Leondur ritt mit seinen Begleitern zu dem ersten Beobachtungspunkt. Der Aufstieg zu dem Turm auf den Felsen besaß seine Tücken. Die Stufen waren nicht überall gleichmäßig gelungen und rutschig. Geländer aus Holz halfen den Aufstieg halbwegs gefahrlos zu gestalten. Nach gut einhundert Spannen Aufstieg folgte ein steiler Weg, der zu dem Turm führte. Auf einem kleinen Plateau stand ein Turm aus Gestein, der etwa sechs Spannen hoch war. Im Untergeschoss lagerten Lebensmitte, im zweiten und dritten Geschoss wohnten die Soldaten und darüber befand sich die Plattform, die überdacht war, um das Regenwasser von den Unterkünften fern zu halten. Planen schützen die Männer zusätzlich vor Wind und Regen von der Seite.
Vom Turm aus sah man einen gewaltigen Heerwurm, der sich auf sie zu bewegte. Auf den ersten Blick waren drei große Belagerungsgeräte zu erkennen, die von jeweils sehr vielen Pferden gezogen wurden. Auf einer Breite von etwa einer halben Meile rückte die Armee langsam aber stetig näher. Späher erkundeten die Wege nicht, so dass der Heerwurm jäh zum Stillstand kam. Reiter wurden in verschiedene Richtungen entsandt und erkundeten nun erst mögliche Wege. Es dauerte und so leicht ließ sich kein Weg finden. Leondur freute sich, da er recht genau wusste, welchen Weg die Angreifer wählen mussten, um an ein bestimmtes Ziel zu gelangen. Er wusste, dass es nicht reichte eine Meile zu erkunden, denn die Kastentäler ließen sich erst aus der Nähe erkennen. Das Vorrücken würde also noch dauern. Rasch drehte er sich zu den Taktikern und Junkern und fragte sie.
"Wann werden die Gegner an der Alten Festung, der Neuen Festung oder der Festung von Ranak eintreffen?" Die jungen Offiziere schauten in die Landschaft. Das Rätseln begann. Kurz warf Leondur ein. "Ein Blick in die Karte könnte helfen. Und bitte nutzen sie auch die technischen Geräte. Wir haben hier einen Winkel-Entfernungsmesser." Die jungen Offiziere machten sich an dem Gerät zu schaffen und notierten sich ihre Messergebnisse. Danach lasen sie den Richtungswinkel ab. Dennoch irgendein Wert fehlte noch. Geduldig wartete er eine Weile. "Wenn das ihre Ausbilder sähen, die würden ihnen Feuer unter dem Arsch machen. Verblüffung zierte die Gesichter der jungen Offiziere. Leondur rief einen jungen Mann von der Truppe heran. "Hättet ihr bitte die Güte den Junkern die Einfachheit dieses Gerätes zu erklären. Ansonsten bekomme ich bald graue Haare." Der Junker nickte die Order kurz ab. „Das Gerät ist relativ simpel. Zuerst wischen wir die alte Aufzeichnung von der Tafel. Dann notieren wir den ersten Wert. Das ist der Hauptwinkel, den wir über eine Messung über die beiden Fäden in der Visur messen. Den Wert schreiben wir auf die Tafel. Danach Visieren wir den identischen Punkt über den linken Winkel an. Beide Werte notieren wir auf der Tafel. Sie müssen zusammen Null ergeben, dann war unsere Messung richtig. Jetzt kümmern wir uns um die Winkel. Je kleiner der Winkel, umso weiter entfernt liegt der Punkt. Links an dem Pfosten haben wir eine Tabelle mit den Entfernungswerten, für die Winkelangaben, die wir abgelesen haben. Zwölfeinhalb Striche besagen, dass die Gegner noch vierunddreißig Meilen entfernt sind. Bei einer Marschgeschwindigkeit von etwa zwei Meilen wäre mit der Einrechnung von Marschpausen und der Nacht und den realen Strecken, die sie hinter sich legen müssten in fünf Tagen bei der Alten Festung. Zur neuen Festung sind es etwa vier Tage und zu der Festung von Ranak sind es sieben Tage. Da die Geschwindigkeit jedoch geringer ist schlagen wir einfach jeweils die Hälfte drauf. Somit ergeben sich mindestens siebeneinhalb, sechs, und zehneinhalb Tage zu den Zielen. Da man alle fünf Tage einen Rasttag einlegt, könnte sich die Dauer sich noch weiter erhöhen."
Leondur klatschte Beifall. Danach drehte er sich zu den jungen Offizieren. Er deutete auf einen Junker. "Kannst du das?" Dann deutete er zum nächsten Junker. "Kannst du das?" Die Junker schämten sich zumindest für ihr fehlendes Wissen. Ich denke, sie bedürfen noch einer gründlichen Einweisung in dieses moderne Messgerät. Offiziere müssen nicht nur Befehle lernen, sondern sie müssen jederzeit ein Vorbild abgeben. Sie alle werden somit diese Schulung noch einmal besuchen, um als Vorbild glänzen zu können. Reiten und zum Angriff blasen lassen, reichen nicht. Jeder einzelne Offizier muss genau wissen, wann er die Befehle gibt, oder wann es besser ist einem Kampf auszuweichen. Ansonsten sterben sie und ihre Männer in einem unnötigen Kampf." Nun Schauen sie bitte wieder nach Süden." Rechts uns links von der Marschkolonne tauchten aus dem Nichts gewaltige Staubwolken auf. Es sah so aus, als würden drei Einheiten mit etwa zweitausend Reitern einen Angriff wagen. Rasch zogen sich die Späher zurück, weil sie gegen so eine Übermacht keine Chance besaßen.
Die gesamte Kolonne igelte sich ein. Die Staubwolken näherten sich stetig der riesigen Kolonne. Erneut fragte Leondur. "Was hat das zu bedeuten?" Jetzt wurden die Junker hellwach. "Das wird ein Angriff werden." Ein zweiter schüttelte den Kopf. "Das sind Scheinangriffe, um die Gegner zu verwirren. Wir zeigen Flagge, verlangsamen dadurch den Vormarsch und gewinnen Zeit. Zugleich wäre es dumm mit so ein paar Nasen eine riesige Armee anzugreifen. Der Hauptmann nannte es ein taktisches Manöver, um dem Gegner zu verwirren und von der eigentlichen Gefahr abzulenken, weil alle nur zu den Staubwolken schauen." Leondur klatschte Beifall. "Richtig, der Feind weiß jetzt, dass er beobachtet wird und ihm aus verschiedenen Richtungen Gefahr droht. Dabei übersieht er möglicherweise die realen Gefahren. Welche Gefahren kann der Gegner gerade jetzt übersehen?" Ein anderer Junker begann zu sprechen. "Die Wege sind noch nicht erkundet. Er verliert Zeit und übersieht möglicherweise Hinterhalte. Ob es Hinterhalte gibt weiß ich nicht, weil ich nicht zu den entsprechenden Einheiten gehöre." "Diese Antwort war auch richtig. Wenn wir etwas nicht wissen, dann stellen wir auch keine Spekulationen an."
"Hat einer der jungen Herren eine Idee, was man noch unternehmen kann, um die Gegner auf ihrem Marsch zu ärgern?" Blicke wurden ausgetauscht, bis einer sich vorwagte. "Wenn man weiß, wo sie in der Nacht rasten, dann kann man in der Nacht einen Überraschungsangriff starten. So zerstört man die Moral der Truppe und raubt ihnen den Schlaf. So hat man es uns beigebracht." "Auch diese Aussage ist richtig. Mit kleinen Finten und Angriffen beschäftigt man die Gegner und der Kommandeur muss von nun an jeden Schritt sorgsam im Voraus planen. Erste Verluste lassen ein Gefühl der Hilflosigkeit entstehen und die einfachen Soldaten fragen sich nach einiger Zeit, ob die Offiziere alles im Griff haben. So schürt man den Unmut der Truppe gegenüber den Anführern. Unser Vorteil ist derzeit die bessere Kenntnis des Geländes. Der Gegner zeigt uns ja gerade, dass er die Tücken des Geländes nicht kennt und einfach planlos durch die Landschaft marschiert. Natürlich kann das auch eine Finte sein, aber wir wissen, dass sie keine Erkunder einsetzen, da sie glauben alles im Griff zu haben. Was müssen wir jetzt noch beachten?"
Ein Junker ergriff das Wort. "Wir müssen prüfen, ob der Gegner uns nicht eine Falle stellen will. Es gibt noch einen zweiten Übergang und möglicherweise kennen wir nicht alle Truppenteile. Es besteht die Möglichkeit, dass sich auf den Flanken einzelne Schwadronen rumtreiben, um uns zu überraschen. Übersehen wir hierbei etwas, dann können wir unverhofft eigene Truppen verlieren." "Richtig. Wir müssen jederzeit vorsichtig, wie eine Raubkatze, agieren. Wurden wir entdeckt, dann bleibt uns nur noch die Flucht. Kennen wir die Risiken nicht, dann unterlassen wir Angriffe, weil nur erfolgreiche Angriffe den gewünschten Effekt erzielen. Es bringt uns nichts, wenn wir Einheiten opfern, weil uns genau diese Männer später im Kampf fehlen werden. Ich denke, damit beenden wir diese kleine Lektion der Kriegskunst und begeben uns zurück zu unseren Pferden. Alle anderen Inhalte ihrer Ausbildung folgen später an der nächsten Station."
XXX
Nach der Zeit hinzugefügt.
Für die Kadetten und jungen Offiziere entwickelte sich dieses dicht gedrängte Ausbildungsprogramm zu einem unangenehmen Kräftemessen zwischen Physis und mentaler Belastbarkeit. Hatten sie bisher nur theoretischen Unterricht kennengelernt, so mussten sie jetzt neben einem langen Ritt, nächtlichen Wacheinsätzen auch noch ein straffes und vor allem scheinbar chaotisches Lernprogramm bewältigen. Ein Ausbilder, im Rang eines Hauptmannes, nannte diese Unterrichtsform realistisches Lernen. Einsetzender Regen verschlimmerte die Stimmungslage noch unter den Kadetten. Diese etwas härtere Form des Lernens zerrte ihren Verstand stetig näher an einen imaginären Abgrund. In dem Verbindungstunnel zur nächsten Festung legten sie eine Rast ein, damit die Junker Zeit bekamen ihre Regenumhänge aus der Sattelrolle zu klauben und anzuziehen. Nach dieser Rast führten sie ihre Pferde durch den dunklen und feuchtkühlen Tunnel. Die Junker lernten in diesem Moment, wie sich Meldereiter fühlen mussten, die noch viel längere Strecken zurücklegten und noch mehr Ängste in sich trugen. Allein diesen Tunnel zu passieren musste jedes beißende Gefühl der Furcht noch dramatisch verstärken.
Am Tunnelausgang fütterten sie kurz die Pferde, um sie danach durch strömenden Regen zu führen. Der Himmel verdunkelte sich und Hunger nagte an manchem Magen. Keiner von den Kadetten kannte das Ziel und die Anzahl der verbleibenden Meilen, bis zu dem Tagesziel. Dennoch, sie folgten stur den erfahrenen Soldaten, die fast unbelastet oder gleichmütig die Erschwernisse der Umwelt ertrugen. Keiner wollte Schwächen zeigen und manche gingen sogar Zweckbündnisse mit ihren Göttern ein, um diesen Tag zu überstehen. Ein Major rief provozierend in die Runde. "Ein Soldatenleben besteht zum größten Teil aus dem Fressen von Meilen, persönlichen Härten und sehr viel Naturerlebnissen. Zwischendurch lebt man im Sattel und die Höhepunkte sind langweiliger Dienst. Die wenigen Sternstunden entscheiden zugleich über Erfolg und Niederlage. Ergo heißt es, dass wir uns jederzeit allen Strapazen stellen müssen, um zu überleben." Die Junker hatten für diese Scherze vorerst keine freie Gedanken, da sie offenbar erstmals an sich selbst und ihrer Physis zweifelten.
Zum Glück erblickten die vordersten Reihen kurz darauf die kleine Siedlung hinter der Festung. Trotzig marschierten sie weiter, um zumindest eine halbwegs gute Figur abzugeben. Die Dämmerung zog auf und die Unterkunft rückte in greifbare Nähe. Ein Oberleutnant sammelte zuerst die Kadetten. "Zuerst werden die Pferde versorgt, danach folgt die Ausrüstung und erst ab diesem Moment denken wir an uns. Das bedeutet, dass wir uns die nassen Klamotten ausziehen, diese reinigen und uns umkleiden. Ihre Unterkunft liegt über den Ställen. Futter für die Zweibeiner gibt es erst danach in dem Gebäude hinter mir. Sie führen ihre Tiere in den Stall dort hinten. Sie kennen die Reihenfolge der Pferdepflege und genau daran halten wir uns, selbst wenn uns der Arsch dabei abfrieren sollte. In den Ställen befindet sich alles, was sie für ihre Pferde brauchen. Für heute sind sie entlassen." Leondur wurde bereits das Pferd abgenommen und ein zweiter Junker nahm die Satteltaschen und die Deckenrolle vom Sattel und trug sie zu der Unterkunft des Obristen. Leondur ging danach zu der Kommandantur, um sich bei dem Kommandanten anzumelden. Die Begleittruppen kannten ihre Unterkünfte. Sie zogen zusammen mit dem Tross in einem abgelegenen Stall unter, um es sich dort bequem zu machen.
In der Kommandantur wurde Leondur herzlich empfangen. "Oberst, ich Grüße sie. Legt ab und danach gönnen wir uns eine warme Suppe. Zur Feier des Tages gibt auch ein wenig Speck in der Suppe. Verzeiht, wir warten noch auf den Transport mit dem Fleisch und frischen Vieh. Es läuft halt nicht immer alles perfekt." Leondur nickte. "Es freut mich, dass ihr es mit Humor nehmt. Auf einem meiner Wagen befinden sich Leckereien für die Truppe. Gebäck, süße Sachen und sehr viel Marmelade aller Geschmacksrichtungen. Euch obliegt es die Sachen gerecht zu verteilen. Wurstwaren und Schinken sind auch dabei. Nun ein Geheimnis. Zwei Weinfässer habe ich heimlich eingeschmuggelt und viele Fässer mit Gerstensaft. Die Milchkühe, das Vieh und das Geflügel dürften in zwei Tagen eintreffen. Es fehlten derzeit Wagen, weil die Damen so viel Gebäck gebacken haben und noch eine Menge an warmen Kleidungsstücken unbedingt zu den Soldaten befördert werden musste. Was kann ich in so einem Fall schon gegen eine Armee von zarten Damen ausrichten." Der Kommandant schmunzelte. „Tja, gegen so eine Übermacht hat man keine Chance. Ich hätte auch einen dezenten Rückzug unternommen.“
Der Oberst reichte ihm die Hand. "Ich kenne das strenge Regiment der Damen. Berta meine Frau gibt mir auch immer etwas mit. Aber was will ich armer Tropf machen, wenn die gesamte Familie warme Strümpfe strickt. Ich habe schon viele Junker mit diesen Liebesgaben beglückt, weil meine Kammer ansonsten aus allen Nähten platzen würde." Zusammen gingen sie zu dem Speisesaal. Dort standen etwa vierzig Offiziere und warteten geduldig auf ihr Eintreffen. Mit einem Gruß bedanke sich Leondur für die Geduld.
Danach setzten sie sich und die Suppe wurde gerecht unter den Männern verteilt. Dazu gab es frisches Brot und Obst, welches derzeit reichlich vorhanden war. In der Suppe fand er auch Hühnerfleisch. Ein Hauptmann grinste verlegen. "Kein Huhn, acht Wildtauben, die zufällig auf dem Schießstand ihr Leben opferten. Davon gibt es hier hunderte, die oben in den Felsen hausen. Leider müssen wir auf die besten Leckerbissen noch einige Tage warten. Nebenher bessern wir die Fleischrationen mit Karnickeln aus eigener Zucht und Fisch auf, der in der Fischzucht prächtig gedeiht. Wildziegen, unerwünschte Karnickelhorden stetig erfolgreichere Geflügelzucht machen uns zunehmend unabhängig von Fleischlieferungen. Ich muss nicht betonen, dass wir auch Wildschweine und anderes Getier erjagen. Was es ist erzähle ich lieber nicht."
Leondur winkte ab. "Ich nehme an, dass die Erträge nächstes Jahr reichen werden, um die Transporte ein wenig zu begrenzen. Oder irre ich mich." Mit der Hand strich der Obrist sich seinen Bart glatt. "Durch die strikte Rationierung und die Jagd haben wir den Bestand an Geflügel mehr als vervierfacht. Die Männer lieben Eier in allen Variationen und diesen kleinen Luxus gönnen wir den Männern gerne." Genüsslich löffelten sie die Suppe und tunkten gerne das Brot in die warme Suppe. "Demnächst ernten wir noch Suppengemüse, Stangenbohnen und Kohl. Dann kommen wir halbwegs über den Winter. Steckrüben und Rüben aller Art fühlen sich hier wohl, was wohl auch an dem guten Dünger liegt, den die Pferde täglich produzieren. Viele Männer betreiben inzwischen eigene kleine Gärten und die liefern auch noch anderes Gemüse. Neben dem Dienst ist es ihre einzige Freizeitbeschäftigung. Sie lieben auch Kürbisse, Zwiebeln und eben alles was hier wächst und gedeiht. Natürlich gibt es überall Kräutergärten und Pilze werden auch gezüchtet. Offenbar sind alle Männer begabte Gärtner. Ach und die Siedler aus den Nordlanden bauen auch noch Pilze an, sie machen es etwas anders als wir und sie sind sehr geschickt dabei."
Danach tauschten sie nette Geschichten aus und es wurde ein süßer Wein ausgegeben. "Es ist unser erster eigener Wein. Die Früchte haben wir geerntet und gekeltert. An den Hängen und in zwei Nebentälern fanden wir Weintrauben, Beeren und wilde Äpfel, die zu Wein vergoren werden. Es fehlt nur noch eine eigene Brauerei, dann haben wir alles, was man so für einen Standort in der Ödnis braucht. Morgen unterrichte ich sie über die baulichen Neuerungen. Ich denke, es hat sich gelohnt, da wir viel dazu gelernt haben. Aber seht es euch selbst an. Ich begebe mich jetzt zur Ruhe und die Kameraden brauchen auch ihren Schlaf. Immerhin beginnt der Dienst jeden Tag vor Sonnenaufgang und die Tage werden auch noch täglich kürzer. Was soll man da machen?"
Leondur bekam auf diese Weise, die letzten Meldungen zu studieren. "Angriffe auf unsere Festung gab es bisher nicht." In der zweiten Meldung las er. "Aufklärung durch die Gegner findet derzeit nicht statt. Es wird vermutet, dass sie bereits einen Kriegsplan besitzen." Diese Mutmaßung gefiel ihm nicht, aber offenbar hatte sich ein Offizier hervortun wollen. Die weiteren Meldungen bestätigten ihre eigene Sichtung der Gegner und die Einhaltung der Ablenkungsmanöver. Interessant war eine Meldung von Rediet. "Die Frauen backen unentwegt. Jetzt sind es Nussecken mit Honig und es sollen noch feste Kekse folgen, damit die Soldaten sich besser fühlen, wenn sie abends an ihren Standorten allein hocken. Kerzen und Kleidung wurde auch gesammelt. Offenbar wollte das Volk die Truppe mit kleinen Liebesgaben verwöhnen.
Das Aufstehen war wie jeden Morgen ein erfrischender Akt. Es regnete noch und es war kühl. Das Wasser in der Kanne war leider nicht wärmer und so blieb es bei einer Katzenwäsche. Die Kleidung war auch kühl, aber so erging es allen Soldaten, die morgens aufstanden. Das dröge Frühstück wurde in Speisesaal aufgetischt. Ein großer Topf mit Getreidebrei mit Nüssen und Fett wurde auf Tellern verteilt. Dazu gab es zur Feier des Tages halbwegs angewärmten Kirschkompott. Diese Komposition kannte selbst Leondur noch nicht. Äpfel und Trockenobst wurden noch hinzu gegeben um den Geschmack weiter zu verfeinern. Obwohl es war nicht der dröge Geschmack sondern eher die feste Konsistenz des Breis, der das Essen erschwerte. Mit diesem Menü hätte man auch die schweren Gesteinsquader verkleben können. Mit viel warmen Tee wurde alles binnen weniger Momente in den Magen befördert, um mit dem Dienst beginnen zu können.
Äpfel lagen in den Körben. So, wie üblich griff er sich zwei Äpfel, um das Pferd zu verwöhnen. Rasch wurde noch der Regenumhang über gezogen und zügig ging er zu seinem Pferd. Das Pferd bekam die Äpfel und drückte seinen Kopf fest auf seine Schulter. Die übliche Begrüßung folgte und danach stieg er auf seine braune Stute. Der Obrist erwartete ihn bereits. "Guten Morgen, Oberst. Das Wetter habe ich mir nicht ausgesucht. Aber als Soldat kennt man es nicht anders. Nun, ich denke wir beginnen von Süden her, dann sieht man alles." Gemeinsam ritten sie los und passierten mehrere Tore. Weit vor der Festung hielten sie an. "Von hier aus sieht man die gesamte Anlage. Dort und dort stehen die Beobachtungstürme. Der rechte wurde vorgezogen, um noch besser nach Westen blicken zu können. Auf den Felsen stehen zusätzliche Türme, um die Signallinie zu vervollständigen. Wir haben acht breite Gräben in die Hauptrichtung der Angreifer gezogen, Sie messen alle zweihundertfünfzig Spannen. Zum Ende hin haben wir etwas schmalere Verbindungsgrägben gezogen, um zu mutige Angreifer zu stoppen. Das ermöglicht uns mit wenigen Männern zu forsche Angreifer von den Pferden zu kegeln. Zudem engt es den Bewegungsspielraum der Gegner gewaltig ein, so dass wir sie an dem ersten Vorwerk längere Zeit aufhalten und beschäftigen können.
Gelingt es ihnen diesen ersten Wall und das Tor einzunehmen, dann liegen vor dem Tor zweitausend tote Gegner. Also, wenn wir uns zurückziehen, dann erwartet sie in dem Tor eine erste Flammenhölle." Sie ritten durch das Tor. "Hier wird nichts mehr zu finden sein, außer dem Weg. Der Boden ist feucht und bietet unseren Pferden genug Weiden, aber für so viele Gegner reicht das Futter nicht. Die Mauern beiderseits helfen erste Gegner zu bremsen und ihnen die Eroberung zu erschweren. So sieht es mein Plan vor. Die Freifläche begrenzt lediglich unser Schussfeld, gewährt den Gegnern jedoch kaum Freiraum. Für dieses Vorwerk werden die Gegner noch mehr Energie aufwenden müssen. Wir rechnen mit fünftausend Angreifern. Reicht dann deren Mannstärke nicht mehr, dann haben wir gewonnen. Haben sie jedoch mehr Männer, dann müssen wir die fiesen Tricks auspacken. Feuerbälle und die schweren Armbrüste werden in dem Fall eingesetzt. Über Geheimgänge können wir sie dann in der Flanke und im Rücken treffen. Alle Mauern sind stark genug, um leichten und selbst mittleren Belagerungswaffen unbeschadet stand zu halten. Ich glaube aber kaum, dass wir ein Hauptziel werden können, da es hier nichts zu gewinnen gibt."
Leondur wurde stutzig und fragte nach. "Wie kommt ihr auf diese Idee? Ich meine zu wissen, dass Angreifer ihre Ziele mit größter Sorgfalt aussuchen und dabei immer auf ihren größtmöglichen taktischen und strategischen Erfolg bedacht sind." "Die Idee ist einfach. Es gibt hier kein fließendes Wasser, keine Wasserstellen und kein Futter für dessen Zossen. Wir haben Angreifern nichts zu bieten, außer vielen Mauern und noch mehr Hindernissen. Den Weg, den sie möglicherweise hier erwarten, ist ein langer Umweg und führt an weiteren für uns gut zu verteidigenden Passagen vorbei. Militärisch wäre es also Unsinn. Aber, es ist richtig, weil wir unsere Feinde nicht kennen und auch nicht wissen, was sie sich ausgedacht haben. Dennoch, wir sind auf noch mehr vorbereitet, was unser Hinterland betrifft. Wir werden den Tunnel versperren, und haben zusätzlich noch drei Positionen vorbereitet, um uns allen noch mehr Zeit zu verschaffen, falls sie trotz aller Verteidigung durchbrechen sollten. Mehr konnte ich bisher nicht unternehmen."
XXX
Die Übungen wurden in den nächsten Tagen noch weiter verfeinert, damit die Männer stetig besser wurden. Ein unbekannter Gegner würde an die Tore klopfen und da hieß es verschiedene Formen des Kampfes zu beherrschen. Die Offensive war der einfachste Kampf. Das Ändern der Stoßrichtung war anspruchsvoller und die Defensive verlangte den Männern noch mehr Konzentration ab. Auch der Kampf mit zusätzlichen Waffen wurde geübt. Die schwere Infanterie stand in einer Linie und wurde durch Langspießer verstärkt, um stetig Gegner am Nachrücken zu hindern, indem man sie vorzeitig niederstach. Dazu noch die Bogenschützen, die weitere Gegner aus dem Rennen nahm. Ihre Aufgabe war es die zweite und dritte Linie der Angreifer noch vor dem Kampf deutlich zu schwächen.
Lanzenreiter übten verschiedene Formen der Angriffe. Einmal aus der Bewegung und danach aus einer Stellung heraus. Auch das Umschwenken wurde geübt, wie das seitliche Auffächern, um eine größere Breite zu gewinnen. Zudem wurden bessere Knebelspieße ausgegeben, um noch mehr Wirkung bei einem Angriff auf Gegner zu erzielen. Die Männer fanden schnell Gefallen an der neuen Waffe, die neben der Stoßspitze, zwei seitlich Klingen besaß, mit denen man Gliedmaßen und Köpfe abtrennen konnte. Der Hauptgrund für diese Übungen war jedoch, die Männer zu beschäftigen, damit sie nicht auf trübe Gedanken kamen. Zudem mussten die Einheiten lernen noch besser zusammen zu wirken. Aus einhundert Solisten musste eine kampfstarke Einheit geformt werden, die bedeutsam schlagkräftiger agieren konnte als einhundert Männer. Auch die Übungen der leichten Reiter wurden intensiviert. Sie ritten nicht nur hinter den Lanzenreitern, sondern auch in Formationen neben den Lanzenreitern, um die Verteidigung vor dem Angriff punktuell zu schwächen. War erst einmal eine Lücke gerissen, dann fiel es den Lanzenreitern leichter solch eine kompakte Formation von Gegnern zu durchstoßen.
Die Anzahl der Armbrüste wuchs stetig. Fast einhundert Waffen standen dieser Bastion jetzt zur Verfügung. Drei Männer mussten immer zusammen üben, damit ein stetiger Beschuss einer Formation erreicht wurde. Auch die Präzision musste noch verbessert werden, damit die Geschosse ihr Ziel fanden. Es war eine reine Übungssache und die Übungen zeigten rasch Erfolge. Aus mäßig wurde gut und daraus wurde schließlich sehr gut.
Auch das Retten von verwundeten Kameraden wurde geübt, es durfte keine Fehler geben, wenn man die Leben von Kameraden retten wollte. Erst in diesem Moment wurde festgestellt, das der Platz für diese erste Behandlung fehlte. Oft reichte es, einen Verband anzulegen und manche Wunde musste ausgebrannt werden. Die Männer lernte, dass die erste Behandlung oft das Leben rettete, bevor der Kamerad zu viel Blut verloren hatte. Es waren einfache Regeln, aber diese zu verinnerlichen dauerte. Auch der Transport von verwundeten Kameraden musste geübt werden, damit die Kameraden überhaupt noch lebend an das Ziel gelangten. Tragen wurden gezimmert, die leicht und stabil genug waren. Zuerst wurde gelacht, aber sie sahen, wie schnell ein Kamerad starb, wenn man nicht unternahm.