Panisch blicke ich zwischen den beiden Gestalten hin und her, die mich mit ruhigem, neugierigem Blick mustern.
Das eine ist ein Mensch Marke verrückter Wissenschaftler, mit einem fleckigen Kittel – ist das Blut?! – Brille und zerzaustem, weißem Haar. Das andere ist … vielleicht menschlich. Igor ist ein buckeliges, asymmetrisches, fleischfarbenes Etwas in Lumpen. Ich gucke schnell wieder zum Wissenschaftler.
„Ich denke, wir können mit den Tests beginnen, Igor“, sagt dieser gerade.
Sofort meldet sich mein Prüfungsstress. „Tests?“
„Sieh nur, es ahmt unsere Sprache nach.“ Doktor Evil hier ist verzückt. Er schnallt mich von der Liege los. „Dann komm mal mit.“
Ich tapse dem Kittelträger hinterher über einen echt unangenehmen Metallboden mit piekseligen, ausgestanzten Löchern. Unterwegs begegnet uns ein hoher, halb von einem Tuch verhängter Spiegel. Ich strecke vorsichtig den Kopf und sehe hinein.
Ach du Schreck! Was für ein grausiges Antlitz! Welch eine Abscheulichkeit!
Mir bleibt fast das Herz stehen, bis ich begreife, dass ich Igors Spiegelbild sehe. Der gruselige Typ ist mir lautlos gefolgt.
Vor Igor und deutlich kleiner erkenne ich einen grauen Wolf. Ich zucke mit den Ohren, drehe mich einmal und starre. Nein, ich bin absolut unversehrt, von den vertrauten Narben einmal abgesehen. Erleichtert atme ich auf.
„Vorwärts, Wolf!“, drängt der Arzt.
Ich komm ja schon! Mir einen Kommentar verkneifend eile ich Mister Doktor hinterher. Es geht eine enge, nicht für Wolfspfoten gebaute Wendeltreppe hinab in ein Labor. Riesige Glasbehälter blubbern vor sich hin. In den Regalen stehen Gläser, in denen Körperteile treiben. Durch Schläuche laufen Flüssigkeiten in weitere Gläser. In einer dunklen Ecke stehen große Glaszylinder, in denen ganze Körper treiben. Zum Glück ist es zu dunkel, um viel zu erkennen!
Der Doktor tritt vor einen Tisch und nimmt ein Glas auf. Dieses ist ein normales Wasserglas und er trinkt einen Schluck. Währenddessen weiche ich dem missfallenden Blick eines im Gefäß treibenden Auges aus.
„Nette Inneneinrichtung“, kommentiere ich das Zischen, Tröpfeln und Blubbern. „Darf ich fragen, was genau passiert ist? Wie komme ich hierher?“
„Der Meister hat dich geschaffen“, wispert Igor mir feucht ins Ohr. Mein Rückenfell sträubt sich noch etwas mehr. Ich habe ihn wieder nicht gehört.
„Wie oft denn noch, Igor? Nein, den Wolf habe ich nicht erschaffen“, erklärt der ‚Meister‘ müde. „Wir haben ihn gefunden, erinnerst du dich? Und ich sagte: ‚Das wäre vielleicht eine gute Testrunde‘.“
„Jaaa, Meister, sehr gut …“ Igor spricht immer noch in mein linkes Ohr. Es schüttelt mich.
Der Wissenschaftler stellt sein Glas ab. „Du kannst also sprechen.“
Ich bin kurz irritiert, warum es ihn wundern sollte, dass Igor sprechen kann, bis mir klar wird, dass er mich meint.
„Ähm, ja. Das fing alles mit einem schwerhörigen …“
„Jedenfalls, Zeit für die Tests.“
„Tests“, wiederhole ich mit großen Augen. „Oh nein …“
„Kannst du bitte einmal im Kreis laufen?“
„Ich … ähh, in Ordnung.“ Ich trotte eine Runde durch das Labor. „So?“
„Und jetzt andersherum.“
„Ähm. Klar.“
So geht es weiter und meine Sorge bezüglich des Tests verfliegt. Es ist eher ein Test, ob ich richtig wiederbelebt wurde.
Wiederbelebt! Das klingt wirklich gruselig. Offenbar hat mich dieser Blitz richtig erwischt. Zum Glück konnte der Doktor mich rechtzeitig wiederbeleben, sodass mein Körper keine bleibenden Schäden erlitten hat. Während ich vorführe, dass alle Gelenke und Muskeln noch funktionieren, beruhigen mich die Übungen zunehmend. Für einen Toten fühle ich mich super!
Was mir mehr Sorgen macht, ist die Zeit, die ich … nun, verhindert war. Wie viele Tage habe ich verloren? Wie lange bleibt mir noch, bevor Clive Hanger – oder Miss Fortune – mich holen kommt? Ich muss dringend damit beginnen, den Gotteszorn zu holen!
Obwohl … doofe Frage, habe ich den Gotteszorn nicht technisch gesehen schon? Ich glaube, ein zorniger Blitz aus dem Himmel ist ziemlich genau das, was man sich unter dem Zorn eines Gottes vorstellt. Wie befürchtet hat es nicht lange gedauert, an den Zorn zu kommen. Nur das mit dem Überleben und Behalten des Zorns klappt noch nicht so wirklich.
Aber hey, Schritt 1 erledigt! Ich muss nur das nachtragende Gewitter wiederfinden …
„Fertig“, beschließt der Arzt.
„Fein. Gibt es noch ein Mittagessen, bevor ich gehe?“
„Gehe?“
Der Wissenschaftler starrt mich an. Ich starre den Wissenschaftler an.
„Ich … darf doch gehen?“
„Aber wieso sollten wir dich gehen lassen? Du bist unser erster Schritt auf dem Weg zu unglaublichem Fortschritt!“
Unangenehme Stille schließt sich an.
„Ich … sage das jetzt ungerne“, beginne ich leise, „und ich bin euch wirklich dankbar für die Rettung! Aber … ich habe da noch ein, zwei Erledigungen.“
„Hach, ein rastloser Geist.“ Mister Kittel betrachtet mich verträumt.
„Nein, das ist … wirklich wichtig.“ Ich springe auf. „Bitte!“
Grübelnd reibt sich der Arzt das Kinn. „Hmm … ich könnte dich gehen lassen. Immerhin warst du nur ein Test. Aber du musst mir versprechen, dass du mein Geheimnis niemandem sonst verrätst. Ich will ja mein Patent auf Wiederbelebungen nicht verlieren.“
„Ich werde nicht ein Wort verlauten lassen, heiliges Wolfsehrenwort.“
„Und du musst natürlich auch etwas im Gegenzug für mich tun.“
„Ähm … wie bitte?“
Der Wissenschaftler beugt sich vor. „Ich lasse hier eine medizinische Sensation los! Das könnte mich den Nobelpreis kosten, falls ich es nicht noch einmal schaffe.“ Schneller, als ich reagieren kann, hat er mir ein Halsband umgelegt.
Ein verdammtes Halsband! Als wäre ich ein Hund.
„Darüber kann ich dich überwachen“, erklärt mir der Arzt. „Ich nehme es dir ab, wenn du mir ein hitzebeständiges Paar Augen bringst.“
„Ein … wofür?“
„Na, ich belebe meine Subjekte mit Blitzen wieder“, erklärt der Kittel lächelnd. „Bei den bisherigen Experimenten sind aber manche Körperteile, nun … geschmolzen. Jedenfalls bei den meisten. Ich brauche Augen, die den Prozess überstehen, um meine Chancen zu verbessern!“
„Und wo gibt es diese feuerfesten Augen?“
Der Arzt zuckt mit den Schultern. „Das weiß ich doch nicht. Sonst hätte ich mir welche besorgt.“
„Wie soll ich denn da welche finden?“
„Dir fällt schon noch was ein. Sonst werde ich dir so lange Stromstöße verpassen, bis du eine Idee hast.“
„Strom...?!“
Der Arzt zieht eine Fernbedienung hervor und drückt auf einen Knopf. Blitze knistern unangenehm durch mein Fell und kribbeln unter meiner Haut. Ich schnappe nach Luft. „Unangenehm.“
„Also … du findest meine Augen besser schnell, Wolf. Ich werde dich ab und zu daran erinnern.“ Mit einem fiesen Grinsen steckt der Kerl die Fernbedienung ein.
Na toll … jetzt habe ich den auch noch an der Backe!