Allen Göttern sei Dank. Da saß er. Brav wie ein wohl erzogenes Kind. Vereinzelt stoben grobe längliche Späne aber auch mehrere Kleine seitlich von ihm davon. Selbst für einen halbwegs Begabten schien es ersichtlich, dass der Junge schnitzte. Er bekam gar nicht mit, wie er sich ihm näherte, so vertieft war er in seiner Tätigkeit.
Der Karren schaukelte einmal recht kräftig, als Ighert sich auf das Trittbrett schwang und mit einem Satz auf dem Bock saß. Sein Lächeln wirkte gepresst und eigenartig fehl, dennoch nahm es Arryn ihm nicht übel. Seine Aufmerksamkeit galt dem Holzstück, welches er bearbeitete.
»Da bist du ja wieder«, bemerkte er nüchtern. Sein Blick nach wie vor auf dem geheftet, was er tat.
»Halt dich fest, wir fahren weiter.«
Es entging dem Jungen nicht, das sein Großvater seltsam gehetzt wirkte. Man sah es ihm möglicherweise nicht an, vermochte er doch so einiges zu verbergen aber Arryn spürte es. Er bemerkte oftmals, wenn sich jemand in seiner Nähe unwohl fühlte. »Hast du herausfinden können, was dein alter Freund behauptet?«
»Arryn. Junge. Bitte sei nicht immer so ...«, merklich suchte sein Großvater nach dem passenden Wort. Ausgerechnet sein Enkel half nach keinen drei Atemzügen nach. »Vorlaut? Erwachsen?«
Ighert konnte nun doch ein Schmunzeln, begleitet eines Grunzens, nicht unterdrücken. Wie gewohnt und oftmals als liebevolle Geste zu werten, wuschelte er ihm das Haar. »Ja, so in der Art. Ich frage mich immer wieder, wann du aufgehört hast, Kind zu sein.«
Arryn sah auf, hielt das Stück Holz auf und drehte es im Augenschein. »Ich bin ein Kind. Acht, wenn ich richtig mitgezählt habe.«
Der Karren fuhr bergan. Zurück, vermutlich in Richtung des umgrenzenden Walls. »Es ist hübsch«, beschied Ighert und legte seine Rechte auf das Knie des Jungen. »Ein Pferd?«
»Mmh. Ich glaube schon. Ich möchte es Mutter schenken, wenn es fertig ist.«
»Ein schöne Idee. Ich hoffe sehr, dass sie spürt, dass es von Herzen kommt.«
Anstatt sich in Traurigkeit zu hüllen, wie es immer wieder vorkam, wenn er über seine Mutter sprach, setzte er erneut sein Messer an. Faszinierend, wie geschickt ein kleiner Bengel, in solch jungen Jahren, mit der Klinge umzugehen weiß. Ighert entwich ein Seufzer. Er wusste, das Arryn besonders war. Er war nicht wie andere Achtjährige und würde niemals eine Kindheit genießen, wie diese es vermochten.
»Wohin fahren wir überhaupt?«
»Ich möchte einen weiteren Freund besuchen. Diesen habe ich seit beinahe zwei Jahren nicht mehr gesehen.«
»Du hast viele alte Freunde lange nicht mehr gesehen, stimmt's?«
Aus den Augenwinkeln schaute er hinüber zu seinem Enkel, der wiederum aus den seinen ihn beobachtete. Als sich ihre Blicke trafen, mussten beide lachen. Bevor die Hand des Bogners abermals das Haar des Jungen erreichte, wand dieser sich ab. »Sei ehrlich zu mir ja? Bin ich anstrengend? Besuchst du deswegen nicht mehr deine Freunde?«
Ighert bedurfte einiger Atemzüge, um sich der Tragweite jener Frage bewusstzuwerden. Selbstredend, es war und blieb eine immense Bürde. Aufgebaut auf einer Lüge, die außer ihm - wenn überhaupt - niemand zu beweisen in der Lage war. Warum ausgerechnet er? Egal was geschah oder geschehen würde. Niemals käme er dem nahe, dieses Geheimnis unerlaubt preiszugeben. Er schwor vor langer Zeit sein Leben für diesen zu geben, verlangte es die Situation. Er nickte und bekräftigte diese alte Verpflichtung. Sein Herz möge sofort aufhören zu schlagen, käme er dieser nicht mehr nach.
Arryn hingegen verstand das gesehene offensichtlich falsch. »Bitte? Ich bin anstrengend? Also eine Last?« Sichtlich empört über diese gedankenlose Gestik, schob er provokant die Lippen übereinander und verzog schmollend den Blick. »Großvater. Mal ehrlich«, schimpfte er gespielt. »Wie kannst du nur.«
Gescholtener schüttelte die trüben Gedanken beiseite, lachte herzlich und zog den Jungen in eine einarmige Umarmung. Mit der anderen führte er die Zügel. »Soll ich dir das Haar mit dem Kinn zerzausen?«
»Nein ... nein ...« Wieder eines Achtjährigen gleich, gackerte der Junge lebhaft und fröhlich. Bitte nicht ... nicht das. Alles aber nicht das ...«
»Ich habe dich so unendlich Lieb mein Junge. Ich bin Stolz auf dich. So Stolz, wie ein Großvater es nur sein kann.«
Arryn stak sein Schnitzmesser neben sich in die Holzbank und erwiderte die Umarmung. Er drückte so fest, wie seine Arme es erlaubten. »Danke.«
»Wofür?«
»Dass du für mich da bist.«