»Hier nimm junger ...« er stockte und behielt, was immer ihm auf der Zunge lag für sich. Ganz offensichtlich besann er sich noch gerade so eben. Anstatt weiter zu reden, führte er ihm die Zügel in die Hand und drückte ihm die Schulter. Fest, ja aber nicht so sehr, dass es ihm hätte wehtun können. Eigenartigerweise empfand es der Junge ... angenehm. Ganz so, als würde ein Bruder ihn besonnen anweisen. »Denke an die Worte deines Großvaters.«
Arryn nickte unterdessen und versuchte aus dem Antlitz des jungen Glaubensmannes klug zu werden. Er verlor sich in dessen makellosem Gesicht, schien es ihm doch so gänzlich anders - fremdartig.
»Was trug er dir auf«, verlangte er zu wissen. »Arryn. Besinne dich, es ist wichtig, hörst du?« Entgegen mahnenden Worten brachte der Knabe wiedermal nur ein nicht zu deutendes Nicken zu Stande. Dessen Augen fixierten das Gesicht seines gegenüber. Er suchte nach etwas, soviel konnte jener erahnen.
Sein Griff verstärkte sich und er rüttelte den Jungen. »Verflucht. Es wird umsonst gewesen sein. Alles, hörst du? Dein Großvater, Ighert! Arryn, reiß dich zusammen. Was hat der alte Bogner dir eingebläut?«
»Shalti?« Arryn schluckte und schüttelte sich, so als würde er sich aus einer Starre befreien. Er sah sich um; atmete tief ein und schloss die Augen. Eine Träne rann ihm aus dem linken Augenwinkel die Wange herab. »Großvater ...«
»Ja. Was trug er dir auf, sollst du tun«, bat der junge Mann ihn nun deutlich einvernehmlicher. Seine Stimme klang beinahe schüchtern.
Der Knabe nestelte unter seinem Hemd und förderte ein Medaillon hervor. Soweit er beurteilen konnte, dass liebste was sein Großvater sein Eigen nannte. Unübersehbar vibrierte seine rechte Wange, als er mit den Zähnen aufeinander mahlte. Stockend sog er tief Luft in die Lungen, hielt die Lider nach wie vor geschlossen. Seine Lippen bebten, als er innerlich nach seiner Bezugsperson rief.
Der jugendlich aussehende Glaubensmann versuchte es ein weiteres Mal. »Arryn ...«, flüsterte er und löste seinen Griff von dessen Schulter. Schlussendlich umfasste er lose die kindliche Hand.
»Ich soll zu diesem Berg reiten«, begann er sein Geheiß aufzusagen, hielt jedoch trauernd den Kopf gesenkt. Vermutlich glaubte er nicht eine Silbe von dem, was er gerade von sich gab. »Direkt dorthin. Keine Fragen stellen, keine Umwege nehmen und mich nicht aufhalten lassen. Großvater will Mutter holen und nachkommen. Dort möchte er dann sein Medaillon von mir wieder haben.« Den letzten Satz zwang er sich von den Lippen, entsprechend gepresst klang dieser in den Ohren des seltsamen Mannes, dennoch nickte dieser zustimmend.
»Arryn«, begann er. »Es ist ausgesprochen wichtig, dass du dich an diese Worte hältst, hörst du?«
»Aber ... warum darf ich nicht bleiben? Warum ...«
»Bitte Arryn. Schau. Dein Großvater überlässt dir die gute alte Shalty ...«
»Ja eben«, begann der Knabe aufzubegehren und unterbrach den Redner, der sich irgendwie benahm, als wolle er ihn unterrichten. »Großvater trennt sich nicht von ihr. Niemals. Irgendetwas ist passiert hier und du willst es mir nicht sagen.«
Die Wangen des Mannes zu seiner Seite zuckten. Arryn glaubte in dessen Augen etwas gesehen zu haben, was man in normalen Augen ansonsten nicht sehen würde. Er musste einer Täuschung auferlegen sein, geschuldet seiner Tränen. »Bitte. Ich möchte nicht alleine reiten. Ich möchte zu ihm«, begann er nunmehr zu betteln, doch dieser Mann nahe bei ihm schüttelte den Kopf.
»Junger He... Arryn. Bedenke, dass du niemals allein sein wirst. Auch wenn du dich so fühlst ... Du wirst es nicht sein, verstehst du das? Es ist wichtig, dass du nach Hort reitest. So schnell wie möglich. Dein Pferd ist bei dir und aus der Ferne wird man dich begleiten. Du hast also ausreichend Schutz, sodass dir nichts widerfährt.«
Arryn fasste sich, schniefte noch weitere zwei Mal und wischte sich sodann die Tränen aus dem Gesicht. »Ehrlich?«
Der Glaubensmann nickte und ... lächelte.
»Großvater sagt, ich muss dem Hauptmann der Wache etwas ausrichten.«
»Was sollst du ihm erzählen?« Die Frage klang aufrichtig wie neugierig zugleich.
Arryn rückte näher heran und sah sich um. »Die Gerechtigkeit verlange nach seinem Leben, das Übrige trachte danach.« Arryn entzog sich der Hand des jungen Mannes und lenkte Shalti mit leichtem Schenkeldruck. »Ich verlasse mich auf meinen Großvater. Sollte er nicht zu mir kommen, komme ich zu ihm. Zuvor jedoch besuche ich euch.«
Der junge Glaubensmann mit seinem makellosen Antlitz sollte recht einfach aufzufinden sein, beschloss er und ritt davon.
Dem Mann entging derweil nicht, dass es sich hierbei nicht um eine haltlose Drohung handle, sondern um ein Versprechen. Er war sich gewiss, dass der Knabe sein Wort halten und er ihn auf Hort antreffen würde. Mit dem Wissen, dass es eben so zutreffend sei, machte er sich auf. Es lag an ihm, dafür Sorge zu tragen, dass er heil zu dem Jungen gelange und nicht umgekehrt.
Es fühlte sich an, als schlüge ihm das Herz bis zum Halse. Seine Hände pochten und zitterten als wetteiferten sie. Das Atmen fiel ihm schwer, obwohl nicht seine Füße ihn bis zum Tor trugen, sondern ein agiler Brauner. »Danke alter Freund, ich bin noch rechtzeitig«, schalte es ihm in Gedanken.
Kaum dass das geliehene Pferd mit ihm um die Ecke schritt, änderte sich hingen seine Aussicht auf eine gütliche Fügung. Grollen, Getuschel und Gezänk.
»Was erhofft ihr wohl zu sein, Hauptmann? Verzeiht mir ... Hauptmann der Nordwacht.« Der Sprecher glaubte sich seiner äußerst sicher und provozierte. Dieser schien Baltha oder das, was er sagte, nicht akzeptieren zu wollen. »Der Bogner ist nicht hier und somit werden wir ihn suchen und finden.« »An einem Strick wird er hinter uns ...«
Ighert hörte bereits genug, um zu erahnen, dass sein einster Freund ihm den Hals zu retten gedachte. Das Schauspiel, das die Männer in ihren schwarzen Rüstungen vorführten, verstärkte nurmehr seine Gedanken. Der Orden war zurück und erstarkte. In Weiher schien dieser gefunden zu haben, wonach die Anhänger so viele Jahre lang suchten. Auf Hort sprach man nicht offen über solche Möglichkeiten, es wurde hingegen auch nicht dementiert oder bestritten. So vermessen war niemand der Ältesten. Ebenso in den Königreichen glaubte man hinter vorgehaltener Hand zu erahnen, dass selbst nach so langer Zeit sich Männer wie Frauen im Geheimen die Rückkehr des Ordens erhofften, gar vorbereiteten.
»Wenn euch nicht passt, dass ich und zehn meiner Männer den Bogner begleiten, dann rennt hinab zu eurem Herrn, ganz so, wie ein räudiger Köter es tun würde und hechelt nach Beistand. Wir werden euch auf dem gesamten Weg über zur Seite stehen, komme, was wolle.« Baltha sah auf, als er das Schnauben des nahenden Pferdes hörte, lächelte und zeigte auf. »Und da ist er auch schon. Also worin liegt euer verfluchtes Problem?«
Angesprochener zog die Lippen kraus. Die Nasenflügel des Mannes bebten und Ighert bemerkte die arbeitenden Muskeln unter dessen Lederharnisch. »Los. Wir haben keine Zeit zu vergeuden«, grollte der Mann maßregelnd. Dessen Kopf ruckte herum und auf seinem Pfiff folgend bewegten sich sechs in Schwarz gekleidete Soldaten.
Baltha und seine Leuten zogen sich gleichfalls in die Sättel und flankierten den Bogner, wobei der Hauptmann der Nordwacht sich in dessen unmittelbaren Nähe einreihte. »Gerade noch rechtzeitig alter Freund und nicht einen Atemzug zu Früh.«
»Was machst du hier?«
»Danke, dir auch. Wonach bitte sieht das aus? Wir begleiten dich und diesen üblen Haufen natürlich. Du glaubst doch wohl nicht allen Ernstes, dass ich dich allein mit diesen ...« Sein Kinn deutete auf die Vorausreitenden. »... Ausgeburten so mir nichts dir nichts davon lasse. Ich traue diesem Pack nicht weiter als mein Arm reicht.«
»Sie helfen mir. Ich benötige meine Werkzeuge.«
»Mmh. Natürlich.«
Ighert sah verstohlen zu jenem herüber, den er schon so viele Jahre lang kannte.
»Shalti ist flink wie der Wind, weißt du?«
»Was redet ihr da«, blaffte es von vorn. »Haltet gefälligst das Maul.«
»Verbiete es mir doch.« Dröhnte Baltha und wurde abfällig. »Wuff.«
»Dein kümmerliches Leben scheint dir wenig zu bedeuten ... Hauptmann.«
»Zumindest hause ich nicht in einer Hundehütte. Sonst noch Anmerkungen, die ich wissen sollte? Imposant wäre jetzt ein offenes Scharmützel.«
Die Worte, die der Mann voraus nunmehr sprach, blieb ihnen unverständlich aber das verhaltene Gelächter seiner Begleiter bedeutete allenfalls Unheilvolles.
»Ach Ighert, ich habe es dir doch gesagt, als du mit deinem Karren einfuhrst. Du wolltest ja nicht auf mich hören ...«
Lange ließ er die Worte sacken und brachte nach mehreren schweigenden Augenblicken gleichwohl seine Zustimmung.
»Dieser Jüngling von der Glaubenseinrichtung hat die Stadt bereits verlassen, weißt du? Womöglich sucht er sich eine Bleibe weiter im Norden. Dort soll es weniger Spießgesellen geben.«