GREGOR
„Danke mein Freund.“
„Herr Graf, das gehört zu meinen Aufgaben“, belehrt mich Markus mit leichtem Tadel, während er mir ein bauchiges Glas, gefüllt mit Blut, gekonnt auf einem Silbertablett, serviert.
Ein wenig snobistisch, ich weiß. Aber Markus ist gerne Butler und liebt solche kleinen Szenen, also lasse ich ihm den Gefallen.
Galant greife ich nach dem Getränk und nehme einen kleinen Schluck, ehe ich es zurückstelle. Mittlerweile bin ich vorsichtig geworden, was die Blutlieferungen aus Italien angeht, wenn wir auch seit einem halben Jahr keine schlechte Charge mehr hatten.
Das Problem liegt dabei am wenigsten an meinem Diener. Er bereitet immer alles perfekt vor.
So lässt er es sich nicht nehmen, meinen Lebenssaft langsam vollständig aufzutauen und erwärmt es erst im flüssigen Zustand auf etwa 42 Grad. Natürlich schonend im Wasserbad. Danach wandert er in einen Dekanter, um ein wenig zu atmen, bevor er es schließlich in ein bauchiges Rotweinglas umfüllt. Dann ist das Blut auch bis auf die optimale Trinktemperatur von 36 Grad abgekühlt.
Wie er das macht, weiß ich nicht, ob da seine Erfahrung ausreicht oder ob er wohlmöglich ein Thermometer verwendet. Zuzutrauen ist es ihm.
Von meiner Seite her müsste er nicht jedes Mal dieses Brimborium veranstalten.
In Ausnahmefällen geht das natürlich auch mit weniger Aufwand. Aber da Markus es so liebt, lasse ich ihn gerne gewähren.
Ich schließe die Augen und spüre, wie meine Lebensgeister erwachen. Die Trägheit verschwindet und alle Sinne schärfen sich.
Es soll ja Drogen geben, die bei Sterblichen zu einer gesteigerten Wachheit und Leistungsbereitschaft führen.
Bei uns ist es das Blut, welches wir brauchen, um überhaupt existieren zu können.
Auch ohne Etikett kann ich die Blutgruppe herausschmecken. 0, also die gängigste Variante. Der fehlende Rhesusfaktor hebt sich dagegen etwas vom Üblichen ab.
Wobei es „das Übliche“ strenggenommen gar nicht gibt. Jede hat einen individuellen Geschmackscocktail und dieser ist abhängig vom Träger und seiner augenblicklichen Verfassung, wenn auch durch die Lagerung vieles davon verloren geht und der Plastikgeschmack nur schwer zu ignorieren ist. Frisch getrunken ist nach wie vor unübertroffen. Daran ändert leider auch die aufwändigste Bemühung für die Zubereitung nichts.
Diese Problem besteht natürlich für alle Vampire. Deshalb bin ich sehr auf den Katalog gespannt, die mein Freund Herbert erwähnte und den er mir anlässlich meines Deutschlandbesuchs zeigen wird.
Auf hochwertigem Papier gedruckt, trägt dieser dicke Wälzer den schlichten Namen „BFD“, was so viel wie „Blut für dich“ heißt. Er zeigt bereitwillige Spender beiderlei Geschlechts in allen Alters- und Preisklassen in ganz Deutschland. Es gibt ihn nur auf altmodische Weise auf Papier – nicht online – und mein befreundetes Paar verbringt öfters den Abend damit, die Modelle mitsamt der Beschreibung durchzuforsten und bisweilen auch ein wenig zu lästern. Nicht umsonst hat dieses Werk den Untertitel „Der Vampir- Playboy für sie und ihn.“
Urheber dieses Werkes ist die finnische Firma „Blood Industries“, die gerade in Deutschland sehr aktiv ist. Aus einem kleinen Start-up – Unternehmen ist ein erfolgreicher Konzern entstanden, gegründet und geleitet von Meinesgleichen. Es wird viel Wert auf Diskretion und Qualität gelegt – die Spender verdienen gut, haben sich jedoch an strenge Vorgaben zu halten, die bis ins Privatleben hineinreichen. In einem längeren Vorstellungsgespräch wird austangiert, welchem Typus von Spender der Sterbliche entspricht und anhand dessen werden die Verhaltensregeln aufgestellt. Gewisse Dinge sind bei allen gleich – gesunde Ernährung und Sport – aber sonst gibt es erhebliche Unterschiede. Manche Vampire mögen Blut von sexuell enthaltsamen Menschen, wieder andere gefällt es, einen aktiveren Spender zu haben. Auch deshalb ist der Katalog so dick – nicht aufgrund der Vielzahl der potenziellen Spendern, nein. So viele sind es gar nicht. Neben mehreren Bildern wird jeder Kandidat auf mehreren Seiten ausführlich und detailliert beschrieben, die Lebensweise und sonstige Vorlieben. Nicht alle Dinge haben dabei Auswirkungen auf die Blutqualität – bei vielen geht es eher um die psychologische Komponente und Vorstellungen der Kunden. Von teuer bis unverschämt hochpreisig reicht hier die Spannbreite.
Man könnte meinen, dass dies ein Problem für die Geheimhaltung unserer Existenz sein könnte – ist es aber nicht. Die Probanden werden regelmäßig einer Gedankenbeeinflussung unterzogen, die es ihnen unmöglich macht, in Anwesenheit von Nichtwissenden über ihre Tätigkeit zu erzählen. Und auch einer möglichen Bindung zwischen Spender und Empfänger wird durch diese leichte „Gehirnwäsche“ entgegengewirkt. Ein aufwändiges Verfahren, welches eine regelmäßige Wiederholung benötigt und ein großes Können benötigt. Auch ein Grund, warum es billige Spender nicht gibt.
Woher ich das alles weiß? Von Herbert natürlich. Er hat mir davon schon mehrfach erzählt. Steht dies doch alles ausführlich auf den ersten Seiten des Katalogs beschrieben.
Deutschland ist in solchen Dingen einfach besser organisiert. Oder es liegt einfach an der Mentalität – scheinbar haben die Leute hier weniger Probleme mit einschränkenden Vorschriften als anderswo. Und eine Erklärung, warum die Firma hier so sehr erfolgreich ist und in anderen Ländern, wie Italien beispielsweise, erst gar nicht vertreten ist.
Aber egal was die Gründe sind - ich bin froh, dass die Nahrungsbeschaffung kein Problem darstellen wird. Dann hat es mein Butler einfach etwas entspannter. Der gute Mann hatte in letzter Zeit genug um die Ohren. So hat er doch in Zusammenarbeit mit meinem „Öffentlichkeitsbüro“ den Deutschlandbesuch organisiert und nun bereits begonnen, Kleidungsstücke für unseren Aufenthalt dort beiseite zu legen bzw. Fehlendes zu besorgen.
Mir selbst macht Kälte oder nasses Wetter nichts aus – es geht eher darum, den äußeren Schein zu wahren. Ein Schriftsteller, der bei kaltem Wind und Regen mit einem kurzärmligen Hemd ohne dazugehörige Jacke herumläuft, ist nicht gerade das, was man allgemein unter einer guten Tarnung versteht.
Ich bin sehr erleichtert, dass sich mein Angestellter um diesen Kram kümmert, auch wenn er gerade wieder, wie so oft, diese Dinge als selbstverständlich und Inhalt seiner Arbeit herunterspielt. Ich hoffe es gelingt mir, ihn in Deutschland von zu viel Aktivität abzuhalten.
„Aufgabe oder nicht, ich bin froh, dass du mir das alles abnimmst.“
„Ihr Büro war eine große Hilfe. Im Übrigen hat es mir große Freude gemacht, über den Ablaufplan nachzudenken und alles zu organisieren.“ Ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen. „Ich kann mir denken wie überrascht das Fräulein Helmstett gewesen sein muss, als sie ihn das erste Mal gelesen hat.“
‚Und ihr Chef erst‘, füge ich für mich in Gedanken hinzu. Laut jedoch ergänze ich: „Ich bin gespannt, was sie dazu sagen wird, wenn sie mich nachher anruft.“
Markus ist erleichtert, dass ich mir nach all den Jahren wieder jemand als Gefährtin ausgesucht habe. Obwohl nur ein Mensch, fühlt er sich für mich verantwortlich. Er weiß, dass er seinen Zenit überschritten hat. Und manchmal scheint es fast so, als habe er ein schlechtes Gewissen, da er kein Nachwuchs gezeugt hat, um die Familientradition fortzuführen. Schließlich diente sein Vater und dessen Vorfahren schon uns, den Wattensteins.
Was natürlich absolut albern ist. Allerdings erscheint mir unsere Beziehung bisweilen auch fast so wie die eines alten Ehepaares. Ihn eines Tages zu verlieren, wird mir schwer zu schaffen machen. Markus weiß das und wenn Viktoria erst einmal vollständig mir gehört und bei mir eingezogen ist, hat er die Gewissheit, mich nicht alleine zu lassen.
Wir alten Männer sind manchmal ganz schön eigenartig.
Ich trinke das Glas leer und stelle es auf das Tablett zurück. Mein Diener verbeugt sich leicht und verschwindet damit in der Küche.
Kurz blicke ich ihm nach, bevor ich auf die Uhr schaue. Kurz vor 6 Uhr abends. Somit dürfte sich meine Reporterin bald bei mir melden.
Den Grund für ihre Absage habe ich leider nicht herausfinden können. Deshalb habe ich beschlossen, sie einfach zu ignorieren. Meine Mail an ihren Arbeitgeber enthielt ja erneut den genauen Ablaufplan, allerdings leicht modifiziert mit der alles andere als subtilen Bemerkung, dass ich nur sie als Begleitung akzeptieren werde. Inklusive der letzten Tage, die offiziell dafür vorgesehen sind, mir ein wenig von der näheren Umgebung zu zeigen.
Natürlich ist das vorgeschoben. Spätestens während dieser letzter Zeit werde ich sie erneut beißen, um alles zu beschleunigen, sollte ich bis dahin wider Erwarten bis dahin noch nicht von ihr getrunken haben.
Ich muss zugeben, dass ich in dieser Hinsicht wohl auch ein wenig zu ungeduldig bin. Warte ich noch ein paar Jahre, würden uns die Sterblichen eher akzeptieren. So aber sehen sie nur ein Paar, bei dem die Frau doch einiges jünger ist als der Mann. Die Menschen neigen ja leider dazu, in Klischees zu denken. Nicht dass ich etwas darauf geben würde; es macht es nur einfacher, sich in dieser Welt zu bewegen.
Tatsache ist, ich bin zu egoistisch, um noch länger zu warten. Eine eher untypische Eigenschaft meiner Art, lernt man doch mit den Jahrzehnten, in anderen Zeitdimensionen zu denken. Aber bei Viktoria ist alles anders. Vermutlich wollte ich sie sofort für mich, als ich sie das erste Mal sah. Ich mag durch meine spezielle. Vampirische Magie dafür gesorgt haben, dass sie mich nicht vergessen kann – ihre Macht ist durchaus mächtiger. Ohne Zaubertricks hat sie es geschafft, sich für immer in meinem Kopf einzunisten.
Es ist aber mehr als reiner Eigennutz, der mich dazu treibt. Sie mag die Dunkelheit bereits in sich tragen und sich verändert haben, ohne das wirklich zu bemerken. Aber noch ist sie ein Mensch und dadurch sterblich.
Ich gebe es ungern zu, aber ich habe Angst um sie. Angst, dass ihr jemand etwas antun könnte, ihr wehtun könnte, sie verletzen oder gar schlimmeres. Als Mensch ist so unendlich schwach.
Letztlich sind meine Motive auch egal. Sie wird mir gehören und mich anflehen sie mitzunehmen, egal wohin.
Bald schon, sehr bald hat das Warten ein Ende.