Ich habe vorerst aufgegeben und stattdessen begonnen, mich mit dem Gott der kreativen Beleidigungen zu unterhalten. Ich fand das Thema ja doch schon spannend!
„Du hast natürlich recht, ein besonders wichtiger Gott bin ich nicht“, stellt dieser schweren Herzens fest. „Die meisten Menschen nutzten ganz platt die üblichen Schimpfwörter und Beleidigungen, die man schon tausendmal gehört hat. Aber ich bin verflucht worden. Wenn ein Wort mehr als dreimal als Beleidigung ausgesprochen wurde, kann ich es nicht mehr verwenden.“
Ich spitze die Ohren. „Also, angenommen, ich nutze ‚Danke‘ dreimal als Schimpfwort, dann kannst du dich nie mehr bedanken?“ Ob ihn das wütend machen würde? Kann ich noch wichtigere Worte für ihn so ‚verbrennen‘? Na gut – meinen Plan habe ich doch noch nicht ganz aufgegeben. Ist auch schwer, wenn der im Buchtitel steht …
„Oh, ich kann das Wort noch aussprechen, ich kann es nur nicht als Beleidigung verwenden. Wobei das auch eine sehr ungewöhnliche Beleidigung wäre. Andere Wörter fehlen mir da viel mehr.“
„Mist.“
„Das zum Beispiel, genau! So ein kurzes, sympathisches Wort, nicht besonders schlimm, aber nicht mal das kann ich nehmen.“
„Verstehe.“ Ich hebe die Hinterpfote, um mich am Hals zu kratzen. Das Halsband habe ich dabei vergessen. Eine kurze Episode strominduzierter Sprünge und Flüche später sitze ich mit etwas stärker gesträubtem Fell wieder im Gras. Wollte ich nicht noch irgendwas? Ach, bestimmt diese Frage stellen!
„Wer verflucht denn den Gott der Flüche, nicht mehr fluchen zu können?“
Lächelnd lehnt er sich auf der Bank zurück. Wir sitzen im Sonnenschein vor dem Ziegenstall. Wenn man einmal mit ihm warm geworden ist, ist der Fluchgott nämlich sehr nett. „Das mit dem Fluch war, bevor ich ein Gott wurde. Ich war damals schon ein ziemliches Lästermaul.“ (Sein Lächeln macht klar, dass das Wort nicht als Beleidigung seiner selbst zu verstehen ist und er mit seiner Vergangenheit im Reinen ist, auch wenn er die Fehler seines jüngeren Ichs anerkennt. (Boah, solche Zen-Typen können echt anstrengend sein!)) „Also wurde ich dazu verflucht, weniger Beleidigungen zu verwenden. Erst einmal wollte ich das nicht akzeptieren und habe immer neue Ausdrücke gesucht, wenn ich es brauchte. Und dadurch wurde ich schließlich zum Gott der kreativen Beleidigungen.“
„Faszinierend! Also aus der Not eine Tugend machen?“
„Das war nicht mein Karriereplan, ich wollte eigentlich Pirat werden. Seeräubern, fluchen, trinken.“ Ein seliges Lächeln huscht über das verhärmte Gesicht des Gottes, der im Sonnenlicht gar nicht mehr so finster wirkt. „Wie du siehst, hege ich immer noch eine gewisse Nostalgie für diese Zeiten und ihre kindlichen Träume. Aber ich habe mich in meine neue Rolle gefügt.“
„Und was macht man damit so den ganzen Tag?“
„Nun, ich für meinen Teil kümmere mich um den Hof und die Ziegen. Andere Götter missionieren ja, aber das ist nicht meins. Ich will die Beleidigungen nicht verbreiten. Ich habe sogar ein Swearglass, falls ich doch mal fluchen sollte!“
„Ein … Swearglass?“
„Das ist ein großes Glas, und wann immer ich fluche, kommt eine Münze hinein. Auf die Weise spart man sich etwas Geld an. Ich mache das seit Jahren und sollte bald genug für eine neue Schubkarre zusammenhaben.“
„Klingt praktisch.“ Ich bin abgelenkt, meine Gedanken kreisen um das Swearglass. Ob göttliche Münzen für die Gottesmacht der Flüche in einem heiligen Swearglass als Gotteszorn durchgehen würden? Jedenfalls klingt er sehr stolz auf dieses Glas. Was bedeutet, er wäre sicher sehr sauer, wenn jemand es zerbrechen würde …
Und außer ein paar kreativen Flüchen hätte ich nichts von seinem Zorn zu befürchten! Sticks and stones may break my bones, but words shall never hurt me!
Während ich grübele, spricht der Gott weiter: „Es gibt sogar ein paar Leute, die zu mit beten, auch wenn sie es gar nicht wissen.“
„Man kann aus Versehen zu einem Gott beten?!“
„Die Menschen machen das ständig! Sie wünschen, hoffen, flehen, sozusagen, ohne eine Adresse auf das Gebet zu kleben. Eine echte Unsitte, sagen viele, aber ich profitiere davon. An mich gehen nämlich alle Gebete, wo sich jemand eine gute Beleidigung wünscht.“
Erwartungsvoll grinsend sieht der Gott mich an. Er wartet offenbar darauf, dass ich errate, was er meint.
Verwirrt lege ich den Kopf schief. Und rolle innerlich mit den Augen. Fehlt ja nur noch, dass ich winsele, bis er ein Leckerchen rausrückt! Ich muss herausfinden, wie ich Flüche wieder loswerde!
„Wer wünscht sich denn eine kreative Beleidigung? Mit den üblichen Kandidaten kommt man gut zurecht.“
„Autsch!“ Der Gott lacht gutmütig. „Aber ich verzeihe deine Unwissenheit. Lass mich erklären: Kreative Beleidigungen sind ja oft auf eine spezielle Situation zugeschnitten. Sie helfen uns aus, wenn wir verletzt wurden und es heimzahlen wollen.“
„Du … bist der Gott der Comebacks!“
„Ganz genau!“
Er reicht mir einen Knochen als Belohnung. Woher auch immer er den hat, ich sage nicht nein! Während ich glücklich darauf herumknurpsele, fragt sich ein Teil von mir besorgt, ob ich mich gerade anfüttern lasse.
„Wann immer ihr euch also wünscht, dass euch ein Comeback einfallen würde, oder wann immer es euch erst in der Nacht nach dem Vorfall einfällt, dann ist das auch ein Gebet an mich“, erklärt der Gott. „Natürlich ist das formell nicht ganz ideal. Besser wäre es, wenn sie mich persönlich ansprechen. Und initiativ, nicht nur, wenn sie dringend was brauchen. Du weißt schon, ‚Oh Gott der kreativen Beleidigungen, lass mich heute schlagfertig sein und gib meinen Feinden, was sie verdienen‘, solche Phrasen. Dann würden mir die Gebete auch mehr Macht verleihen. Aber ich habe eigentlich keine Ambitionen und von der Macht, die sozusagen zufällig herauströpfelt, kann ich ganz gut leben. Ich bin ja bescheiden, mehr als einen kleinen Ziegenhof brauche ich gar nicht!“
Puh, er macht es mir echt schwer. So ein netter Gott! Ich habe ein richtig schlechtes Gewissen, dass ich immer noch über das heilige Swearglass nachdenke. Ich weiß, das mag angesichts meiner bisherigen Abenteuer verrückt erscheinen, aber ich beleidige echt ungerne Leute. Ich bin ein sehr harmoniebedürftiger Wolf, ein Betawolf, der das Rudel zusammenhält. Nur bin ich leider schlecht darin – was auf meinem aktuellen Auftrag von Vorteil ist, mich aber nicht wirklich glücklich stimmt.
Ich will den netten Gott gar nicht wütend machen. Aber bleibt mir eine Wahl? Er ist ein schwacher Gott, sodass ich nicht mit gefährlichen Konsequenzen rechnen müsste. Es ist einfach ideal, wenn man mal von meinen persönlichen Gefühlen absieht.
Ich denke, es wird Zeit, das Gespräch zu beenden und dieses Swearglass zu suchen. Bringen wir das Unangenehme hinter uns. Danach kann ich mich die restlichen elf-oder-so Kapitel um Mr. Kittel von Stromstoß und seine feuerfesten Augen kümmern!
Erst einmal muss ich aber meinen Knochen aufessen. Der ist echt lecker! Boah, der Gott macht es mir wirklich nicht leicht!