Danik nahm das Taschentuch von Blancas Lippen. Sie sah in an. Dann wölbten sich ihre Lippen zu einem leichten Lächeln – ihrem geheimnisvollen Lächeln. Ihre blauen Augen, schienen im Mondlicht zu strahlen, ja zu leuchten. Wow! Das war Danik bei anderen Menschen bisher noch nie aufgefallen. Nur bei Tieren, wie Katzen. Danik konnte ihren Blick nicht deuten. War sie dankbar? Freudig? Erwartungsvoll? Danik schüttelte innerlich den Kopf. Verdammt! Er hatte keinerlei Ahnung ,was sie dachte oder fühlte. Daniks Hände begannen auf einmal zu schwitzen. Ein seltsame Unruhe erfasste ihn. Was sollte er tun? Sollte er überhaupt etwas tun? Oder etwas sagen? Ja! Er musste was sagen. Irgendwas, egal was!
„Und… äh… Blanca… wie kommt es dazu, dass du heute Nacht ganz allein unterwegs bist? Warst du nicht mit… äh... Freundinnen unterwegs?“
Sie schaute ihn an – überrascht. Noch im selben Augenblick hätte er sich selbst ohrfeigen können. Was redete er denn da.
„Oh… ja. Wo… woher weißt du denn, dass ich mit Freunden unterwegs war?“
Ja. Woher bloß? Fieberhaft dachte Danik nach.
„Ja das… das macht doch... Sinn. Du warst doch bestimmt auf einer… Party?“
„Äh… ja. Und woher weißt du das wieder?“
„Na ja… du bist recht… äh… festlich… angezogen.“
„Festlich? Festlich? Wirklich?“
Blanca lachte schallend.
Danik schaute sie verwirrt an.
„Nun ja… mir würden da noch andere Worte einfallen...“
„Ja? Na, dann raus damit.“
„Okay… nun… wäre ‚sexy‘ passender?“
„Oh ja, viel besser“, sagte sie und strahlte.
„Okay… du warst also auf einer Party und das mit Freundinnen.“
„Und… woher weißt du das, mit den Freundinnen?“
„Nun… du scheinst mir doch ein… äh… geselliger Mensch zu sein.“
„Ja, das stimmt!"
„Und dann liegt es nah, das du nicht allein unterwegs warst.“
„Okaaay... alles klar, Mr. Danik Holmes.“
Danik grinste teils verschmitzt, teils erleichtert. Puh, nochmal gut aus der Affäre gezogen, dachte er.
„Und deine äh… ‚Freundinnen‘ ... lassen dich mitten in der Nacht im Stick, so dass du ganz alleine nach Hause gehen musst?
„Oh, nein. Das… das ist allein meine Schuld. Ich wollte noch nicht nach Hause. Die Party war so gut. Ich wollte einfach noch weiter tanzen. Lily ist früh weg, wegen ihrer Schuhe – ihrer ‚sexy“ Schuhe“, sie zwinkerte ihm zu, „aber echt unbequeme Dinger. Und Meli ist… Scheiße!!!“
„Meli ist scheiße?“
„Nein, nein... das meine ich nicht. Ich wollte sagen: „scheiße, ich habe Meli ganz vergessen!“
„Wo?"
"Im Club.“
"Und das ist schlimm, weil...?"
"Weil ich sie mit... mit... jemanden gehen lassen habe."
"Okay... und das ist schlimm?"
"Ja. Nein. Ich... weiß nicht. Was, wenn ihr nun was passiert?... Was… was mache ich denn jetzt bloß? Ich muss… lass mich kurz nachdenken.“
„Okay... ich bin still. Kein Stress.“
„Okay, okay… Ich… ich muss… ja… Ich muss jetzt... muss sie suchen… Kommst du mit? Ist auch nicht weit.“
„Na klar“
„Wirklich?“
„Ja, ich lass dich doch jetzt nicht allein.“
„Das… das ist sehr nett von dir“.
Sie lächelt ihn an.
„Kein Ding“, sagte er, erwiderte kurz ihren Blick und sah dann zu Boden.
„Puh… dann… gut. Ich schwöre... es dauert echt nicht lang, das ist… wirklich um die Ecke. Wir müssen nur diese Straße weiter geradeaus und dann… ja, dann die nächste rechts rein. Nr. 13 war’s glaube ich.“
„Okay, dann los.“
Die beiden folgten der Straße. Blanca ging mit energischen schnellen Schritten voran, Danik hatte Mühe zu folgen. All ihre Schwäche, all das Schwanken, dass er zuvor an ihr gesehen hatte, schien wie weggeblasen. Ein wenig bedauerte er es ja, dass sie sich nicht mehr auf ihn stützte. Er vermisste ihre Hand auf seiner Schulter. Andererseits freute er sich, dass es ihr offensichtlich wieder besser ging. Sie bogen in eine Straße ein. Nach ein paar Häusern blieb Blanca vor einem Altbau unvermittelt stehen.
„So, hier ist es“,
sagte Blanca und ging zielstrebig auf das Haus zu. Sie überflog schnell die Klingelschilder an.
„Das... das ist die Klingel.“
„Hmmm... Ist es nicht schon etwas spät?“, fragte Danik.
„Spät?"
„Ja. Ist es nicht etwas zu spät, um bei jemanden um diese Zeit zu klingeln? Vielleicht schläft er oder sie schon?“
„Ach was! Der doch nicht!“
Blanca drückte die Klingel.
Sie warteten.
Keine Reaktion.
Blanca klingelte noch einmal, diesmal etwas länger.
Wieder warten sie einen Augenblick.
Immer noch tat sich nichts.
„Vielleicht ist er nicht da? Oder schläft… vielleicht sollten wir einfach…“
Blanca schaut ihn ernst an.
„Das ist keine Option.“
Blanca klingelte noch einmal. Diesmal drückte den Klingelknopf fest rein und ließ ihn nicht mehr los. Aus der Sprechanlage knisterte es.
„Verdammt! Verdammt nochmal! Wer ist denn da?“
„Blanca.“
„Blanca?“
„Ja.“
„Blanca, weißt du, wie spät es ist?“
„Klar, weiß ich das. Mach auf!“
„Sie... sie ist nicht hier.“
„Nein? Wo ist sie dann?“
„Auf einer Party“
„Auf einer Party? Welche Party? Wo?“
„Die ist... äh… ja, wo war sie doch gleich... ich... äh.. einen Moment... ich habe die Adresse irgendwo...“
„Ich komme hoch! Mach auf!"
„Nein! Nein, das ist gerade... äh... schlecht. Ganz schlecht!“
„Das ist mir scheißegal! Ich habe keine Lust mich weiter durch die Klingelanlage zu unterhalten. Mach auf! Ich komme hoch!"
„Nein, ich… äh… Nein!“
„Mach auf! Sofort! Oder ich klingele bei all Nachbarn Sturm und sage ihnen, dass ich zu dir will.“
Ein Seufzen kam durch die Sprechanlage.
„Ist ja gut… ist ja schon gut. Ich mache ja auf.“
Die Tür surrte und Blanca drückte sie auf. Dann drehte sie sich zu Danik um.
„Komm, wir müssen uns beeilen“
Als Danik im Treppenhaus war, hastete Blanca bereits die Treppe hoch. Danik rannte hinter her. Oben, im ersten Stock, hämmerte Blanca gegen die nächste Tür. Kurz darauf vernahmen sie Schritte.
„Ich komme ja schon“, hallte es dumpf durch die Tür.
Sie hörten wie mehrere Schlösser geöffnet wurden. Die Tür ging einen Spalt weit auf. Danik sah das bleiche Gesicht eines jungen Mannes in der Öffnung. Er war etwa um die zwanzig und sah umwerfend gut aus. Der Mann fuhr sich nervös mit der Hand durch das dunkle lockige Haar.
„Blanca“, sagte er.
„Jake“
sagte sie,
„Lass uns rein! Sofort!“