Der Klang von Schüssen erfüllt die Lagerhalle und Aiden warf Vellris einen alarmierten Blick zu. Der andere Mann entsicherte seine eigene Pistole und dann stürmten die Beiden Seite an Seite in das heruntergekommene Gebäude.
Aiden verschaffte sich rasch einen Überblick über den Raum, der nur spärlich mit alten Matratzen, einer zerfetzten Couch und nackten Glühbirnen ausgestattet war. Die schäbige Einrichtung passte zu dem abscheulichen Geruch, der das Innere auf eine Weise ausfüllte, die Aiden das Gesicht verziehen ließ. Tatsächlich hing hier zweifelsohne der Tod in der Luft. Die widerlichen Gase, die beim Verwesungsprozess entstanden, verdrängten den wenigen Sauerstoff und brachten Aidens Magen dazu, sich unangenehm zusammenzuziehen.
Trotz der aufsteigenden Übelkeit fokussierte sich Aiden auf das Kampfgeschehen vor ihm, jedoch musste er feststellen, dass Peroy und Jo bestens ohne ihn ausgekommen waren.
Peroy hatte bereits zwei der Dämonen ausgeschaltet, wie Aiden an den schmierigen Pfützen am Boden erkennen konnte. Mit dem Lauf seiner Pistole hatte er in dem Moment eine Frau ohnmächtig geschlagen, als Aiden und Vellris dazugekommen waren. Jo hingegen hatte einen weiteren Vampir überwältigt, indem sie ihm eine Kugel direkt in die Brust verpasst hatte. Sein Körper war zu Boden gesackt und Jo hockte an seiner Seite, um zu überprüfen, ob sie sein Herz getroffen und ihn damit getötet hatte.
„Habt ihr noch jemanden gesehen?“, wollte Aiden wissen, doch die beiden schüttelten den Kopf. „Nur die vier hier“, erwiderte Peroy.
„Aber irgendwo müssen sie die beiden Menschen hingebracht haben, die in ihrem Kofferraum lagen“, wandte Jo ein und sah sich suchend um.
Peroy deutete auf eine Tür, die sich auf der gegenüberliegenden Seite befand. „Ich kann sie hören“, sagte er und tatsächlich vernahm Aiden in dem Moment das leise Geräusch von schlagenden Herzen. Jo hastete durch die Halle und Aiden folgte ihr rasch.
Als sie die Tür aufgestoßen hatte und Licht in das finstere Hinterzimmer fiel, entdeckten sie die beiden Gestalten auf dem schmutzigen Boden liegend. Offenbar waren sie bewusstlos, aber zumindest am Leben.
Aiden trat zu der ersten Gestalt und erkannte unter der Kapuze den jungen Mann, der bei der Auktion als zweites vorgeführt worden war. Er hatte versucht, sich zu wehren, doch seine Chancen waren aussichtslos gewesen.
„Wir laden sie in den Wagen“, sagte Aiden und hob den Mann vom Boden auf, als Vellris an ihm vorbeiging und sich dem zweiten Mann annahm. Sein Kampfeswille war während der Versteigerung sogar noch größer gewesen, doch auch ihm hatte es nichts genützt. Er war vorgeführt worden, wie alle anderen auch und nun hatte man ihn in dieses Loch verschleppt. Nur der Teufel wusste, was seine Entführer hier mit ihm angestellt hätten, wenn Aiden und die anderen ihnen nicht gefolgt wären.
Seufzend buckelte Aiden den schlanken Mann auf seine Schulter und trug ihn quer durch die Halle.
„Himmel, hier stinkt es ja bestialisch“, merkte Gray an, der naserümpfend in der Eingangstür der Lagerhalle stand.
„Ja“, stimmt Jo zu und schüttelte langsam den Kopf. „Offenbar kommen wir für die anderen Opfer zu spät.“
Aiden musste ihr bedauernd zustimmen. Auch er konnte hier beim besten Willen kein weiteres Zeichen von Leben ausmachen.
„Ich prüfe trotzdem noch einmal den Keller“, sagte Peroy und deutete auf eine Treppe, die Aiden bislang noch nicht aufgefallen war.
Jo folgte ihrem Freund.
„Ich begleite dich“, erklärte sie, blieb aber am Absatz sofort stehen. Hastig zog sie am Kragen ihres T-Shirts, um sich damit Mund und Nase zu bedecken.
„Oh, verdammt“, fluchte sie leise und blinzelte angestrengt.
Peroy verzog den Mund. „Ja, da unten riecht es schlimmer als in einem Schlachthaus.“
Jo schien mit der Übelkeit zu kämpfen und Peroy bemerkte das offenbar auch.
„Bleib hier“, sagte er. „Ich mache das schon.“ Dann stieg er mit ausdrucksloser Miene die Treppe hinunter.
Aiden konnte sehen, dass Jo zögerte. Schließlich trat sie aber von den Stufen weg. Und Aiden vermutete, dass das auch besser so war. Er konnte sich gut vorstellen, dass der Anblick, der sich dort unten bot, ihr übel zugesetzt hätte.
„Gray, hol die Kanister aus dem Wagen. Wir brennen die Hütte hier nieder“, ordnete Vellris in dem Moment an und Aiden sah ihn erstaunt an. Vellris, der seinen Blick wohl bemerkt hatte, rückte den bewusstlosen Kerl auf seinem Rücken zurecht.
„Wir können diesen Ort hier auf keinen Fall so zurücklassen. Die Spuren müssen vernichtet werden und das so schnell wie möglich. Wenn irgendjemand sich hier her verirrt und die Polizei einschaltet, haben wir ein großes Problem“, erklärte er und Aiden nickte, ehe er Vellris nach draußen folgte.
Gemeinsam wuchteten sie die bewusstlosen Männer in den roten Bademänteln auf die Rücksitzbank, während Gray die Kanister aus dem Kofferraum holte.
Jo war ebenfalls mit ihnen nach draußen gekommen und hatte sich jetzt das Funkgerät aus dem Wagen geholt, um mit Taye Kontakt aufzunehmen. Sie beschrieb ihm kurz, was sie vorgefunden hatten und gab dann noch eine kurze Erklärung dazu ab, wo sie sich befanden.
„Alles klar, ich schicke euch Verstärkung. Wenn ihr sichergestellt habt, dass es keine Überlebenden gibt, brennt diese Halle nieder. Ich kümmere mich darum, dass das Feuer überwacht wird, bis von dem Gebäude nichts mehr übrig ist.“ Taye machte eine kurze Pause, ehe er sich räusperte.
„Wie es aussieht, haben wir hier die Hauptdrahtzieher erwischt. Ein paar von ihnen sind am Leben und werden später von uns verhört. Leider konnten einige der potentiellen Käufer entwischen. Aber wir hoffen, dass wir noch an die nötigen Informationen kommen, um sie aufzuspüren“, erklärte Taye und Aiden nickte zufrieden. Die Mission war erfolgreich, das waren verdammt gute Neuigkeiten.
„Wie geht es den Opfern?“, fragte Jo und Taye antwortete knapp: „Alle am Leben. Das Weitere wird sich zeigen.“
Jo seufzte und beendete dann das Gespräch, ehe sie sich mit dem Rücken an den Wagen lehnte. Sie wirkte erschöpft und Aiden konnte es ihr nicht verübeln. Auch er spürte langsam, dass das Adrenalin seine Adern verließ und ein Anflug von Müdigkeit aufkam.
Während Gray mit zwei großen Benzinkanistern zurück zum Gebäude ging, stellte Aiden sich an Jos Seite. Er bedachte sie mit einem aufmunternden Lächeln und obwohl er sie am liebsten in die Arme genommen hätte, hielt er sich zurück. Immerhin stand Vellris an ihrer Seite und Aiden ahnte, dass sie in seiner Gegenwart keine Umarmung dulden würde.
Schweigend warteten sie deshalb auf Peroys Rückkehr, der sich tatsächlich mehr Zeit ließ als erwartet. So viel Zeit, dass Jo irgendwann begann, auf den Füßen vor und zurück zu schaukeln, als sei sie nervös.
Gerade wollte Aiden erklären, dass er sich aufmachen würde, um nach ihm und Gray zu sehen, da tauchte Peroy in der Tür auf.
Und er war nicht allein.
Auf seinen Armen trug er eine Gestalt, die Aiden sofort an einen Geist erinnerte. Sie war so blass, dass ihre Haut beinah durchscheinend wirkte und das spärliche Licht, dass durch die Tür nach draußen fiel, reichte aus, um zu erkennen, dass sie dem Tod weit näher war als dem Leben.
Jo stieß einen erschrockenen Laut aus und schlug sich die Hand vor den Mund, als Peroy auf sie zukam. Er hatte seine Jacke über den lebloswirkenden Körper gelegt, um ihn vor der Kälte zu schützen und erst als er vor dem Auto stehenblieb, erkannte Aiden, dass es sich bei der Person in seinen Armen um eine Frau handelte. Ihr Körper war so übel zugerichtet, dass Aiden scharf die Luft einsog. Sie war übersät mit Hämatomen unterschiedlichster Stadien, die Kleidung in Fetzen zerrissen, das Haar von Blut und Schmutz verklebt. Ihr Hals, die Handgelenke und Beine waren mit Bissspuren überzogen und ihr linker Fuß war auf eine Weise verdreht, die mehr als unnatürlich aussah. Dazu kamen verschiedenste Schnitt- und Schürfwunden und auch wenn ihr Gesicht an Peroys Brust gesunken war, konnte Aiden doch erkennen, dass sie selbst dort nicht von Verletzungen verschont worden war.
„Elende Drecksschweine“, fluchte Vellris und Aiden konnte ihm nur zustimmen.
„Sie lebt“, sagte Peroy knapp. „Aber sie ist die Einzige.“
Aiden sah in seiner ernsten Miene keinerlei Regung und doch wusste er, dass das, was der andere Mann gesehen haben musste, nur grauenhaft hatte sein können.
„Gray kümmert sich darum“, erwiderte Vellris und legte Peroy kurz die Hand auf die Schulter. Dann sahen sie alle auf, als sich ihnen ein Wagen näherte.
„Das wird die Verstärkung sein“, sagte Jo und ihre Stimme klang zarter als gewohnt. Sie räusperte sich, als wäre es ihr selbst aufgefallen.
Peroy rückte den schlaffen Körper in seinen Armen etwas zurecht, während sie darauf warteten, dass das Fahrzeug anhielt.
„Sie braucht einen Arzt“, sagte er schließlich und Aiden ahnte, dass sie noch viel mehr als das benötigen würde. Ihr Herzschlag war so schwach, dass er kaum zu hören war und das war sicher kein gutes Zeichen. Es würde ein kleines oder vielleicht auch eher ein großes Wunder brauchen, damit sie sich von diesem Zustand würde wieder erholen können.
„Sie hatte unheimliches Glück“, hauchte Jo, als die Verstärkung endlich eintraf.
„Dessen bin ich mir nicht sicher“, widersprach Peroy kühl und lief den Neuankömmlingen entgegen.