Astor und Schattenschwinge sahen den Löwen fragend an. Dieser erwiderte ihren Blick, sagte jedoch nichts. Auch Namidha sah Lefkó an und meinte: »Du passt also auf die Seelentiere hier auf?«
»Aufpassen ist vielleicht nicht das richtige Wort«, erwiderte Lefkó. »Eher könnte man sagen, dass ich sie im Notfall an ihre Verpflichtung erinnere.«
»Und was ist mit den Seelentieren von den Jungs aus dem Dorf?«, fragte Njellen.
»Da sie dich nicht angegriffen, und nicht zugelassen haben, dass ihren Partnern etwas passiert, haben sie nichts Falsches getan«, meinte Lefkó mit düsterer Miene.
»Und was ist mit der Respektlosigkeit gegenüber dem Wächter und seinem Panther?«
»Da kann ich nichts zu sagen, da dies den Wächter direkt betrifft.«
»Wie viele Partner muss ein Himmelstier denn gehabt haben, bis es seinen Vertrag erfüllt hat?«, wollte Namidha wissen.
Lefkó wandte sich ihr langsam zu. Als er sie ansah, murmelte Namidha: »Tut mir leid. Ich wollte nicht.«
»Das ist individuell«, antwortete der Löwe knapp.
»Dein Vertrag war also erfüllt? Und nur meinetwegen...«, begann Njellen.
»Ich wollte es so«, unterbrach ihn Lefkó. »Ich hätte es nicht tun müssen. Es war meine Entscheidung.«
Njellen nahm den Löwen in die Arme. »Und wenn ich kein Halbelf wäre?«
»Dann hättest du vermutlich schon lange einen Partner gehabt«, meinte Lefkó.
»Und du?«, fragte Astor.
»Ich. Ich würde den Rest meines Lebens durch die Wälder streifen«, meinte der Löwe gelassen.
»Wie lange warst du eigentlich bei Brogern?«, wollte Schattenschwinge wissen.
»Ein paar Wochen. Warum?«
»Du hast nicht gesagt, was in der Zeit passiert ist.«
»Wenn er es nicht sagen will, braucht er es auch nicht«, warf Njellen rasch ein.
»Da gibt es nicht viel zusagen«, meinte der Löwe. »Er hat mich so langsam mit Hass vergiftet, dass ich es nicht bemerkt habe, bis es zu spät war. Obwohl ich es zu dem Zeitpunkt ja gar nicht so schlecht fand.«
»Versteh mich jetzt bitte nicht falsch«, sagte Njellen vorsichtig, »aber...«
»Du machst dir Sorgen, dass ich noch auf seiner Seite stehe«, beendete Lefkó den Satz.
Njellen nickte. Lefkó sah ihn lange an. Als er dann sprach, war seine Stimme noch ruhiger als sie normal schon war. »Ich verstehe dich. Nach allem, was du erlebt hast, und nach dem, was du von mir weißt, kann ich deine Reaktion gut nachvollziehen. Vertrauen ist das wichtigste zwischen Mensch und Tier. Und die Wächter schauen ganz genau, welches Tier überhaupt in der Verfassung dazu ist, ein Seeelentier zu werden. Und mich hätten sie nie zum Seelentier, geschweige denn Himmelstier gemacht, wenn sie damit rechnen müssten, das ich noch auf Brogerns Seite stehen würde.«
Namidha, Astor und Schattenschwinge saßen schweigend da und hörten zu. Njellen saß noch neben Lefkó. Nun erhob er sich und meinte: »Ich möchte einen Moment alleine sein«, und er verließ das Zimmer.
Die anderen sahen ihm nach. Lefkó artmete tief durch. Die anderen wandten sich zu dem Löwen um.
»Erzählst du es deswegen nur, wenn es notwendig ist?«, fragte Astor.
»Ja«, Lefkó nickte. »Es war wohl noch etwas zu früh. Ich hätte ihm mehr Zeit lassen sollen.«
»Was meinst du damit?«, harkte Namidha nach.
Der Löwe sah sie an. »Überleg doch mal«, meinte er. »Für Njellen war es schon immer schwer, da er ein Halbelf ist. Die Elfen haben ihn verstoßen, weil er zur Hälfte Mensch ist und die meisten Menschen verstoßen ihn, weil er zur Hälfte Elf ist. Und dann die Ungewissheit, die ganzen Jahre lang, ob er nun einen Partner bekommt oder nicht. Und nun erfährt er, dass sein Partner einst mit dem Bösen praktiziert hat. Ist doch verständlich, dass er erst mal allein sein will, um seine Gedanken zu ordnen.«
Namidha erhob sich von dem Stuhl und verließ das Zimmer. Schattenschwinge folgte ihr. Astor jedoch blieb zurück. Er sah Lefkó an. Dieser erwiderte den Blick und meinte dann: »Du willst wissen, wie ich es geschafft habe vor dir in der Küche zu sein, als ich zu den Wächtern gegangen bin, oder?«
»Das würde mich schon interessieren.«
»Es ist nicht immer so wie es scheint«, sagte Lefkó gelassen.
Astor sah ihn an. »Was genau meinst du damit?«
»Als Himmelstier kann ich ein Abbild von mir auf der Erde hinterlassen, wen ich bei den Wächtern bin. So kann ich an zwei Orten zu gleich sein. Kann wichtige Angelegenheiten mit den Wächtern besprechen und zu gleich bei meinem Partner sein.«
»Merkt der Partner es, wenn nur dein Abbild bei ihm ist?«
»Das hängt vom Partner ab«, meinte Lefkó.
Njellen hatte das Haus verlassen und saß nun am Bach. Seine Schuhe hatte er ausgezogen, um die Füße ins Wasser zu halten. Als die Sonne langsam unterging, kam Njellen zu dem Entschluss, dass, selbst wenn Lefkó einst mit Brogern zusammengearbeitet hatte, er zugeben musste, dass die Wächter den Löwen nicht zum Seelentier gemacht hätten, wenn er noch auf Brogerns Seite stehen würde. So erhob sich Njellen, zog die Schuhe wieder an und ging langsam zurück ins Haus. Als er sein Zimmer betrat, wartete Lefkó dort auf ihn. Der Löwe sah ihn fragend an. Njellen ging zu ihm und nahm ihn fest in die Arme. »Tut mir leid, dass ich an dir gezweifelt haben.«
»Es hätte mich verwundert, wenn du es nicht getan hättest«, meinte Lefkó.
Njellen lies ihn los und trat einen Schritt zurück. Lefkó lächelte ihn an.
»Warum hätte es dich verwundert?«
»Ganz einfach. Ich kenne deine Vergangenheit.«
»Du weißt alles über mich«, meinte Njellen, »aber ich weiß kaum etwas über dich.«
Lefkó sah ihn verdutzt an. »Du kannst dir doch meine Gedanken ansehen.«
»Und wie genau funktioniert das?«
»Das ist einfach«, meinte Lefkó, »konzentriere dich auf die Gedanken, welche du von mir wahrnehmen kannst. Und nun geh einfach weiter. Die Gedankenstränge sind alle miteinander verknüpft. Finde die Verbindungen und schau dir das an, was dich interessiert.«
Njellen versuchte es. Und nach kurzer Zeit fand er Lefkós Gedanken. Doch die Verknüpfungen konnte er nicht finden.
»Das kommt mit der Zeit«, sagte Lefkó lächelnd, als sich Njellen aufs Betten fallen ließ. Dieser sah zu dem Löwen auf. »Was verbirgst du vor mir?«
»Wie bitte?«
»Du hast Teile deiner Erinnerungen verschlossen. Erinnerungen aus der nahen Vergangenheit. Was ist so schlimmes passiert, dass ich es nicht sehen soll?«
Lefkó sah ihn mit einem traurigen Ausdruck an. »Das sind die letzten Erinnerungen an meinen alten Partner«, sagte er. »Und da ein Seelentier ja normalerweise keine Erinnerungen an seinen vorigen Partner hat, haben mir die Wächter erlaubt diesen Teil meiner Erinnerungen vor dir zu verbergen.«
»Entschuldige. Ich wusste nicht...«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, unterbrach Lefkó ihn. »Aber wenn du bemerkt hasst, das ich etwas verschließe, heißt das dann du konntest dir meine Erinnerungen ansehen?«
»Ja. Alles an was du dich erinnerst«, meinte Njellen grinsend.
»Warum grinst du so?«, fragte Lefkó. »Was hast du gesehen?«
»Verrate ich nicht.«
Lefkó ging auf ihn zu, doch Njellen hüpfte leichtfüßig durch das offene Fenster. Als Halbelf konnte er besser klettern als die Menschen und so kletterte er geschwind hinauf aufs Dach. Dort setzte er sich und schaute hinunter zur Tür. Njellen wartete darauf, dass Lefkó dort erscheinen würde.
»Schöne Aussicht von hier oben.«
Njellen zuckte zusammen und rutschte beinah vom Dach. Lefkó saß neben ihm.
»Wie bist du...?«, Njellen starrte Lefkó an.
»Wenn mich nichts daran hindert, kann ich jederzeit zu dir gelangen«, sagte Lefkó.
»Wie meinst du das, wenn dich nichts daran hindert?«
»Ganz einfach. Solange ich mich frei bewegen kann, ist es mir möglich immer zu dir zu gelangen.«
»Normale Seelentiere können das nicht, oder?«
Lefkó schüttelte den Kopf. Njellen fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Du sabberst«, meinte er.
»Das kann nicht sein«, erwiderte der Löwe. »Allerdings habe ich auch etwas abbekommen.«
Beide sahen hinauf zum Himmel. Tiefgraue Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben.
»Solche Wolken habe ich noch nie gesehen«, meinte Njellen nachdenklich.
»Wir müssen vom Dach runter«, sagte Lefkó. »Das sind keine normalen Wolken.«
»Was meinst du damit?«, fragte Njellen, während er vom Dach herunterkletterte.
»Diese Wolken wurden mit Magie beschworen.«
Njellen und Lefkó verschwanden im Haus. Njellen schloss die Tür hinter ihnen. »Warum sollte jemand das tun?«, fragte er.
»Vermutlich haben die Walddroiden wieder streit mit den Stadtmagiern«, erwiderte Lefkó und er schob die Küchentür auf. Trakner und Hellen saßen am Tisch. Astor und Schattenschwinge waren auch anwesend.
»Wo ist Namidha?«, fragte Lefkó mit besorgter Stimme.
»Was ist passiert?« Hellen sah besorgt zu dem Löwen.
»Ein Magiersturm zieht auf.«
»Sie wollte zum Fluss«, meinte Schattenschwinge.
Wie ein Pfeil schoss Lefkó aus dem Haus. Die anderen sahen ihm nach. Njellen zögerte kurz. Doch dann eilte er Lefkó nach. Der Löwe war so schnell, das Njellen ihn schon nicht mehr sehen konnte. Große Regentropfen fielen vom Himmel und ein kalter Wind blies. Vereinzelt zucken Blitze über den dunklen Himmel. Njellen eilte zum Fluss. Als er dort ankam, sah er, dass Lefkó zusammengeroll am Ufer lag. Njellen rannte auf ihn zu. Doch als er ihn fast erreicht hatte, packte ihn eine Hand an der Schulter und hielt ihn fest. Njellen wandte sich um und sah in rot glühende Augen.
»Wie vorhersehbar«, sagte der Mann böse lächelnd.
»Wo ist Namidha?!«, fauchte Njellen wütend.
Das böse Lächeln verblasste. »Du machst die mehr Sorgen um das Mädchen als um deinen Löwen?«
»Wo ist Namidha?«, wiederholte Njellen.
»Wie findest du das Lefkó? Er macht sich mehr Sorgen um das Mädchen als um dich.«
»Was willst du hier, Brogern?«, fauchte Lefkó.
»Du hast noch eine Schuld zu begleichen«, meinte Brogern gelassen.
Lefkó erstarrte. »Die habe ich beglichen«, sagte er tonlos. »Deine Greifen haben den letzten Rest eingefordert.«
Njellen sah abwechselnd zwischen Lefkó und Brogern hin und her.
»Das hat er dir anscheinend verschwiegen«, Brogern lacht gehässig.
»Wo. Ist. Namidha?!«, fragte Njellen zum dritten Mal.
»Du bist lästig«, meinte Brogern. »Aber ihr geht es gut. Zufrieden?«
Njellen spürte den Zorn in sich aufsteigen. Er ballte die Hand zur Faust. Da rief Lefkó: »Lass dich nicht provozieren. Das will er doch nur.«
Brogern stieß Njellen von sich und ging auf Lefkó zu. Njellen viel hart zu Erde. Doch er sprang rasch wieder auf die Beine. Brogern hob die Hand, in welcher sich eine rot leuchtende Kugel bildete.
»Du kannst mir nichts anhaben«, sagte Lefkó. »Und das weißt du auch. Meine Schuld ist bezahlt. Du hast keine Macht mehr über mich. Und warum kommst du erst jetzt? Nach all den Jahren?«
»Ganz einfach. Ich musste warten, bist du einen Partner hast, der so dämlich ist, euch beide in Gefahr zu bringen«, meinte Brogern. Den ersten Teil der Frage überging er.
»Inwiefern hat Njellen uns in Gefahr gebracht?«
»Doch nicht die Missgeburt dahinten«, sagte Brogern abfällig. »Ich meine deinen letzten Partner, der meine Greifen jagen wollte.«
»Und was willst du dann jetzt?«, fragte Lefkó, der langsam die Geduld verlor.
»Erinnerst du dich an das, was ich dir sagte, als wir uns das erste Mal trafen?«
»Nein!«, fauchte Lefkó. »Ich erinnere mich nicht!«
»Ist eigentlich auch nicht wichtig. Jedenfalls musst dich entscheiden. Der Halbling oder das Mädchen?«
»Und was«, fragte Njellen, »geschieht mit dem, für wen er sich entscheidet?«
»Du scheinst ja doch etwas im Kopf zu haben«, sagte Brogern lachend. »Wie wäre es mit einem Spiel? Wenn du meine Rätsel löst, dann lass ich euch in Ruhe.«
»Und wenn nicht?«, hakte Njellen nach.
»Dann nehme ich die Seelen des Mädchen und deren Eltern.«
»Und was, wenn ich nicht spielen will?«
»Dann nehme ich deine Seele.«
»Das kannst du nicht«, erwiderte Lefkó. »Du kannst keine Seele von jemanden nehmen, der seinem Partner vertraut. Und deswegen kannst du auch die Seelen der Eltern nicht nehmen.«
»Da dir das Mädchen ja anscheinend viel bedeutet, nehme ich ihre Seele, wenn du nicht spielst, oder verlierst.«
»Was für eine Art Spiel soll das denn sein?«, fragte Njellen wütend.
»Es geht um Rätsel.«
»Na schön. Jetzt sag mir noch wie viele ich lösen muss und dann können wir anfangen.«
»Es ist nur ein Rätsel. Bist du bereit?«
Njellen nickte.
»Denk an die Tiere in deinem Haus, doch da wir nicht alle wollen haben, nimm nur die ersten zwei Buchstaben.
Als Nächstes, nur ein kleiner Laut, ich merke schon da kommst du drauf.
Nun denke an das Tier, was sich anpassen kann. Und auch hier nimmst du nur die ersten zwei Buchstaben dann.
Zum Schluss nimm das letzte Drittel vom See.
Füge nun alles zusammen und du erfährst dann, welches Tier die Seele des Mädchens retten kann.«
»Kannst du etwas langsamer wiederholen?«, fragte Njellen.
Brogern wiederholte das Rätsel.
»Wenn ich dir also das gesuchte Tier nenne, dann verschwindest du und lässt uns in ruhe?«
»Wenn du mir sagst, nach welchem Tier ich suche, dann ja.«