Sieh sie dir an, kleine Mücke. Die Ameisen, wie sie wuseln und wimmeln. Ist es nicht ein herrlicher Anblick? All diese kleinen Wesen, deren einziger Lebenszweck es ist, ihre Königin zu versorgen – die Geschichte. Und diese große, eingesperrte Königin in ihrem Ballsaal, die nur dafür lebt, von Ameisen umschwärmt zu werden. Ein perfektes System, ein ewiger Kreislauf.
Doch wie jedes Gleichgewicht ist es so empfindlich wie ein Schmetterlingsflügel. Eine Berührung, und die Schwinge ist kontaminiert. Der Schmetterling fliegt weiter, doch der Flügel bricht. Zerfranst. Löst sich auf. Feiner Staub regnet auf die Erde. Monate im Larvenstadium, und der Moment der Schönheit und Freiheit ist in einem unbedachten Moment verloren. Das Muster, nur erschaffen für diese kurzen, glorreichen Stunden des Lichts, vor seiner Zeit vergangen.
Kann der Schwarm überstehen? Ameisen sind ein tapferes Volk, dazu fähig, Flut und Sturm zu überstehen, Sie können Brücken und Rettungsinseln erschaffen, wenn sie nur alle zusammenarbeiten. Jede einzelne kann Lasten stemmen, ohne von ihren unglaublichen Kräften zu wissen. Es gibt so viele, dass ihr Gesamtgewicht dem aller Menschen entspricht. Eine unerkannte Macht in den Tiefen unserer Welt.
Doch noch ahnen sie nicht, dass der Feind sich bereits in ihre Reihen geschlichen hat. Unerkannt dringt er weiter vor, springt von Einem zum Anderen, still und unsichtbar.
Es gibt keine Symptome. Keine Warnung. Es ist kein Pilz und keine Krankheit, und doch verbreitet es sich wie ein Virus, rasend schnell und unentdeckt. Bevor man ahnt, was bevorsteht, ist es vorbei.
Und diese Macht ist tödlich. Spürst du, kleine Mücke, wie sie ihre kalten Klauen nach dir streckt? Fühlst du den eisigen Hauch im Nacken, ist es bereits zu spät. Dann wird der Bau fallen und mit ihm jedes Insekt.
Denn der Feind sitzt in deinem Herzen und wirkt sein leises Gift. Nur eine Medizin gibt es, um der Dunkelheit zu widerstehen. Doch die Hoffnung ist ausverkauft – wo kannst du neue finden?
~*~
„Kitsune, das Tor ist kaputt. Du musst es manuell öffnen.“
Befehle. Das war alles, was zu Kitsune vordrang. Rauch und Panik hatten ihre Sinne vernebelt. Sie fühlte sich blind, denn sie sah nur, was unmittelbar vor ihr lag, und vergaß es gleich darauf. Als würden die Eindrücke nicht bis in ihr Gehirn vordringen.
„Tor … manuell öffnen“, wiederholte sie und hob instinktiv die Hand zum Salut.
„Der Keller.“ Doktor Wakane beugte sich in einem Hustenanfall.
Kitsune eilte los.
„Warte!“, rief der Wissenschaftler.
Kitsune drehte sich um und sah ihn an.
„Pass auf dich auf“, sagte Doktor Wakane.
„Ja“, sagte Kitsune. Dabei hatte sie keine Ahnung, wie man diesen Befehl ausführte.
Sie lief leichtfüßig auf das brennende Gebäude zu. Feuer machte ihr keine Angst. Sie war darauf programmiert, keine Angst zu haben. Eigentlich war es doch sehr einfach: Sie hatte Doktor Wakane und Bruce evakuiert. Jetzt würde sie den Mechanismus des Tors suchen und alle Eindringlinge töten, die sie fand.
Sie blinzelte. Warum hämmerte ihr Herz nur so wild?
~*~
„Hey!“, brüllte Iris und trommelte gegen den Rücksitz, ehe sie die Tür aufriss. Während sie auf die Fahrbahn sprang, hörte sie die Gangster in ihrem Rücken auf Spanisch brüllen und schimpfen. Direkt darauf durchbrach ein Ruf das Geschrei. Irgendwer hatte die Wolke gesehen und die anderen darauf aufmerksam gemacht.
Iris kümmerte sich nicht weiter um die Gangster, sondern rannte auf den Mittelstreifen der Autobahn zu. Sie überwand die Absperrung, hetzte durch das Gras und sprang über die Leitplanke auf der anderen Seite. Ohne nach rechts oder links zu sehen, sprintete sie über den Asphalt. Auf dieser Seite fuhren ohnehin wenig Fahrzeuge, und wenn, würden diese die Wolke sehen und bremsen. Iris war hier sicherer als im Stau.
Sie erreichte die andere Seite der Fahrbahn und sprang zum dritten Mal über eine Leitplanke. Erst jetzt gestattete sie sich einen Blick zurück. Die Gangster folgten ihr. Die Wolke rückte näher.
Iris sprang in den Graben und duckte sich zwischen das Gras und die Büsche. Sie hörte Schritte, dann, wie die Gangster hinter ihr landeten. Sie brüllten Alonzos Namen.
Dann brüllte nur noch der Sturm. Heulender Wind trieb Sand über Iris‘ Kopf, der wie Hagel auf ihren Körper prasselte. Sie legte die Arme über den Kopf, um sich zu schützen. Im Getöse ertrank jeder andere Laut.
~*~
Mit knurrendem Magen und zitternd kauerten sie im Rettungsboot. Ethan hatte das Gefühl, dass er in der Nacht eingefroren war und sich nie wieder würde bewegen können. Doch es war vermutlich nur der Schock, der ihn lähmte. Während das erste Grau des Tages über den Himmel kroch, wurden seine Lider schwer und seine Augen begannen, vor Müdigkeit zu jucken. Er blinzelte einmal … zweimal … schaffte es nicht, die Augen wieder aufzustemmen …
„Land!“
Ethan zuckte zusammen und sah sich orientierungslos um. Ringsum Wellen unter strahlendem Sonnenschein …
Dann sah auch er das Land, einen dunkleren Streifen am Horizont. Sofort erwachte neues Leben in den Besatzungen der kleinen Rettungsboote – insgesamt waren es sechs – und die gestrandeten Passagiere ruderten mit den Paddeln und teilweise mit den Händen auf das Land zu. Auch Ethan lehnte sich über die Wand des Gummiboots und schaufelte Wasser. Das Meer war eisig kalt und obwohl er es begrüßte, auf diese Weise endlich die Schläfrigkeit abzuschütteln, klapperten seine Zähne sofort wieder stärker. Er fühlte sich, als würde ihm nie wieder warm werden. Für einen Platz an der Heizung würde er töten!
Das Land entpuppte sich als Sandstrand vor grünen Wiesen, an dem bereits zwei weitere gleichartige Boote anlagen, die sich offenbar vom Rest getrennt hatten. Die Besatzung saß müde im Gras und reagierte kaum auf ihre Ankunft. Die erschöpften Schiffbrüchigen stürzten in den Sand. Ethan blieb eine ganze Weile mit geschlossenen Augen liegen und genoss die relative Wärme des Festlands.
„Weiß jemand, wo wir sind?“, fragte eine Frau.
Ethan sah auf. Es handelte sich um eine Frau in der Uniform der Bordbesatzung. Sie hatte sich aufgerichtet und sah sich prüfend um.
„Keinen Plan“, murrte jemand neben Ethan und wälzte sich auf die Seite. Es war der Seemann, der ihnen ins Boot geholfen hatte.
Ethan stemmte sich hoch: „Wie finden wir das heraus?“
Dankbar lächelte die junge Frau ihn an. „Wir müssen gucken, ob es irgendwelche Landzeichen in der Nähe gibt.“ Sie stockte. „Land … marken? Also Türme oder hohe Gebäude, die man erkennt.“ Sie lief leicht rot an.
„Ich weiß, was du meinst.“ Ethan wechselte ins Englische. „Am besten gehen wir immer zu zweit und entfernen uns nicht weit.“
„Und wir sollten ein Feuer machen.“ Die Frau nickte ihm zu. Obwohl sie vorher nicht mit Akzent gesprochen hatte, schien sie Engländerin zu sein, denn jetzt sprach sie deutlich flüssiger.
„Feuer … Signale“, murmelte er und nickte. Er sah sich um und bemerkte, wie die erschöpften Schiffbrüchigen endlich wieder auf die Beine kamen. So müde sie alle waren – das hier war noch lange nicht vorbei.
„Willst du die erste Expedition machen?“, fragte die Frau ihn.
Ethan schüttelte den Kopf. „Ich … nicht alleine.“
„Dann … komm ich mit.“
Ethan drehte sich zu dem Sprecher um. Es war Ruben, der ungeschickt auf die Füße kam und sich Sand von der Kleidung strich.
„Der Herr hält seine schützende Hand über uns. Er hat uns gerettet!“
Ethan musste wider Willen grinsen.
~*~
„Tut mir leid, Sie müssen leider alle jetzt die Zimmer verlassen.“
Eine junge Bedienstete stand mit blassem Gesicht im Türrahmen. Keelan sah fragend zu den Dolmetschern. Fynn erbarmte sich und übersetzte.
„Was ist denn los?“, fragte Keelan.
„Es tut uns leid, die Zimmer sind nicht sicher“, erklärte das Mädchen in gebrochenem Englisch. Sie bewegte die Hände und sagte etwas auf Deutsch.
„Pilze“, übersetzte Nils und alle sahen sich nervös um.
Keelan schnupperte nervös. Der Raum war ihr tatsächlich ziemlich muffig vorgekommen.
„Schimmelpilze“, erläuterte Nils näher. „Wir sollten wirklich gehen.“
„Ja, sollten wir“, murmelte Keelan.
Ihr Handyakku war leer. Sie wusste nicht einmal, wo genau sie war. Nun wollte sie nur noch nach Hause, zu ihren Eltern, so schnell wie möglich. Oder … ja, sogar zurück zu Ethan würde sie gehen.
Die junge Hotelfachkraft ging weiter. Keelan hörte, wie sie mit dünner Stimme im nächsten Zimmer die gleiche Botschaft verkündete.
Wohin jetzt?, schrien ihre Gedanken. Was sollen wir jetzt nur tun?
Die Dolmetscher berieten sich. Markus ergriff das Wort. Keelan gab sich gar nicht die Mühe, das Deutsch verstehen zu wollen. Ihr Blick suchte die Decke des kleinen Zimmers ab.
Dort: Wasserflecken. Weiße Schimmelblumen. Wie hat sie die vorher nicht bemerken können? Sie waren zwei klein, aber prominent an der Decke platziert.
Richard berührte ihre Schulter. „Wir wollen uns aufteilen und morgen Abend treffen. Wer dann einen guten Unterschlupf hat, sagt den Anderen Bescheid. Machst du mit?“
Keelan sah zu den sieben Männern und nickte.
~*~
Thomas trat ins Studio. „Können wir heute Abend senden?“
Das Kamerateam, das bisher auf den Zuschauerrängen gesessen und trübsinnig Kaffee getrunken hatte, starrte ihn an, als wäre er verrückt geworden.
Es waren nicht mehr viele Leute im Studio. Lars von der Technik, zwei Kameraleute und eine Tontechnikerin. Die beiden Männer hießen Jameson und Rudd, ihre Vornamen kannte Thomas nicht. Die Technikerin hatte Lars jetzt mehrmals Anne genannt, ihr Nachname war Morrigan, wenn Thomas sich richtig erinnerte. Die meisten waren nach Hause gegangen. Hier waren nur jene verblieben, die kein Zuhause mehr hatten. Und Lars war freiwillig geblieben, was jeder ihm hoch anrechnete.
„Wir könnten senden, allerdings nicht in der üblichen Qualität“, antwortete Lars. „Und wir haben keinen Gast. Das Studio hat allen abgesagt. Sie senden Wiederholungen, bis hier alles wieder aufgebaut ist.“
„Nach den ganzen Sondersendungen hat eh niemand mehr Zeit und Lust, was anderes zu sehen“, brummte Rudd, ein kräftiger Braunhaariger.
„Ich hatte da diese Idee“, murmelte Thomas. Er war sich selbst unsicher, wie klug sie war, aber er musste unbedingt etwas tun, bevor er noch verrückt wurde. „Ich hab beim Studio noch nicht nachgefragt, sondern wollte erst klären, ob wir überhaupt senden können.“
„Jetzt rück schon raus mit der Sprache!“, brummte Lars gutmütig. „Was willst du tun?“
„Ich dachte nur … wir haben das Studio förmlich für uns und da draußen sind eine Menge Leute ohne Dach über dem Kopf. Wir könnten sie einladen.“ Thomas wich den Blicken seiner Kollegen aus, unsicher, was diese davon halten würden.
„Und wie sollen wir die Leute unterbringen?“, fragte Lars zweifelnd. „Für uns gibt es doch schon kaum genug Betten. Oder Essen.“
Thomas zog vorsichtig die Liste auf seiner Tasche. „Darüber hab ich auch nachgedacht. Der Supermarkt unten hat noch auf. Dort sollten wir Wasser und Essen bekommen. Und ich weiß, dass dieser Stoffladen teilweise betroffen war. Ihr wisst schon, die mit den Vorhängen. Im Internet stand, dass sie jetzt verzweifelt einen Platz für die ganzen Waren suchen. Vielleicht könnte man sie ihnen abkaufen.“
Unsicher sah er auf und konnte beobachten, wie seine Kollegen Blicke tauschten.
„Was ist mit Medizin?“, fragte Anne Morrigan. „Wie klären wir ab, dass es Bedürftige sind und keine verrückten Fans? Was machen wir mit Verletzten?“
„Verletzte können wir nicht aufnehmen“, sagte Lars sofort. „Die müssen in ein Krankenhaus, wir sind dafür nicht ausreichend geschult. Verdammt, wir sind für nichts davon geschult!“
„Ich habe versucht, Simon Baker zu erreichen“, erwähnte Thomas. „Ich dachte, er hätte vielleicht Tipps für uns. Aber er hat keine Zeit, irgendeine Katastrophe unten in Peru oder so.“
„Aber es wird Bücher geben!“, sagte Jamesson. Der Schwarze rückte seine Brille zurecht. „Und Artikel im Internet. Ich denke, da können wir was finden.“
Die anderen nickten.
„Und wir hätten wieder Publikum“, sagte Anne grinsend. „Ohne wird die Aufnahme bestimmt seltsam klingen.“
„Dann seid ihr dafür?“, fragte Thomas erstaunt.
„Natürlich.“ Lars grinste. „Ist ne gute Sache. Hoffen wir, dass der Sender das ebenso sieht.“
„Garantiert“, antwortete Thomas selbstsicher. „In deren Augen ist das die perfekte Werbung für unsere Show.“ Er hatte nicht den geringsten Zweifel, dass er diese Hürde meistern würde. „Hauptsache, ihr seid alle bereit, das mit mir durchzustehen.“
„Natürlich, Thomas“, sagte Lars und die anderen drei nickten bekräftigend.
Thomas straffte sich. Endlich gab es etwas zu tun. Hier eingesperrt wäre er sonst noch wahnsinnig geworden.
~*~
Das frühe Licht des neuen Morgens riss Riikka aus einem tiefen Schlaf. Sie blinzelte und sah sich um.
Hazel kniete etwas vom Lager entfernt und war damit beschäftigt, ihre Tasche zu packen. Riikka rollte sich auf die Seite und stemmte sich hoch.
„Morning“, sagte die Australierin.
„Morgen“, antwortete Riikka auf Englisch. „Gehst du jetzt?“
„Es bringt ja nichts, noch zu warten“, antwortete Hazel.
Riikka räusperte sich. „Kann ich mitkommen?“
Hazel sah überrascht auf. „Sie brauchen dich hier!“
„Wenigstens ein Stück?“, fragte Riikka. „Du wolltest ein oder zwei Leute mitnehmen.“
Hazel zögerte, dann nickte sie. Sie schloss die Tasche, stand auf und schulterte den Rucksack. Riikka folgte ihr fort vom Lager, zuerst auf den Strand zu und dann rechts immer an der Wellenlinie entlang.
„Wann drehst du um?“, fragte Hazel.
„Ich weiß es noch nicht“, sagte Riikka ehrlich. „Hazel – ich bin keine Anführerin.“
„Fällt dir jemand von den Anderen auf, der sich eher anbieten würde?“, fragte Hazel, ehe sie die Frage selbst beantwortete. „Nein. Allein das macht dich zur idealen Kandidatin. Aber du solltest dich auch nicht unterschätzen. Du bist stark, kannst einen kühlen Kopf bewahren, Befehle geben. Du bist ein Survivor.“
„Ich will nicht für andere Leute als mich selbst verantwortlich sein“, sagte Riikka.
„Das will ich auch nicht“, antwortete Hazel. „Oder warum, glaubst du, habe ich mich einfach fortschleichen wollen, ohne euch zu wecken?“
„Ich kann dich verstehen“, meinte Riikka.
„Falls du mitkommen willst, vergiss es“, sagte Hazel streng. „Du musst zurück, sonst bringen die Enrico und danach sich gegenseitig noch um. Da kann ich noch so viel Hilfe finden, sie wird uns nichts mehr bringen.“
„Bist du denn sicher, dass es Hilfe gibt?“, fragte Riikka leise. „Ich meine … langsam hätten wir doch mal Anzeichen von Menschen sehen müssen. Jemand hätte uns suchen müssen.“
„Ich weiß nicht, was da draußen los ist.“ Hazel sah nachdenklich auf das Meer, über dem die Sonne aufging. „Vielleicht ist irgendwas größeres passiert und der Schiffbruch ist nur ein Symptom. So oder so – in Städten gibt es auch Vorräte. Lebensmittel, Zelte, Decken, Medizin. Ich werde auf jeden Fall mit Hilfe zurückkommen.“
Riikka nickte nachdenklich. „Ich würde nur zu gerne wissen, was los ist. Ohne das Internet …“
Hazel schnitt ihr das Wort ab. „Ich weiß. Aber wir können uns darüber nicht den Kopf zerbrechen. Wir haben dringlichere Probleme.“
~*~
Unschlüssig stand Kitsune vor den vielen Hebeln und Schaltern. Sie wusste, dass irgendwelche davon das Tor bedienten. Andere waren für Strom, Wasser oder die Technik verantwortlich.
Als sie sich bewegte, erzeugten ihre nackten Füße patschende Geräusche. Das Blut hatte sich inzwischen fast überall im Raum ausgebreitet und bildete eine große Pfütze. Die Eindringlinge hatten keine Uniformen getragen, wenn man von den Sturmmasken einmal absah. Dafür Schusswaffen. Zu Kitsunes Glück waren sie nicht trainiert genug gewesen, um zusammenzubleiben und ihre Umgebung vernünftig zu sichern. Sie hatte einen nach dem anderen in Rekordgeschwindigkeit erledigt. Lautlos und tödlich, aus dem Schatten heraus. Zwei waren in der Panik auch von ihren eigenen Leuten erschossen worden.
Anfänger.
Kitsune hätte längst wieder zurück sein können, doch sie konnte sich nicht erinnern, welcher Hebel der richtige war. Jetzt packte sie kurzerhand den ersten und zog.
Er ließ sich nicht bewegen.
Kitsune packte den nächsten Hebel, der etwas kleiner war. Eigentlich war es eher ein Griff, der sich umlegen ließ. Als sie ihn betätigte, ging das Licht schlagartig aus.
„Verdammt!“, zischte sie und drückte den Hebel wieder hoch. Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, die fortdauerte. Das Licht ging nicht wieder an.
Mit einem wortlosen Schrei sprang sie vor und begann, wild auf die Hebel und Knöpfe zu schlagen. Ihre Krallen kratzten über Stahl und Plexiglas. Sie schlug gegen die Wand mit ihren unzähligen erloschenen Lämpchen, bis ihr die Hände wehtaten. Sie roch frisches Blut. Splitter von Plastikgläsern hatten sich in ihr Fleisch gebohrt.
„Hier bist du!“
Es war Bruces Stimme. Kitsune wirbelte herum und kniff die Augen zusammen, als ein greller Lichtstrahl sie blendete. Sie spürte, wie die feinen Härchen in ihrem Nacken sich aufrichteten. Blind tastete sie nach der Wand und wich zurück. Ihre Schulter stieß gegen eine weitere Wand.
Eine Sackgasse!
Schritte patschten im trocknenden Blut. Sie roch Bruces Erregung. Instinktiv bleckte sie die Zähne.
„Jetzt hab dich nicht so, meine Schöne.“
Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an das grelle Licht der Taschenlampe. Sie hörte, wie Bruce seine Hose öffnete. Dann packte seine Hand ihr Haar im Hinterkopf. Er riss sie an sich.
Kitsune sträubte sich. Ihre Krallen zerfetzten das Oberteil des Wissenschaftlers. Sein warmer Körper, der sich an sie drängte und sie gegen die Wände drückte, fühlte sich heißer an als das Feuer.
„Nein!“, rief sie und versuchte, ihn von sich zu stoßen.
„Hier hört dich sowieso niemand … Süße.“ Bruce riss an ihren Haaren und zwang sie in die Knie. Sie konnte sein erigiertes Glied vor sich sehen, das näher kam, während er ihren Kopf mit beiden Händen festhielt.
Sie wollte sich ihm entreißen, aber er war zu stark.
„Ich habe … so lange … darauf gewartet!“, stöhnte er, während er mit ihr kämpfte. „Komm, meine kleine Hure. Mach das Maul auf!“ Er presste die Daumen in ihre Mundwinkel und hinter den Zähnen in den Kiefer. Er zwang ihren Mund auf und stieß sofort seinen Schwanz hinein, bis in ihren Rachen.
Kitsune würgte, dann sah sie nur noch Rot. Bruce brüllte.
~*~
„Warum hältst du?“, fragte Seth.
Jayden drehte sich zum Rücksitz um. Nachdem Seth beinahe das Armaturenbrett vollgekotzt hatte, hatte er den Rest der Reise auf dem Rücksitz verbracht. Schlafend, wie Jayden gehofft hatte. Offenbar hatte er sich getäuscht.
„Es ist mitten in der Nacht, ich bin müde“, antwortete er und rieb sich wie zum Beweis die juckenden Augen. „Und ich denke, hier ist ein guter Ort zum Pausieren.“
„Pause?“, fragte Seth, der sich ächzend vom Rücksitz hochquälte. „Vergiss es, ich fahr.“
„Das kommt überhaupt nicht in Frage! Ich rieche deinen Entzugsschweiß bis hierhin.“ Jayden zerrte sicherheitshalber die Büroklammern aus dem Zündschloss.
Seth beugte sich vor, blinzelte und starrte auf das Gebäude, vor dem Jayden gehalten hatte. „Alter, niemand mag ‘ne Schule.“
„Deswegen sollten wir hier auch recht ungestört sein“, antwortete Jayden selbstzufrieden.
„Das war als Kompliment gedacht“, murmelte Seth und stieß die Hintertür auf, um aus dem Fahrerhäuschen des Lasters zu klettern. Er schwankte, fing sich und starrte mit in die Hüften gestützten Armen zum Schultor hinauf. Jayden steckte die verbogenen Büronadeln ein und trat auf das Tor zu. Probeweise drückte er die Klinke herunter – und das Tor schwang auf.
„Jackpot!“, flüsterte er glücklich.
„Welcher Idiot ist hier Hausmeister?“, fragte Seth.
„Ich glaube, sie mussten das Gebäude überstürzt verlassen“, grübelte Jayden, während er auf den Hof trat. „Im ganzen Land sah es so aus. Leute, die übervolle Koffer in ihre Autos werfen, Büros mit speerangelweit offenen Türen …“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich muss irgendwas verpasst haben.“
„Hast du kein Radio gehört?“
„Da war überall nur Rauschen.“
Seth pfiff. „Scheiße, dann ist es wirklich ernst.“
~*~
Es war unglaublich – er hatte ein echtes Wunder erlebt. Ruben konnte es immer noch nicht so richtig fassen. All die Jahre der Mühen hatten sich ausgezahlt und Gott hatte ihn vor dem sicheren Tod bewahrt!
Ruben fühlte sich, als könnte er alles erreichen. Beschwingt trabte er Ethan hinterher, jedenfalls die ersten Schritte. Dann meldeten sich seine schmerzenden Gelenke, die pochenden Muskeln und die Kälte wieder.
Warum war das Überleben bloß so unangenehm?
Rubens Ächzen musste Ethan alarmiert haben, denn der drehte sich um: „Alles okay?“
„Ja, schon …“ Ruben bewegte die Beine unglücklich.
„Komm!“, rief Ethan und eilte die Dünen hinauf. Ruben lief hinterher, aber der Sand schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Ständig rutschte er unter ihm weg. Ruben klatschte der Länge nach in den Sand und robbte stöhnend zwischen den dünnen Grashalmen hinauf. So nah an der kleinsten Schöpfung wurde man ganz bescheiden. Und nachdenklich.
Als er oben war, sah er zurück. Ein paar seiner Brüder und Schwestern waren am Strand, aber …
„Es fehlen noch Boote!“
„Bist du sicher?“, fragte Ethan.
Ruben nickte. „Daniel ist nicht hier!“
„Wir machen ein Feuer. Sie sind bestimmt nur woanders gelandet, aber dann sehen sie uns“, beruhigte Ethan ihn.
Ruben runzelte die Stirn. Ihm blieb wohl nur, auf Gott zu vertrauen. Ob man mit dem Allmächtigen verhandeln konnte? Vielleicht half es ja, wenn er eine Seele vor der ewigen Verdammnis rettete.
„Unglaublich, dass wir überlebt haben!“, begann er.
„Wir haben wohl eine günstige Strömung erwischt.“ Ethan lief voraus und scannte den Horizont mit dem Blick ab. „Hmm, lass uns bis zu dem Hügel da vorne gehen, vielleicht sehen wir von oben was. Wenn nicht, gehen wir zurück.“
„Zuerst der Vulkan … dann der Sturm“, fuhr Ruben fort, ohne sich beirren zu lassen. „Aber wir sind entkommen.“
„Machst du dir Sorgen wegen deinem Freund?“, fragte Ethan mitfühlend. „Ich verstehe das.“
„Nein, ich meinte … es ist wie eine höhere Macht, die uns beschützt hat …“
„Ja, angesichts dieser Naturgewalten kann man sich schon sehr klein fühlen.“
Ruben musste aufhören, weil sie den kleinen Hügel erreicht hatten und er seinen Atem zum Hinaufsteigen brauchte. Ethan sah sich bereits um, während Ruben den Sand verfluchen wollte.
„Nichts!“, berichtete Ethan resignierend. „Keine Stadt weit und breit. Ich sehe nicht einmal Straßen.“
„Wir können nur hoffen, dass was auch immer uns so weit gebracht hat, uns weiter beschützen wird“, sagte Ruben mit einem Herz, das vor Gottvertrauen übersprudeln wollte.
Ethan zuckte mit den Schultern. „Jede Glücksträhne endet mal. Wird Zeit, dass wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.“ Er drehte sich um und kam Ruben entgegen. „Gehen wir zurück.“
Ruben stöhnte leise. Da hatte er sich den Berg hochgequält, und dann das …
~*~
Gordon war nervös.
Heute morgen hatte Hazel gefehlt. Und Riikka war ebenfalls weg. Das war nicht richtig! Hazel hatte gesagt, dass sie sich verabschieden würde.
Von den Anderen wusste auch niemand, was los war. Jochen hatte sich allerdings hingesetzt und ein Feuer gemacht, über dem sie jetzt Fische brieten.
Gordon hatte keinen Hunger. Er mochte es nicht, Fisch mit den Fingern zu essen. Überhaupt mochte er keinen Fisch. Heute würde es zuhause auf der Forschungsstation Haferbrei zum Frühstück geben und später Maisbrot mit Hackfleisch. Alles andere war das falsche Essen.
Er wanderte durch die Dünen, um sich abzulenken. Vielleicht hoffte er auch, ein Boot zu finden, das ihn direkt zurück nach Hause bringen würde. Weg von diesem furchtbaren, sandigen Ort, wo nichts richtig war.
Er erreichte das Meer. Dessen regelmäßiges Wellenrauschen beruhigte ihn. Es war genauso wie auf Madagaskar. Wenn er die Augen schloss und sich nur auf das Rauschen konzentrierte, konnte er sich vorstellen, dass er wieder dort und die Welt noch in Ordnung war.
Die wärmende Sonne und die Ruhe vermochten es, ihn endlich zu beruhigen. Sein Herzschlag wurde langsamer und er entspannte sich zögerlich.
„Gordon!“, rief eine Stimme, wage vertraut. War es eine der Mitarbeiterinnen? Warum klang sie so gestresst?
„Gordon! Hilf mir!“
Er riss die Augen auf und sah Riikka, die am Stand entlang kam. Sie stützte Hazel. Obwohl die Frauen noch ein Stück entfernt waren, sah Gordon, dass es der Älteren nicht besonders gut ging.
Er sprang auf und lief ihnen entgegen.
„W-was ist passiert? Sie ist blass.“
„Irgendwas hat sie gebissen. Oder gestochen. Ich weiß es nicht!“, brüllte Riikka ihn an. „Hol die Anderen, schnell.“
Gordon wich ihrem Blick aus, dann machte er sich schleunigst auf den Weg. Seine Ohren fühlten sich heiß an. Er mochte es nicht, angeschrien zu werden. Ganz eindeutig: Das hier war wirklich furchtbar!
~*~
Als das Rumpeln verklang, hob Iris vorsichtig den Kopf.
Eine Patina aus gelbem Staub hatte die Straße bedeckt. Autos waren durcheinandergewirbelt und übereinandergeschoben worden. Es war ein entsetzliches Bild.
Sie hustete und drückte sich vorsichtig in die Höhe. Im Graben regte sich noch anderes Leben. Die Gangster hatten neben ihr Deckung gefunden.
Nun, nicht alle. Einer rief Alonzos Namen, aber dass er eine Antwort erhalten würde, erschien unwahrscheinlich. Eine gewaltige Macht hatte die Autos eingedellt und Scheiben zersplittern lassen. Irgendwo dröhnte eine offenbar eingeklemmte Hupe. Iris wollte sich nicht vorstellen, welcher Schädel auf dem Lenkrad lag und den Lärm andauern ließ – aber das Bild war einfach da, ungefragt.
Stöhnend hielt sie sich den Kopf. Der Sand hatte auf ihre Kopfhaut eingeprügelt. Sie wunderte sich, dass ihr Schädel noch existierte. Überall am Körper hatte sie kleinere Schnittwunden.
„Was zur Hölle war das?“, fragte sie und taumelte auf die Autobahn. Die Gangster folgten ihr wie stumme Schatten. Außer ihnen schien es niemand geschafft zu haben … nein, das stimmte nicht ganz. Als Iris weiter ging, hörte sie plötzlich ein Baby weinen.
Das Geräusch kam aus einem der zerstörten Autos. Sie wich zurück und wollte schon umdrehen, als Fernando an ihr vorbei stürmte, die Autotür des betreffenden Wagens aufriss und ein in weiße Tücher gewickeltes, lärmendes Bündel herauszog.
„Na toll“, murmelte Iris.
Behutsam schaukelte Fernando den Säugling in den Armen, während er ins Innere des Autos sah. Dann blickte er zu den Anderen zurück und schüttelte mit düsterem Gesicht den Kopf.
„Hätte mich auch gewundert, wenn da noch einer lebt“, murmelte Iris leise und stapfte die Straße hinunter.
„He!“, rief ihr Mateo nach. „Wo gehst du hin?“
Iris drehte sich um und sah, dass er mit einer Waffe auf sie zielte.
Sie stöhnte. „Ehrlich? Nach der ganzen Scheiße wollt ihr damit weitermachen?“
„Nimm die verdammte Waffe runter!“, befahl auch Juan. Der Anführer warf Iris einen Blick zu: „Wir sollten zusammenarbeiten, Firestarter.“
„Auf einmal?“, fragte Iris spöttisch.
„Wolltest du nicht irgendwo hin? Als wir dich abfingen, sah es so aus, als wolltest du schnellstmöglich raus aus Deutschland.“
Damit hatte Juan einen Nerv getroffen. „Und?“, fragte Iris.
„Wir helfen dir, zu verschwinden. Aber vorher kommst du mit uns.“
„Was wollt ihr von mir?“, fragte Iris.
„Carmen Manzanares“, antwortete Juan. „Sie ist für die ganze Scheiße hier verantwortlich.“
„Moment mal – was?“, entfuhr es Iris.
„Mit dem Geld, das sie uns gestohlen hat, hat sie eine Reihe Wissenschaftler bezahlt. Nicht die Besten ihres Fachs vielleicht, aber die mit der zweifelhaftesten Moral.“ Juan wirbelte herum. „Fernando, bring das Kind zum Schweigen!“
„Aber sie hat Durst“, protestierte der Gangster.
Juan rieb sich die Stirn. „Wir können kein Baby durch … durch das hier schleppen!“ Er wies mit großer Geste um sich.
„Wir können sie aber noch weniger einfach zurücklassen“, sagte Fernando. „Ihre Eltern sind tot.“
„Hey!“, rief Iris. „Was soll das heißen, Carmen ist hieran verantwortlich?“
„Hast du eine Ahnung, was man mit der geballten Macht der Wissenschaft anrichten kann?“, fragte Juan. „Ich jedenfalls nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass wir es gerade herausfinden.“
„Fuck“, murmelte Iris. An Carmen erinnerte sie sich noch gut. Blondgelockt, extrem geschminkt, auf eine gewisse Art attraktiver durch ihre Falten. Und im Bett erst … „Fuck.“
„Ganz genau“, sagte Juan. „Weißt du, Mädel, die Welt ist nicht schwarz-weiß.“
~*~
Seth spazierte über den Hof der Highschool und sah durch die Fenster in leere Klassenräume. „Einladend.“
„Du musst ja nicht pennen“, schlug Jayden vor. „Über Schlafmangel kannst du dich nicht gerade beschweren.“
„Mein Schlafmangel geht dich einen Scheißdreck an“, gab Seth zurück.
Jayden schien ihm den Ausbruch nicht einmal übel zu nehmen. Stattdessen zuckte er die Schultern und näherte sich dem Eingangstor der Schule. Als er am Griff zog, ließ sich die Tür kein Stück bewegen.
„Na toll.“ Jayden seufzte frustriert.
Seth hob einen Stein vom Boden auf und holte aus.
Jayden zuckte zusammen: „Was hast du damit – oh nein! Nein!“
Die Scheibe brach klirrend.
„Was zur Hölle?“, entfuhr es Jayden. „Du tickst doch nicht mehr richtig!“
„Wolltest du draußen schlafen?“, blaffte Seth ihn an.
„Ich hätte vorher mal die anderen Türen ausprobiert“, zischte Jayden und starrte auf die Tür, deren oberste Glasscheibe jetzt zerbrochen war. „Heilige Scheiße. Überhaupt, was hilft uns das? Wir können ja schlecht durch’s Glas klettern.“
Seth stöhnte laut. Musste man diesem Kerl eigentlich auch jede Mahlzeit vorkauen? Er zog seine Jacke aus, wickelte sie um seine Hand und entfernte damit das Glas aus dem Rahmen. Als er die Jacke wieder überstreifen wollte, riss Jayden sie ihm aus den Händen. „Was genau glaubst du, was du da tust?“
„Ich hab dir den Weg freigemacht“, knurrte Seth. „Gib mir sofort meine Scheißjacke wieder!“
„Die ist voller Scheißsplitter!“, fuhr Jayden auf und schüttelte die Jacke.
„Schon kapiert, Mami“, brummte Seth.
Jayden warf dem Anderen die Jacke gegen den Kopf. Seth riss den Arm hoch, aber zu langsam. Der Trip wirkte immer noch nach. Und Jayden lachte sich vermutlich gerade ins Fäustchen.
Doch nachdem Seth die Jacke aus seinem Gesicht gezerrt hatte, deutete nichts in Jaydens Miene auf Belustigung hin. Vorsichtig kletterte er als erster durch das eingeschlagene Fenster. Glasscherben knirschten unter seinen Schuhsohlen, als er landete. „Sei vorsichtig.“
„Ja, klar.“ Seth kletterte hinterher, rutschte auf dem Glas hinter der Tür fast aus und konnte sich gerade noch an der Tür festhalten.
Vorsichtig gingen sie durch den Flur, der sich anschloss. Auf der einen Seite befanden sich endlose Reihen mit Spinden, dazwischen gab es immer wieder Lücken, wo die Türen zu Klassenräumen lagen. Jayden rüttelte versuchsweise an einigen. Verschlossen.
„Wo sind wir überhaupt?“, fragte Seth, der ihm in einigem Abstand folgte.
„Baltimore“, antwortete Jayden.
„Erst?“ Seth schloss auf. „Und da machst du Pause?“
„Hast du echt die ganze Fahrt verschlafen?“, ächzte Jayden. „Dann lass mich dir eines verraten: Auf den Straßen ist die Hölle los. In den Städten auch. Als wäre die verdammte Apokalypse los.“
Seth rieb sich die Stirn. Er hatte wohl echt länger gepennt als geplant. Im Kopf ging er ihre Route durch. Bis Atlanta waren es elf Tage, wenn sie gut durchkämen. Fuck. Falls sie mal gut durchkämen.
„Was meinst du mit Hölle?“, fragte Seth und stellte sich wankende Menschenmit tödlichen Wunden vor, die durch brennende Trümmerfelder schlurften wie Zombies – nicht tot, aber auch nicht mehr lebendig.
„Ich sage mal, wer ein Auto hat, der hat seine Familie eingepackt und ist aus den Städten raus. Vor den Supermärkten sind Schlangen bis auf die Straße und ich glaube, drinnen prügeln sie sich um alles. Ich hab zwei Frauen um eine Packung Salami kämpfen sehen.“ Jayden testete die nächste Tür aus. „Die meisten haben ihre Autos so vollgeladen, dass das Gepäck aus allen Türöffnungen quillt. Ich weiß nicht mal, wo sie hin wollen. An einer Raststätte habe ich ein paar Leute gefragt – die wissen es auch nicht.“
„Super. Und warum hauen sie dann ab?“, fragte Seth.
Jayden zögerte einen Moment. „Offenbar geht das Gerücht um, dass der Präsident das Weiße Haus fluchtartig verlassen hätte.“
Seth hob die Augenbrauen. „Die Ratten springen vom Schiff.“
„Die einen glauben, dass es einen Tsunami gibt, oder ein Erdbeben. Die anderen rechnen mit einem Meteoriten oder Aliens.“
Seth schnaubte und testete einen Türgriff aus. Die Tür schwang auf.
„Perfekt“, murmelte er, während er den Blick durch das Klassenzimmer schweifen ließ. „Da kommen doch gute Erinnerungen auf.“
„Es ist ein Dach über unserem Kopf“, sagte Jayden optimistisch, trat ein und schob das Pult schwungvoll vor die Tafel. „Machen wir es uns gemütlich!“
Seth betrachtete Bücherregale, Tische und Stühle und die Poster an den Wänden. Es gab genug Papier für ein kleines Feuer. Allerdings – sein knurrender Magen erinnerte ihn daran, dass er etwas Wichtiges vergessen hatte.
„Scheiße.“
„Was?“, fragte Jayden. „Oder war das nur ein allgemeines Scheiße?“
Seth knurrte wütend. „Ich hab nicht mal Essen mitgenommen.“
Statt zu verzweifeln oder ihn auszulachen, grinste Jayden nur breit und griff in die Tasche. „Verzage nicht, mein Freund – ich hab was.“
Seth starrte mäßig begeistert auf zwei Packungen militärischer Trockenrationen. Fuck, dachte er sich. In der Not frisst der Teufel Fliegen.
~*~
Freie Charaktere:
Ich hab mal wieder total vergessen, die zur Adoption freien Charaktere mitzuschreiben, bis jemand einen übernehmen wollte und mich daran erinnert hat. Also, falls jemand Lust auf ein paar Nebencharaktere hat, folgende wären übernehmbar:
Jameson, Rudd und Anne Morrigan aus Thomas‘ Sicht.
Aus Riikkas Team Jochen, Rita, Sun, Fran und Enrico.
Die Gangster von Iris‘ Sicht: Juan, Hector, Felipe, Fernando und Mateo.
Und von Keelans Gruppe: Markus, Lucas, Maximilian, Richard, Malte und Nils.
(Das … sind eine Menge Leute geworden.)
Außerdem: Die Entscheidungsbesprechung gibt es ab jetzt nur noch auf Belletristica zu lesen, weil der Support auf FF.de die Geschichte sonst sperren würde. (Was, sind wir mal ehrlich, nur recht und billig wäre.)
Ähm, so … ich hab in dem Kapitel mal was anderes versucht, wer zu den kürzeren Abschnitten irgendeine Meinung hat, kann die ja bei dem üblichen Entscheidungen mitteilen. Ich weiß übrigens noch nicht, wie schnell das nächste Kapitel kommt (diese Online-Uni ist furchtbar, aber ich versuche, im zwei-Monat-Rhythmus zu bleiben – man merkt aber vielleicht hier schon, dass es zeittechnisch etwas eng wurde).
Wie immer sind die vorherigen Kapitel überarbeitet worden! Das ist doch mal eine gute Nachricht! :D
Dann bedanke ich mich für’s Lesen, bis zum nächsten Kapitel!