Leise vor mich hintropfend mache ich mich erneut an den Aufstieg zum Berg. In letzter Zeit führt mich mein Weg entschieden zu viele Treppen hinauf. Und beim letzten Mal hatte ich nicht einmal Gelegenheit, meinen verdienten Abstieg zu genießen. Das trage ich dem Zwerg eigentlich mehr nach als dass er mich umgebracht hat.
Wie gut, dass ich aus Avalon einfach herausschwimmen konnte. Der Stromstoß hat vielleicht auch mitgewirkt, sozusagen als Defibrillator. Bei anderen Jenseitsorten ist das deutlich schwieriger. Beim Hades zum Beispiel – da will man wirklich nicht landen. Offenbar kommt man nur da raus, wenn man sich auf dem Weg nach draußen nicht umdreht. Sollte leicht genug sein, oder? Aber am Ende passiert immer irgendwas, das einen zwingt, sich umzudrehen! Gruselige Geräusche oder Flehen der Liebsten und solcher Kram. Oder - am schlimmsten - Stille!
Der Himmel ist auch schlimm. Von da gibt es offenbar keinen Rückweg. Und da ich weiß, dass alle Hunde in den Himmel kommen, muss ich langsam wirklich aufpassen, während dieser doofe Evolutionsfluch weiter wirkt.
Ich kann es mir echt nicht leisten, so viel zu sterben!
Schließlich erreiche ich die Schatzhalle auf dem Berg. Die Türen stehen weit offen, das erste schlechte Zeichen. Als nächstes finde ich den toten Zwerg. Er liegt an der Seite, offenbar von einer breiten Klinge durchbohrt. Nun ist der Weg frei zum Schatz, den der Zwerg bis zuletzt tapfer verteidigte.
Ich folge der Säulenhalle und dann einer Treppe nach unten. Ich kann mich nicht mal freuen, denn ich weiß, dass ich die Stufen hinterher wieder raus muss. Nimmt das Elend denn gar kein Ende?
„Zefix!“, hallt es von unten herauf.
Ich stoppe. Die Stimme klingt tief und dunkel, genau die Stimme, die man hinter dem Schwinger eines großen Beidhänders erwartet. Der Mörder ist noch hier! Das ist gleichzeitig beängstigend und ermutigend, denn ich will ja was von ihm. Die Tarnkappe.
„Diesa Zipfel, Sacklzement nochma!“
Ich schleiche die Stufen hinab. Unten finde ich eine riesige Halle voller Gold und Edelsteine. Gut, das war zu erwarten. Etwas weniger erwartet war der große Mann in Lederhosen und grüner Mütze, der das aufgetürmte Gold durchsucht und dabei auf eine Weise flucht, dass ich mich frage, ob es sich überhaupt um echte Wörter handelt.
Was ist bitte ein Scheizer? Heißt es wirklich Depperl? Warum sagt er denn Pamperlschatz?
Ich gehe hinter einem kleineren Goldhaufen in Deckung, offenbar angehäuft von dem merkwürdigen Helden, der Goldmünzen aufsammelt und dann hinter sich wirft. Auf die Weise arbeitet er sich durch den Schatz vor, aber das wird sicherlich noch eine Weile dauern.
Dann erblicke ich die Tarnkappe des Zwergs – wenn sie sichtbar ist, sieht sie aus wie eine rote Zipfelmütze. Sie hängt am Gürtel der Lederhose und baumelt verlockend hin und her.
Gut, da komme ich nicht so leicht dran. Ich kann mich nicht an den Helden heranschleichen, dafür dreht er sich zu viel um. Also muss es wohl eine intelligente List sein!
Ich überlege einen Moment, dann räuspere ich mich und trete um das Gold herum. „Verzeihung. Kann ich dir helfen?“
Der Held wirbelt herum und zieht ein wirklich langes Breitschwert, das fast seine Körpergröße hat. „Ja mei! Wer sind denn Sie?“
„Marvin Grauwolf. Freut mich.“
„Und se woll’n s’Geyd, wie?“
„S’was?“
„Geyd!“, wiederholt der Held ungeduldig und deutet zum Gold.
„Achso, Geld!“ Ich winke ab. „Nein, nein, ich bin nicht hinter dem Schatz her.“
„Sondan?“ Mit verengten Augen starrt der große Kerl auf mich herab.
Ich setze mich. „Ich hätte mich vielleicht nicht so anschleichen sollen. Tut mir sehr leid. Ich bin hergekommen, um an dem Zwerg Rache zu nehmen. Der hat mich nämlich getö… ähh, getreten. Sehr feste.“
„Oh. Do legst di nieda!“
„Ich weiß, furchtbar. Jetzt habe ich aber gesehen, dass sich das Problem bereits gelöst hat. Und da wollte ich wenigstens kurz meinen Dank aussprechen. Und vielleicht helfen, wenn ich kann.“ Ich wage mich näher. Ich muss das Vertrauen des Helden erlangen, um nah genug an die Tarnkappe zu kommen.
„Ja mei, Servus, Marvl. Hock di her da!“ Es folgt ein Schwall dieses merkwürdigen Akzents. Ich lächele und nicke, hoffentlich an den richtigen Stellen, während der Held die Münzen weiter sortiert. Offenbar braucht er keine Hilfe, aber er duldet mich. Teilt sogar sein Gemecker über den Zwerg mit mir. Und ich wage mich Pfote für Pfote näher zur Tarnkappe. Endlich bin ich so nah, dass ich nur den Hals recken müsste. Ich halte die Luft an, blende den Redeschwall des Helden aus und fasse meinen Mut.
Dann springe ich vor, schnappe mir die Tarnkappe und renne zur Treppe.
„Hey!“, brüllt der Held. „Des doaf doch ned … Komm s’rück!“
Ich renne die Treppe rauf. Neben mir explodieren die Stufen in Splitter aus Marmor, als das Breitschwert, vom Helden geworfen, sich in den Stein gräbt. Hilfe! Der Typ übertreibt doch!
„Du g’fried Sauhund!“
„Ich bin ein Wolf!“
Mit donnernden Schritten kommt der Held zum Treppenabsatz, als ich oben die Halle erreiche. Ich flitze hindurch, aus dem Tor und den Berg hinab. Endlich kann ich den Abstieg ausnutzen, und zwar, indem ich gleich fünf Stufen mit einem Sprung nehme.
Das Schimpfen des Helden hinter mir wird gleichzeitig kreativer und leiser. Den hätte ich dem Gott der kreativen Beleidigungen vorstellen müssen!
Vielleicht kann ich ja nochmal mit beiden reden, wenn ich alles andere erledigt habe. Mich erklären und so. Da muss einfach eine wunderbare Freundschaft warten.
Der Held scheint die Verfolgung aufzugeben, obwohl er es immerhin bis auf die ersten Stufen der äußeren Treppe geschafft hat. Ganz klein kann ich ihn oben sehen, wie er abwinkt und umkehrt.
Perfekt! Jetzt, mit der Tarnkappe, kann ich das Heilige Swear Glass holen!