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VIKTORIA
Gregors Blick ist durchdringend und ich wage es kaum, ihn direkt anzusehen.
Was soll ich nur tun?
„Viktoria?“ Seine Stimme ist angenehm weich. „Erzählen Sie mir etwas von sich?“
„Wie?“, antworte ich verwirrt. „Von mir?“
„Da Sie mir ja nicht von Ihrem Freund erzählen möchten, wäre dies meine Bitte. Ich weiß, wir hatten E-Mail-Kontakt, aber uns kaum über persönliche Dinge unterhalten.“
Ich räuspere mich. „Und was ist mit der Lesereise?“
„Wir haben den ganzen Abend Zeit. Sie sollen mir selbstverständlich auch keine ihre Geheimnisse erzählen. Aber ich denke, wir sind beide neugierig.“
Bin ich das? Natürlich. Aber bringt mich das ihm nicht noch näher? Und vor allem – will ich das?
Wir werden in diesem Moment unterbrochen, da sich die Kellnerin nähert und unsere Getränke bringt. Dass Gregor wieder nur Wasser trinkt, erinnert mich an das Essen in der Toskana. Er scheint wirklich ein ernstes Problem mit dem Magen zu haben und betrübt mich ein wenig.
Bevor ich mir aber weiter darüber Gedanken machen kann, verschwindet die Frau wieder. Der Graf lächelt mich freundlich an und setzt unsere Unterhaltung fort:
„Liebste Viktoria, ich bin gespannt. Möchten Sie mir etwas über Ihre Hobbys erzählen?“
Hat er mich das nicht schon einmal gefragt? Damals, in Italien? Oder nicht?
Ich bin mir nicht mehr sicher.
Etwas in seinem Blick lässt den Widerstand schwinden und ich beginne erstaunlich offen über meine Freizeitgestaltung zu erzählen.
„Ich schaue mir in letzter Zeit gerne Filme an. Und ich gehe seit neustem im Dunkeln spazieren.“
Das ist jetzt blöd! Weshalb sage ich ihm ausgerechnet diese etwas seltsame Macke von mir?
Ich scheine mich im Augenblick nicht im Griff zu haben.
Etwas in mir drängt mich dazu, meinem Gegenüber alles zu erzählen. Ich muss mich geradezu zwingen, nicht mein ganzes Leben vor ihm auszubreiten.
Der Gesichtsausdruck des Grafen ist leicht besorgt. „Sie wandern doch hoffentlich nicht allein nachts herum, oder?“
Kurz zögere ich, entschließe mich dann aber zu einer Notlüge. Er soll sich keine Sorgen machen.
„Nein!“
Mist! Überzeugend ist das nicht, das höre ich sofort, als das Wort die Lippen verlässt. Gepresst und zögerlich ist meine Stimme und alles andere als souverän.
„Vik!“
Ehe ich auf diesen Kosenamen reagieren kann, hat er sich schon nach vorne gebeugt und meine Hände umfasst, dich bisher leicht verkrampft das Getränk gehalten haben. Nun halten wir quasi gemeinsam das Glas.
„Bitte, schwindeln Sie mich nicht an. Sie sind darin nicht besonders gut.“
Die Pupillen des Adligen wirken seltsam auf mich und erneut habe ich ein Deja Vu. Ehe ich jedoch meinen Gedanken zu Ende bringen kann, ist dieser Eindruck verflogen und seine Finger lösen sich wieder.
„Gregor, ich…“, stammle ich beschämt. Beim Flunkern erwischt zu werden, ist nicht sehr erbauend, vor allem, wenn man sich bei so etwas generell schwertut.
„Seien Sie bitte vorsichtig. Es gibt viel Unheil da draußen.“
Ich nicke nur zur Antwort und hoffe, dass er das Thema schnell wieder fallen lässt. Am besten wird sein, ich selbst lenke ihn ab.
„Ich gehe mittlerweile gerne ins Kino. Am liebsten in Horrorfilme.“
„War das schon immer so?“, erkundigt er sich und nimmt einen Schluck aus dem Glas. Bilde ich das mir nur ein, oder schwingt da eine leise Genugtuung in seinem Ton mit?
Es ist egal. Hauptsache, ich habe ihn abgelenkt. Erstaunlich, dass mir das so problemlos gelungen ist.
Rasch schüttle ich den Kopf. „Nein. Mein Geschmack hat sich geändert. Scheinbar haben Sie mich damals in Italien als Vampir nachhaltig beeindruckt.“
Wenn ich so darüber nachdenke, ist es tatsächlich so – ab diesem Zeitpunkt hatte ich einen seltsamen Faible für das Düstere. Anfangs war es nur ein Interesse, das neu aufgetaucht ist, bis es immer prägnanter wurde. Mittlerweile liebe ich alles, was mit Untoten, Ghuls, Geister, Blut und Tod zusammenhängt. Eine Faszination am Morbiden, was mich selbst verwirrt, trotzdem jedoch nicht mehr wegzudenken ist.
„Würden Sie mich gerne noch einmal so sehen? Als Vampirgraf? Diesmal mit spitzen Zähnen?“, fragt er breit lächelnd und zeigt dabei sein perfektes Gebiss.
Gut, dass der Autor nicht weiß, dass ich ihn schon so gesehen habe – in meiner Einbildung, in Wachträumen, die aufgrund Überarbeitung entstanden sind. Damals, in der Toskana.
Vielleicht ist mein Interesse an solch dunklen Geschichten doch schon länger in mir vergraben, als mir bewusst ist – eine der Thesen, die mein Arzt aufgestellt hatte.
Gregor sah damals in meiner Vision echt sexy aus, als echter Blutsauger. Natürlich hatte ich in diesen Träumen auch ein wenig Angst – wer hätte das nicht angesichts eines solchen Raubtieres?
Erstaunlicherweise war meine Furcht nicht sonderlich groß und die Neugierde hatte eindeutig überwogen. Gregor erschien mir damals als Untoter sehr verführerisch.
Mir ist es im Nachhinein etwas peinlich, darüber nachzudenken. Sigmund Freud würde vermutlich von unbefriedigten Trieben sprechen.
Aus diesen Gründen antworte ich nur zögerlich. Aber ich möchte ehrlich sein und keine Lüge aussprechen, wenn sie vermeidbar ist. „Es stand Ihnen sehr gut. Und es wäre sicher aufregend und eine perfekte Publicity für Ihre Bücher.“
„Ja, mag sein. Sie müssen wissen, Vik, dass ich mich außerordentlich über die Erfolge meiner Geschichten freue. Öffentlichkeitswirksame Auftritte sind das eine. Wichtiger war es mir, Ihre Meinung dazu zu hören.“
Wieder nennt er mich so. Und er wollte erfahren, was ich denke.
Keinen Zweifel – der Mann flirtet mit mir.
Ich sollte nicht darauf eingehen. Stattdessen treffen sich unsere Augen. Seine Iris erscheint im schummrigen Licht pechschwarz.
Ein wohliges Gefühl überkommt mich. Ich will das hier nicht beenden. Nicht heute, und auch morgen nicht. Nicht einmal die Drohung des Fremden kann daran was ändern – sie erscheint mir so weit weg und plötzlich nichts als lächerlich.
„Sie sahen sehr sexy darin aus, Gregor“, flüstere ich deshalb zaghaft.
Ich werde das hier auskosten, so lange es dauert. Auch wenn es mir das Herz brechen wird.
Denn dass ein Mann seines Standes ernsthaft Interesse an mir hat, daran glaube ich nicht. Schließlich ist das hier kein Märchen oder ein Buch, sondern bittere Realität.