Zum Glück habe ich diesmal schon eine Idee. Um meinen Plan in die Tat umzusetzen, schleiche ich zurück in die Hütte, während Cornflakes und sein Herrchen den Hain draußen absuchen. Ich muss eine Weile suchen, bis ich schließlich herausfinde, dass der untere Teil des Bettes sich herausrollen lässt. In der riesigen Schublade finde ich, was ich suche: Ein weißes Laken.
Nein, ich möchte mich nicht als Gespenst verkleiden, aber so was Ähnliches. Mit dem Laken eile ich wieder nach draußen und beginne, meine Beute in Stoffstreifen zu beißen, die ich dann um mich wickele. Vor allem das Gesicht muss versteckt sein, nach allem, was ich beim Gespräch zwischen dem Gott und dem Rattenfänger gehört habe.
Am Ende streife ich die Tarnkappe aber mit einem guten Gefühl ab. Ich denke, meine Verkleidung ist perfekt. Allerdings gibt es nur einen Weg, das zu testen.
Ich marschiere auf den Hof. Cornflakes und der Gott der Kreativen Beleidigungen stehen außen vor dem Hüttenfenster und betrachten den Scherbenhaufen. Das weiß ich, weil ich den Gott schon seit einer Weile schimpfen höre.
„Dieser Sohn eines ungeleerten Staubsaugerbeutels soll sich hier nie wieder blicken lassen!“, etwa. Autsch! So grau ist mein Fell doch nicht wirklich, oder?
„Ich habe Euch gewarnt, Herr.“
„Das hast du, Cornflakes. Ich habe diesem 60er-Jahre-Film in Wolfsgestalt einfach nicht so viel Hinterlist zugetraut!“
Ich räuspere mich, bevor mich noch der Mut verlässt. Jetzt oder nie! Der Gott und Cornflakes drehen sich um.
Was sie erblicken, ist ein Wolf in Mumienverkleidung, der nun den schlechtesten französischen Akzent des Jahrhunderts zum Besten gibt: „Vorzeihen Süü, meine ‘erren.“
„Wer bist du denn?“, fragt Cornflakes unfreundlich.
So ein Glück! Sie erkennen mich nicht.
„Das ist jetzt wirklich ein ungünstiger Zeitpunkt, egal, was Sie verkaufen.“ Die göttliche Stimme klingt matt. Wenn er nicht flucht, klingt er wirklich niedergeschlagen.
„Da bin isch mir nischt so sichä! Isch bin ein reisendär Masseur. Meine Pfo… ähh, Totzén bewürken Wunder.“
Wieso habe ich mich noch gleich für Französisch entschieden?
„Können Sie ein Swear Glass wieder zusammensetzen?“, fragt der Gott höflich, aber reserviert. „Nein? Na also, lassen Sie mich schon in Ruhe. Bitte.“
„Reparieren kann isch nüx, aber vielleischt konn ich ondérs helfün.“ Mir wird selbst schwindelig von den Bögen, die meine Aussprache schlägt. „Isch konn jede Form von Verkrampfung und ünnerer Anspannüng lösen!“
„Hast du meinen Herrn nicht gehört?“, fragt Cornflakes weniger diplomatisch. „Du sollst dich verpi…“
„Innere Anspannungen? Warte einen Moment, Cornflakes, ich finde, das klingt gar nicht so übel.“ Der Gott hat eine Hand ausgestreckt. „Sprich weiter.“
An dieser Stelle erspare ich dem Leser mal das verhunzte Französisch. Am Ende vom Chanson werde ich in die Hütte des Gottes geführt, wo dieser sich bäuchlings auf dem Bett ausstreckt.
Ich hocke auf ihm und versuche, seinen Rücken mit rhythmischen Tritten zu entspannen. Den Schlamm habe ich ihm schon als einzigartiges Massageöl verkauft.
„Tief durschatmöhn“, weise ich meinen Patienten an. „Losse alle negativen Gefühle los, vor allem die Wüt.“
Das war mein Plan von Anfang an. Ist doch ziemlich genial, oder? Ich habe schon einen Eimer unter den Gott gestellt, um den Zorn aufzufangen. Ich hoffe nur, der ist dann auch rein genug.
„Entspanne disch … lasse die Zorn dursch disch flüßen. ‘errlischen, kostbaren Zörn.“ Ich schnuppere. „Ja, isch kann es rieschén, genau sö …“
Ich merke, wie der Gott sich unter mir anspannt. „Was hast du denn die ganze Zeit mit Zorn und Wut, Herr Masseur?“
„Ich … habe gar nichts mit Zorn und Wut, du sollst dich nur entspannen.“
„Und wo ist dein Akzent hin?“
„Öhm. Du sollst disch nur öntsponnöhn?“
Der Gott richtet sich auf, worauf ich auf dem Boden lande. Rasch zieht er sich die Decke um den nur mit Schlamm bedeckten Oberkörper, dann sieht er mich misstrauisch an. „Einen Moment …“
Fast gleichzeitig sehen wir etwas, das mir aus der Verkleidung gerutscht ist. Eine rote Zipfelmütze. Ich springe vor, aber der Gott ist schneller und hebt sie auf. „Eine Tarnkappe? Marvin! Ich wusste doch, dass mir die Stimme bekannt vorkam!“
„Üsch woos goar ned wovün Se sabbeln.” Oh-oh, ich bin mit meinen Akzenten durcheinander gekommen!
„Raus hier!“, fährt der Gott mich an und fuchtelt drohend mit der Tarnkappe. „Verschwinde, aber schleunigst! Ich will dich hier nie wieder sehen! Und weißt du was?“
Ich bremse, bereits auf der Türschwelle. „Was?“
„Ich verfluche dich, Marvin Grauwolf.“
Ich mache einen Satz und renne weiter. „Nein!“
„Ich verfluche dich“, brüllt der Gott mir nach, „nie wieder Schimpfworte benutzen zu dürfen! Von nun an musst du dir ständig etwas Neues überlegen, hörst du?“
Leider höre ich es sehr gut. Ich hatte ja gehofft, wenn ich den Fluch nicht mitbekommen, tritt er auch nicht in Effekt. So wie man sich die Pfoten über die Augen legt, um unsichtbar zu werden ...
„Dein alter Fluch, ernsthaft?“, rufe ich über die Schulter. „Ist dir nichts Originelleres eingefallen? Schöner Gott der Schlagfertigkeit!“
Darauf kommt keine Antwort. Ich habe ihn aus-ge-schlagfertigt!
Am Tor werde ich langsamer. Cornflakes ist natürlich sofort angekommen und knurrt mich an.
„Moment, werde ich jetzt auch ein Gott? Weil ich den gleichen Fluch habe?“
Der Gott tritt aus seiner Hütte. „Träum weiter, Wolf. Der Platz ist schon belegt. Und jetzt ab mit dir! Wenn du nicht bei drei über’n Horizont rüber bist, klatscht es, und zwar keinen Applaus!“
Ich nehme die Pfoten in die Pfote. Na toll – das war doch ein wasserdichter Plan! Wieso habe ich mich hinreißen lassen und bin unvorsichtig geworden? Ich war meinem Ziel so nah!
Jetzt bin ich einen Freund, eine Idee und eine Tarnkappe ärmer. Noch dazu habe ich einen Fluch abbekommen, und zwar nur die negativen, nicht die positiven Seiten. Wenn ich selbst zum Gott geworden wäre, wäre das mit dem Zorn nämlich echt leicht gewesen.
Ich beschließe, zum Dorf zurückzukehren. Dort hatte ich bisher immer viel Glück. Hoffentlich habe ich noch genug Zeit, um einen anderen Plan zu finden!