Prompt: Sternenhimmel
Warnungen: Diese Geschichte dreht sich um den Tod.
Der Tag war lang gewesen.
Und vor allen Dingen anstrengend.
Am Morgen erst hatten sie seine Mutter begraben.
Der Trauergottesdienst war schön gewesen und sie hatten ihren Körper gerade der Erde übergeben, da war sein Vater zusammengebrochen.
Herzinfarkt mit gerade mal 63 Jahren.
Seine Mutter hatte der Krebs dahingerafft und mit 57 aus dem Leben scheiden lassen.
Und hier war er selbst nun. 27 Jahre alt und vollkommen allein auf der Welt. Sein älterer Bruder hatte sich vor zehn Jahren das Leben genommen und seine ein Jahr jüngere Schwester war im Jahr zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Jason konnte die Situation gar nicht so recht erfassen.
Aber er wusste, was zu tun war.
Es war ja leider Gottes nicht das erste Mal.
Also rief er den Bestatter des familiären Vertrauens an und teilte ihm mit, dass sein Vater nun ebenfalls verschieden war und er doch bitte einfach so wie bei der Mutter verfahren sollte. Jason selbst würde angemessene Kleidung für den Vater vorbeibringen.
Dann nahm er die Sterbeurkunde und begann den Eiertanz mit Behörden, Versicherungen und Co.
Jeder wollte eine Kopie der Sterbeurkunde und Bescheinigungen und wusste der Geier was sonst noch alles. Jason versprach die entsprechenden Dinge zuzusenden und machte sich an die Arbeit.
Morgen früh würde er den ganzen Schlamassel zur Post bringen, aber jetzt wollte er erst einmal seine Ruhe haben.
Er brauchte Zeit für sich.
Zeit, um zu begreifen, was da heute geschehen war.
Also hatte er sich nach dem letzten Telefonat seine Wanderstiefel angezogen und sich auf den Weg gemacht.
Im letzten Licht der Abendsonne war er an dem kleinen Bergsee auf der Lichtung angekommen, wo sein Vater früher immer mit ihm zum Angeln hingewandert war.
Er setzte sich ins Gras und starrte auf den See hinaus. Im Hintergrund ragten die Berge in Richtung Himmel und die Sonne versank langsam am Firmament.
Jason wusste, er würde die Nacht hier verbringen.
Er kuschelte sich in seine Jacke, da es doch frischer war als angenommen und dachte über sein Leben nach.
Im Grunde genommen war es von Beginn an geprägt vom Tod.
Er war ein Zwilling gewesen und sein Bruder war noch im Mutterleib verstorben.
Kaum war er im Kindergarten gewesen, waren kurz hintereinander alle vier Großeltern verstorben und mit kaum siebzehn Jahren hatte er dann seinen drei Jahre älteren Bruder begraben müssen, der sich das Leben genommen hatte, weil das Mobbing an der Uni zusammen mit seiner Depression einfach zu viel für ihn gewesen waren.
Ein Jahr später hatte es seinen Kumpel bei einem Skiunfall erwischt und mit sechsundzwanzig hatte er Carolin, seine kleine Schwester Caro unter die Erde gebracht, weil so ein Depp betrunken auf der Autobahn gerast war, ihr Auto gerammt und unter einen LKW geschoben hatte.
Da hatten sie schon vom Krebs ihrer Mutter gewusst, der sie an Carolins Todestag geholt hatte.
Und nun war auch noch sein letztes Familienmitglied weg.
Sein Vater.
Der Mann, der ihn streng, aber liebevoll erzogen hatte.
Er war seiner Frau in den Tod gefolgt.
Nur noch er war hier auf Erden.
Langsam ließ Jason sich auf den Rücken sinken und starrte den Sternenhimmel an. Identifizierte nach und nach den großen und den kleinen Wagen, den Gürtel des Orion und den Nordstern.
Das Funkeln der Sterne hatte ihn schon immer fasziniert.
Und wenn er ehrlich war, dann wusste er auch genau, wieso er jetzt hier war.
Hier oben war es friedlich. Kaum jemand wusste von dem See. Er lag auf einem Privatgrundstück, welches Jasons Familie gehörte und nur selten verirrte sich jemand hierher.
Einen Augenblick lang war Jason versucht aufzustehen und ins Wasser zu gehen, um dem allen ein Ende zu machen, aber dann schüttelte er den Kopf. Er wollte noch nicht zu den Sternen gehen.
So hatte Carolin das Sterben immer beschrieben als Kind.
Wenn jemand starb, dann blieb seine Hülle auf der Erde zurück und der Rest ging zu den Sternen.
Wenn das wirklich so war, dann war seine Familie im Himmel vereint und strahlte in leuchtend bunten Farben am Firmament, während er hinauf zum Himmel blickte und sie wenigstens sehen konnte.
Leises Knarzen und Knacken aus dem Wald hinter ihm brachte ihn dazu sich aufzusetzen und umzudrehen.
Es dauerte einen Moment, dann trat eine Gestalt aus dem schon dunklen Gehölz.
“Dachte ich mir doch, dass du nach hier oben flüchtest”, vernahm er die warme Stimme seines Partners.
Jason lächelte.
Carlisle war bei ihm und damit wusste er, dass alles wieder gut werden würde. Solange Carlisle noch bei ihm war, würde er selbst nicht zu den Sternen gehen.
Carlisles Arme legten sich um ihn und Jason merkte wie kalt ihm war. Er begann ein wenig zu zittern und sein Liebster zog ihn für einen Moment lang enger an sich.
“Komm … lass uns zur Hütte gehen. Ich hab das Feuer schon angefacht”, forderte er ihn sanft auf.
Jason schüttelte leicht den Kopf.
“Ich will den Sternenhimmel noch eine Weile betrachten”, sagte Jason protestierend.
“Ach Schatz, die Sterne laufen dir nicht weg. Die sind auch Morgen noch am Himmel und Übermorgen und Überübermorgen”, murmelte Carlisle nachsichtig.
Jason zog eine Schnute und vergrub sein Gesicht an Carlisles Hals, nickte einen Moment später aber.
“Krieg ich Kakao?”, wollte er wissen.
Carlisle lächelte.
“Natürlich … du weißt doch, dass Schokolade gegen Depressionen hilft”
“Ich hab keine Depressionen”, protestierte Jason.
“Natürlich nicht, Liebling”
Unbeeindruckt setzte Carlisle sich in Bewegung und zog Jason mit sich in Richtung Hütte, wo tatsächlich schon frisch gebrauter Kakao aus echter dunkler Schokolade und Milch in einem Krug nahe dem Kamin stand, damit er warm blieb.
Carlisle dirigierte Jason in Richtung Sofa, zog ihm Jacke und Schuhe aus und packte ihn in eine kuschelige Decke ein, bevor er ihm kaum drei Minuten später eine Tasse Kakao mit Sahne reichte und sich neben ihn setzte.
“Wenn wir uns gleich oben ins Bett kuscheln, dann können wir deine Sterne wieder sehen, J. Ich hab vor kurzem endlich die Zeit gefunden, dass Dachfenster einzubauen, welches wir haben wollten”, murmelte er ihm ins Ohr.
Jason seufzte erleichtert.
Wenn nicht, hätte er sich vermutlich in der Nacht zurück raus an den See geschlichen. Ohne die Sterne ging es gerade nicht.
~Ende~