Wummernde Bässe im Hintergrund. Grelles Licht. Blanca betrachtete sich im Spiegel der Damentoilette des Clubs. Sie formte einem Kussmund.
„Perfekt, Kleine“, sagte Meli und legte ihren Kopf auf ihre rechte Schulter. Dann formte auch sie einen Kussmund. Schließlich kam noch Lily hinzu und legte ihren Kopf auf Blancas linke Schulter. Die drei starrten in den Spiegel und formten Kussmunde. Dann lachten sie.
„So Ladies", sagte Meli, "top, sehen wir aus. Die Party kann beginnen!“
„Aua“, sagte Blanca, „eure Köpfe sind verdammt schwer… was ist denn da drin?“
„Graue Zellen, Darling, graue Zellen.“
„Dann lass uns mal ein paar vernichten“, sagte Lily und nahm ihren Kopf von Blancas Schulter.
„Ja, gute Idee, aber zur Bar“, sagte Meli und erlöste Blanca von ihrem Kopf.
Die drei verließen die Toilette und stürzten sich in das Gedränge. Sie kämpften sich zur Bar nur und bestellten eine Mischung aus Cherrycola und Bier. Während sie die drei an der Bar standen, sprach ein hochgewachsener Typ Blanca an. Er trug ein dunkles Jacket über einem weißen Shirt.
„Hi, wer bist denn du? Hab dich hier noch nie gesehen.“
„Ich…“
Meli drängte sich an Blanca vorbei und sah den Typ scharf an.
„Wirst sie auch nicht mehr sehen! Sag mal, wie alt bist du eigentlich? Du könntest echt ihr Vater sein!“
Der Typ sah Meli peinlich berührt an. „Ach... ich wusste gar nicht, dass ihr noch so jung seit. Ich habe euch für älter gehalten. Ehrlich.“
„Mag sein – und tschüss!“
„Und tschüss??“
„Ja, tschüss! Zieh Leine, Freundchen!“
Der Typ starrte Meli einen Augebnlick verärgert an, dann schüttelte er den Kopf und verschwand wieder in der Menge.
„Ach Meli, der war doch ganz nett.“
„Ja, ja, das sind die Schlimmsten. Das sag ich dir! Erst machen sie auf nett und hinterher benehmen sie sich wie der letzte Arsch.“
„Hinterher?“
„Ja. Hinterher. Nachdem ihr’s getrieben habt. Dann hatte er seinen Spaß und plötzlich hat er keine Interesse mehr. Das kenne ich schon zur Genüge.“
„Ach, Meli, die sind doch nicht alle gleich. Die Jungs, mein ich.“
„Nicht alle, aber viele. Egal. Aber jedenfalls war der Typ mindestens doppelt so alt wie du, vielleicht dreißig oder so – das geht gar nicht!“
„Na ja, Meli, so alt war der Typ doch gar nicht“, sagte Lily,
„ich zum Beispiel, war ja auch schon mal mit einem Typen zusammen, der war Mitte zwanzig.“
„Ja, ja, Lily, die Geschichte kennen wir zur Genüge. Und wie ist sie ausgegangen?“
"Nicht so... gut", sagte Lily und verzog das Gesicht. Meli lachte auf. Liliy verzog das Gesicht.
„Nicht so gut? Das ist wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Der Kerl war der letzte Arsch. Der hat noch mehre wie dich am Start.“
„Mehrere wie mich?“
„Okay... sorry, Lily... natürlich nicht wie dich... irgendwelche anderen Chicks halt... du bist und bleibst unsere einzigartige Lily. Dafür lieben wir dich ja auch", sagte Meli, legte einen Arm um Lily und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Krieg ich auch einen?“, fragte ein großer, dunkelhaarige Typ, der plötzlich neben Meli stand und sie anlächelte. Er war groß, atlethisch und äußerst gutaussehend.
„Kriegst du was?“, frage Meli ihn.
„Einen Kuss, du Schöne.“
Meli schnaubte.
„Ich küsse doch keinen fremden Typen.“
„Oh, Verzeihung, wie dumm von mir. Ich habe mich noch gar nicht vorstellt. Ich bin Jake. Jetzt bin ich dir nicht mehr fremd, oder?"
Er grinste charmant.
"Und du? Wie heißt du?“
„Du hast wohl auf alles eine Antwort, Jake?“
„Ich gebe meine Bestes. Und du?“
„Ich? Ich gebe auch immer mein Bestes.“
„Nein. Deinen Namen mein ich.“
„Meli.“
„Freut mich, Meli. Darf ich dich an die Bar entführen? Vorausgesetzt natürlich, dass dich deine hübschen Gefährtinnen für ein paar Augenblicke entbehren können?“
„Oh, ein Charmeur“, grinste Lily,
„von mir aus gern.“
Blanca schaute zu Jake. Schließlich sagte sie:
"Ja... aber mach keinen Unfug. Sonst bekommst du es mit mir – ich meine, mit uns zu tun“,
Sie legte den Arm und Lily sah Jake grimmig an.
„Okay, okay… ist ja gut. Du machst mir Angst“.
Jake grinste.
„Ich verspreche es, ich werde sie heil wieder zurück zu bringen.“
„Gut, Mädels, dann wir sehen uns später“, sagte Meli.
„Bis später“, sagten Liliy.
Als die beiden sich abwandten zog Blanca Jake am Arm.
Jake wandete sich um.
"Ja?"
Blanca winkte ihn zu sich. Jake beugte sich zu ihr herunter. Sie flüsterte ihm ins Ohr. Jakes Stirn zog sich in Falten. Er presste die Lippen fest aufeinander. Dann richtete er sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Er starrte Blanka an. Seine Augen funkelten. Blanka starrte zurück. Schließlich nickte er. Meli drehte sich zu ihnen um. Dann starrte sie Blanca fragen und verägert an. Blanka setzte ihre Unschuldsmiene auf und zuckte mit den Schultern. Meli rollte mit den Augen und drehte sich abrupt um. Kurz darauf war sie mit Jake in der Menge verschwunden.
"What the efff, Blanca!, sagte Lily, "Was hast du denn bloß zu Jake gesagt? Der sah ja wütend aus. Und Meli erst. Da kannst du dich später noch auf ein Donnerwetter von ihr gefasst machen."
"Ach, ist mir egal."
"Also... was hast du zu Jake gesagt?"
"Nichts besonderes. Habe ihm nur gesagt, er soll nett zu Meli sein. Sonst...
"Sonst was?"
"Sonst könnte das Konsequenzen haben."
"Konsequeznen? Was für Konsequzenen?"
"Ach, ich habe das nur so dahin gesagt."
"Aha. Der hat dich doch vorher ausgelacht. Hmm.... Ist das so Psychotest aus einer Zeitschrift?"
"Ja. Und der Artikel heißt: Wie du herausfindest, ob dein Date ein Psychopath ist."
"Wirklich?"
Blanka lachte.
"Nein, sorry... das ist nicht aus einer Zeitschrift. Das ist nur Intuition. Weibliche Intuition. Komm Lily, lass uns Tanzen. Dafür sind wir ja schließlich hier, oder?"
"Ach, Blanka, dein Humor... ist manchmal ziemlich strange. Ja, gehen wir tanzen."
Die beiden Mädchen wühlten sich ihren Weg zur Tanzfläche. Der Club war rappelvoll. Sie tanzten eine ganze Weile ausgelassen. Einen Song nach den anderem. Die Musik und die Stimmung war großartig. Nach einer Weile hatten sie das Zeitgefühl völlig verloren. Irgendwann winkete Lily Blanca zu sich heran. „Blanca, ich kann echt nicht mehr. Ich muss mich setzen. Meine Füße tun weh wie Hölle.“
„Okay... dann... lass auf eine der Bänke da hinten setzen.“
„Gute Idee.“
Sie wühlten sich durch die Menge und setzten auf eine Bank am Rand der Tanzfläche. Eine Weile sahen sie dem ausgelassenen Treiben zu. Sporadisch flüsterten sie sich etwas in die Ohren. Nach einer ganze Weile sagte Lily:
„Ach, Blanca, ich packe es für heute. Es ist zwar noch nicht mal elf, aber mir reicht es echt für heute. Diese Stiefel – ich sag dir, nie wieder!“
„Okay… schade. Dann lass uns Meli suchen.“
"Okay."
Sie standen auf und suchten ihre Freundin. Fanden sie aber nicht.
„Vielleicht ist sie schon weg?“, fragte Lily.
„Hmm… du meinst mit dem Typen?“
„Ja, vielleicht.“
"Dann hätte sie uns doch Bescheid sagen müssen. Vielleicht hat sie uns was geschrieben?"
Beide schauten auf ihre Handy.
"Nein, nichts", sagte Blanca.
"Bei mir auch nicht. Jetzt mache ich mir Sorgen um Meli. Jetzt ist mir der Typ auch nicht mehr so geheuer. Und nun?"
"Ach... wir kennen doch Meli... die kommt schon ganz gut alleine auf sich aufpassen. Wahrscheinlich hat sie wieder zu viel getrunken und ist alleine nach Hause."
"Oder mit dem Jake-Typen."
"Hmm, das ich glaube nicht. Ich meine, ich habe Jake später noch mit einer anderen, mit einer Rothaarigen, gesehen."
"Oh, die arme Meli... Dann hast du wahrscheinlich Recht. Sie hat sich voll die Kante gegeben. Dann müssen wir sie morgen trösten."
"Ja, das machen wir. Und wenn wir diesen Jake nochmal sehen, dann kann er was erleben."
"Oh ja. Gut... dann brechen wir jetzt auf? Dann kriegen wir noch den Bus um Punkt.“
„Hmm, ja weißt du, Lily… ich würde noch gern noch etwas bleiben. Das ist mein erster Abend. Wärst du mir böse?“
„Okay… schade. Dann fährt jetzt wohl jede von uns dreien einzelnd nach Hause?"
"Hmm... ja, ist wohl so – sorry."
"Ja, aber wenn du noch bleiben willst… das ist natürlich in Ordnung. Sorry, dass ich nicht mehr kann. Dann denk dran, der letzte Bus fährt um fünf vor. Wenn du den verpasst… dann musste ein Taxi nehmen. Ist Meli und mir auch mal passiert. Dsa ist gar nicht mal so billig.“
„Gut, ich denke dran.“
„Und lass dich nicht auch noch von irgendwelchen zwielichtigen Jake-like Typen anlabern oder sogar abschleppen.“
„Und woran erkenne ich zwielichtige Typen?“
„Das hast du doch schon. Also hör nicht auf dein Herz, sondern auf dein Hirn. Du bist doch die Schlauste von uns dreien.“
„Ich? Seit wann denn das?“
„Ach Blanca, Pluralis majestatis und so? Also wirklich."
„Das haben wir doch alle in Geschichte gelernt.“
„Ja, mag sein. Ich kann mich aber überhaupt nicht mehr daran erinnern. Und ich bezweifle, das auch bei Meli. Nur du hast es behalten. So, ich muss los, versprich, mir brav zu sein.“
„Versprochen.“
„Gut. Dann… sehen wir uns morgen.“
„Alles klar, bis morgen.“
Liliy gab ihr ein Küsschen und verschwand in der Menge.
Na toll, jetzt bin ich ganz allein, dachte Blanca. Die erste Partynacht mit ihren beiden besten Freundinnen hatte sie sich etwas anders vorstellt. Aber gut, der Abend war ja noch nicht zu Ende. Sie schob sich mit Mühe durch die Menge von Menschen, die sie meist um mindestens einen Kopf überragten. Auf der Tanzfläche angekommen, begab sie sich in die Mitte des Dancefloors und gab sich völlig der Musik hin. Blanca wurde eins mit den Beats. Die Menge verschwamm, die Umgebung verschwamm. Zwischendurch schloss sie zuweilen die Augen. Es war als wäre sie ganz allein im Raum, ganz allein mit der Musik. Dann wieder nahm sie die tanzenden, fröhlichen Menschen um sich war. Sie lächelte selig. Sie war eins mit der Menge, war eins mit der Welt. Irgendwann hatte sie jegliches Gefühl von Zeit und Raum verloren. Plötzlich wurde die Musik unterbrochen.
„Jojo, Partypeople, kurz Ansage: alle unter siebzehn müssen uns leider jetzt verlassen. Mega, dass ihr hier wart. Wir sehen uns dann wieder nächstes Wochenende. Kommt gut nach Hause.“
Danach lief Musik die Musik wieder weiter.
„Na und?“, dachte Blanca, „ist doch gerad’ so schön hier. Ich bleib noch was.“
Blanca tanzte weiter. Sie war wie im Flow. Plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Einer der Türsteher ragte über ihr auf.
„Das gilt, auch für dich, Kleine.“
„Was gilt auch für mich?“
„Du musst jetzt nach Hause.“
„Schon?“
„Ja, ja ich weiß, ist gerade so schön hier und so, habe ich schon hundertmal heute gehört. Aber das ist Gesetz. Jugendschutzgesetz. Also tue mir den Gefallen. Kannst ja nächste Woche wieder kommen.“
„Na gut, na gut. Bin ja schon weg. Ciao.“
„Ciao, Kleine.“
Blanca bahnte sich den Weg zur Garderobe holte ihre Jacke ab und verließ den Club durch die Eingangstür. Vorsichtig stieg sie die Treppe hinunter. Wie spät es wohl war? Sie schaute auf ihr Handy. Schwarzes Display. Na prima! Akku leer. Sie fragte ein Pärchen, dass am Geländer stand, nach der Uhrzeit. Kurz nach zwölf. Na toll. Der letzte Bus war schon weg. So war das eben, wenn man in einer öden Kleinstadt lebt, dachte Blanca bitter. Sie ging die Treppe hinab und trat auf den Gehweg. Weit und breit kein Taxi zu sehen. Aber das wäre ihr so wie so viel zu teuer gewesen. Na gut. Dann eben zu Fuß. Nach Hause war es zwar recht weit – eine gute Stunde schätzte sie – aber vielleicht tat ihr das ganz gut. Etwas Chill-out konnte nicht schaden, sie fühlte sich immer noch voll Energie vom Tanzen. Das Ende des Clubabends war dann doch etwas abrupt gekommen. Blanca folgte der dem Gehweg, der teils duster war, teils von Straßenlaternen beleuchtet. Sie schaute nach oben. Die Nacht war sternenklar. Und wunderbar hell leuchtete die große Kugel des Vollmonds. Sie seufzte. Es war noch ein langer, langer Weg nach Hause.