Die ersten Laute, welche Arryns Ohren erreichten, klangen undeutlich. Was ein merkwürdiger Traum. Ich glaube, ich behalte ihn für mich. Großvater würde mich bestimmt auslachen. Der Junge fühlte sich behagen, ihm war wohlig warm und so kuschelte er sich nochmals ein.
Vorsichtig öffnete er erst das eine, dann das andere Auge. Das Zudeck rutschte ihm vom Kopf und legte sein Sichtfeld frei. Mit der rechten Hand zog er sich die Decke fest um die Schulter, hielt die Luft an und lauschte. Das ist nicht mein Lager. Das ist auch nicht mein Zuhause oder dass Großvaters ... Es war kein Traum.
Aufmerksam sah er sich um. Zumindest soweit, wie er erblicken konnte, ohne sich unnötig bemerkbar zu machen.
»Ich glaube, er ist wach«, flüsterte eine zierlich klingende Stimme. Arryn meinte, dass diese zu einem Mädchen gehöre.
Schwere Schritte näherten sich ihm. Schnell schloss er die Augen und tat, als schliefe er. Jemand beugte sich über ihn. Er spürte dessen Nähe und etwas, das sich anfühlte wie ... Behaglichkeit. »Mmh. Du könntest Recht haben.« Eine Hand legte sich auf seine Schulter und rüttelte ihn sanft. »Junge, wenn du schon vorgibst zu schlafen, solltest du deine Lider nicht bewegen. Blinzeln verrät dich.« Der Mann schien belustigt und keineswegs misstrauisch gar erbost. Mehr noch, seine Art zu sprechen, so auch seine Stimmfarbe, wirkte beruhigend auf ihn.
Arryn gab auf und drehte sich ihm zu. Jetzt erkannte er, dass er sich in einer ordentlich gebauten Hütte befand, welche ähnlich errichtet wie die seines Großvaters selbst. Deswegen wohl der erste desorientierte Eindruck.
»Na siehst du? Ist doch gar nicht so schlimm, oder?«
Anstatt zu antworten, verneinte Arryn nur kopfschüttelnd.
»Vater? Er hat bestimmt Hunger und schmutzig ist er auch.«
Der Mann zu seiner Seite richtete sich auf und nickte lächelnd. »Habe keine Furcht, wollten wir dich verspeisen, hätte wir dich ganz gewiss nicht zuvor in die Bettstatt meiner Tochter gebettet.« Sein Gesichtsausdruck bedeutete neben Gelassenheit auch das, was der Knabe am meisten schätzte - Ehrlichkeit.
»Wo ... wo bin ich?«
»Oh. Raya hör' nur. Der Junge kann reden«, freute sich der Mann, der sich von ihm entfernte und auf einen Platz an einem gedeckten Tisch wies.
»Komm Junge. Iss und trink. Während du dich stärkst, können wir gemeinsam unsere Fragen klären. Einverstanden?«
Die Tochter des sympathisch scheinenden Mannes warf dem offenen Kamin neue Nahrung zu. Knisternd zeugten die Flammen darin von fortwährendem Hunger. Arryn betrachtete von seinem Sitzplatz aus die züngelnden Flämmchen, die erst vorsichtig begannen das frische Holz zu erkunden, um sodann ihrem Gelüste nachzugehen.
»Gibt es dort, wo du herkommst, keine Mädchen?«
Arryn zog die Stirn kraus und sah zu dem Sprecher auf. Es war diesem offensichtlich, dass der Knabe nicht verstand. »Du beobachtest Raya doch?«
»Oh. Nein. Verzeiht mir bitte.« Ein entschuldigendes Lächeln umspielte des Jungen Züge und Raya sah verwundert herüber. Ihr rechtes Augenlied zuckte, als ihr Blick den Arryns traf. »Ich bin nur etwas ...«
»Verwirrt?« Der Mann, ihr Vater, hob die Brauen. »Junge ...«, begann dieser erneut und wurde nunmehr und unerwartet unterbrochen.
»Vater, er ist ein Junge, wie er heißt ... sollten wir ihn nicht Leiber erst danach fragen?«
Angesprochener gluckste und legte sich gedankenverloren eine Hand auf die Stirn. »Recht hast du meine Liebe. Du wirst deiner Mutter immer ähnlicher.« Er nickte unentwegt. »Du solltest uns verzeihen, anstatt danach zu bitten. Du musst wissen, dass es nicht sehr häufig vorkommt, dass sich hierhin jemand verirrt. Schon gar nicht ein Junge deines Alter. Wenn du erlaubst ...«
Tränen sammelten sich in den Augen des Knaben, als er begann zu begreifen. Dies war nicht sein Heim und er hatte auch nicht geträumt. Zuvor abgelenkt der wärmenden Flammen, drängte sich sein Bewusstsein zurück ins Hier und Jetzt. Er wusste, weder die junge Raya noch ihr Vater wollten ihm Böses und gemeinhin, hatte er wohl selber genügend Fragen.
Ein zweifelndes Grunzen erklang und eine große Hand legte sich auf seine eigenen, die er ineinander gefaltet hielt. »Oje, nicht weinen. Habe ich dich verängstigt?«
»N ... nein. Natürlich nicht.« Gab der Junge wehmütig zu verstehen. »Ich ... mein Name ist Arryn.«
»Arryn. Mmh.«
»Huhu Arryn«, rief Raya winkend vom Kamin herüber. Ihr Lächeln war Grundtief ehrlich und sie schien sich sichtlich zu freuen. »Der Name passt zu dir. Mir gefällt er, Vater.«
Ein Grienen huschte dem Knaben über die Lippen. Selten wurde er von Mädchen gelobt. Die, die er kannte oder welche ihn zu kennen glaubten, wollten mit ihm wenig, bis gar nichts zu tun haben. Was war bloß nicht richtig mit ihm ?
»Arryn?«
Angesprochener sah mit unterdrückten Tränen auf, wenngleich es aussah, als würden diese bereits wieder versiegen.
»Es war mitten in der Nacht, als sich deine Stute lautstark bemerkbar machte. Sie muss sich erheblich verausgabt haben, so schwach, wie sie wirkte. Dich von ihr herunter zu bekommen, erwies sich als gar nicht so einfach.«
»Ich ... ich verstehe nicht. Wo sind wir?«
»Du warst komplett durchgefroren und glaubten dich schon verloren. Unentwegt schob Raya dir neue heiße Steine unter das Zudeck. Sie war beinahe die gesamte Nacht über wach, weißt du? Sie scheint dich zu mögen, obwohl wir dich gar nicht kennen. Während meine Kleine über dich wachte, blieb ich im Stall.«
»Wie geht es Shalti?«
»Shalti?« Der Mann sah besorgt hinüber zu seiner Tochter. »Raya. Bitte geh und schau, ob es der Stute gut geht, ja?«
»Oh ja. Natürlich Vater.« Sie widersprach nicht einmal oder machte Anstalten die Weisung zu hinterfragen. Arryn hingegen war die Besorgnis aufgefallen.
»Nur um sicherzugehen. Du sagtest ... Shalti?« Der Blick des Mannes wirkte forschend. Warum sonst würde er seine Tochter nach draußen schicken?
Noch bevor der Achtjährige zu antworten vermochte, ertappte er sich dabei, wie seine Hand unter sein Oberteil wanderte.
Aus welchem Grund auch immer, seit dem er das Medaillon trug, fand er Trost und so etwas wie Mut darin. Vielleicht wollte er sich deshalb daran festhalten.
»Nun? Ich kenne eine Shalti und allen voran deren Eigentümer und das bist definitiv nicht du. Ich hatte die Nacht über bereits so eine merkwürdige Empfindung, das Tier zu kennen. Wer also, bei allen gütigen Geistern ... bist ... du?« Der Zeigefinger seiner rechten Hand tippte ihm dabei auf die Brust.
Als Arryn ihn weiterhin nur anstarrte und schwer zu schlucken schien, umgriff dessen Linke sein auf dem Tisch liegendes Handgelenk und hielt ihn an Ort und Stelle. Seine Rechte griff nach dem Band, welches um den Hals des Jungen hing und fischte heraus, was der Junge unter dem Oberteil umfasste.
»Das ist meins«, erbot sich Arryn und versuchte das Medaillon seines Großvaters erfolglos aus der Hand seines Gegenübers zu befreien. Dieser hielt es mit weit geöffneten Augen vor sich. Sämtliche Züge entwichen ihm aus dem Antlitz.
»Auf die nun folgenden Antworten bin ich mehr als nur gespannt.« Er gab den festen Griff frei, stand auf und setzte sich auf die Tischkante. Das bisweilen unberührte Essen schob er dem Jungen heran. »Also noch einmal. Niemand will dir Böses. Es wird vermutlich einen triftigen Grund geben, aus welchem du ausgerechnet hier her kamst.«
Arryns Schultern sackten in sich zusammen und sein Kopf senkte sich. Tränen tropften frei auf seinen Schoß.
»Junge«, begann der Mann erneut. »Wir können dir nicht helfen, wenn du nicht mit uns redest. »Wer bist du, wieso reitest du auf des Alten Pferd und was mich besonders interessiert ... wieso trägst du sein Medaillon?«