Die Sonne stand hoch und blendete. Der Tag versprach angenehm zu werden, nicht zu vergleichen mit der vergangenen durchwachsenen Nacht. Die Witterung zog ihrer Bahnen und wechselte die Besinnung von heiter bis schön nach schlecht zu entsetzlich gelaunt.
»Was ein weibisches Zetern. Erinnerte mich ein wenig an meine verblühte Liebe«, erklang es direkt neben ihm.
Feuchtigkeit spritzte ihm sodann ins Gesicht, welches er mit der hohlen Hand mürrisch fortwischte. »Baltha verflucht. Was soll der Unsinn?«
Angesprochener blieb ihm eine Antwort gar Abbitte schuldig. Stattdessen schüttelte er nochmals schwungvoll seine Pferdedecke, sodass sich weitere Wassertropfen daraus lösten. In dessen Gesicht lagen Züge reinster Belustigung und Schadenfreude. »Und abermals behielt ich Recht.«
»Was soll das nun wieder? Lass mich in Ruhe, Baltha. Ich habe andere Sorgen, als dein Gewäsch über Verflossene, die es vermutlich nie gab.«
Um sie herum schien niemand, bis auf dem Hauptmann der Nordwacht nach Schalk zu Mute. Ein jeder sah missgelaunt drein. Ihr Tross kam nicht einmal bis auf halbem Wege zum Dorf, als das Wetter umschlug und ihnen die Weiterreise unmöglich machte. Bis zu seinem Haus hätten sie kommen sollen. Werkzeuge und Arbeitsmaterialien aufladen, die Nacht dort verbringen und sobald der Tag anbrach zurück nach Weiher. So der Plan dieses Unbedarften in schwarzer Rüstung.
»Nun packt endlich zu und schiebt diesen Dreckskarren aus diesem Loch heraus, bevor ich euch vierteile!«
»Hör dir das gut an mein alter Freund.« Baltha hatte sich hinabgebeugt und half Ighert beim Zusammenpacken. »Sie helfen dir, ja?«
»Mhmmmm.«
»Hey! Hauptmann, lasst eure Männer antraben. Gemeinsam schaffen wir den Bock zurück auf den Weg.«
»Was denn, was denn? So zuvorkommend und bittend? Keine Unterschwelligkeiten, keine Drohungen?« Provokant wie gewohnt stand der Hauptmann der Nordwacht mit in den Hüften gestemmten Fäusten da und sah erneut belustigt drein. Er hob wissend den Blick, sodass sein Gegenüber es ihm nachtat. »Wollt ihr weiter rumtrollen oder endlich mit anfassen? Das Wetter hat umgeschlagen. Ihr hattet Recht und wir jetzt das Dilemma. Nun macht schon, ich kann euch ja schlecht befehlen.«
»Scharfsinnig erkannt, mein Lieber.«
Seine Hände gaben vor, jemanden scheuchen zu wollen. »Na los Jungs, packen wir mit an. Wäre doch gelacht, wenn wir des Bogners Gespann nicht wieder auf die Spur bekommen. Ist ja nicht so, dass wir es nicht gewohnt sind, anderen Leuten Unrat hinterherzuräumen.« Er schüttelte den Kopf. »Fünfzehn Muskelprotze und ein Großkotz gegen einen kleinen Karren.«
Widererwartend lachten seine Soldaten und zwei dazukommende klopften Ighert sogar auf die Schulter. »So ist er halt. Wundert euch nicht, Bogner.«
Ich weiß. Und wie ich das weiß. Nicht nur sein Mundwerk wird ihn eines Tages das Genick brechen. »Ich kenne ihn auch anders.«
»Ach ja?«
»Ja«, gestand er kleinlaut und zuckte mit den Wangen. Gänzlich anders. Er griff nach seiner Decke, schritt hinüber zum Karren und warf sein Kram auf die Ladefläche. Wenn das hier ein gutes Ende findet, drehe ich die den Hals um - alter Freund.
»So ein beschissenes Loch«, schimpfte einer der Männer in schwarz gehaltenem Leder. Es knarzte bei jedweder Anstrengung.
»Drück lieber, anstatt zu meckern. Wir haben euch doch gesagt, dass das Wetter umschlägt und wir in der Stadt bleiben sollten«, stöhnte ein Soldat Balthas mit vor Anspannung gerötetem Kopf. Er presste seinen Rücken an die Rückseite des Gespanns. Mit den Stiefeln glitt er an der seichten Steigung immer wieder aus.
»Halts Maul Mann. Dein Hauptmann trägt nicht weniger Schuld«, grollt ein weiterer.
Aus dem Augenwinkel beobachtete Ighert erst Baltha, dann diesen schwarzen Unterführer. Beide saßen auf Pferden und beobachtetn das Treiben vom befestigten Weg aus. Seitwärts wie auch im Rücken vernahm der alte Bogner nicht nur das Gemurre und Gestöhne der Männer. Nicht weniger Flüche und Anschuldigungen mit bevorstehenden Androhungen schwelgten darunter.
Wenn die Zwei nicht grundsätzlich gegensätzlicher Auffassung wären und ich es nicht besser wüsste ... sie könnten glatt verbrüdert sein. Baltha, wo auch immer du auftauchst ... Probleme bleiben nicht fern.
Da. Direkt voraus. Arryn schien es einer Täuschung gleich. Seit geglaubten Stunden irrten er und seine Begleiter seiner Ansicht nach durch ein Geflecht von Gängen und Kavernen. Konnte es sein? Waren sie endlich am Ziel?
Ständig umgeben vom Fackelschein, gänzlich ohne Himmel und natürlichem Licht, verlor er jegliches Zeitgefühl. Sein Magen rebellierte seit Langem und er versuchte diesen Umstand mit Dehnungen, Drehungen und abstrusen Geräuschen zu verbergen. Es war ihm unangenehm, zumal er zuvor gut aß.
Raya streckte gähnend die Arme von sich. »Oh. Hab' ich wirklich geschlafen? Wieder habe ich den spannenden Aufstieg verpasst.« Sie schob ihre Unterlippe vor und schmollte.
»Warst du schon oft auf dem Berg?«
»Auf Hort? Ja na klar. Was denkst du denn?«
Ihnen nährte sich jemand, der offensichtlich vorauslaufen wollte. Im Schein des Fackellichtes bemerkte Arryn, wie das gleichaltrige Mädchen neben ihm das Gesicht verzog und die Augen nach oben rollte. »Ich habe ja nur gefragt.«
»Und ich nur geantwortet.«
Was eine schrecklich verzogene Göre. »Entschuldige bitte, dass ich nicht so bewandert bin und vermutlich jemals sein werde, wie du es bist.«
»Tja.« Sie verschränkte ihre Arme vor der schmalen Brust und hob trotzig den Kopf. »So ist das halt als Bauernlümmel. So unwissend, wie du bist, wirst du wohl niemals einem richtigen Mädchen beiliegen.«
Was glaubt dieses Biest eigentlich, wer sie ist? Arryn beschloss sich nicht weiter um seine ungebetene Begleitung zu kümmern und sah nach vorn.
Spannendes vermisst. Was gab es da schon? Gänge, breit genug angelegt um drei Pferde nebeneinander herreiten zu lassen. Kavernen, so klein wie unser Abort oder so riesig wie Getreidefelder. Obwohl ... Arryn sah sich um und warf einen Blick zurück. Der Boden. Ja genau ... Der Boden in diesen großen Höhlen sah genau so aus! Sein Kinn schob sich von Links nach rechts und seine Lippen formten einen Kussmund. Wieder so ein Geheimnis? Ich werde wohl Fragen stellen müsse. Da oben wird schon jemand sein, der nicht so rotzig ist wie Raya.
»Na hoffentlich erwartest du jetzt nicht, dass ich die küsse.«
Überrumpelt schüttelte sich Arryn und sah zu Rya. Mit von ihm gestreckten Kopf saß sie da und musterte ihn. »Bitte?«
»Du bekommst sicherlich keinen Kuss von mir. Erst musst du schlauer werden. Viel schlauer und vor allem ...«
»Ähm.«
»Nichts ähm. Du bist ein Hänfling.« Sie hob eine der Gerten und drehte sie vor seinem Gesicht hin und her. »Dürr wie eine Weidenrute.«
Arryn antwortete nicht, hob verwundert die Brauen und sah abwechselnd zu ihr und nach vorn. Er konnte sich auf ihren Angriff seiner Person keinen Reim machen. Was habe ich ihr getan?
»Ja genau. Du bist dumm und dürr.« Jetzt rutschte sie auch noch eine handbreit von ihm fort. »Ja, ne. So kommst du mir nicht unter.«
Dumm? Dürr? Was redet sie da? Großvater hätte dir schon mehrfach den Hintern versohlt, soviel steht einmal fest. Wenn alle Mädchen so sind ... bah. Ich glaube, ich verstehe die Erwachsenen nicht.
Es klopfte an der Seitenwand ihres Fuhrwerkes. »Das ist der Bringer. Er geht sonst nie neben dem Karren her. Stetes bleibt er am hinteren Ende der Kolonne«, flüsterte Raya.
Arryn sah zu dem Mann herüber und erhielt von diesem ein freundliches Lächeln. Er nickte ihm zu. »Wir haben es gleich geschafft. Schau da vorn. Die Sonne steht hoch am Himmel und es scheint äußerst angenehm zu sein.«
»Wärmer als unten?«
»Ja. Deutlich. Auf Hort wird es niemals so richtig kalt. Das ist der Vorteil, den die Bewohner hier oben genießen.«
»Aber wie kann das sein?«
»Oh, vielleicht mag dir ja die überschlaue Raya erklären, wie es sich mit den Witterungen verhält? Man munkelt, dass die kleine Raya alles weiß oder so zumindest vorgibt zu wissen. Sie ist ein wenig überheblich und eingebildet weißt du?«
»Dass sage ich meinen Vater. Niemand darf so mit mir reden.« Und da war es wieder ... Das kleine trotzige Mädchen. Mit verschränkten Armen vor der Brust und Schmollmund sah sie stur gerade aus.
Abermals klopfte es. Diesmal nur nicht am Holz, sondern auf Arryns Knie. Der Bringer zwinkerte ihm zu. »Mein erstes Mal in diesen Gängen empfand ich auch als langweilig. Das einzige Licht entspringt unsrer Fackeln und man sieht überall nur dieses dreckige Grau. Belohnt wird man dann, wenn es so weit ist. Mit diesem Anblick.« Der Mann zeigte voraus. »Schau genau hin, Arryn.
Es schien ihm, als würden die hellen Strahlen der Sonne mit den Schleiern der Schatten um die Vorherrschaft ringen. Schlieren gleich umringten sie das Gestein. Schatten und Licht. Sie liebkosten einander, wissend, dass das eine oder dem anderen nicht sein konnte.
»Siehst du es?«
»Was soll er denn schon sehen ... den Höhlenausgang«, beschied Raya. »Pff. Männer.«
Die Stimme Arryns hingegen glich einem flüstern. »Ich sehe. Ich kann es wirklich sehen.«
Der Bringer nickte wissend.
»Was siehst du? Nun sag schon.«
»Nichts Raya. Wie du sagtest ... da ist nichts.«