Prompt: Elixir
“Bitte … Frau Keira … ihr müsst helfen. Mein Hannes, der stirbt doch sonst”
Die alte Bäuerin, die an ihrer Türschwelle stand, flehte sie Hände ringend an. Das weiße Haar zerzaust und die Ringe unter den Augen dunkel. Vollkommen übernächtigt und überarbeitet und vor allen Dingen verlebt sah sie aus. Keira konnte nicht genau sagen, wie alt sie war. Vermutlich war sie jünger, als sie aussah.
Keira seufzte. Eigentlich hatte sie sich geschworen nach dem Ärger in Weißgarten das Dasein als Kräuterfrau aufzugeben. Man hatte sie als Hexe bestimmt, als Hure des Teufels und Schlimmeres. Hals über Kopf hatte sie fliehen müssen, aber unter der Dorfbevölkerung sprach sich das Eintreffen einer Kräuterkundigen immer schnell herum. Unter ihnen war sie geachtet. Es war die vermaledeite Kirche, die ihr das Leben schwer machte.
“Erzählt mir, woran er leidet”, sagte Keira knapp und lauschte den Worten der Frau aufmerksam, als diese von Auswürfen berichtete, die grün und gelb wie die Hölle waren. Vom Schweiß und der Hitze. Vom Rasseln beim Atmen und all den Dingen, die den guten Hannes quälten. Als sie genug gehört hatte, hob Keira die Hand.
“Kommt am Morgen wieder, gute Frau. Dann habe ich etwas für euch. Bis dahin wickelt dem Hannes feuchte Tücher um die Waden und deckt ihn gut zu. Richtet ihn auf, wenn es geht, damit er besser Luft bekommt”, wies sie die Frau an.
Diese nickte verstehend. “Im Morgengrauen bin ich zurück”, versprach sie und huschte geschwind davon. Also eher verlebt als alt, entschied Keira in Gedanken, bevor sie die Tür hinter sich verschloss. Sie schob den Riegel vor die Tür und ging dann hinab in ihre Kräuterküche. Überall hingen getrocknete Kräuter. In einem Regal standen Gläser mit eingelegten Pflanzenteilen und allerlei anderen Dingen.
Sie entzündete einige Kerzen und ein kleines Feuer. Ihr schwarzer Kessel war schnell darüber aufgestellt und Wasser eingefüllt. Während dieses erhitzt wurde, begann sie die Kräuter rauszusuchen, die Hannes helfen würden, die Lungenentzündung zu überstehen. Nacheinander warf sie die Primula veris und Thymus vulgaris in den Kessel und begann ein Elixir daraus zu brauen, welches die Lunge vom Schleim befreien und die gereizten Bronchien beruhigen sollte.
Sie stellte einen weiteren Kessel übers Feuer und warf Drosera, Hedera Helix, China, Coccus Cacti, Cuprum Sulfuricum, Ipecacuanha und Hyoscyamus hinein, um ein weiteres Elixir zu brauen, welches dem guten Hannes helfen sollten in der Nacht Schlaf zu finden, in dem es den Husten beruhigte, der ihn plagte.
Die halbe Nacht stand Keira in der Kräuterküche, braute und wartete, dass die Elixire eingedickt waren. Dann füllte sie beide in braune Glasflaschen und verschloss diese mit Kork und Wachs. Sorgsam beschriftete sie die Flaschen und notierte auf den Etiketten zu welchen Uhrzeiten wie viel des jeweiligen Mittels eingenommen werden sollte. Da sie ohnehin die Nacht durchgemacht hatte, wartete Keira auf den Sonnenaufgang. Sie setzte sich eingehüllt in ihren Umhang vor ihre Hütte, die Gugel über den Kopf gezogen und die Hände unter den Achseln vergraben und wartete auf das Eintreffen der Bäuerin.
Diese kam tatsächlich mit dem ersten Hahnenschrei bei ihr an der Hütte an.
“Und, Frau Keira? Was habt ihr für mich”, fragte sie aufgeregt.
Keira lachte amüsiert auf und klopfte neben sich auf die Bank, zeigte ihr dann die Flaschen und erläuterte ihr, dass sie Hannes von der Flasche mit dem roten Etikett am Morgen und am Mittag jeweils einen Löffel geben sollte und von der Flasche mit dem blauen Etikett am Abend einen halben Löffel, nicht mehr. Dann bat sie die Bäuerin zu wiederholen, was sie gesagt hatte und die Bäuerin zitierte sie richtig.
Keira war erleichtert und gab ihr die beiden Flaschen mit. Sie sah der Frau hinterher, bis diese um die nächste Biegung der Straße verschwand und seufzte. Sich jetzt noch hinzulegen lohnte nicht. Also ging sie ins Haus und braute sich selbst einen heißen Trank aus Coffea arabica, der ihren Geist beleben und ihren Körper wach halten sollte, damit sie den Tag durch stand. Der Trank half und Keira ging in ihren Garten, wo sie Kräuter ebenso heranzog, wie genug Gemüse, um über die Runden zu kommen.
~Ende~