Es ist nicht so einfach, eine Mütze anzuziehen. Jedenfalls, wenn man keine Daumen hat. Als ich den Hof des Gottes der kreativen Beleidigungen fast erreicht habe, lasse ich die durchgesabberte Tarnkappe fallen und stelle mich ebenjenem Problem.
Zuerst versuche ich, meinen Kopf einfach in die Tarnkappe zu drücken. Aber dann rutscht sie immer wieder herunter. Also helfe ich mit den Pfoten nach und robbe sehr elegant über den Boden des kleinen Wäldchens, das den Hof meines Ziels umgibt.
Hätte ich mir doch einen anderen Plan ausdenken sollen? Wieso scheitert es immer so kurz vor der Lösung an etwas, das mir vorher hätte einfallen sollen? Das kann ja nun nicht meine Schuld sein … richtig?
Schließlich schaffe ich es doch. Ich kann die Tarnkappe so an einem Stamm verhaken, dass ich sie mir über die Ohren ziehen kann und sie sitzen bleibt. Jetzt müsste ich also unsichtbar sein – wobei ich meine eigenen Pfoten noch sehen kann.
Also teste ich die Unsichtbarkeit lieber einmal aus, bevor ich meinen großen Diebstahl versuche. Am Ende war es doch nicht die Tarnkappe, sondern nur ein Souvenir für den Helden!
Ich suche eine Weile, bis ich mehrere Amseln auf einer Wiese vor dem Wäldchen finde. Also gut! Ich falle in den Schleichmodus und pirsche mich lautlos, aber ansonsten nicht gerade unauffällig, auf die Wiese.
Die schwarzen und braunen Vögel schrecken nicht auf. Stattdessen wühlen sie weiter durch Laub, das von den Bäumen herübergeweht ist, und suchen nach Insekten, die sich dort sicher fühlten.
Einen Schritt von einem Weibchen entfernt halte ich inne. Können die Amseln mich wirklich nicht sehen? Oder sind sie einfach nur extrem cool mit einem Wolf neben sich? Ich stupse die Amsel vor mir an.
Mit einem schrillen Schrei fliegt der Vogel auf und dreht sich dabei suchend um die eigene Achse. Der Rest fliegt mit auf, eine Amsel prallt gegen meine Flanke. Nach etwas Gekeife ist der Schwarm fort und ich zufrieden.
Das läuft perfekt! Jetzt kann ich den Diebstahl beginnen.
Unbesorgt schlendere ich auf den Hof des Gottes. Der Wachhund hat das Tor zwar im Blick, aber er bemerkt mich nicht, obwohl mehrere seiner acht Augen offen sind.
Ich muss trotzdem noch aufpassen, denn ich mache immer noch Geräusche. Und die könnten mich natürlich verraten. Also husche ich sehr leise zur Tür des Wohnhauses. Dort halte ich inne und lausche, bis ich fröhliches Summen aus dem Ziegenstall höre, begleitet von Besenstrichen. Der Gott der Beleidigungen arbeitet also gerade dort. Dann schiebe ich die Tür zum Wohnhaus mit der Schnauze auf und trete ins Wohnzimmer.
Es wird langsam dunkel, also sollte ich mich wohl besser beeilen. Irgendwann ist der Gott fertig mit seinem Tagewerk. Dann sollte ich nicht nur fertig, sondern auch weeeiiit weg sein.
Leise durchquere ich das Wohnzimmer und betrete die Küche. Diesmal gucke ich zuerst durch das Fenster, ehe ich mich dem Swearglass widme. Und zu recht: Der blöde Spinnenhund ist nämlich aufgestanden! Er kommt auf das Wohnhaus zu, fünf seiner Augen misstrauisch verengt. (Der Rest schläft gerade.)
Was hat er denn jetzt schon wieder?
Er tritt aus meinem Sichtfeld, als er zu nah ans Haus kommt. Wenig später höre ich ihn im Wohnzimmer.
„Hallo? Ist da wer?“
Woher weiß er das?! „Nein.“
„Oh, na dann …“ Der Hund geht wieder.
Ich beuge mich über das Swearglass und ziehe am Rand. Hm, öffnen lässt es sich nicht. Dann werfe ich es von der Fensterbank und wappne mich für das Klirren von zerberstendem Glas.
Doch es gibt nur einen hell klingenden Aufprall. Ich öffne die Augen wieder.
Mist. Das Glas hat nicht mal einen Kratzer!
Zu allem Überfluss sehe ich, wie der Wachhund auf dem Hof innehält und dann umkehrt. Wieder kommt er durch die Tür herein.
„Ich weiß, dass hier jemand ist! Irgendwer muss die Tür aufgemacht haben!“
Das war also mein Fehler. Gut, das ist wirklich auffällig. Ich verharre jedoch leise neben dem umgeworfenen Glas, während ich überlege, wie ich es kaputt kriegen soll. Draufbeißen? Das ist zwar eine meiner Lieblingslösungen, aber wenn der Sturz es nicht bringt, dann schaffe ich das erst recht nicht! Ich könnte versuchen, das Glas von einer höheren Klippe zu werfen, aber es ist ziemlich groß und schwer, ergo, nicht leicht zu transportieren.
Und jetzt habe ich noch das Problem, dass der Wachhund hier herumstromert.
„Bist du das, Marvin?“, fragt er.
Ich erstarre. Das kann er höchstens erraten haben.
„Marvin! Ich kann dich riechen!“ Der Wachhund kommt in die Küche gerannt. Sofort sieht er das umgestürzte Swearglass und bellt alarmierend.
Ich drücke mich an die Tür eines Küchenschranks. Der Hund rennt raus und sieht sich suchend um. Durch das Fenster sehe ich, wie der Gott alarmiert aus dem Ziegenstall kommt, eine Mistgabel in der Hand.
So war das alles nicht geplant! Ich husche zurück ins Wohnzimmer und presse mich dort an die Wand, als der Gott mit seinem Wachhund in die Küche eilen, um das Glas zu begutachten.
„Nein, alles gut, Cornflakes“, tröstet der Gott. „Das Glas geht nicht so leicht kaputt. Aber bist du dir sicher, dass es der nette Hund war?“
Der Wachhund knurrt leise. „Ich kann ihn riechen.“
Ich hätte echt darüber nachdenken sollen, dass Hunde natürlich ebenso gut riechen wie wir Wölfe.
„Vielleicht nur, weil er kürzlich noch hier war“, beschwichtigt der Gott. „Er würde mich niemals so hintergehen.“
„Ich hab gesagt, dass er hier herumgeschlichen ist!“, protestiert Cornflakes.
„Er war sicher nur neugierig. Das ist kein Verbrechen.“
Ich kann hören, wie das Swearglass wieder aufgestellt wird. Dann husche ich nach draußen, bevor Cornflakes mich noch findet.
Seufzend lasse ich den Hof hinter mir. Also, merke: Ich brauche auch noch eine Tarnkappe für meinen Geruch. Und etwas, um das Glas zu zerbrechen. Vielleicht einen Vorschlaghammer oder so!
Oder ich muss einen anderen niederen Gott finden. Der jetzige ist mir ein bisschen zu gut darin, mein schlechtes Gewissen zu steigern. Also wäre es vielleicht einfacher, bei einem anderen Gott zu gucken.
Mit diesem Entschluss wende ich mich dem Dorf zu, wo ich auch den gruseligen Reiter getroffen habe. Ich muss mal herausfinden, wie viel Zeit ich nun verloren habe. Vielleicht kommt der Kerl mit den feuerfesten Augen ja bald wieder! Dann könnte ich die Sache erledigen und vielleicht bei der Gelegenheit auch nach anderen Göttern fragen.
Entschlossen laufe ich zum Fluss, um ihm zurück zum Dorf zu folgen.