"Noch eine kleine Lektion. Krieg bedeutet nicht ständig zu kämpfen, sondern klug zu handeln, sich Pausen zu gönnen und auf den langen Straßen jede Menge Staub und Dreck zu fressen. Die Abwesenheit von angeblich großen Schlachten bedeutet nicht die Abstinenz vom Kampf. Nein, vielmehr bedeutet es nur seine Kräfte zu schonen, um zur rechten Zeit am rechten Ort noch härter zuzuschlagen. Man verzichtet nicht auf den Blutrausch, sondern man verzichtet nur auf unnötige Verluste. Erinnert euch an den Moment - als ihr erfahren habt, dass ich der Rote Teufel bin. Agierte ich brutal? Nein, ich bin jederzeit freundlich gewesen. Aber, wir können auch hart kämpfen. Mal sind wir die sanfte Brise, die nur einzelne Blätter von einem Zweig entfernt, aber wir können auch ein vernichtender Sturm sein, der blutig alles Leben tilgt. Nebenher muss man noch andere Facetten besitzen. Geduld, Leidensfähigkeit, Humor, Ausdauer, Talent zum Schauspieler, Mut, um schwierige Entscheidungen zu treffen und noch die nötige Ausdauer, um wieder aufzustehen, wenn man sich eine blutige Nase geholt hat. Schwächt man jedoch die eigenen Truppen durch Erschöpfung oder in sinnlosen Kämpfen, dann wird man niemals siegen, sondern nur einige Schlachten gewinnen. Das ist die Logik des Krieges. Meine Leute folgen mir, da ich einige der eben genannten Tugenden besitze und die Truppe niemals unnötig opfern werde, um einen kleinen Sieg zu erringen. Und, da meine Männer dies wissen, sind sie mir treu ergeben, weil meine Pläne aufgehen. Den Rest müsst ihr selbst herausfinden, denn nur so erkennt ihr, warum mir die Männer folgen."
Ungläubig versuchte der Major die gehörten Worte, wie eine lästige Zecke abzuschütteln, aber es gelang nicht, weil in seinem Kopf viele alte Lehren gerade pulverisiert wurden. "Und was folgt jetzt?" Der Obrist lächelte verschlagen. "Wir bereiten euch bestmöglich für euren Auftritt vor dem Tor vor. Verzeiht, Blut und blutige Verbände müssen sein, dazu Seifenschaum für die Pferde an den richtigen Stellen. Die Feinheiten erklärt euch Treidur. Ihr seid im Moment, der wichtigste Mann, weil ihr die Stadt kennt und wisst, wo sich die Kasernen und Kettenräume befinden, und wo sich die Wachen am Haupttor aufhalten werden. Mit diesem Wissen gewinnt ihr rasch die Oberhand, ohne töten zu müssen. Immerhin führt ihr nun sechs Hundertschaften zum Sieg. Unsere Wege trennen sich jetzt, damit wir das wichtige Vorwerk einnehmen können. Danach wende ich mich der Festung Bleiberg zu. Mit diesen drei Bastionen in der Hand kann uns der General nicht überrumpeln, durch einen forschen Angriff überrennen oder in die Flanke fallen und wir versperren ihm damit den einfachsten und kürzesten Weg nach Ethymien. Nun überlegt, was der alte Fuchs machen kann oder machen wird. Im Norden gibt es fünfzehn Straßen. Er kann nicht alle Straßen überwachen, da er seine Truppen dafür zersplittern müsste. Ich hingegen kenne noch weitere Wege, die er nicht kennt. Also, wie oder wo will er mich stoppen? Natürlich biete ich ihm einige Köder an - hinter denen sich unbekannte Fallen verbergen. Ich kann mir vorstellen, dass ihn diese hohen Verluste in Rage versetzen. Er versucht meine Pläne zu verstehen und im zweiten Schritt versuchen er sie zu durchkreuzen. Einerseits will er mich fassen und andererseits muss er das Land samt dem Volk beschützen. Wird oder kann er meine Pläne erraten? Kann er sich mir in den Weg stellen. Wo soll er sich Positionieren, um schlimmeren Schaden abzuwenden. Derzeit brennen zehn Dörfer im Norden. Damit beginne ich, danach verlagert sich das Geschehen an andere Orte in zwei weiteren Regionen. Das ist meine Eröffnung, wie bei einem Schachspiel. Nun muss er seine Züge machen und ich werde früh genug erfahren, was er plant. So lasse ich ihn und seine Truppen einfach ins leere stoßen. Alles weitere überlasse ich eurer Fantasie." Kurz grüßte der Obrist ab.
Der Major konnte die Zuversicht von dem bedeutend jüngeren Mann nicht teilen. Fragend blickte er dem Offizier nach, der stur seinen Weg ging. Noch verwirrender war, dass der Obrist stets an zig Brennpunkten zu sein schien und die Männer wussten, dass die Pläne funktionierten. Ein schlanker Mann näherte sich dem Major. "Es wird Zeit alle Feinheiten abzustimmen. Kamerad." Die Anrede führte zu Verwirrung, weil Dienstgrade offenbar keinen Rolle in dieser Truppe spielten. Treidur sah die Verwirrung. "Freund, ich war auch mal Major. Der Obrist bewertet nicht unsere Dienstgrade, sondern nur unser Herz, unseren Verstand und unsere Tugenden. Er gab mir Halt und bewahrte mich vor der Selbstzerstörung. Er nahm sich die Zeit, um mir wieder auf die Beine zu helfen. Langsam lernte ich den Obristen kennen und ich erkannte, dass er mehr als ein Krieger, Anführer oder Offizier war. Lernt ihn einfach kennen, dann werdet ihr ihn mit der Zeit verstehen. Und noch eine Feinheit. Er verlangt nie mehr von uns als wir geben können. Dabei leistet er oft bedeutend mehr als wir. Er verzeiht unsere Schwächen und misst uns nicht nach der Herkunft oder dem Rang, sondern einzig nach dem, was wir wirklich sind. Langsam formte er uns zu Kriegern, die erkannt haben, dass man nur Siege erringt, wenn man klüger handelt als der Gegner. So einfach ist seine Welt. Und diese Lehren haben wir alle verinnerlicht, weil es sie uns mit Geduld näher brachte." Endlich sickerten weitere Körner des Verstehens in den Major, in dem weitere Vorstellung zerbrachen, wie morsches Holz.
XXX
Nach dem Ende der Zeit geschrieben.
Früh erreichten sie ihre Positionen. Major Elster war ausführlich über den Plan informiert worden. "Ich brauche also nur den wackeren und angeschlagenen Offizier zu spielen und viele Männer in den Rüstungen sind eure Leute, denen ich nach dem Eindringen nur zu sagen brauche, welche Positionen sie einzunehmen haben, damit mir meine Männer in euren Klamotten folgen und die ganze Stadt erobern. Danach nehmen wir uns alles, was wir brauchen um Ethymien zu stärken. Die befreiten Bürger eures Landes, treten danach die Rückreise in ihre Heimat an und mit dem Tross reisen, während fünfzig meiner Männer den Tross begleiten." Treidur antwortete. "Ja, so ist es geplant. Ich führe eure Männer und ihr meine Männer. Alle Einheiten wurden über die Feinheiten des Planes genau informiert. Ein all zu großes Risiko besteht also nicht. Wer erwartet schon hinter einem rüden Drama vor dem eigenen Tor ein hinterhältiges Possenspiel. Immerhin führte dieser Plan schon mehrfach zum Erfolg. Der Oberst spielt feinfühlig seine Instrumente, um die Gefühle der einfachen Seelen zu täuschen. In stinkenden Bauern und ollen Händlern stecken dabei die verwegenen Krieger und in scheinbar eigenen Truppen stecken die Gegner und in den Verfolgern stecken eure Truppen. Der einzige Knackpunkt ist, ob sie euch in die Festung einreiten lassen? Aber welcher brave Soldat einer Torwache will schon einer Tragödie vor der eigenen Tür beiwohnen? Legt sich erst die Staubwolke der Verfolger, dann sollte es zu spät für diese Festung sein, da in der Stadt bereits alles entschieden ist. Nun ruht euch aus, denn wir müssen früh genug damit beginnen alles vorzubereiten."
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Nachdem jeder einzelne Mann vorbereitet waren wurden die Positionen der beiden Truppenteile bezogen. Der Major betrachtete sich die Kunstwerke der Roten Teufel. Pferde waren mit Schaum versehen worden und hier und da steckten Pfeile in den Beinen der Männer und in manchem Sattel. Blutspritzer machten es noch dramatischer. Auch die Männer wurden gut vorbereitet. Blutige Verbände an den Körpern, fehlende Ausrüstung und geborstene Waffen rundeten den Eindruck einer geschlagenen Truppe ab. Nur aus der Nähe erkannte man, dass es den Männern gar nicht so schlecht ging, weil man erst in dem Moment sah, dass es nur Puder und rote Farbe waren, die diesen Eindruck hervor riefen. Nach einem Befehl saßen die Männer auf. Munter fügte Treidur hinzu. "Halten die Ohren steif und leidet. Ach noch eine Kleinigkeit. Vergesst nicht die Reiter zu bekämpfen, die überraschend in eurer Flanke auftauchen. Und leidet bitte heftig, dass rundet das Drama so richtig ab. Wundert euch nicht, wenn einige Männer von ihren Pferden stürzen. Das erhöht die Anspannung unter den Wachen und wird sie noch mehr dazu verleiten euch das Tor zu öffnen. Den Rest erledigen danach meine Männer und vergesst nicht ihnen zur rechten Zeit die Befehle zu geben. Alle Trupps kennen ihre Aufgabe. Zehn Männer blockieren das Tor und zehn das Fallgatter. Andere Gruppen besetzen die Kettenräume und die Mauern. Drei Gruppen übermannen die Wachen und binden sie und drei Trupps sichern das Tor in Richtung Stadt ab." Treidur saß auf und schwenkte eine Fahne. Damit ritten auch die Kolonnen der Verfolger sacht an. Bis zu den Hecken trabten sie locker erst danach begann der scharfe Ritt zum Tor. Immerhin war es nun hell genug, damit die Wachen die eigene Truppe erkennen konnte und danach die Verfolger erblickten. Mit Sandsäcken, die hinter den Pferden hergezogen wurden wurde zusätzlich Staub aufgewirbelt, um es nach einer mächtigen Truppe aussehen zu lassen. Sobald sie die Hecken passierten trieben sie ihre Pferde mächtig an. Die bunten Wimpel flatterten nun hektisch im Wind. Auch die Verfolger gaben ihren Rössern die Sporen, um langsam aber stetig zu der Truppe von dem Major aufzuschließen. Bei einer geringeren Entfernung schossen sie erste Pfeile auf die müden Lanzenreiter ab.
Der Wache blieb das Drama nicht verborgen, da immer wieder kehlige Schreie stürzender Reiter und der laute Hufschlag für genügend Lärm sorgten. Auch die breite Staubwolke war nun unübersehbar. Hornsignale wurden in der Bastion gegeben. Erst spät öffneten die Wachen das Tor und besetzten die Mauern mit Bognern. Im Galopp ritt der Major auf das Tor zu, während hysterische Rufe sie zur Eile ermahnten. Das Drama ließ keinen einzigen Wachmann unberührt. Immer mehr Männer drangen sogar vor das Tor, um mit ihren Bögen die Verfolger im rechten Moment zu bekämpfen. Immer noch stürzten Reiter vor ihren Augen von den Pferden und blieben leblos im Dreck liegen. Der Major passierte gerade als erster das Tor und sofort rückten weitere Reiter nach. Natürlich kam es zu einem Stau und der aufgewirbelte Staub verhüllte das nachfolgende Gefecht. Der Lärm übertünchte die Geräusche von den röchelnden Wachmännern, die nun in schneller Folge zu Boden gingen. Eilig stiegen immer wieder Gruppen von Männern ab und besetzten jeden Winkel in dem Stadttor. Das Fallgatter wurde blockiert und der Kettenraum gesichert. Jeder Widerstand wurde strickt gebrochen und zügiger als erwartet war das Tor in ihrer Hand. Immer mehr Männer drängten noch in das Tor und die Verfolger näherten sich weiter. Die sechzig Wachen hatten gegen diese Übermacht und das Überraschungsmoment keine Chance. Nachdem noch die letzten Bogenschützen von der Mauer gefegt waren ritten auch die Verfolger in die Festung ein. Die Pferde wurde in die Stadt getrieben, damit alle Männer in die Stadt eindringen konnten. Talin fiel nicht durch eine Schlacht, sondern durch einen feinen Winkelzug und durch eine unerwartete Überraschung.
Der Major blickte sich überrascht um, weil er nicht fassen konnte, wie einfach es war so ein Bollwerk einzunehmen. Auch die scheinbar toten Recken erhoben sich nun und ritten behände zum Stadttor. Von der Mauer aus sah Treidur, dass sich sämtliche Torhäuser in ihrer Hand befanden. Durch weiße Wimpel konnte er genau erkennen, wo ihre Männer standen. Mehr und mehr Mauerabschnitte wurden von ihnen besetzt, bis die gesamte Bastion gesichert war. Erst jetzt begaben sich einzelne Gruppen zu den wichtigen Gebäuden in der Stadt. Gründlich wurde alles durchsucht und die Beute rasch eingebracht. Auf dem Marktplatz wurde das Volk von der Eroberung unterrichtet. Bürger Ethymiens durften sich entscheiden an diesem Ort zu bleiben oder die Heimreise samt dem Wagenzug anzutreten. Das restliche Volk bleibt vorerst in der Stadt, damit die Lebensgrundlage der Stadt nicht übermäßig geschwächt wurde. Eine Plünderung der Häuser gab es nicht, sondern nur andere Männer, die nun das Heft der Stadt in ihrer Hand hielten.