerb von Blutsklaven interessiert sind.“
Peroy knurrte grimmig und Aiden konnte es ihm nicht verübeln. Es war abscheulich, was diesen Menschen angetan wurde, wenn sie für hohe Summen an Vampire und Dämonen verkauft wurden, die sie hielten, als seien sie weniger Wert als Vieh.
„Wir wissen, dass wir da an einem gut organisierten Ring dran sind“, fuhr Taye unbeirrt fort. „Bei dieser Party werden die Interessenten genaustens unter die Lupe genommen und erst, wenn sie der Prüfung standgehalten haben, werden sie zu der Veranstaltung eingeladen, bei der wir vermuten, dass die Menschen tatsächlich zum Kauf angeboten werden.“
„Damit stellen sie sicher, dass nicht die falschen Leute etwas von ihren Machenschaften mitbekommen“, schlussfolgerte Vellris vermutlich völlig richtig.
„Leute wie wir“, knurrte Aiden zwischen zusammengebissenen Zähnen.
„Ganz genau“, bestätigte Taye. „Und trotzdem muss uns genau das gelingen. Wir müssen Zutritt zu dieser Kaufveranstaltung erlangen. Nur dann haben wir eine Chance darauf, diejenigen zu erwischen, die ganz oben an der Nahrungskette stehen.“
„Wie stellen wir das an?“, wollte Jo wissen und ihre Miene wirkte ähnlich grimmig, wie die der anderen im Raum.
Tayes Mundwinkel zuckte. „Ich habe es geschafft, zwei Karten für diese Party morgen Abend zu organisieren.“ Sein Blick ruhte auf Jo. „Für Mr und Mrs Frost.“
Jo nickte entschlossen, denn es war klar, dass sie den Part der Mrs Frost würde übernehmen müssen.
„Ich habe mich mit Bastian und Duncan besprochen und wir sind uns einig, dass du diese Rolle gemeinsam mit Gray spielen wirst“, fuhr Taye fort und Aidens Blick zuckte sofort zu dem blonden Lockenkopf. Der lehnte sich in seinem Stuhl zurück und lächelte Jo über den Tisch hinweg an. „Und so schnell sind wir verheiratet, Freya.“
Aiden spürte einen unangenehmen Stich in der Brust, während er sich eingestehen musste, dass er diese Aufgabe liebend gern selbst übernommen hatte. Dennoch zog er es vor, zu schweigen. Das hier war nicht seine Entscheidung und es ging hier auch nicht um seine Gefühle. Sie hatten einen Job zu erledigen.
„Nichts, womit ich nicht umgehen könnte.“ Jo funkelte Gray herausfordernd an und sein Grinsen wurde breiter. Ehe er jedoch etwas erwidern konnte, fuhr Taye fort: „Duncan hat sich bereits um die falschen Identitäten gekümmert. Sie sollten den Prüfungen standhalten, aber ihr müsst die Mitarbeiter dieses Vereins während der Party davon überzeugen, dass ihr wirklich unbedingt einen Blutsklaven erwerben wollt.“
Gray, der jetzt wieder völlig ernst war, gab einen zustimmenden Laut von sich und Jo sagte: „Das bekommen wir hin.“
„Gut.“ Taye rieb sich kurz die Nasenwurzel, während er eine Mappe öffnete, die vor ihm auf dem Tisch gelegen hatte. Er holte einige Papiere hervor und schob jedem der Anwesenden eins davon zu.
„Hier findet ihr alle nötigen Informationen zu den Deckidentitäten. Vellris wird euer Fahrer sein und Peroy, Aiden und Tarun halten sich im Freien vor der Location auf. Ihr werdet verkabelt, damit die anderen euch hören können. Solltet ihr das Codewort verwenden, bekommt ihr umgehend Verstärkung, aber dann ist der Plan hinfällig. Ich hoffe wirklich, dass ihr es schafft, diese Kerle von euch zu überzeugen.“
Aiden konnte Taye nur zustimmen, während er die Informationen auf dem Papier überflog. Jo würde also zu Mrs Evelyn Frost, kunstinteressierte, überaus vermögende Vampirin, die ihre Freizeit gern in einem Reitstall verbrachte, den ihr Mann Noah Frost ihr zum fünfzigsten Hochzeitstag geschenkt hatte. Sie waren kinderlos und lebten auf einem Anwesen in den Hamptons, wo sie über eine ganze Kolonie von Personal verfügten.
Aiden betrachtete sich als nächstes die Adresse und Daten zur Location. Die Party sollte auf einer exklusiven Dachterrasse mitten in Mannhatten stattfinden. Sie würde sicher mit einem Zirkel umgeben sein, sodass es unmöglich war, sich hinein- oder herauszuteleportieren. Auf einer Karte waren genausten die Positionen vermerkt, die er und die anderen Teammitglieder würden einnehmen müssen.
Schließlich war auch noch das Codewort vermerkt und es gab einen genauen Plan über den zeitlichen Ablauf der Mission.
„Ich möchte, dass ihr euch alles in Ruhe durchlest. Heute Abend werden wir uns dann nach New York teleportieren und in einem Hotel in Mannhatten Stellung beziehen. Ich organisiere euch beiden noch passende Kleidung für die Party.“ Taye sah erst zu Jo und dann zu Gray. „Ich möchte, dass ihr alle versteht, wie wichtig es ist, dass wir uns genaustens an den Plan halten. Keine Alleingänge, keine spontanen Änderungen.“
Zustimmendes Gemurmel erklangt aus der Gruppe und Taye nickte zufrieden: „Dann sehe ich euch heute Abend um zwanzig Uhr wieder hier.“
Damit beendete er die Besprechung und wandte sich dann an Duncan. Die beiden Männer schienen noch etwas zu besprechen haben, als sie als erstes den Raum verließen.
„Also, Evelyn.“ Gray zwinkerte Jo grinsend zu. „Möchtest du später noch einen kleinen Ausritt machen?“
Aiden musste ein Knurren unterdrücken, als er den zweideutigen Unterton vernahm, doch Jo schenkte Gray ein zuckersüßes Lächeln. „Liebling, ich denke du weißt, wieso ich meine Zeit am liebsten mit exotischen Kunstwerken und Pferden verbringe.“ Sie schlenderte auf Gray zu und fuhr ihm liebevoll mit den Fingerspitzen über die Schulter. „Ihr müsst wissen“, wandte sie sich dabei an die anderen im Raum. „Mein Mann ist schon über vierhundert Jahre alt und das hat eben auch Auswirkung auf gewisse Fähigkeiten. Nicht wahr, Noah?“
Vellris prustete los, während Gray empört nach Luft schnappte. „Was soll das denn bedeuten?“
Jo zuckte unschuldig mit den Schultern, als Bastian sich lachend zwischen sie und Gray stellte. „Ich unterbreche euren ehelichen Disput wirklich nur ungern, aber Jojo und ich waren noch verabredet.“
Er legte Jo freundschaftlich den Arm um die Schulter, als Gray sich von seinem Stuhl erhob. „Darüber sprechen wir noch, Evelyn“, rief er, als Bastian Jo aus dem Raum dirigierte.
„Selbstverständlich, Liebling“, erwiderte Jo und schenkte ihm zum Abschied noch eine Kusshand.
Aiden starrte ihr nach, während er den Kopf schüttelte. Er wusste im Moment wirklich nicht ob er auf Gray eifersüchtig sein oder ihn bemitleiden sollte.