Blancas Augen flatterten. Helligkeit. Eine Straßenlaterne. Und der Vollmond. Und die Sterne. Und ein Gesicht. Direkt neben ihr! Abrupt richtete sich Blanca auf.
"Weg!... Geh weg!", schrie sie panisch.
Das Gesicht entfernte sich.
"Ich... ich... es tut mir leid! Ich... ich wollte dich nicht erschrecken."
Vor sich sah Blanca einen Junge hocken. Er war etwa sechzehn Jahre alt und hatte dunkles, fast schwarzes strubbeliges Haar, dass ihm wild vom Kopf abstand. Aus haselnussbraunen Augen sah er sie bestürzt an. Blanca sah ihn forschend an und fragte bestimmt:
"Wer bist du?"
„Ich bin... Danik“.
"Danik...", wiederholte sie.
"Und du?“, fragte er und sah sie erwartungsvoll an.
„Blanca.“
„Blanca...", murmelte er.
"Was machst du hier?", fragte Blanca mit fordender Stimme.
"Ich...",
stammelte er,
"ich bin... bin rein zufällig hier vorbei gekommen... und da sah ich dich... schlafend... schlafend, wie eine Tote... ich wollte sichergehen... das mit dir alles in Ordnung ist... “
Sie sah ihn prüfend an.
„Verstehe... Und... Wie lange habe ich geschlafen?“
„Ich… ich weiß nicht… ich bin ja gerade erst vorbei gekommen."
„Hmm… Und? Habe ich geschnarcht?“
„Nein“, sagte er zögernd.
„Ha! Sei ehrlich!“
„Nun ja… ja, okay – ein kleines bisschen vielleicht.“
„Ja, ja... das habe ich mir gedacht. Das kommt vom Alkohol. Und... habe ich während des Schlafes noch andere Unangenehme Dinge gemacht?“
„Äh… ? Was zum Beispiel?“
„Gesabbert.“
„Gesabbert?“
„Ja. Wenn dir die Spucke aus dem Mund läuft und so.“
„Äh… neeein?“
„War das eine Frage?“
„Nein, nein... Du hast nicht gesabbert.“
„Puh… da bin ich froh. Und... Habe ich im Schlaf geredet? Oder bin schlaf gewandelt?“
„Ja.“
„Ja was?“
„Du hast im Schlaf geredet.“
„Und was habe ich gesagt?“
„Du… äh… bräuchtest… frisches… frisches… Blut.“
Blanca sah Danik wachsam an.
"Hab ich das?"
"Ja."
„Okaaay…",
sagte sie gedehnt,
"Und?"
"Und was?"
"Na, findest du das nicht seltsam?“
„Nein.“
„Nein?“
„Nein.“
„Ach, komm'… wer fände das nicht seltsam?“
„Ja, okay... es schien mir... etwas... seltsam.“
„Ja, weißt du, ich habe recht viel getrunken und…“
„Ach... ist mir gar nicht aufgefallen.“
„Scherzkeks! Nein, ehrlich, ich habe viel getrunken. Und dann noch Drogen genommen.“
„Drogen? Was für Drogen?“
„Keine Ahnung.“
„Keine Ahnung?“
„Ja, keine Ahnung.“
„Du nimmst irgendwelches Zeug... irgendwelche Drogen und weißt nicht mal was und... schmeißt sie dir einfach so ein…?“, fragte Danik. Ungläubig sah er sie an.
„Ja, ja, ist ja schon gut. Schau mich nicht so an, wie die letzte Idiotin – die ich wohl tatsächlich bin."
"So... schaue ich doch gar nicht", sagte er und bemühte sich einen neutralen Gesichtsaudruck einzunehmen.
"Nein? Na gut. Ich weiß ja selbst, das war ziemlich bescheuert. Also... zum Mitschreiben... ich bin nicht stolz darauf oder so… ich habe wirklich keine Ahnung, was mich geritten hat.“
„Immerhin, immerhin. Du siehst es ein. Das ist ein Fortschritt.“
„Ja, ja Mama.“
„Mama?“
„Ja, du hast mir so etwas... fürsorgliches, was mütterliches an dir“, sagte sie und sah ihn seine haselnussbrauen Augen.
„Na toll! Großartig! Das ist genau das, was ein Typ von einem schönen Mädchen hören möchte“, sagte er und verzog die Mundwinkel.
„Nein… nein. Das war als Kompliment gemeint“, sagte Blanca schnell – etwas zu schnell.
"Okay..."
"Ja, das war positiv gemeint."
"Okay. Whatever."
Blanca reckte sich und gähnte.
"Oh, Meine Güte, wie muss ich aussehen…",
Hastig begann sie ihre zerzausten Haare zu ordnen. Plötzlich hielt sie inne,
"Warte mal, du hast da eben etwas von einem schönen Mädchen gesagt… Meinst du etwa mich?“
Danik schluckte.
„Ja“, stammelte er.
„Okay… dankeschön“.
Blanca lächelte. Er lächelte schüchtern zurück. Dann schwiegen sie.
Nach einer Weile zog Blanca die Brauen hoch und sah ihn an.
"Verdammt!", dachte Danik, "ich muss jetzt schnell etwas sagen – egal was. Irgendwas!"
„Und… äh… wie war das jetzt dem… äh.. frischen Blut?
„Ach… ja, ja, ich bräuchte eine Blutreinigung… das habe ich gemeint. Nachdem mein Blut voller Alkohol und Halluzinogenen ist…“
„Halluzinogenen?“
„Die Substanzen, die in Drogen drin sind und die dann ins Blut gehen... nicht gerade gesund, sag ich dir… deshalb bräuchte ich frisches Blut. Wie ein Austausch, verstehst du?“
„Ja, klar. So ein Dialysegerät… mein Onkel nutzt so eins... so eins könntest du gebrauchen…“
„Ganz genau“, sagte sie und lächelte,
„und du?“
„Und ich?“
„Ja. Brauchst du auch eins? Hast du heute Abend getrunken?“
„Ich? Nein.“
„Gut. Sehr gut. Und wie sieht’s mit Drogen aus?
„Drogen?“
„Ja. Bist du drauf?“
„Nein, nein. So etwas mach ich nicht.“
„Das ist gut.“
„Ja, das finde ich auch. Gesundheit ist mir wichtig.“
„Ja?“
„Dir nicht?“
„Doch, doch… Du willst wohl besonders alt werden?“
„Ich.. na ja… ich denke schon. Du etwa nicht?“
„Nicht unbedingt“, sagte sie und lachte.
Blanca stand auf und schwankte.
„Vor… Vorsicht“, sagte Danik und stützte sie mit einem Arm.
Angenehm warm spürte sie seine warme Hand auf ihrer Schulter.
„In dem Zustand kommst du aber schlecht nach Hause. Ich könnte dich... bringen.“
„Das wäre nett von dir – sehr nett", sagte sie und dann mit tiefer Stimme, „das isse wohl ein Angebote, dass isch nicht ablehnen kann“
Er sah sie fragend an. Sie zog die Augenbrauen hoch.
„Der Pate?“
Er zuckte mit den Schultern.
„Du kennst der Pate nicht?“
„Äh... nein…“
„Du schockierst mich, Danik. Nun dann, geleite mich nach Hause.“
„Okay…“, sagte er, „hier lang.“
Sie hob die Augenbrauen.
„Hast du nicht was vergessen?“
„Äh was?“
„Zu fragen, wo ich wohne?“
„Oh, ja… na klar. Wo wohnst du?“
„Mühlenstraße 66.“
„Oh, wirklich? Was für ein Zufall. Ich wohne in der 69.“
„Nein, nicht war! Echt?“
„Aber ja.“
„Na, das ist ja prima. Da brauche ich ja kein so schlechtes Gewissen haben. Dann ist ja dein Heimweg fast wie mein Heimweg. “
„Ganz genau, folge mir einfach. Hier lang.“
Die beiden gingen seit an seit die Straße entlang. Eigentlich ist er ja ganz süß, dachte Blanca. Etwas unsicher und seltsam vielleicht. Sie sah Danik prüfend von der Seite an. Er erzählte er ihr gerade etwas mit großer Begeisterung. Doch sie bekam nur die Hälfte mit. Ihr Blick und ihre Aufmerksamkeit waren wie gebannt. Wie weiß und makellos sein Hals war. Und wie warm seine Hand auf ihrer Schulter. Danik erzählte und erzählte. Blanca tat, als hörte sie zu. Mal nickte, mal lächelte sie. Doch sie hörte nur ein Rauschen. Das Rauschen frischen warmes Blutes.