Njellen setzte sich aufs Bett und fuhr sich mit den Fingern durch Haar. Lefkó saß vor ihm und sah ihn an. »Mach dir keine Sorgen«, meinte der Löwe. »Der Hauptmann ist in Ordnung.«
Njellen sah den Löwen an. »Weißt du, was ich mich frage?«
»Ja«, Lefkó nickte. »Das weiß ich.«
»Und? Was hast du dazu zu sagen?«
Lefkó kratzte sich hinterm Ohr. Dann meinte er: »Ich glaube nicht, das die beiden Wachleute wussten, dass wir die Vermissten sind. Sonst hätten die anders reagiert. Ob der Hauptmann das weiß, das werden wir morgen sehen.«
»Verrat mir warum?«
»Warum?«
»Ja, warum?«
»Du willst wissen warum?«
»Lefkó!«
»Schon gut«, meinte der Löwe. »Als wir in der Taverne waren, da hat mir Wrico einen versteckten Hinweis gegeben, dass uns jemand folgt und das wir untertauchen sollen.«
Njellen starrte ihn an. »Du hast das Gerücht verbreitet, ich hätte Trakner und … und … ?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Lefkó. »Ich habe nur die Gelegenheit genutzt, um uns in Sicherheit zu bringen.«
»Vor wem?«, fragte Njellen. »Wer oder was verfolgt uns?«
»Das weiß ich leider auch nicht.«
»Und wie hat Wrico dich gewarnt?«
»Nun, da wir beide uns schon ewig lange kennen, kenne ich ihn wie sonst kaum einer. Als er bei uns am Tisch saß, und der Quarx kam, konnte dieser ihn ja nicht sehen. Da wir beide ihn aber weiterhin sehen konnten, wusste ich, dass er meinte, das wir uns verstecken sollen.«
»Um den Zusammenhang zu verstehen, muss man ihn wohl wirklich gut kennen.«
»Ja und nein«, meinte Lefkó. »Talminume sind im Allgemeinen sehr kontaktfreudige Ti... Wesen. Wenn sie sich nicht zeigen, oder nur bestimmten Lebewesen nicht zeigen, dann hat das immer etwas zu bedeuten.«
»Aber er hat sich uns doch anfangs auch nicht gezeigt, oder?«, fragte Njellen.
»Nur weil wir ihn nicht gesehen haben, heißt das nicht, dass er sich uns nicht gezeigt hat.«
Njellen sah Lefkó eine Weile schweigend an. Irgendwann meinte er: »Wir werden uns aber nicht ewig verstecken können.«
»Das habe ich auch nicht vor. Aber fürs Erste ist dies der beste Ort, um ungestört nachdenken zu können.«
Njellen setzte sich wider aufs Bett und sah gedankenverloren Lefkó an. Dieser schritt langsam an den Gittern auf und ab. Hin und wieder blieb er stehen, murmelte vor sich hin, doch dann ging er weiter auf und ab. Njellen sah aus dem kleinen Fenster. Es musste Mittag sein. Die Sonne stand hoch am Himmel.
»Mach dir darüber keine Sorgen.«
Njellen sah zu Lefkó. Dieser stand neben dem Bett und sah ihn an. »Das sagst du so einfach.«
»Bis morgen früh wird eh nichts passieren. Und da es keinerlei Beweise geben wird, können die uns hier eh nicht festhalten.«
»Und was dann?«, meinte Njellen. »Werden wir jetzt in jeder Stadt, in welche wir kommen verhaftet? Oder wird uns derjenige, der uns an die Wachen gemeldet hat, irgendwann angreifen?«
»Ich glaube weder das Eine noch das Andere«, sagte der Löwe.
Njellen sah wieder aus dem Fenster. Vereinzelnd zogen weiße Wolken über den Himmel. Als er sich wieder zu Lefkó umwandte, war dieser verschwunden. Einen Augenblick später wusste Njellen auch warum. Ein Wachmann trat vor das Gitter. In der Hand hielt er einen Teller und ein Glas Wasser. »Komm zur Tür«, sagte er, »und mach keine Dummheiten.« Njellen erhob sich vom Bett und ging langsam zur Tür. Das Glas reichte der Mann ihm einfach durch die Gitterstäbe. Den Teller schob er unter der Tür durch.
»Was ist mit meinem Löwen? Bekommt der auch etwas?«, fragte Njellen. Den Namen nannte er absichtlich nicht.
»Nein«, sagte die Wache und verschwand.
»Ich brach doch eh nichts«, meinte Lefkó, welcher wieder neben Njellen stand.
»Das weiß ich, aber die müssen das ja nicht unbedingt wissen.«
»Jo. Da hast du recht.«
Njellen nahm einen Schluck aus dem Glas und sah dann auf den Teller. Dort lagen zwei Scheiben Brot und Käse. »Besser als nichts«, meinte er und er biss in eines der Brote.
»Schmeckt es wenigstens?«, fragte Lefkó.
»Man kann es essen«, antwortete Njellen.
»Hast du in einem Gefängnis etwas anderes erwartet?«
»Ich hatte mit etwas Schlimmeren gerechnet«, meinte Njellen und schob den leeren Teller durch die Gitterstäbe. Njellen nahm das Glas, trank es aus und stellte diese vor die Zellentür.
»Ich werde mich für den Rest des Tages in deine Seele zurückziehen«, sagte Lefkó. »Da kann ich in Ruhe nachdenken. Wenn irgendwas ist, werde ich da sein.«
Njellen nickte nur und Lefkó verschwand. Der Halbelf legte sich aufs Bett und sah durch das Fenster zum Himmel hinauf. Die Sonne wanderte über den Himmel und verschwand langsam aus Njellens Sichtfeld. Dafür sah er plötzlich etwas anderes. Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr. Njellen setzte sich auf und zuckte kurz zusammen. Eine Schlange schlängelte sich zwischen den Gitterstäben hindurch. Njellen starrte die Schlange an. Das konnte doch nicht sein. Lefkó hatte doch gesagt, dass niemand hereinkommen konnte, der es nicht durfte. Nun sah die Schlange ihn an. Sie richtet sich auf und nickte leicht mit dem Kopf. Als Njellen sich bewegte, stellte sie warnend ihren Schild auf. Es war also eine Kobra. Njellen sah sie an. Sie schien ihn nicht angreifen zu wollen. Auch wenn er nicht viel über Schlangen wusste, sah diese nicht grade angriffslustig aus. Ihren Schild hatte sie auch wieder eingezogen. Sollte er sie einfach ignorieren? Verunsichert sah er die Schlange an. Diese starrte zurück und zischelte leise.
»Warum bist du hier?«, fragte Njellen.
Die Kobra antwortete nicht. Sie starrte ihn einfach nur an. Sobald er sich auch nur etwas bewegte, drohte sie ihm wieder.
»Spielst du wieder deine Spielchen?«, fragte eine Stimme.
Die Kobra wandte sich um. Auch Njellen sah auf. In der Ecke stand ein großer, schwarzer Wolf. Die Schlange zischte nur.
»Du sollst ihn doch einfach nur töten.«
Njellen zuckte zurück. In Gedanken rief er nach Lefkó.
»Was ist los?«, fragte Lefkó, welcher neben dem Bett auftauchte.
Njellen starte nur die Schlange an. Lefkó folgte seinem Blick. Dann sah er wieder Njellen an. »Was ist passiert?«, fragte er.
»Siehst du sie nicht?«, flüsterte Njellen.
»Wenn denn?«, fragte der Löwe.
Njellen sah wieder zu dem Wolf und der Kobra. Diese saßen, beziehungsweise lagen, vor den Gitterstäben und sahen sie an.
»Den Wolf und die Schlange«, flüsterte Njellen.
Lefkó ließ den Blick durch die Zelle wandern. Dann sah er wieder zu Njellen. »Es ist niemand hier«, sagte er.
Die Kobra kroch langsam auf Njellen zu. Dieser wich bis an die Wand zurück.
»Was ist los mit dir?«, fragte Lefkó besorgt.
»Die Kobra will mich töten«, sagte Njellen mit zittriger Stimme.
Lefkó starrte Njellen in die Augen. Dann ging er zur Tür und schnupperte an dem leeren Glas. Mit besorgtem Blick sah er wieder zu Njellen. Dieser kauerte an der Wand und zitterte am ganzen Körper.
Njellen sah die Schlange direkt vor sich. Als Lefkó an ihr vorbei und zur Tür ging, kroch sie weiter auf ihn zu. Njellen wich zurück. Die Schlange zischelte wütend und stellte ihren Schild auf. Hilfesuchend sah Njellen zu Lefkó. Dieser stand nun neben dem Wolf und schnupperte an dem Glas. Als er sich zu Njellen umwandte, stellte sich der Wolf ihn in den Weg. Die Kobra kroch weiter auf ihn zu. Sie war nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt. Langsam richtete sie sich auf und starrte ihn an. Njellen verspürte den Impuls nach ihr zu schlagen, doch er unterdrückte ihn. Auch wenn er nicht viel von Schlangen verstand, so wusste er aber, das es keine gute Idee ist, eine zu schlagen. Die Kobra starrte ihn an und zischelte. Lefkó konnte ihm nicht helfen, da der Wolf ihn in Schach hielt. Njellen schloss die Augen. Er wollte die Kobra nicht mehr sehen. Er rechnete jeden Moment mit einem Angriff der Schlange. Doch nichts passierte. Langsam öffnete er die Augen wieder. Kaum, dass er die Schlange wieder ansah, biss die Kobra zu. Ihre Zähne gruben sich in Njellen Schulter. Dieser schrie vor Schmerz auf und sankt an der Wand zu Boden. Er sah noch, das die Kobra auf Lefkó zu glitt, doch dann wurde ihm schwarz vor Augen.
Eine vertraute Stimme drang in Njellens Ohren. Langsam öffnete er die Augen. »Lefkó?«, fragte er verwirrt. Ein Schatten fiel über ihn. Njellen blinzelte. Es war nicht Lefkó, sondern Astor. Der Dobermann stupste ihn mit der Schnauze an. »Beile dich«, meinte er.
»Was ist hier los?«, fragte Njellen und rieb sich den Kopf.
Astor wandte sich zu ihm um. »Trakner hat mich geschickt, dich zu suchen. Er hat sich Sorgen gemacht, da du so lange weg warst.«
»Aber«, Njellen erhob sich langsam, »du bist tot. Ich habe dich begraben. Und Trakner und auch.«
»Stimmt ja«, meinte Astor. »So besser?«
Njellen wich zurück. Von Astor war nur noch das Skelett da. Haut und Fell waren verschwunden.
»Kommst du jetzt endlich mit?«
Njellen sah sich um. »Hast du Lefkó gesehen?«, fragte er.
»Wenn?«, erwiderte der Hund. »Komm jetzt endlich!«
Langsam folgte Njellen dem Dobermannskelett. Nach wenigen Metern kam ein Haus in Sicht. Njellen erkannte es sofort. An der Tür stand Trakner. Oder besser gesagt ein Skelett, welches seine Sachen trug.
»Du warst sehr lange weg«, sagte das Traknerskelett. »Ist irgendetwas passiert?«
»Er hat auf der Wise gelegen und geschlafen«, sagte Astor.
Trakner kam einen Schritt auf ihn zu. »Was ist mit deiner Schulter?«, fragte er.
Njellen besah sich die Schulter. »Schlangenbiss«, meinte er knapp. Dann sank er auf die Knie.
»Bleib wach!«, meinte Astor und stupste Njellen an.
Doch dieser fiel rücklings auf den Boden.
»Njellen! Njellen! Komm zu dir.«
Njellen öffnete die Augen. Er lag auf einem Bett. Lefkó stand neben ihm und stupste ihn an. Njellens Blick huschte durch die Gefängniszelle. »Sind sie Weg?«, fragte er.
»Es war nie jemand hier«, antwortete Lefkó ruhig. »In dem Wasser war ein Halluzinogen. Als du mich gerufen hast, war niemand hier. Aber du hast etwas von Schlange und Wolf gefaselt. Und irgendwann bist du dann ohnmächtig geworden.«
»Ja. Als mich die Kobra gebissen hat.«
»Wo hat sie dich gebissen?«
»In die Schulter.«
»Dann sieh nach«, sagte Lefkó ruhig. »Du wirst nichts sehen.«
Njellen tastete vorsichtig nach seiner Schulter, doch er spürte keinen Schmerz. Als er hinsah, sah er auch keine Bisswunde und kein Blut. »Warum haben die das gemacht?«, fragte er.
»Das weiß ich leider nicht.«
»Kommt es wieder?«
»Wenn du nichts mehr annimmst, von dem, was sie dir geben, dann nicht.«
Njellen nickte und schloss die Augen, um etwas zu schlafen, da er sich sehr matt fühlte. Lefkó blieb, bis Njellen eingeschlafen war. Dann verschwand er.