Gemeinsam standen sie auf dem Wehrgang, direkt oberhalb der Schmiede. Jos befand sich mit einem von Wolff angefertigten eisernen Gestell in seiner Werkstatt. Sechs hervorstehende Zapfen zu zwei Reihen zeigten voraus. Mit einem Durchmesser, ähnlich dem des kleinen Fingers und einer Zehntlänge trug er angefeuchteten Ton dünn auf. Die gesamte Konstruktion war so hergerichtet, dass diese vornüber in einen eigenst gemauerten Brennofen passte.
Mit dem Eimer und Si'mons Blut darin standen sie unschlüssig da und atmeten tief ein.
»Auf drei.«
Si'mon begann zu zählen und schüttete mit Schwung den Inhalt über die Brustwehr der Palisade. Kein Zittern der Beine, kein Grummeln des Bodens. Es geschah rein gar nichts.
»Es muss so sein, wie du sagtest. Dein Blut darf nicht zu lange mit der Luft in Berührung sein. So wie es fest wird und gerinnt, könnte es auch im Wasser an Wirkung verlieren.«
»Die Röhrchen. Wir werden eines mit meinem Blut und mit Alkohol verdünnt ausprobieren. Sobald es befüllt ist, müssen wir es sofort versiegeln. Mit ein paar gut gesonnenen Umständen können wir die Macht?« Ungläubig verzog er die Mine. »So bewahren.«
»Wenn der Plan aufgeht und dieser ist womöglich der Einzige.«
Es vergingen weitere Tageswenden, in denen der triste Alltag belanglos an ihnen vorüberging. Si'mon ritt mit einem kräftigen Zugpferd spiralförmig um den Weiler herum und zwang den Bann Länge um Länge zurückzuweichen. Die Anwohner fassten Mut und begannen auf den freien Flächen die reifen Ären zu ernten. In gelösten Momenten jedoch saß er am Grabe König Kilians, seinem Vater.
Jemand nährte sich. Niemand rief seinen Namen oder machte Anstalten sich bemerkbar zu machen. Lediglich das gedämpfte Getrappel verriet sein Wesen. Er hörte kein Wiehern gar schnaufen, welches auf ein Pferd hinweisen würde und lies ihn rätseln. Dennoch, er spürte dessen Aura und es kam beständig näher. Angespannt schloss er die Augen, so wie Ma'rit es ihn lehrte. Er öffnete seinen Geist und konzentrierte sich. Sein Atem ging ruhig und sein Gehör weitete sich. Immer näher trat das Tier heran. Kein verdächtiger laut eines Reiters drang in sein Ohr, auch nicht die typischen Geräusche eines gerittenen Pferdes und so war er sich sicher, es war keines von beiden. Langsam und ausgiebig sog er Luft in die Lungen, öffnete die Lieder und drehte sich zu dem hinter ihm wartenden herum.
Seine Augen weiteten sich, als er sah, was tatsächlich vor ihm mit einer unbeschreiblichen Eleganz, Stolz und wissendem Blick thronte. Es war ein ausgewachsener Hirsch, ein Zwölfender. Derselbe wie vor einigen Tageswenden im Wald, nahe dem Schlachtfeld.
Ohne Furcht richtete er sich auf und hegte die Absicht mit vorgehaltener rechter Hand dieses atemberaubende Tier zu berühren. In der Ferne erkannte er fünf Reiter, die sich im vollen Galopp nährten. Es waren kampferfahrene Senkenthals, welches er ihnen deutlich an der berittenen Haltung ansah. Mit seiner freien Linken winkte Si'mon und bedeutete ihnen auf Abstand zu bleiben. Ein besorgter Wachposten musste sie gerufen haben.
Der Hirsch senkte den massigen Kopf und trat einen Schritt voran, sodass er mit der Stirn seine flache Hand berührte. Er röhrte, hob wieder den Kopf und schnaubte ihm mitten ins Gesicht.
Si'mon zuckte unerwartet den Arm. »Schönen Dank auch«, erwiderte er und wischte sich mit dem Ärmel den Schnodder von der linken Wange.
Das Tier trat an ihn vorbei direkt an den Grabstein heran, ein Monolith mit eingemeißelten Worten.
›Hier ruht in Stille unser aller Majestät. König Kilian. Gefallen im Gefecht zum Erhalt des Friedens gegen Horden unbekannter Herkunft und ungewissem Sinnen.‹
Es schien, als küsse der Hirsch den Stein, alsdann er erneut Si'mons Blick suchte und sich mit einem kraftvollem Sprung Richtung Wald entfernte. Gebannt verfolgte der Junge seinen Weg.