Njellen lief hin und her und überlegte, nach welchem Tier Brogern fragte. »Die Tiere in unserem Haus«, murmelte er vor sich hin. »Und von denen nur die ersten beiden Buchstaben. Mm. Weiß nicht. Was kam als Nächstes? Ein kleiner Laut. Ich komme darauf. Mm. Ein kleiner Laut. A ist ein Laut. Und wenn man etwas begreift, sagt man schon mal A« Njellen sah zu Brogern auf. »Könntest du es mir noch einmal sagen?«
»Denk an die ersten Tiere in eurem Haus und nimm jeweils den ersten Buchstaben heraus.
Als Nächstes denke an das Tier mit dickem Fell, doch reizt du es, wirst du nass sehr schnell.
Nun denke an den Anfang der Nacht und Mitte bis Ende der Monde.
Nun füge den Laut des Panthers hinzu und das Mädchen ist gerettet im Nu.«
Njellen starrte Brogern an. »Das ist nicht das Rätsel von grade«, sagte er.
»Oh. Ich vergaß zu erwähnen, dass sich das Rätsel bei der dritten Wiederholung ändert«, Brogern lachte gehässig.
»Na schön«, Njellen schritt wieder auf und ab.
Brogern beobachtete ihn. Seine Augen funkelten gehässig.
»Die ersten Tiere im Haus«, sagte Njellen leise. »Schattenschwinge und Astor. Und von denen jeweils den ersten Buchstaben. Also S und A. Sa. Mm. Dann ein Tier mit dickem Fell, was nass ist. Ne. Wie war das gleich? Es kann dich nass machen, wenn man es ärgert« Njellen blieb stehen und starrte in die Ferne. »Wie heißt das Tier noch? Ein, ein, ein Lama. Genau. Also. Sa und dann Lama. Und wie ging es weiter?«, Njellen sah zu Brogern auf. »Kannst du mir die zweite Hälfte noch mal sagen?«
»Nun denke an den Anfang der Nacht und Mitte bis Ende der Monde.
Nun füge den Laut des Panthers hinzu und das Mädchen ist gerettet im Nu.«
»Der Anfang der Nacht? Also Dämmerung. Ne kann nicht sein. Mitte bis Ende der Monde. Die Mitte vom Mond?«, Njellen lief wieder auf und ab. »Was soll denn die Mitte vom Mond sein? Mitte bis Ende der Monde. Der Anfang der Nacht?«, Njellen blieb wieder stehen. »Und wenn ich nur die Buchstaben nehme. Dan hätten wir ein N für den Anfang der Nacht und, Mitte bis Ende der Monde, N D E. Und jetzt noch den Laut des Panthers. Ein Panther, der faucht oder knurrt. Wenn man das nachmacht, klingt es wie ein R. Fassen wir zusammen. Sa – Lama – nnde – r. Salamander. Ein Salamander«, sagte Njellen laut.
»Du bist besser als ich dachte, Halbling«, meinte Brogern mit einem gehässigen grinsen. »Das Mädchen wird wieder zu Hause sein, wenn du zurückkehrst.«
Njellen wandte sich zu Lefkó um. Dieser lag mit geschlossenen Augen auf der Erde und rührte sich nicht.
»Was hasst du mit ihm gemacht?!«, fragte Njellen wütend und kniete sich neben den Löwen.
»Nur dafür gesorgt, dass er dir nicht helfen kann, aber keine Sorge. Der wacht wieder auf«, Brogern lachte und verschwand.
Njellen strich Lefkó vorsichtig über den Kopf. Doch dieser rührte sich nicht. Zorn und Wut stiegen in Njellen auf. Er spürte das die Energie, welche er normalerweise zum Heilen von Wunden benutzte, in ihm hochkochte. Njellen erhob sich und schlug mit der flachen Hand auf die Erde. Eine gewaltige Druckwelle ging von seiner Hand aus und ein alter Baum brach einfach durch. Mit einem Knall landete er auf dem Boden. Njellen setzte sich wieder neben Lefkó und vergrub das Gesicht in der Mähne des Löwen. Der Regen war inzwischen noch stärker geworden und der kleine Bach trat bereits übers Ufer. Njellen versuchte Lefkó vom Ufer wegzuziehen, doch der Löwe war zu schwer. Njellen sank neben dem Löwen zu Boden. Doch plötzlich rührte Lefkó sich. Er öffnete langsam die Augen und sah Njellen an. »Du hast das Rätsel also gelöst?«, fragte er leise.
»Was hat er mit dir gemacht?«
»In dem Moment, in dem du zugestimmt hast das Rätsel zu lösen, bin ich in Schlaf gefallen. Das war das Kleingedruckte in seinem Regelwerk.«
»Kleingedrucktes? Was meinst du damit?«
»Bei Brogern musst du vorsichtig sein«, meinte Lefkó. »Hinterfrage alles Mögliche. Sonnst kann auch mal schnell etwas schiefgehen.«
»Lass uns erstmal zurückgehen. Namidha müsste auch wieder da sein.«
Lefkó erhob sich langsam und die beiden machten sich auf den Weg, zurück zum Haus. Doch als es in Sicht kam, blieben sie wie angewurzelt stehen.
»Neeeiiinnn!«, brüllte Njellen. Das Haus lag in Trümmern. Njellen rannte los. Lefkó setzte ihm nach. Am Haus angekommen blieb Njellen wieder stehen. Das Dach hatte alles unter sich begraben. Zusammen mit Lefkó versuchte Njellen die Trümmer beiseite zu räumen. Als sie einen Spalt geschaffen hatten, zwängte sich Njellen hindurch. Lefkó tauchte kurz darauf neben ihm auf. Die beiden begannen unter den Trümmern nach den anderen zu suchen. Njellen hoffte niemanden zu finden. Doch im selben Moment gab Lefkó einen erstickten Laut von sich. Njellen wandte sich zu ihm um. Namidha lag halb unter einem Regal, mit einer blutenden Wunde am Kopf und offenbar gebrochenen Knochen. Njellen sank an einer Wand zu Boden. Da sah er Astor. Dieser wurde anscheinend von einem der Deckenbalken erschlagen. Lefkó ging vorsichtig zu dem Hund hinüber. Dann sah er zu Njellen zurück und schüttelte den Kopf. Njellen erhob sich und die beiden durchsuchten das restliche Haus. Nach und nach fanden sie Hellen, Schattenschwinge und Trakner. Sie alle waren tot. Lefkó und Njellen verließen die Ruine wieder, wobei Njellen jedoch einen dicken Knüppel mitnahm.
»Es tut mir so leid«, sagte Lefkó mit gesenktem Blick.
»Wenn du nicht gekommen wärst, dann wären sie noch am Leben«, meinte Njellen und er hob den Knüppel.
Lefkó sah ihn an. »Du hast recht«, gestand er. »Ohne mich würden sie vermutlich noch leben«, er sah zu Njellen auf. »Tue das, was du für richtig hältst.«
Mit erhobenen Knüppel ging Njellen auf Lefkó zu. Dieser rührte sich nicht. Njellen packte den Knüppel fest mit beiden Händen und dann – dann warf er ihn weg.
»Ich habe schon meine Familie verloren«, sagte er und fiel dem Löwen um den Hals. »Soll ich dich denn auch noch verlieren?«
Lefkó legte die Pfoten auf Njellens Schulter. Njellen trat einen Schritt zurück und sah den Löwen an. »Ist das meine Schuld?«, fragte er.
»Warum glaubst du das?«
»Als du bewusstlos warst, oder was auch immer das war, da habe ich irgendwie eine Druckwelle in den Boden gejagt.«
»Eine Druckwelle?«, Lefkó sah ihn mit einem merkwürdigen Blick an. »Das ist weit fortgeschrittene Elfenmagie«, er seufzte und meinte dann. »Wir sollten sie begraben, bevor die Aasgeier auftauchen.«
Njellen nickte nur und die beiden gingen zurück in das zerstörte Haus, um die anderen herauszuholen. Sie hoben das Regal von Namidha herunter und Njellen trug sie hinaus. Als er sie hochhob, spürte er die gebrochenen Knochen. Lefkó trug Astor und Schattenschwinge hinaus. Lefkó wartete draußen, als Njellen wieder hineinging um erst Hellen und anschließend Trakner aus den Trümmern zu hohlen. Anschließend nahm Njellen den Sparten, welcher neben den Trümmern lag und hob drei Gräber aus. Als er fertig war, war der Mond bereits aufgegangen. Lefkó saß regungslos daneben und rührte sich nicht von der Stelle. Erst als Njellen den Sparten zur Seite legte, sah der Löwe auf. Schweigend legte Njellen die toten Körper in die Gräber. Da Namidha noch kein Seelentier hatte, lag sie alleine im Grab. Doch Trakner hatte Astor an seiner Seite und Hellen Schattenschwinge. Njellen ging noch einmal in das Haus und holte zwölf Fackeln heraus. Er stellte jeweils eine Fackel an eine Ecke jedes Grabes. Anschließend entzündete er sie und setzte sich vor den Gräbern nieder. Lefkó saß, wie ein stummer Wächter neben ihm. Njellen senkte den Kopf und starrte zu Boden. Regungslos saß er da. Erst als die Fackel niedergebrannt waren, erhob er sich und begann damit die Gräber zu zuschaufeln.
Als sich der Himmel langsam erhellte, ritzte Njellen mit einem Messer den letzten Namen in ein Kreuz aus Holz und stellte es auf Namidhas Grab. Anschließend ging er schweigend zum Fluss und kam mit einigen Steinen zurück. Diese legte er um die Gräber herum. Lefkó hatte kein Wort mehr gesagt, seit sie die Toten aus dem Haus geholt hatten. Nach dem Njellen den letzten Stein platziert hatte, sah er zu Lefkó auf. Dieser erwiderte seinen Blick, schwieg jedoch weiterhin. Njellen setzte sich wieder neben ihn. »Ist alles in Ordnung?«, fragte er leise.
»Das sollte eher ich dich fragen aber nein. Ist es nicht.«
»Ich habe das nicht so gemeint, als ich sagte, dass du Schuld bist, weil du zu mir gekommen bist«, sagte Njellen.
»Das weiß ich. Und das ist es auch nicht.«
»Was ist es dann?«
»Ich – du bist zurzeit nicht in der Verfassung dafür«, meinte Lefkó mit dumpfer Stimme.
Njellen sah den Löwen an, widersprach jedoch nicht. Lefkó hatte eindeutig recht. Im Moment war er nicht aufnahmefähig. Njellen lehnte sich an den Löwen und schloss die Augen. Es dauert nicht lange, bis er eingeschlafen war. Lefkó jedoch blieb wach. Seine Augen leuchteten in der aufgehenden Sonne. Lefkó lag regungslos da. Er zuckte nicht einmal, als die ersten Vögel zu singen begannen. Er konzentrierte sich darauf, Njellen so lange wie möglich im Schlaf zu halten.