Ich lecke eine ganze Weile meine Wunden, insbesondere den verletzten Stolz. Der gescheiterte Überfall hat mich echt geknickt, vor allem, weil ich so viel darauf gesetzt hatte, dass ich hinterher alles wiedergutmachen kann. Außerdem versuche ich, herauszufinden, wie der neue Fluch so funktioniert.
Es ist lustig! Will ich ein Schimpfwort sagen, zum Beispiel #!*#@%#!*&, dann erscheinen nur merkwürdige Zeichen. Wenn ich es aussprechen will, was ich schriftlich leider nicht festhalten kann, so kommt ein hoher Piepston. Damit könnte ich auch fast Glas zerbrechen! Übrigens klappt es nur, wenn ich etwas auch als Schimpfwort meine. Wenn ich sage, dass ich verflucht bin – was ja stimmt – dann wirkt der Zauber nicht.
Außerdem frage ich nach anderen Kleingöttern herum. Die meisten Menschen im Dorf hören mir aber gar nicht zu. Oder sie nennen mir irgendwelche unsichtbaren Götter, die ich in großen Kirchen finden soll, wo aber nie jemand ist, der sagt, dass er Gott wäre. Immer nur Leute in alberner Kleidung, die behaupten, ihn hören zu können.
Gelegentlich meldet sich auch noch das Halsband und brutzelt leise. Es ist aber nicht so stark wie anfangs. Entweder, der Kittelträger hat ein wenig Geduld gelernt, oder meine vielen Zusammenstöße mit anderen Mächten haben das Ding etwas geschwächt. Mir ist beides recht.
Ich bin schon drei Tage im Dorf, mische mich unter die streunenden Hunde und lasse mich mit Essensresten füttern – ja, der andere Fluch wirkt auch immer noch – als ich eine junge Frau bitterlich schluchzen höre. Getrieben von diesem doofen Hundeinstinkt, der sich nicht mehr wirklich abschütteln lässt, folge ich den Geräuschen und finde eine junge Blondine in einem Hintergarten,
Ich trotte zu ihr und drücke sanft meinen Kopf gegen ihren Arm. Das machen Hunde so!
Statt sich trösten zu lassen, kreischt sie allerdings auf. Ich springe zurück, als auch schon mehrere Männer aus dem nahen Haus kommen.
„Was ist passiert?“
„Nichts, nichts. Nur ein Hund, er hatte mich erschreckt.“ Die junge Frau streckt die Hand aus und krault mich entschuldigend.
Einer der Männer zieht seinen Schuh aus und wedelt damit. „Husch! Weg mit dir!“
Die menschliche Körpersprache kenne ich inzwischen auch gut. Ich husche wieder durch das Gartentor ins nächste Gebüsch.
„Warum hast du das getan? Er war freundlich.“
„Das war ein Streuner.“ Der unfreundliche Mann zieht seinen Schuh wieder an. „Vielleicht hat er Krankheiten oder so. Du musst für morgen deinen reinen Leib bewahren, wenn du ein würdiges Opfer für den Gott des Berges sein willst!“
Die Frau schluchzt wieder auf, doch das ist nicht der Grund, warum ich die Ohren spitze. Hat er da gerade was von einem Gott gesagt?
Ich bleibe natürlich bei dem Haus und schleiche am nächsten Morgen leise hinterher, als eine merkwürdige Prozession aufbricht. Die unglückliche Opfergabe wird flankiert von vier Männern. Alle tragen irgendwelches Gemüse statt Menschenkleidung. Oder ist das Obst? Blumenketten schmücken Handgelenke, Knöchel und Hälse der fünf, Schilfröcke rauschen, es riecht nach dem Ananase-Kopfschmuck, Kokosnuss und Bananen. Erstere dienen als Oberteil der jungen Frau, die Bananen als Gürtel oder Korsett der Männer. Kurios!
Sie marschieren in aller Frühe und offenbar sehr frierend aus dem Dorf, hinauf in die Berge. Zunächst sind wir von schneebedeckten Gipfeln umgeben, aber dann folgt ein Berg, der dicht mit Bäumen bestanden ist. Die Erde hier ist dunkler als überall sonst und die Spitze des Berges ist kein schneebedeckter Fels, sondern ein nackter Krater.
Jepp. Ein Vulkan. Gar nicht so weit vom Dorf entfernt, auch wenn uns die Reise ein paar Stunden kostet. Ich glaube, der heutige Tag markiert meine Halbzeit der Frist, die Miss Fortune mir gesetzt hatte. Es wird also höchste Zeit, dass ich damit aufhöre, Trübsal zu blasen!
Die junge Frau wird an einen dicken, alten Pfahl gebunden, ein verwitterter Holzbalken, der auf einem halbwegs ebenen Stück unterhalb des Kraters steht. Ich stehle mich in der Deckung des hier dichten Gebüsches vor, während die Männer merkwürdige Lieder singen. Die junge Frau soll wohl zusammen mit Obst und mehreren Kokosnussschalen geopfert werden.
Sie weint noch immer, aber gewehrt hat sie sich nicht. So ist das mit der Religion. Menschen machen das, auch wenn es sie unglücklich macht.
Ich betrachte den merkwürdigen Tanz der vier Männer aus meinem Versteck im Gebüsch. Ihre Gesänge ergeben für mich keinen Sinn. Entweder, die Sprache ist nicht in meinem feengegebenen Übersetzungszauber enthalten, oder sie singen Nonsens!
Plötzlich rumpelt jedoch der Boden. Es klingt nach einem arg verstimmten Magen. Die Erde bebt und buckelt, die arme Frau schreit auf. Die Männer werfen einige letzte Kokosschalen von sich und rennen los – weg vom Krater.
„Er erwacht!“, rufen sie dabei. Schön, das verstehe ich. „Flieht! Flieht vor dem Zorn des Feuergottes!“
Oh, wie gerne ich darauf hören würde! Zwar reden sie offenbar nur miteinander und stacheln sich zu schnellerem Tempo an, aber ein Teil von mir will gehorchen und mitrennen.
Alles, was mich hält, ist das Wort ‚Zorn‘. Gotteszorn, noch dazu! Ich bin meinem Ziel mit einem Mal so nah. Ich muss es nur schaffen, etwas Gotteszorn einzufangen. Vielleicht in einer der Kokosnussschalen.
Der Boden erzittert noch stärker. Aus dem Krater schlotet eine tiefgraue Rauchwolke. Die Luft füllt sich mit einem bitteren, üblen Gestank, der sich schwer und pelzig auf meiner Zunge einrichtet und in die Nase kneift.
Trotzdem wage ich mich vor. Ich muss diesen Gotteszorn kriegen.
Etwas schwankend eile ich nach vorne. Aus dem Krater schießen Hustenkugeln. Nun ja, es klingt, als würde der Berg husten, und die Kugeln sind etwas menschenhandgroß und rund und qualmen. Sie schlagen in den Wald ringsum ein, setzen die Pflanzen in Brand und kugeln gen Tal. Ich passe auf, dass ich keiner davon in die Bahn gerate.
„He! Hallo!“, rufe ich, als ich nah genug bei der panischen Frau angelangt bin. Sie weint nicht länger, sondern beschimpft die vier abwesenden Männern auf eine Weise, die mich vor Neid erblassen lässt. Wenn ich das versuchen würde, wäre es nur wieder %##%$#§! Blöder Fluch.
Jetzt verstummt sie erschrocken. „Hallo? Wer ist da?“
Ich trete neben sie. „Wir haben uns gestern getroffen und ich habe zufällig mitbekommen, dass …“
„Binde mich los, sofort!“, kreischt die Frau schrill.
Ich lege die Ohren an. „Kein Grund, so zu schreien!“ Das war sowieso mein Plan, ich wollte sie nur nicht wieder erschrecken. Wenn sie als Opfer gedacht ist, um den Gott zu besänftigen, dann ist sie meinem Plan im Weg!
Ich strecke mich nach den Seilen, als der Vulkan noch lauter heult. Die Erde schwankt so heftig, dass es schwierig wird, sich auf den Pfoten zu halten. Immer mehr stinkender Rauch füllt die Luft, beißender Qualm der Feuer, die sich überall entfalten. Größere und größere Brocken kommen feurig aus der Qualmwolke gestürzt.
Puh, nicht, dass dieser Gott ein paar Nummern zu groß für mich ist! Besorgt schiele ich zu der kochenden Lava, die brodelnd und blubbernd über den Kraterrand kriecht.
„Hey, Hund! Wird’s bald?“, schreit die Frau. „Langsam wird mir heiß!“
„Tschuldigung.“ Ich konzentriere mich wieder darauf, die Seile durchzunagen. Hoffentlich ist es eine gute Idee, den Gott noch zorniger zu machen.