Prompt: Verblichene Fotografien
"Oma ist tot"
Die Worte meiner Mutter hallten immer noch durch meinen Kopf. Jetzt gab es außer ihr und mir niemanden mehr in unserer Familie. Und bald, bald wäre auch sie nicht mehr hier. Dann wäre ich ganz allein. Ich saß hier bei ihr auf der Bettkante im Hospiz und hielt ihre Hand. Ein buntes Tuch verbarg ihren vom Krebs, Strahlen- und Chemotherapie kahlen Kopf. Sie war so unfassbar dünn und fühlte sich immer sehr, sehr kalt an.
Bei ihr und Oma war etwa zur gleichen Zeit im letzten Jahr Krebs festgestellt worden. Zusammen hatten sie jede Therapie durchgestanden, die die Ärzte ihnen vorgeschlagen hatten. Opa und ich waren immer an der Seite der beiden, doch dann hatte ein Herzinfarkt Opa vollkommen überraschend aus dem Leben gerissen. Wenig später hat Mutter diese Worte ausgesprochen.
Mit Opa ist auch Omas Lebenswillen gegangen und mit ihr Mutters Partner in allem.
Oma hatte mich gemeinsam mit Mama großgezogen, nachdem Papa sie wegen einer anderen hatte sitzen lassen. Und jetzt saß ich hier, streichelte die Hand der Frau, die mir das Leben geschenkt hatte und wartete darauf, dass sie ihren letzten Atemzug tat.
Nur gab es niemanden in meinem Leben, dem ich die Worte sagen konnte, die durch meinen Kopf hallten.
Mamas Finger zuckten ein wenig und ich blickte in ihr blasses Gesicht. Ihre Augen waren geöffnet und sie lächelte schwach.
"Ich geh vor zu Oma … und Opa … und warte da … auf dich. Aber ich will dich noch … lange nicht … da sehen", sagte sie stockend.
Ich hörte ihren Atem in ihrer Brust rasseln und nickte einfach. Ich beugte mich vor und küsste ihre Stirn.
"Ist in Ordnung, Mama. Pass auf dich auf", flüsterte ich und es war wirklich in Ordnung für mich, dass sie ging. Ich wollte nicht, dass sie sich meinetwegen quälte. Sie hatte es versucht, aber letztendlich waren die Umstände und der Krebs stärker gewesen. Ich war glücklich, dass sie ohne Schmerzen war und wenn mein Einverständnis das war, was sie brauchte, um loszulassen und in Frieden gehen zu können, dann würde ich ihr das geben.
Ihre Augen flatterten zu und das Lächeln blieb auf ihrem Gesicht, während ihr Atem immer unregelmäßiger wurde.
Ich zwang mich sitzen zu bleiben. Ich wollte nicht, dass sie allein war und irgendwo wollte ich sie auch noch nicht loslassen.
Irgendwann kam eine der Hospiz-Schwestern herein, sah sich die Szene vor ihren Augen einen Moment lang an und verschwand wieder aus dem Raum. Einen Moment später kam sie mit Mutters Arzt wieder herein. Der Palliativmediziner untersuchte meine Mutter und sah mich dann an. "Es tut mir leid, Frau Bayer", sagte er leise.
Ich schüttelte den Kopf. "Das muss es nicht. Es ist das Beste für meine Mutter", erwiderte ich leise. Er nickte und ging. Vermutlich, um ihre Sterbeurkunde auszufüllen.
Ich blieb zurück und nahm das Album, das auf dem Schoss meiner Mutter geruht hatte.
Ich schlug es auf und lächelte beim Anblick der alten Bilder.
Sie zeigten mich und meine Familie, als wir noch alle zusammen waren.
Jetzt war nur noch ich am Leben.
Zurückgeblieben mit einem Album verblichener Fotografien.
~Ende~