Etwas rührte sich neben ihm. Unruhig und ganz nah war es. Ein buschiger Schwanz wedelte kitzelnd über sein Gesicht und so konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Piwik.« Seine Gedanken klärten sich im selben Moment, als er den Namen aussprach. Hastig richtete er sich auf und sah sich um. Es dämmerte bereits und das Feuer war vollkommen heruntergebrannt. Konzentriert versuchte er die Grenzen des grauen Bannes, vom Abend zuvor, rückzuverfolgen. Er vergewisserte sich aufs Neue mit demselben Ergebnis. Alanel behielt Recht, es zog sich langsam aber beharrlich zurück.
Je länger Du an einem Ort verweilst, desto weiter entfernt es sich von dir und beständiger wird Gaya. Die Natur bezieht ihre Energie aus der Sonne, nur dank derer wärmenden Strahlen besteht das Leben und du bist es, dem es obliegt, diese zu befreien.
Er richtete sich vollends auf und schaute hinab auf einen vor ihm liegenden Rucksack. Ohne dessen Inhalt zu überprüfen, rollte er seine Decke zusammen, stopfte diese hinein und schulterte ihn. Mithrodin, sein Schwert, sein Erbe, dass Zeichen seiner Herkunft, befestigte er an seine linke Hüfte, um es als Rechtshänder rasch parat zu haben.
Piwik rappelte sich, kletterte in den Rucksack und lugte aus einer Falte hervor. Wehleidig sah er zurück zu seinem Lagerplatz und verließ die schützende Senke. Alanel war seit Langem fort und ein Wiedersehen nicht gewiss. Er rückte seine geschulterte Last zurecht, prustete lautstark und hielt sich westlich, stetig am Hang entlang. »Dann mal Los.«
Anstatt strotzendes Leben, welches man in einem Wald zu erwarten mochte, umgab ihn eine unheimliche Stille. Sein Gehör war nicht so feinfühlig wie das seiner lynkischen Verwandten, obgleich vernahm er Laute deutlicher und früher, als es das der Menschen wahrzunehmen vermochte. Dennoch, dieser Wald gab außer seinen eigenen Geräuschen keinen Klang von sich.
Zum unzähligsten Male blickte Si'mon zurück und verfolgte seinen gegangenen Weg. Ohne die Schneise zu vermessen, schätzte er diese auf beinahe eine Länge in der Breite. Sonnenstrahlen die sich auf dem Boden brachen zauberten bunte Bilder und das Auge vernahm die Vielfalt an waldtypischen Farben. Verschiedenste Abwandlungen von Braun, Grün, Rot und silbrig Grau? Etwas blitzte im Schein der Sonne.
Er verzog die Brauen, griff nach einem kräftig aussehenden Stock neben sich und stocherte im Erdreich herum. Vorsichtig schob er Blätter, Reisig und losen Boden beiseite. Er schluckte, kniete nieder und verharrte mit der flach ausgestreckten linken Hand.
Unwillig aber mit einer Art zwanghaften Inbrunst begann er die gefundene Stelle frei zu wischen. Aufmerksam besah er sein Umfeld. Nachdem er wusste, worauf er zu achten galt, bemerkte er die Unebenheiten überall um ihn herum. Es waren Überreste Gefallener aus einer längst vergangenen Epoche. Jener, in derer die Menschen den Lynken wie Lynkas halfen ihr Heil in der Flucht zu suchen. Irgendwo, nahe seiner Position, musste das letzte Aufbäumen stattgefunden haben.
Seine Lippen bebten und sein Kinn begann zu zittern. Auch sein Vater, König der Menschen, sollte in der Nähe zu finden sein. Er erinnerte sich an unhaltbare Kleinigkeiten aus seinen Träumen, aber nichts davon schien ihnen zu ähneln - es waren bereits zu viele Jahreswenden vergangen.
Er stand inmitten eines gewaltigen Schlachtfeldes und er war sich gewiss, dass dieser Bann nur Lebendes erstarren lassen konnte. Totes hingegen war an den üblichen Abläufen der Gezeiten gebunden. Dies bestätigten ihm die unbeschreiblich vielen Stätten des Todes, deren Überreste nur weniger als eine Zehntlänge unter der Erde moderten.
Etwas knackte und riss ihn abrupt aus den Gedanken. Erschrocken fuhr er mit der Rechten zu Mithrodin und drehte sich bedächtig um die eigene Achse. Mit der linken Hand behielt er am Boden das Gleichgewicht. Er zwang sich kontrolliert langsam und ruhig zu atmen. Da, wieder das brechen eines Zweiges. Diesmal konnte er die Richtung erahnen, aus derer das Geräusch an sein Gehör drang. Aus dem Augenwinkel bemerkte er einen leicht goldenen Schimmer, welcher seine am Boden gehaltene Hand umgab, beachtete jedoch konzentriert den Verlauf seines gekommenen Weges.
Seine Lippen begannen sich zu öffnen und verzogen sich zeitgleich zu einem Lächeln. Seine Augen strahlten vor freudigem Glück, als er den Ursprung des Lauts erspähte.
Erst schienen sich Äste zu bewegen, weswegen er den Griff des Mithrodin fester umschlang. Dann jedoch folgte dem Geäst der Kopf eines Tieres, welches vorsichtig einen Schritt nach dem anderen tat. Es hob witternd die Nase in seine Richtung, obwohl noch einige Längen sie voneinander trennten, trafen sich ihre Blicke - Auge in Auge.
Das Maul des Hirsches öffnete sich zu einem vernehmlich leisen röhrenden Laut. Er blickte besseren Wissens hinab auf seine golden schimmernde Hand und glaubte eine weibliche Stimme im Geiste klingen zu hören. »Erwachen. Es hat begonnen. Jener, geboren aus Geschlechtern zweierlei Geblüts wird heilen die Male.« Die Tonfolge wurde flüsternd, einem Hauch gleich aber die letzten Worte hallten in seinen Gedanken wieder. »Du bist Si'mon.«