„Jetzt fahr schon“, brummte Seth.
Jayden machte keine Anstalten, den Motor zu starten. „Das riecht nach Ärger.“
„Hast du etwa Schiss vor ein paar Kerlen?“
„Ja, habe ich.“ Das war nichts, wofür Jayden sich schämte. Vielmehr eine intelligente Einstellung und leider notwendig als Schwarzer in Amerika.
„Die haben schon getankt“, brummte Seth. „Wir fahren hin, kümmern uns um unseren eigenen Kram und verschwinden wieder.“
Jayden drehte den Schlüssel. Der Motor sprang mit einem stotternden Knurren an. „Wir können uns kein Risiko leisten. Wir fahren zur nächsten Tanke.“
„Und wenn da auch wieder Menschen sind?“, fragte Seth und rollte mit den Augen.
Jayden schwieg und fuhr mit einigem Abstand an der Tankstelle vorbei. Er versuchte, nicht allzu offensichtlich herüber zu starren. Dennoch versuchte er, sich einen Überblick zu verschaffen.
Es waren viele Leute, an die zwei Dutzend. Sie trugen recht ähnliche, schwarze Lederkleidung mit einigen Nieten. Grelle Farbakzente entstammten gefärbten Haaren oder Bändern an der Kleidung sowie dem Aufdruck ihrer T-Shirts. Es waren nicht nur Kerle, sondern auch ein paar Frauen, aber alle wirkten muskulös und unfreundlich.
Schnell sah Jayden wieder nach vorne und fuhr weiter. Er umklammerte das Lenkrad nervös. Neben ihm seufzte Seth über seine Ängstlichkeit und schloss die Augen wieder.
Dann blitzte etwas auf. Jayden sah in den Rückspiegel und bemerkte einzelne Lichter auf der Straße. Erst eines, dann zwei, dann fünf … Motorräder.
„Scheiße!“, knurrte er.
Seth richtete sich auf. „Was?“
„Die folgen uns.“
Seth sah zurück. „Verdammt.“
Jayden presste die Zähne aufeinander. Sein Fuß über dem Gaspedal zuckte, doch er zwang sich, langsam zu bleiben. Vielleicht wollten die Kerle ja nur vorbei.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er versuchte, ruhig zu atmen.
Die fünf Motorräder kamen näher. Der Rest der Gruppe schien an der Tankstelle zu warten.
„Fahr!“, drängte Seth.
Jayden umklammerte das Lenkrad fester und senkte den Fuß. Der Motor röhrte auf.
Gleich darauf brüllte das vorderste Motorrad und schoss an ihnen vorbei, um sich vor die Schnauze ihres Wagens zu setzen.
Jaydens Blick glitt zum Fahrbahnrand, doch der Gehweg vor den Häusern war viel zu schmal, um darüber zu entkommen. Gleichzeitig bremste das Fahrzeug vor ihnen. Jayden war sich sicher, dass es ihr Todesurteil wäre, wenn sie den Fahrer vor sich verletzten. Ganz zu schweigen davon, dass er keinen Mord begehen wollte. Widerstrebend wurde er langsamer.
Die vier anderen Motorräder parkten links und rechts und hinter ihnen.
„Na toll“, knurrte Seth grimmig.
~*~
Der kleine, gelbe Flieger setzte auf der Landebahn auf und rumpelte über den Asphalt. Die Unruhe, die Simon erfasst hatte, wuchs noch weiter, als ihm bewusstwurde, wie ungepflegt der Flughafen war. Erde war auf den Straßen verteilt, mischte sich mit kleinen Brocken von Trümmern. In eines der nahen Gebäude war ein Flugzeug gestürzt. Das Wrack war schwarz verbrannt und hatte den bunkerähnlichen Bau eingerissen.
Als das Flugzeug zum Stehen kam, stieg Simon aus. Ein letztes Mal versuchte er, Kontakt zum Tower aufzunehmen, aber ihm war langsam klar, wieso niemand auf seine Anfrage einer Landeerlaubnis reagiert hatte.
Es war niemand mehr da, der den Flugverkehr überwachte. Der einzige Lichtblick an dieser Situation war, dass es auch keinen Flugverkehr mehr zu überwachen gab, sodass keine Gefahr bestanden hatte, mit einem startenden Jet zu kollidieren.
Mit langsamen Schritten näherte sich Simon dem Wrack. „Hallo? Ist da jemand? Brauchen Sie Hilfe?“
Er erhielt keine Antwort und blieb schweren Herzens stehen. Sein Blick schweifte über die Katastrophe. Natürlich hatte er solche Szenen in seinem Beruf schon häufiger gesehen. Es war sein Job, in solchen Situationen zur Stelle zu sein, und jedes Mal hatte er sie gemeistert und den Menschen geholfen.
Aber dieses Mal war es anders. Was ihm bisher die Kraft verliehen hatte, nach Überflutungen, Erdbeben, Unfällen oder Vulkanausbrüchen zu helfen, war die Gemeinschaft gewesen. Er war nicht der einzige Helfer, sondern Teil einer fleißigen Armee, die Hand in Hand arbeitete.
Hier war er allein.
Es gab niemanden, der ihm einen Überblick über das Ausmaß der Katastrophe geben konnte. Keine Helikopter von Fernsehteams. Keine Ärzte aus allen Teilen der Welt, keine anderen Freiwilligen, nicht einmal Überlebende, auf die er zugehen und deren Schock er behandeln konnte.
Fröstelnd sah er sich um. Eigentlich hatte er damit gerechnet, an einem intakten Flughafen zu landen und mit dem Taxi zu Thomas Goldschmidt fahren zu können. Nun gut – er hatte ein Sportflugzeug und einen Pilotenschein. Beides waren unverzichtbare Qualitäten als Katastrophenhelfer, denn nur so konnte er losziehen, Thomas helfen und dann zu Tuulikki und den Anderen zurückkehren, die momentan in Brasilien alles daran setzten, ohne ihn zurechtzukommen.
Die Versorgung dort wurde langsam knapp. Und Simon ahnte inzwischen, dass keine Hilfe von Außen kommen würde. Von Oben hatte die ganze Stadt tot gewirkt. Die ganze Welt lag in Trümmern.
Er wollte sich zum Gehen wenden, als ihm etwas ins Auge fiel, das aus dem Wrack gefallen sein musste. Es war ein schwarzer Aktenkoffer. Er hatte den Brand und Unfall offenbar unversehrt überstanden, weshalb Simon vorsichtig nähertrat. Er hob den Koffer auf und versuchte, ihn zu öffnen.
Abgeschlossen. Die Sache wurde immer merkwürdiger. Er sah sich ein letztes Mal um, akzeptierte schweren Herzens, dass er hier alleine nichts ausrichten konnte, und trug den Koffer zum Flugzeug. Immerhin konnte er Thomas helfen – das war eine Menge wert.
~*~
Die Kälte war schneidend. Es half nicht, dass Kits Kleidung kaum als solche zu bezeichnen war. Die Bänder bedeckten ihre Brust und Hüfte, mehr jedoch nicht. Das feine Fell auf ihrem Körper wärmte sie nicht einmal annähernd.
Fröstelnd eilte sie durch einen verschneiten Wald. Als wäre sie zurück in der Simulation. Nur, dass ihr hier wohl kaum ein Hirsch oder Pfeile in die Hände fallen würden.
Als ihr ein feiner Geruch in die Nase stieg, bremste sie und witterte. Sie kannte diesen Geruch, obwohl er ihr nur selten untergekommen war. Abgase.
Sie duckte sich und arbeitete sich nahezu lautlos zur Quelle des Gestanks vor. Es dauerte nicht lange und sie traf erneut auf die asphaltierte Straße, die von dem Labor fort führte.
Eigentlich hatte sie dieses Zeichen der Menschen meiden wollen. Doch so, wie sie momentan angezogen war, würde sie die Nacht nicht überstehen.
Der Geruch nach Abgasen war zum Glück schwach. Menschen waren keine zu sehen, also wagte Kit sich langsam in die Straßen vor. Ihre Ohren zuckten nervös bei jedem Geräusch. Hier heulte der Wind durch eine Gasse und dort schaukelte ein Schild mit leisem Quietschen. Die Straßen und Parkplätze waren ein gefährlich offenes Pflaster, doch als sie ein größeres Gebäude entdeckte, durch dessen große Scheiben noch Licht schimmerte, konnte Kit nicht anders, als es sich anzusehen.
Sie bemerkte noch immer kein Anzeichen von Leben. Durch die bodentiefen Fenster konnte sie im Gebäude einen großen, offenen Bereich erkennen.
Da! War das ein Mensch da drinnen? Nein, er bewegte sich nicht, und sein Gesicht war weiß und ausdruckslos. Es war eine Puppe, die jemand angezogen hatte. Sie stand zwischen Tischen und Ständern mit warmen Jacken.
Kitsunes Krallen klirrten auf der Scheibe. Da drinnen gab es genau das, was sie brauchte: Kleidung! Sie lief an der Scheibe entlang, als eine davon mit einem Klingeln zur Seite glitt und sie hereinzubitten schien.
Sie witterte erneut, während ihr warme Luft entgegenschwappte. Der Ort war verlassen, eindeutig.
Also trat sie durch die Pforte. Hinter ihr schloss sich die Tür erneut, doch Kit schenkte dem kaum Beachtung. Eine Wand voller Sportbögen hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Es gab auch alle möglichen Messer und Schusswaffen in Vitrinen, doch ein Bogen war ihr deutlich lieber. Sie fasste einen dunkelblauen Bogen mit recht wenigen Applikationen ins Auge. Als sie ihn von der Wand zog, schien er sich vertrauensvoll in ihren Griff zu schmiegen.
Sie hängte ihn sich über, ehe sie begann, sich nach Pfeilen und Kleidung umzusehen. Tatsächlich fand sie auch eine breite Hose, ein bequemes Top und einen langen Mantel. Sie probierte mehrere Stiefel aus, doch die waren ihr zu schwer und quetschten ihre Füße zu stark. Also entschied sie sich, die Bandagen zu nutzen, um ihre Füße vor der Kälte zu schützen. So stark fror sie da immerhin nicht, und es war ihr lieber, ihre Zehen frei bewegen zu können.
Sie betrachtete gerade mehrere Tüten Beef Jerky, als ein Klingeln sie aufschreckte. Die Tür öffnete sich.
Kit tauchte hinter dem Aufsteller mit den Fleischtüten unter. Sie hörte raue Stimmen, als mehrere Männer hereinkamen.
Sofort sträubten sich die Härchen auf ihren Armen und im Nacken. Sie hielt den Atem an. Instinktiv ergriff sie jedoch mehrere der Tüten, ehe sie in den hinteren Teil des Ladens huschte.
Die Menschen verteilten sich. Kit hörte, wie sie begannen, den Laden abzusuchen. Leider befanden sie sich dabei zwischen ihr und dem Ausgang, und fast immer war einer auf einem der langen Gänge, die quer zwischen den Ständen hindurch verliefen.
~*~
Seine Schläfen pochten. Krieg tobte und brüllte hinter Seths Stirn. Wenn sich Jaydens Befürchtung bestätigte und diese Kerle sie anrühren, würde er sie alle in die Hölle schicken.
Er löste den Anschnallgurt, während einer der fünf zum Wagenfenster trat, und vier weitere sitzen blieben. Eine der fünf war eine Frau. Alle fünf trugen fette Knarren, aber so eine besaß Seth ebenfalls. Krieg ging in Gedanken bereits durch, wie er einen nach dem anderen abknallte.
Fünf waren natürlich eine deutliche Überzahl, das war auch Seth bewusst. Aber keiner hatte die Waffe in der Hand und da Jayden vorbeigefahren war, rechneten die Biker vermutlich mit zwei Pussys. Leichte Opfer. Sie würden nicht wissen, wie ihnen geschah. Zwei oder drei konnte Seth definitiv erwischen, bevor der Rest seine Waffen zog. Vielleicht vier.
Er sah zum Fahrer. Jayden umklammerte da Lenkrad noch immer. Trotzdem sah Seth, dass seine Arme zitterten. Doch gleichzeitig erkannte Krieg Jaydens leicht geduckte, angespannte Körperhaltung. Der Kerl war kampferprobt. Ein Pazifist, aber kampferprobt.
Seth fing Jaydens grimmigen Blick auf und nickte ihm zu. Der Andere würde den fünften Gegner schon überwältigen können.
Dann war der Biker heran und klopfte mit den Knöcheln gegen die Fensterscheibe. Jayden drückte auf den Knopf und ließ die Scheibe heruntergleiten. „Ja?“
Seine Stimme klang fest und ruhig, trotz der angespannten Situation.
„Wolltet ihr zur Tanke, Jungs? Sah so aus“, fragte der Mann, lehnte sich leicht auf die Tür und lächelte derartig heruntergebeugt in den Wagen. „Bedient euch! Wir könnten nämlich zwei starke Kerle gebrauchen.“
„N-nein, danke“, sagte Jayden so ruhig wie möglich.
Der Biker – er hatte langes, blondes Haar und einen Pornobart, Bierbauch und eine Narbe unter dem linken Auge – warf einen Blick auf den Tankfüllstand und hob eine Augenbraue. „Keine Panik, wie beißen nicht. Kommt schon.“ Er richtete sich wieder auf und kehrte zu seiner Maschine zurück.
Jayden sah fragend zu Seth.
Er zuckte mit den Schultern. „Wir wurden eingeladen, oder nicht?“
Jayden fuhr an, wendete und folgte den Motorrädern, die sie flankierten. Seth sah ihm an, dass er am liebsten aufs Gas treten und abhauen wollte. Doch die Biker boten ihnen keine Lücke.
An der Tankstelle fuhr Jayden an eine Säule. Seth stieß die Tür auf und trat hinaus, damit der Andere sitzenbleiben konnte. Als Weißer war er vielleicht ein bisschen sicherer als Jayden, aber vor allem wollte er sich frei bewegen können. In einem Auto zu sitzen beim Kämpfen war nicht gerade sein Stil.
Er sah zu den Bikern herüber. Ihr Fünfergeschwader hatte sich zu der Truppe gesellt. Sie aßen offenbar Dosen, die sie über einem kleinen Feuer erwärmten. Einer saß in einem der Pickups und musterte Seth finster. Die Hand hatte er im Schoß. Vermutlich hielt er eine Waffe.
Ihre Chancen hatten sich deutlich verschlechtert. Seth konzentrierte sich wieder darauf, den Wagen vollzupumpen. Immerhin gab es hier keine Angestellten mehr. Das Benzin war kostenlos – das wollte genutzt werden.
Gurgelnd schoss Benzin in den Tank. Doch das Ganze dauerte immer noch zu lange.
Aus dem Augenwinkel sah Seth, wie einer der Typen aufstand und zu ihm kam. Es war keiner der fünf, die sie herbegleitet hatten. Dieser Biker sah älter aus. Seiner Hautfarbe nach war er mindestens teilweise Mexikaner. Er hatte ein unrasiertes Kinn, sein dunkler Bart wurde von mehreren Narben durchschnitten, die aussahen, als hätte er mit dem Kinn eine zersplitterte Bierflasche abgewehrt. Vielleicht wusste er auch einfach nicht, wie man sich korrekt rasierte.
Seth lehnte sich gegen den Wagen und drehte den Oberkörper zu dem Mann, bereit für einen Kampf.
„Ich bin Grenade“, sagte der Kerl und blieb einen halben Meter entfernt stehen. „Du kannst bei mir bezahlen.“
Natürlich wäre es zu schön gewesen, um wahr zu sein! Irgendein Scheißkerl wollte immer Geld fürs Tanken.
„Wie viel wollt ihr?“, brummte Seth.
„Chili sagt, ihr macht voll?“, fragte Grenade und tat, als würde er rechnen.
Chili?, fragte sich Seth. Hatten die Kerle alle so intelligente Namen?
„Dreihundert Dollar“, sagte Grenade.
Seth grunzte. „Na klar.“
„Die Nachfrage ist hoch.“ Der Biker grinste. „Oder ihr macht eine andere Kleinigkeit für uns.“
„Ach?“, fragte Seth. Obwohl er unbeeindruckt tat, war er erleichtert. Ein Gefallen für einen Gefallen. Damit kam er zurecht.
„Ist nix Großes. Und sogar für ne gute Sache.“ Grenade offenbarte fehlende Zähne beim Grinsen. „Da gibt’s diese Wetterstation in der Nähe. Ihr besorgt uns die gespeicherten Daten, dann könnt ihr die Tankladung behalten und kriegt sogar noch was drauf.“
Seth runzelte die Stirn. „Eine Wetterstation?“
„Son weißer Ballon. Misst Luftdruck und Temperatur und son Scheiß.“
„Das sollen wir euch besorgen? Habt ihr kein Thermometer?“
„Keines mit Aufzeichnungsfunktion.“ Grenade sah Seth fest in die Augen. „Macht es oder zahlt.“
„Wo ist der Haken? Wird das Ding bewacht? Sind da Drogen drin?“
„Was drin ist, hat euch nicht zu interessieren“, widersprach Grenade. „Bewacht wird es nicht, aber es gibt ein Sicherheitssystem. Wenn es spitzkriegt, was ihr wollt, greift es an. Unsere Gesichter kennt es schon, aber ihr solltet keine Probleme haben.“
Seth kratzte sich am Kinn. „Ein schwerbewachter Wetterballon?“
„Eure Entscheidung“, brummte Grenade. Damit drehte er sich um und kehrte zu seiner Gruppe zurück.
Seth öffnete die Fahrertür.
„Was wollte der Typ?“, flüsterte Jayden angespannt.
Seth begann, ihm alles zu erklären.
~*~
„Wartet“, sagte Riikka, als Nurrudin die Maschine starten wollte.
Alle Köpfe drehten sich zu ihr.
Riikka stand auf. „Ich bleibe hier.“
„W-was?“, fragte Jochen Uhlmann und wurde blass.
Riikka nahm ihren kleinen Koffer auf, der unter ihrem Sitz gelegen hatte. „Ohne mich kommt ihr schneller voran.“
Die Gruppe tauschte ratlose Blicke. Riikkas Entscheidung hatte sie überrascht. Wenn sie ganz ehrlich zu sich war, war auch Riikka überrascht, aber sie wollte sich lieber alleine weiter durchschlagen. Sie konnte sich nicht auch noch um einen Haufen Verletzter kümmern, dazu besaß sie nicht genug Kraft. Ihre Lage war nur immer hoffnungsloser und hoffnungsloser geworden.
Wenigstens waren die Überlebenden jetzt in guten Händen. Nurrudin und Musa würden sich um sie kümmern.
„Viel Glück“, murmelte sie halblaut, während ihre Schritte in der Totenstille widerhallten. Wenn schon sonst nichts, so konnte sie der kleinen Maschine einige Kilometer erkaufen, die der Sprit dank des fehlenden Gewichts länger halten würde. Und das war doch auch schon etwas. Aber wenn sie blieb, konnte sie eh wenig ausrichten.
„Dir auch“, antwortete Jochen.
Riikka stieg aus und winkte. Jochen winkte zurück. Nurrudin und Musa kümmerten sich vorne um das Flugzeug, Hazel und Enrico schliefen, Rita war in Entzugserscheinungen gefangen, Fran in Trauer über Suns Tod. Riikka hoffte von ganzem Herzen, dass sie es schaffen würden.
Sie kehrte der Maschine den Rücken, als der Motor aufheulte. Abendwind riss an ihrer Kleidung.
Sun Lins Grab hatten sie direkt neben der Landebahn ausgehoben. Sie hatten keine Zeit verlieren wollen.
Es gab kein Kreuz und keinen Grabstein. Niemand würde den Namen der Toten kennen.
Aber das konnte Riikka nicht ändern.
Hinter ihr hob das Flugzeug ab. Sie selbst verließ den leeren Flughafen. Unter den Sternen leuchteten nur wenige Lichter, die meisten Häuser waren verlassen. Es war kühl, doch das war kein Vergleich zu den finnischen Wintern, die Riikka bereits erlebt hatte.
Sie wanderte über verlassene Asphaltbänder unter flackernden Straßenlampen. Ab und zu kam sie an einem verlassenen Auto vorbei, dem das Benzin ausgegangen war, oder an einem Baum, der auf die Straße gestürzt war. Niemand hatte hier aufgeräumt, nach und nach würde sich wohl die Natur dieses Reich zurückholen.
Schließlich sah sie die Vorstadt vor sich. Der Flughafen hatte etwas außerhalb gelegen, doch Riikka brauchte nur eine halbe Stunde Strecke zurücklegen. Eine halbe Stunde, während der sie ihre Gedanken ordnen konnte. Die Stille tat ihr gut. Sie wusste noch nicht, wie sie nach Finnland kommen würde, aber dass sie es versuchen musste, stand bereits fest.
In einer Kneipe brannte Licht. Riikka überwand sich und trat ein, obwohl das Stimmengewirr auf eine richtige Menschenmenge hinwies. Die Befürchtung bestätigte sich. An die fünfzig Leute drehten die Köpfe, als sie eintrat und mit ihr kalter Wind hereinströmte. Riikka drückte die Tür wieder zu. „Sorry …“
„Komm rein“, sagte eine kräftig gebaute Frau, die hinter der Theke stand. Gleich darauf stellte sie Riikka einen Krug Bier vor die Nase. Drinnen war es warm und die Menschen damit beschäftigt, auf ein kleines Radio zu hören, das auf der Theke nehmen den Zapfhähnen stand. Der Empfang war schlecht, und an den Gesichtsausdrücken las Riikka, dass die Nachrichten ebenfalls schlecht waren.
Sie nippte am Bier und verzog das Gesicht.
„Können Sie mir denn verraten, wie es mit der Evakuierung voranschreitet?“, fragte ein Reporter im Radio. Knistern verschluckte einen Großteil der Antwort.
„… nicht lügen, ein gewaltiger logistischer Aufwand … keinerlei Mittel … tun natürlich alles, was in ihrer Macht steht, aber …“
„Sie werden nicht kommen“, stellte ein Mann fest und drehte das kleine Radio ab. „Wir sind auf uns gestellt.“
„Das können sie doch nicht machen!“; rief eine Frau zornig. „Wollen die uns hier einfach versauern lassen?“
„Die Regierung kann nicht mehr viel ausrichten, schätze ich“, brummte jemand zur Antwort. Die Blicke richteten sich auf eine junge Frau mit dunklem Haar, die in einer Ecke saß und genau wie Riikka ein Bier trank. „Wir müssen aus der Stadt raus.“
„Wieso?“, fragte Riikka.
Nun richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Fremde in der Kneipe.
„Hast du etwa nichts mitbekommen?“, fragte die dunkelhaarige Frau irritiert.
Riikka schüttelte den Kopf. „Ich bin gerade erst angekommen.“
„Die verdammte Welt geht unter und du kriegst es nicht mit?“, fragte die Barfrau entgeistert.
„Ich war auf einem Schiff“, erklärte Riikka ruhig. „Es ist gesunken und wir haben ein paar Tage am Strand gelebt. Es kam keine Rettung, bis uns ein Sportflieger fand und zum Krankenhaus hier brachte.“
Das verwunderte Gemurmel verstummte.
„Wo ist der Flieger jetzt?“, fragte jemand hoffnungsvoll.
„Weitergeflogen.“ Riikka wusste nicht einmal, für welches Ziel sich die Truppe letzten Endes entschieden hatte. „Es war nur ein kleines Flugzeug und die anderen waren alle krank oder verletzt.“
Sie sah, wie die Hoffnung auf Rettung in vielen Blicken erlosch. „Kommen sie wieder.“
„Ich denke nicht, nein.“
„Dann müssen wir zu Fuß weg. Die Erdbeben werden immer schlimmer.“
~*~
Thomas Goldschmidt beugte sich neugierig vor, als ein vielversprechendes Klicken ertönte.
„So, bitte sehr!“ Jamesson trat zurück. Der kräftige Schwarze drückte sich vorsichtig an Thomas vorbei.
Auf dem Tisch, über den er sich gebeugt hatte, klappte der Aktenkoffer auf.
„Wieso kannst du Schlösser knacken?“, fragte Simon Baker erstaunt.
Thomas rechnete mit einer Antwort wie „Das Leben auf der Straße ist hart“, aber Jamesson murmelte: „Ich wollte Mädels beeindrucken und ich fand’s cool.“
„Für uns ist das ein Glücksfall. Denke ich.“ Simon betrachtete den Aktenkoffer nachdenklich, den er mitgebracht hatte. Er war vor etwa vier Stunden mit seinem Sportflugzeug in einem kleinen Park in der Nähe gelandet und hatte Thomas‘ kleines Rettungslager aufgesucht. Sofort hatte er begonnen, die Menschen hier zu organisieren, sodass sie sich in Gruppen darum kümmerten, Nahrung zu beschaffen, nach weiteren Überlebenden zu suchen und nach einem Ort für Toiletten zu suchen. Da das Gebäude leerstand, hatte Simon veranlasst, dass sie den Platz auch nutzten und sich weitmöglichst zerstreuten, um Krankheiten vorzubeugen – und auch weitere Personen aufnehmen zu können. Seine einzige Regel war, dass Menschen mit Krankheiten nicht aufgenommen werden durften, bis sie eine Quarantänestation eingerichtet hatten.
Das bedeutete, Thomas hatte die richtige Entscheidung getroffen, als er den kranken, alten Mann abgewiesen hatte. Das machte sein Gewissen ein bisschen leichter.
Nun war Ruhe eingekehrt und alles getan, was sie momentan tun konnten. Folglich hatten sie beschlossen, sich den Koffer anzusehen, den Simon am Flughafen gefunden hatte.
In dessen Innerem befanden sich Akten wie aus einem Agententhriller. Es waren zwar keine Top-Secret-Stempel darauf, doch sie waren offenbar mit einer Schreibmaschine getippt. Unikate. Sie hatten ein festes Format; und jede drehte sich um die „Sache: Carmen Manzanares“.
„Sollen wir das wirklich lesen?“, fragte Thomas zögerlich.
Simon überflog die Zeilen bereits. Seine braunen Augen weiteten sich. „Ja … ja, wir sollten das unbedingt lesen!“
Thomas senkte den Blick. Worte sprangen ihm ins Auge, einzelne Worte und Satzfetzen: ‚… Beeinflussung der Wetterlage … beunruhigende Zahl voraussichtlicher Katastrophen … Flugzeuge würden abstürzen … globale Vernichtung … wahnsinnige Leiterin, Carmen Manzanares …‘
„Was ist das?“, hauchte er.
„Die Erklärung“, sagte Simon. Er war blass geworden. „Dieses Flugzeug ist nicht einfach so abgestürzt. Seine Besatzung wusste etwas, und deshalb wurden sie getötet.“ Der Master of Desaster sah auf und starrte Thomas an. „Das ist die Erklärung, warum das alles gerade passiert. Diese Leute wollten das aufhalten. Wir müssen unbedingt mehr erfahren!“
Thomas durchsuchte die Seiten. Es waren sieben, auf keiner davon stand etwas von einer Lösung oder Rettung.
„Vielleicht hilft uns die Blackbox des Flugzeugs weiter“, überlegte Jamesson halblaut. Er, Rudd und Lars standen im Eingang des kleinen Räumchens, in dem sie den Aktenkoffer fern von allen geretteten Menschen geöffnet hatten.
„Da könnte er recht haben“, murmelte Simon nachdenklich. „Wir müssen noch einmal zurück.“
~*~
Bis ihnen spät in der Nacht das Benzin ausging, sprach niemand ein Wort.
Caprice störte sich nicht daran. Sie ärgerte sich vielmehr über die Kälte. Im Pickup war nicht genug Platz für vier Gangster, ein Baby und sie (jedenfalls, wenn man Hector Glauben schenkte) und da ihre Ladung nur unzureichend gesichert war sollte ohnehin jemand auf der Ladefläche ausharren. Die Wahl war mit einer Gegenstimme (Iris) und einer Enthaltung (Lina) auf Iris gefallen.
Von der versprochenen Pause, bei der sie wechselten, war bei Einbruch der Dunkelheit noch immer kein Zeichen zu sehen. Damit hatte Iris effektiv einen halben Tag auf der Ladefläche des Pickups verbracht. Anfangs hatte sie es gemocht, immerhin war sie immer dabei, wenn es darum ging, sich ohne Anschnallgurt den Wind um die Nase wehen zu lassen, aber momentan war ihr einfach nur noch kalt.
Der Motor röchelte. Der gestohlene Wagen wurde langsamer und Mateo lenkte ihn schließlich neben die Fahrbahn, wo das Auto ersterbende Geräusche von sich gab.
Iris streckte sich und hörte bereits Hectors Stimme. Sie konnte die Flut spanischen Ärgers nicht verstehen, aber der Kern erschloss sich ihr trotzdem: „Was ist los, Mann?“
Mateos Antwort war leise und aus der geschlossenen Kabine kaum zu hören. „Benzin ist alle.“
„Wie kann uns das Benzin ausgehen? Wer von euch Idioten hat nicht daran gedacht, zu tanken?“ So oder so ähnlich explodierte Hector.
Iris stieg vom Pickup und schüttelte ihre Beine aus. Wenig später wurde die Beifahrertür geöffnet und Hector stieg aus.
Er stapfte zornig zu Iris, aber sein wutschnaubendes Gehabe wirkte eher lächerlich – seine Augen waren vor Müdigkeit zugequollen und seine perfekt gestylten Haare unordentlich. Er musste geschlafen haben und war gerade erst aufgewacht.
„Haben wir Sprit?“, fragte er Iris unfreundlich auf Deutsch.
„Könnte ein Kanister in dem Haufen sein“, antwortete sie schulterzuckend.
„Ja oder nein? Du hast doch die ganze Zeit hier gehockt!“ Hector knurrte leicht.
„Sí, Amigo.“ Iris lehnte sich gegen die Ladefläche. „Und ich fürchte, dabei ist mein Gedächtnis etwas … eingefroren.“ Sie klimperte unschuldig mit den Wimpern.
Hector verzog das Gesicht und starrte sie entgeistert an.
„Also, ich tausche Benzin gegen eine Winterjacke.“
Hector ballte die Hände zu Fäusten und schien drauf und dran, Iris zu erwürgen. Dann beugte er sich durch die noch immer offene Beifahrertür. „Felipe!“
Hectors Befehl und Felipes leise Antwort verstand Iris nicht, aber wenig später erhielt sie eine nur leicht müffelnde Jacke, die sie überstreifte.
Dann hob sie eine Tasche an und offenbarte einen Benzinkanister.
„Danke“, grollte Hector zähneknirschend. „Wie viel ist das?“
„Es sollte zu Chiara reichen“, stelle Iris fest. „Wie weit ist es noch?“
„Einige Kilometer“, antwortete Hector, während er den Tank befüllte. Dann warf er den leeren Kanister in den Graben. „Los jetzt!“
„Hey, den können wir noch brauchen.“ Iris sammelte den Kanister ein.
Hector war bereits eingestiegen und blaffte Mateo an, dass er fahren sollte. Iris sprintete los und warf sich auf die Ladefläche, während der Motor bereits brummte und der Wagen anfuhr.
Durch die hintere Scheibe sah sie Hectors feixendes Gesicht und streckte ihm den Mittelfinger hin. „Dämlicher Arsch.“
~*~
„Lass uns gehen!“, flüsterte Ruben.
Ethan schüttelte den Kopf. „Wir sollen andere Überlebende suchen, oder nicht? Das hier sieht ganz danach aus.“
„Aber … sie könnten gefährlich sein!“
Schritt für Schritt wagte Ethan sich vor. Ruben wäre am liebsten umgekehrt, aber er konnte nicht einfach wegrennen. Angespannt sah er zu, wie Ethan sich der blutbefleckten Flagge näherte. Die Weste war a einem aufgestellten Ruder befestigt, dessen Blatt zwischen den Felsen steckte. Es war ein Ruder aus Plastik oder Gummi, das auch zu ihren Rettungsbooten gehört hatte.
Neben dem Fuß des Ruders war ein Zelt aus einer alten Plane aufgestellt, wobei es statt einer Zeltstange nur einen etwas dickeren Ast gab. Das Zelt bot im Grunde nur einem Erwachsenen Platz, wenn er ganz vorsichtig hineinrobbte.
Ethan hatte das behelfsmäßige Zelt erreicht und bückte sich, um hineinzusehen.
Langsam schätzte Ruben die Situation positiver ein. Sie waren zu zweit gegen einen einzelnen Mann, oder nur ein Kind. Das sollte …
Er hörte ein Geräusch hinter sich. Schritte.
Er wirbelte herum und riss die Hände hoch. Hinter ihm stand ein Mann. Ein Mann, den er auf den zweiten Blick erkannte.
„Daniel!“
„Ruben?“ Der Andere blinzelte, dann riss er die Augen auf und stürmte auf Ruben zu, um ihn zu umarmen. „Der Herr sei gepriesen, du bist es!“
„Du lebst!“, brachte Ruben hervor.
Daniel löste sich von ihm und trat ein paar Schritte zurück. Er blinzelte zu Ruben, mit zusammengekniffenen Augen, weil ihm die Sonne ins Gesicht schien. „Du bist es wirklich!“
„Was ist passiert?“, fragte Ruben. Nur am Rande bekam er mit, dass Ethan die Steine wieder hinaufkletterte, um zu ihnen zu gelangen.
„Eine Welle hat mich vom Rettungsboot gespült“, erklärte Daniel, der auch entsprechend aussah. Seine Kleidung war zerfetzt und mehrere Schnitte zierten sein Gesicht und seine Arme. Auch seine Kleidung war rot, obwohl das Blut immerhin getrocknet zu sein schien. „Ich hatte solche Angst. Ich konnte mich nur an das Paddel da klammern und beten. Dann bin ich hier aufgewacht, auf den Felsen und nahezu unversehrt. Der Herr hat mich gerettet.“
„Das ist ein Wunder, Bruder“, hauchte Ruben.
„Das ist es“, sagte Ethan, der zu ihnen trat. „Bist du verletzt?“
Daniel hob vorsichtig das Hemd an. Über seine Brust zog sich ein langer, aber offenbar flacher Kratzer. Er lächelte schief. „Nicht schlimm.“
„Das sollten wir trotzdem behandeln lassen“, entschied Ethan. „Wir bringen dich zurück zum Lager.“
„Ihr habt ein Lager?“, fragte Daniel Ruben erstaunt.
„Etwas weiter oben am Strand, ja. Die meisten wurden dort angespült.“
„Ich packe nur eben mein Zeug“, teilte Daniel ihnen mit und kletterte ein bisschen umständlich zu seinem Zelt. Er zog die Plane ab, faltete sie zusammen und schlug darin ein paar Metallstücke, eine halbleere Wasserflasche und eine Handvoll Schokoriegel ein, die er eingesammelt haben musste. Das Bündel knotete er ans Paddel und quälte sich mit leisem Ächzen wieder hinauf. Das Ganze dauerte nicht länger als fünf Minuten.
Ruben sah zum Himmel, um die Zeit abzuschätzen. Er vermutete, dass es noch nicht ganz Mittag war. Doch da Daniel verletzt war, kamen sie langsamer voran. Sie würden eine Weile brauchen, bis sie das Lager erreichten.
~*~
Die Jacke half auch nicht mehr viel und als der Wagen endlich bremste, war Iris durchgefroren.
Die Nacht hatte sich über das Land gesenkt und die Temperaturen waren gefallen.
Als Iris den Kopf drehte, erblickte sie allerdings Hütten, in denen auch Licht schien.
„Sind wir in Terrassa?“, fragte sie Hector, als dieser ausstieg.
Er nickte.
„Und wo wohnt diese Chiara jetzt?“
„Weiß ich doch nicht!“, brummte der Gangster unfreundlich.
Der Rest ihrer Gruppe stieg ebenfalls aus, um sich die Beine zu vertreten. Iris blies ein letztes Mal in ihre kalten Hände und folgte ihnen.
Hector marschierte auf das erste Haus zu, klopfte und brüllte etwas. Es dauerte eine Weile, bis ein recht verschreckt wirkender Mann aufmachte. Hector ließ eine wahre Flut an Spanisch auf ihn los, aus der Iris nur unter Mühe den Namen Moretti herausfiltern konnte.
Der Mann zuckte mit den Schultern und hob abwehrend die Hände.
Hector packte ihn fester und zerrte ihn fast nach draußen. „Dónde?“
„He!“, rief Fernando und versuchte offenbar, Hector zu beruhigen. Der schnaubte, stieg den Mann so grob ins Haus, dass er auf dem Hosenboden landete, und marschierte zum nächsten Haus.
„Was ist?“, fragte Iris Felipe.
Er sah zu ihr auf und antwortete leise. „Die wissen nicht, wo sie wohnt.“
„Ist ja auch kein Wunder.“ Iris sah auf die Vielzahl an Hütten. Dieses Dorf schien die Katastrophen weitestgehend überlebt zu haben, jedenfalls gab es keine gewaltige Spur der Verwüstung – außer jener, die Hector zu ziehen begann.
„Will er jetzt jeden einzelnen Menschen hier nach Chiara fragen?“
Felipe zuckte unsicher mit den Schultern. „Vermutlich macht er das.“
„Was sollen wir sonst tun?“, mischte sich Mateo ein. „Das Benzin reicht nicht mehr besonders weit.“
Hector war an der zweiten Tür abgewiesen wurden und brüllte seinen Leuten etwas zu.
„Was sagt er?“, fragte Iris.
„Wir sollen ihm helfen. Bleibst du beim Wagen?“, bat Mateo. „Du kannst eh kein Spanisch.“
„Mache ich. Versucht, nicht alle Leute in Panik zu versetzen.“
Felipe und Mateo marschierten los, aber Fernando zögerte. „Passt du auf Lina …?“
„Vergiss es, ich bin doch kein Babysitter!“ Iris schnaubte.
Fernando versuchte, sie mit einem flehenden Blick zu erweichen.
„Du hast sie mitgenommen, sie ist dein Problem.“ Dackelblicke hatten bei Iris noch nie gezogen.
Fernando warf ihr einen bösen Blick zu, packte das Kind in eine Wolldecke und ging in eine Seitengasse, um dort an die Häuser zu klingeln. Von ihrer Position aus sah Iris eindrucksvoll die Unterschiede darin, wer sturm klingelte (Hector) und wer höflich wartete, bis die Tür geöffnet wurde (die Anderen).
Nach einer Weile ertönte ein hohes Quietschen, als eine junge Frau Fernando die Tür öffnete und das Kind erblickte, worauf sie ihn offenbar mit Fragen löcherte, dann kurz ging und mit einem Kindersitz zurückkehrte.
Als Iris den Blick von der Szene löste, sah sie Hector schlecht gelaunt auf sich zu kommen. Er ließ sich wortlos auf den Beifahrersitz fallen und hupte, damit die Anderen zurückkamen.
Im ersten Stock eines der Häuser ging ein Fenster auf und eine Frau brüllte etwas, das vermutlich mit Ruhestörungen zu tun hatte. Ohne hinzusehen zog Hector eine Knarre und schoss. Er verfehlte die Frau, aber das war die letzte Beschwerde.
Die drei Männer kehrten zurück, Fernando mit einem abgewetzten Kindersitz unter dem Arm.
„Sie wohnt in Mataro“, sagte Hector auf Deutsch.
Die Gangster fluchten.
„Dann brauchen wir neues Benzin“, sagte Mateo ruhig.
Fernando begann, den Kindersitz hinten zu installieren. Felipe zog einen Schlauch hervor und Iris warf den Männern den leeren Kanister zu.
„Hier sind genug Autos“, sagte Felipe achselzuckend.
„Beeil dich“, knurrte Hector und zog eine Tüte aus seiner Tasche, die ein weißes Pulver enthielt. Iris war sich relativ sicher, dass es kein Weizenmehl war.
Felipe und Mateo starrten ihren neuen Anführer entgeistert an.
~*~
Der Rückweg war genauso furchtbar, wie Ruben sich das vorgestellt hatte. Es ging über große Findlinge und Geröll, das unter ihren Füßen nachgab. Seine Knöchel pochten, weil er inzwischen so oft umgeknickt war.
Trotzdem wagte er nicht, sich zu beschweren. Dass sie Daniel gefunden hatten, war ein Wunder, dessen Zauber er nicht mit irgendwelchem Gejammer mindern wollte. Wie sollte das denn auch aussehen? ‚Hallo Gott, danke, dass du meinen Bruder gerettet hast, und jetzt mach bitte den Weg hier leichter‘?
Nein, der beschwerliche Weg war eine Prüfung gewesen, und Daniel zu finden der Lohn. Ruben war fest davon überzeugt und fragte sich unwillkürlich, ob ihm für den Rückweg vielleicht ein besonderes Festessen bevorstand. Immerhin hatte er letztens eine Portion verschenkt, da hätte er es sicherlich verdient, über eine Kiste Schokolade zu stolpern …?
„Du siehst müde aus“, stellte Daniel fest.
Ruben sah auf und schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass das mein normales Gesicht ist, das kann ich nicht ändern.“
„Sollen wir eine Pause machen?“, bot Daniel trotzdem an.
Ruben war jedoch etwas zu stolz, um sich von seinem verletzten Freund bemuttern zu lassen. „Wir sollten bald da sein.“
„Das ist eben sehr … ähh … weird.“ Ethan war stehengeblieben und die beiden Zeugen taten es ihm gleich. „Kein Rauch.“
Der Amerikaner deutete nach vorne. Dort lag, die Schatten von der Nachmittagssonne in die Länge gezogen, der Strand. Die Trümmer auf dem Sand waren unverkennbar, wenngleich das Lager selbst noch hinter Gebüsch verborgen war. Es mochten noch fünf Kilometer oder so sein, die vor ihnen lagen. Der Strand beschrieb hier einen leichten Bogen, dem sie folgen würden, um nicht über einen Hang aus Geröll und Brombeeren klettern zu müssen.
Nun sah Ruben auch, was Ethan irritierte. Normalerweise brannten immer einige Feuer im Lager, um Wärme zu spenden. Auch in der Küche würden die Teams nun langsam beginnen, Speisen warm zu machen. Doch es war kein Rauch zu sehen, der Himmel war klar.
„Es war tagsüber sehr warm“, überlegte Ruben. „Vielleicht wollten sie Holz sparen.“
„Holz ist so ziemlich das Einzige, was wir nicht sparen müssen“, entgegnete Ethan und schüttelte den Kopf. „I don’t like this.“
„Was ist denn los?“, fragte Daniel.
„Da vorne müsste unser Lager sein, aber es sieht verlassen aus“, erklärte Ruben.
„Let’s go“, murmelte Ethan. „Aber vorsichtig.“
Sie begaben sich näher zum Strand, wo das Meer dank der Ebbe offenbar zurückwich. Nach einigen weiteren Kilometern huschen sie in die Deckung einiger niedriger Sträucher.
„Ich seh mir das mal an“, entschied Ethan. „Bleibt hier.“
Ruben würde gerne den Mut fassen, mitzukommen, doch er nickte nur stumm. Sein Magen grummelte inzwischen, seine Füße taten weh und der Verwand, auf Daniel aufzupassen, bot ihm die willkommene Gelegenheit, sich nun doch auszuruhen.
„Was denkst du, ist da los?“, fragte Daniel, als Ethan leise weiterging.
„Sie haben bestimmt nur noch nicht begonnen, die Feuer zu entzünden.“ Ruben wollte sich seine Vorstellung von köstlichem Essen, das sie erwartete, nicht nehmen lassen. Mit einem leisen Ächzen ließ er sich auf den Steinen nieder. Sie waren zwar aufgewärmt von der Sonne, doch bereits jetzt wurde es langsam kühler. Der Wind vom Meer ließ Ruben frösteln. „Was soll sonst schon passiert sein? Vielleicht ist auch ein Rettungsteam aufgetaucht und wir werden endlich abgeholt.“
„Oder sie wurden abgeholt und haben uns vergessen.“
Ruben starrte Daniel entgeistert an. „Das würden sie nicht machen.“
„Vertrauen wir auf den Herrn“, schlug Daniel vor und Ruben nickte.
~*~
Mit vorsichtigen Schritten wagte Ethan sich immer weiter vor. Der Wind strich über seine Haut, durch sein Haar und durch die Blätter der Büsche, deren Rascheln wie verstohlenes Geflüster klang. Die Stille war lähmend und erinnerte ihn trotz aller Unterschiede an die leere Wohnung, nachdem Keelan gegangen war.
Er war allein gewesen, umringt von den Geistern ihres gemeinsamen Lebens. Hier dagegen …
Er erwartete halb, ein Feld voller Leichen zu erblicken, als er um die Ecke bog. Vielleicht war es die verrückte Situation, die ihn so weit gebracht hatte, die Angst vor einem neuen Unglück.
Doch das Lager sah einfach nur leer aus. Auf den ersten Blick bemerkte er keine Spuren eines Kampfes, bis er einige umgeworfene Kisten bemerkte. Deren Inhalt, die Notrationen aus den Rettungsbooten, hatte sich im erdigen Sand verteilt.
„Hallo?“, rief Ethan. Er erhielt keine Angst und fröstelte. Suchend spähte er in die Zelte zu beiden Seiten des Trampelpfades. Drinnen sah er manchmal zerwühlte Decken. Hatten die Bewohner einfach am Morgen nicht aufgeräumt, oder hatte es auch hier Kämpfe gegeben? Oder deuteten die Zeichen vielmehr auf einen hastigen Aufbruch hin?
War es sein Schicksal, immer und immer wieder verlassen zu werden?
Eine Decke lag mitten auf der Erde. Ethan hob sie hoch. Einige schlammige Profile von Schuhsohlen verrieten ihm, dass mehrere Leute auf den Stoff getreten waren.
Was war geschehen? Er grübelte verzweifelt. Hatten die Anderen fliehen müssen? Vielleicht, weil ein Tsunami nahte? Oder weil in der Nähe Giftgas austrat? Waren Retter gekommen? Aber wieso hätten diese nicht warten können, bis auch alle Suchtrupps zurück waren?
Plötzlich hörte er Schritte. Instinktiv rannte er hinter einer der größeren Zelte, die als offizielle Gebäude herhielten. Dieses war das Lager, vor dem auch die umgekippte Kiste lag.
„Leute?“, brüllte jemand. „Scheint noch keiner da zu sein.“
„Ich hab gesagt, das war noch nicht weit genug weg“, meckerte ein zweiter Mann. „Die können den Rückweg noch finden.2
„Vor allem konnten wir den Rückweg noch finden!“, grollte der Erste. „Und scheiße, ich hab Hunger und es ist arschkalt. Lasst uns Feuer machen, dann freut sich Camillo.“
Ethan hielt die Luft an. Die Stimmen der beiden Männer waren aggressiv. Die erste hatte er außerdem erkannt – das war der Mann, der ihm auf der unglückseligen Jagd beobachtet hatte. Dem wollte er wirklich nicht vor die Augen treten.
Ob er sich noch an Ethan erinnern konnte?
Aber viel mehr interessierte ihn, was die Aussagen der Männer zu bedeuten hatten. Wo waren sie gewesen? Wer oder was war ‚nicht weit genug‘?
In ihm keimte ein schrecklicher Verdacht.
„Was machen wir eigentlich mit den ganzen Zelten?“, fragte eine Frau. Den Geräuschen nach waren es eine ganze Handvoll Menschen, die ins Lager zurückgekehrt waren.
„Ausräumen. Wir nehmen uns die größten und alles an Vorräten. Ist ja niemand mehr da, der sich beschweren könnte.“ Die Antwort kam vom ersten Mann, der dreckig lachte.
Ethan schluckte. Ganz, wie er es befürchtet hatte: Die Gruppe hatte die anderen Schiffbrüchigen offenbar verschleppt, deshalb die Kampfspuren. Nun waren die Anderen irgendwohin gebracht worden, vermutlich gefesselt, während die Sieger das Lager für sich beanspruchten.
Das war verrückt. Er überlegte verzweifelt, was er tun sollte.
~*~
Mit reiner Willenskraft schleppte er sich auch die letzte Strecke und erreichte das Dorf. Es war mitten in der Nacht, kein Licht brannte. Immerhin war es kühl, die Sonne schien nicht länger unbarmherzig vom Himmel. Doch in seinem erschöpften Zustand konnte sich Gordon auch darüber nicht mehr freuen.
Niemand war unterwegs – warum sollten die Menschen auch noch wach sein? Er zögerte einen Moment, dann überwand er sich und trat zum erstbesten Haus, um zu klopfen.
Erstaunlicherweise wurde die Tür keine Minute später von einer Frau geöffnet, die Jeans und T-Shirt statt Nachthemd trug und nicht besonders verschlafen wirkte.
„Entschuldigung …“, murmelte Gordon, „ich möchte wirklich nicht stören, aber …“
Die Frau antwortete ihm in fließendem Italienisch. Er verstand kein Wort, aber sie lächelte breit, ergriff seine Hand und zog ihn hinein. Sie war weißhaarig und gebeugt, aber erstaunlich flink in ihren Pantoffeln. Im Inneren erwarteten Gordon plüschbezogene Möbel, altmodische Lampen und ungleiche Stühle. Alles wirkte wie über Jahrzehnte hinweg vom Sperrmüll gemopst.
Mit einer Ausnahme: Auf einem großen Tisch lag ein Haufen, der direkt aus dem Müll zu stammen schien. Schrauben, Metallreste und Drähte ragten wie Knochen und Sehnen aus dem geschlachteten Kadaver irgendeiner Maschine.
Gordon blieb stehen. Das Großmütterchen ging unter beständigem Redefluss weiter in die Küche und werkelte dort herum. Dann hörte er sie Englisch sprechen.
„Where are you from, dear?“
„M-madagaskar“, antwortete er.
Die alte Frau schlurfte in die Küchentür und musterte ihn erstaunt. „Wie bist du hier gelandet?“, fragte sie in gebrochenem Englisch.
In knappen Worten erzählte er vom Schiffbruch.
„Hast du Hunger? Ich mache uns eben was. Dann kannst du dich hier ausruhen.“ Die Frau schien sich über Gordons Erscheinen zu freuen. „Da draußen ist ja die Hölle los.“
~*~
Keelans Hände zitterten. Ihre Haut prickelte mit einer Mischung aus Panik und Wut. Ein Teil von ihr war zornig genug, um Markus auf der Straße verrecken zu lassen, dafür, dass er so ein irrsinniger Dummkopf war.
Aber das konnte sie natürlich nicht machen. Ratlos sah sie das verlassene Haus an. Wie sollte sie hineinkommen …?
Sie hob die Fußmatte an. Darunter war nichts. Sie hob den Blumentopf neben der Tür an, in dem einige vertrocknete Blüten vor sich hin starben.
„Da bist du!“, begrüßte sie den Schlüssel. In ein Tütchen eingepackt, das ihn vor der Witterung schützen sollte, lag er in dem mit Erde verschmierten Abdruck des Topfes.
Keelan stellte den Blumentopf an die Seite, riss den Schlüssel an sich und begann, ihn ungeduldig aus dem Tütchen zu schütteln. Dann probierte sie die Tür aus …
„Verdammter Mist!“ Der Schlüssel passte nicht. Sie schloss die Faust darum. Die kalten, kleinen Kanten schnitten in ihre Finger. Ganz schwach konnte sie Markus‘ Husten hören. Oder war das Lucas‘ Asthma? Egal, sie musste rasch handeln.
Die Hintertür! Keelan rannte über den Rasen, der einen breiten Streifen rings um das Haus bildete. Ein malerischer Bogen, bewachsen mit Rosen, bildete den Durchgang zum Hintergarten. Sie bemerkte eine weiße Vogeltränke, Blumenbeete, einen Schuppen und einen Wintergarten mit Grill, doch sie ignorierte das alles. Hinten gab es eine weiße Terrassentür mit abblätterndem Lack. Hier passte der Schlüssel und Keelan stolperte erleichtert ins Innere. Durch eine offene Tür konnte sie die Küche sehen. Dort riss sie mehrere Schranktüren auf, bis sie ein Glas fand, und hielt es unter den Wasserhahn.
Nichts geschah. Wie erstarrt sah Keelan auf den Metallhahn. Was zur Hölle …?
Dann, mit einiger Verspätung, hustete der Wasserhahn doch etwas Flüssigkeit aus und Keelan stieß den angehaltenen Atem zwischen den Zähnen hindurch.
Sie drehte den Hahn ab und rannte mit dem Glas zur Vordertür, ohne ihre Umgebung groß zu beachten. Die Haustür war abgeschlossen, doch der Schlüssel steckte von Innen im Schloss. Sie rannte zurück zu Markus und Lucas.
Inzwischen war Markus immerhin wieder auf den Beinen. Auf den kleineren Lucas gestützt wankte er Keelan entgegen.
„Hier.“ Atemlos reichte sie ihm das Glas. Er stürzte es herunter. „Besser?“
„Danke“, brauchte Markus keuchend hervor.
Keelan stellte sich auf seine andere Seite und halt Lucas, den Kranken bis zum Haus zu bugsieren. Drinnen wehte ein scharfer Windzug von der offenen Terrassentür bis zur Haustür. Keelan brachte Markus ins Wohnzimmer auf ein altes Ledersofa. Lucas schloss beide Türen und ließ sich keuchend auf den Boden sinken. Er rang mit aller Kraft um Luft.
„Bist du okay?“, fragte sie.
Lucas nickte und winkte ab. Sie verstand. Markus hatte Vorrang.
Leider wusste Keelan nicht, was sie tun sollte. Ratlos durchsuchte sie die Küche, doch im Haus waren fast keine Vorräte. Ein bisschen Zucker und Salz fand sie, aber da das Haus monatelang leerstand, wurden hier keine verderblichen Sachen oder gar Medizin gelagert.
Was also sollte sie gegen eine vermutete Schimmelpilzvergiftung ausrichten?
Sie sah sich um und ihr Blick fiel auf den Router im Flur. Das war es! Vielleicht würde sie hier endlich Internetzugriff haben.
Eilig suchte sie ihre Tasche, die sie ebenfalls im Flur vorfand, holte ihren Laptop heraus und fuhr ihn hoch.
Er war natürlich nicht aufgeladen, doch in ihrem Gepäck befand sich auch ein Stromkabel. Sie steckte es ein und hoffte auf das Beste.
Die Leuchte neben dem Kabel blinkte auf.
Während der Laptop lud, kehrte Keelan ins Wohnzimmer zurück. Mit Kissen und zwei Decken machte sie es Markus auf dem Sofa bequemer. Sie brachte ihm ein zweites Glas Wasser und einen Eimer, den sie im Schrank entdeckt hatte, dann sah sie ihre Pflicht erst einmal erfüllt. Das ganze Chaos hier wäre immerhin nicht nötig gewesen, wenn er seinen Stolz heruntergeschluckt und vorher etwas gesagt hatte. Sowohl zu der Vergiftung als auch, als er gemerkt hatte, dass er sich auf der Suche nach dem Haus verlaufen hatte.
Lucas erholte sich von der Asthmaattacke und begann, das Haus zu durchsuchen. Keelan hockte sich im Schneidersitz vor die Steckdose und fuhr ihren Laptop hoch.
Dann versuchte sie, ins Wlan zu gelangen, doch es war passwortgesichert.
„Kennst du das Passwort?“, fragte sie Markus.
Ein gequältes Stöhnen antwortete ihr, ehe er eine Reihe aus Zahlen und Buchstaben nannte. „Glaube ich jedenfalls. Ich hoffe, sie haben es nicht geändert.“
Keelan tippte das Passwort ein. „Es klappt.“
Sie öffnete den Browser, aber noch bevor sie Vergiftungssymptome googeln konnte, wurde sie von einem Pop-Up begrüßt.
„Was soll das denn?“ Sie runzelte die Stirn und wollte das Fenster schließen – ehe sie beim flüchtigen Überlesen wahrnahm, dass es eine Katastrophenwarnung war.
Statt auf das rote X klickte sie auf „Mehr Infos.“
„Und?“, fragte Markus nach einer Weile. „Hast du was?“
„Nein, ich …“ Sie scrollte noch immer über die verschiedenen Meldungen. Ab und zu gab es vereinzelte Karten. Eingezeichnet waren Sturmzentren, Erdbeben, es gab Tabellen mit den Zahlen der Toten, doch diese waren alle bereits einige Tage alt. Die offiziellen Berichte wurden immer seltener, je aktueller die Meldungen waren. Die neusten Berichte waren fast alle chinesisch.
„Was ist?“, fragte Markus ungeduldig.
„Das hier ist schlimmer als wir dachten“, murmelte Keelan. „Die ganze Welt spielt verrückt.“
„Was meinst du?“ Sie hörte, wie Markus sich aufsetzte und gleich darauf würgte.
„Ich hab eine Seite gefunden“, berichtete sie. „Die haben hier alles mögliche zusammengetragen. Vermisste Schiffe. Flugzeugabstürze. Umweltkatastrophen. Alles davon ist innerhalb der letzten Woche passiert.“
„Warte mal …“
„Dass wir hier festsitzen liegt daran, dass die komplette Welt untergeht. Die meisten Flughäfen haben zu. Ganze Städte haben seit Tagen kein Lebenszeichen von sich gegeben. Offenbar gibt es auch nur noch einen einzigen Fernsehsender, der noch arbeitet, irgendeine amerikanische Talkshow.“
Sie hörte Schritte, als Lucas zu ihnen kam. Schweigend stand er im Flur und lauschte Keelan.
„Ich glaube, so leicht kommen wir nicht mehr nach Hause“, hauchte sie.