Noch immer patschnass und ziemlich müde trotte ich über die Wiesen. Ich müsste langsam mal herausfinden, wo ich hier gelandet bin …
Mond und Mondkalb ziehen langsam weiter und machen dem Tag Platz. Normalerweise mag ich die Sonne nicht so gerne. Sol hat uns Wölfe damals in den Legenden ziemlich im Stich gelassen! Aber an diesem Morgen mache ich eine Ausnahme, strecke mich im Gras aus und lasse mich von der Wärme trocknen.
Na ja, Wärme … Nach einer Weile fröstele ich immer noch. Ich hebe den Kopf und sehe eine dunkle Wolke herbeirollen. So rein vom Aussehen her würde ich vermuten, dass ich in England gelandet bin.
„Das darf doch jetzt nicht wahr sein!“, murre ich. „Verzieh dich, Gewitter!“
Die Sturmwolken rücken weiter vor. Höhnischer Donner lacht mich aus.
Ich erhebe mich langsam und sehe den Sturm seeehr streng an. Vielleicht funktioniert das ja!
„Also, mein Freund, ich habe einen wirklich langen Tag hinter mir. Wir können das hier friedlich lösen … oder anders!“
Von meiner Drohung lässt sich der Sturm nicht beeindrucken. Der Wind frischt auf und fährt durch mein feuchtes Fell. Brrrr! Da hätte ich gleich im Ozean bleiben können!
„Ich zähle jetzt bis drei!“, rufe ich. „Eins …“
Ein Blitz kracht.
„… z-zwei! …“
Noch ein Blitz kracht.
„Und … drei …?“
Ein dritter Blitz.
„Machst du dich etwa über mich lustig?!“
Donner.
Etwas sprachlos starre ich in den Himmel. Das habe ich so jetzt auch noch nie erlebt … Ein Gewitter, das mit mir kommuniziert!
Inzwischen fallen die ersten Tropfen und wandeln sich langsam in einen beständigen Strom. Ich packe meine Pfoten zusammen und trabe quer zur Flugrichtung des Sturms zur Seite. Ich kann zwar herumtönen, aber wirklich was ausrichten kann ich nicht, da hat das Gewitter recht.
Inzwischen bin ich wieder völlig durchnässt. Wenn es weiter so gießt, kommt meine gute Freundin, die Meerjungfrau, gleich an Land vorbeigeschwommen. Ich schüttel mich, um die Nässe aus meinem Fell zu kriegen. Dann rette ich mich auf einen Hügel und sehe über das Land.
Hey, da hinten ist es trocken! Und … drüben auch.
Ich sehe etwas genauer hin. Ein Kreis von Regen umgibt mich. Dahinter ist es sonnig hell.
Ich hebe die Nase und teste den Wind erneut. Das ist mal wieder typisch für mich, ich bin in den Sturm hineingerannt, statt aus ihm heraus. Aber egal! Ich wetze flinker los, gegen den Wind, und hefte meine Augen auf die Verlockungen des grünen Rasens. Noch einmal mobilisiere ich alle Kräfte meines müden Körpers. Ich habe mein Ziel ja auch vor Augen. Nur diese letzte Hürde, und ich kann mich in der warmen Sonne entspannen, trocknen und dösen; ganz wie es das Herz begehrt.
Ich senke den Kopf, beiße die Zähne zusammen, und zwinge mich, noch etwas schneller zu laufen. Alles für das Nickerchen!
Als ich den Kopf wieder hebe, ist die Regengrenze kein Stück näher gekommen.
Stolpernd halte ich. „W-was?!“
Donner lacht mich aus. Ich erkenne die Hügel vor mir ganz genau. Eben waren sie noch sonnenbeschienen und einladend trocken. Jetzt sind sie grau und ertrinken in Wassermassen.
Ich befinde mich noch immer im Zentrum des Gewitters.
„Ey … komm schon! Ich habe dir doch nichts getan.“
Ein Blitz zuckt ganz in der Nähe. Dann noch einer. Und ein dritter. Dann ist es wieder still.
Ich lege den Kopf schief. „Häh?“
Noch einmal zucken drei Blitze in einem recht eindringlichen Rhythmus.
„Bist du etwa beleidigt, weil ich eben bis drei gezählt habe?“
Eine kleine Kaskade verfehlt mich nur knapp.
„Gut, gut, du bist sauer, weil ich geschimpft habe. Es tut mir leid, in Ordnung? Ich bin müde und mir ist kalt und du bist nicht hilfreich.“
Kurz ist es still. Dann fährt ein Blitz neben mir in den Hügel und schlägt ein Loch aus dem Hang.
Entsetzt starre ich auf die neue Kuhle. Sie ist wolfsgroß. Ich mache ein paar vorsichtige Schritte rückwärts. „Wir … können doch über alles reden …“ Ich zermartere mir den Kopf, was mir der Sturm sagen will. War es zu taktlos, ihn als nicht hilfreich zu bezeichnen? Besorgt registriere ich, dass sich die Wolken über mir ballen.
Oben blitzt es bedrohlich, doch nichts schlägt ein. Der Donner knurrt mich an.
„Es tut mir leid!“, rufe ich hinauf. „Ich meinte das nicht persönlich. Du bist ein wirklich sehr tolles Gewitter.“
Die Wolken kreisen geschmeichelt, aber noch lange nicht besänftigt.
„Unter anderen Umständen würde ich wirklich gerne plaudern, aber siehst du, ich habe noch was vor und da kann ich wirklich keine Erkältung gebrauchen …“
Schon wieder prasseln Blitze herunter. Donner schallt mir in den Ohren.
Ich verliere die Geduld. „Lass mich endlich gehen, du Sohn einer Steckdose!“
Im nächsten Moment füllt blendendes Weiß mein Sichtfeld und dann … ist es zappenduster.
*
Ich versuche, mich zu bewegen. Was sind das für Eisenfesseln an meinen Pfoten? Warum liege ich plötzlich? Wo ist der Regen hin? Ich höre ihn zwar noch, aber gedämpft. Er prasselt auf … Glas oder so.
„Igor!“, brüllt in diesem Moment eine Stimme viel zu nah an meinem Ohr. „Sieh nur, Igor! Es … es lebt.“
„Was lebt?“, frage ich und schlage die Augen auf.
Ich begegne dem Blick weit aufgerissener Augen hinter runden Brillengläsern unter dichten, struppigen Augenbrauen. „Es … es spricht?!“
„Es? Moment mal, meinst du mich?!“ Ich sehe mich um und stelle fest, dass ich in Bauchlage auf eine Art Brett geschnallt bin. Über mir hängt eine riesige Antenne oder so aus Metall. Darüber, durch eine gewölbte Glasscheibe zu sehen, tobt ein Sturm. „Wo bin ich?“
„Es hat eindeutig funktioniert, Meister“, krächzt ein unangenehme Stimme und ich bemerke einen Buckligen, der hinter dem Brillenträger im Kittel aufgetaucht ist. „Ihr konntet es wieder zum Leben erwecken.“
„Nicht ich, Igor“, brummt der Mann mit den zerzausten Haaren. „Das war die Macht des Blitzes.“
Macht des Blitzes? Zum Leben erweckt? Noch ein Igor?
Was zur Finsternis des Sternentods passiert hier?!