Njellen saß am Bach und hielt die Füße hinein. Lefkó lag neben ihm in der Sonne. Es war früher Nachmittag. Zwei Tage war Lefkó nun bei Njellen. Morgen würde er wieder zum Markt gehen. Das erste Mal wieder ins Dorf, nach dem was im Wald passiert war.
»Mach dir nicht so viele Sorgen«, meinte Lefkó. »Die werden dir nichts mehr antun.«
Njellen wandte sich zu dem Löwen um. »Darf ich dich was zu dem Traum fragen?«
Lefkó seufzte. »Ich kann dir nicht versprechen, dass ich dir antworte.«
»Ich dachte das, wenn ein Tier zurück zu den Wächter geht, alle Erinnerungen an den Menschen verloren gehen. Wie kommt es dann, dass du noch von ihm träumst?«
Lefkó sah Njellen mit einem Blick an, so das dieser vor ihm zurückwich. Dann meinte der Löwe leise: »Das liegt an dir.«
»An mir?«, Njellen sah ihn entsetzt an. »Warum denn an mir?«
»Ich – normalerweise hat ein Tier eine gewisse Zeit, die es bei den Wächtern verbringt, bevor es wieder auf die Erde kommt. Je nach Character des Tieres ist diese Zeit unterschiedlich lang. Ich hatte vier Tage. Und diese Zeit hat nicht gereicht, um alle Erinnerungen zu löschen.«
»Du – du hast also erst kurz zuvor deinen Partner verloren?«, fragte Njellen leise.
Lefkó gab ein Brummen von sich.
»Tut mir leid, das du meinetwegen...«, begann Njellen, doch Lefkó unterbrach ihn. »Du kannst nichts dafür«, sagte er bestimmt.
Njellen nahm den weißen Löwen in die Arme und vergrub das Gesicht in dessen Mähne. Plötzlich durchfuhr ein stechender Schmerz seine Brust und Njellen lies Lefkó los. Dieser schien Ähnliches gespürt zu haben, denn er sah Njellen mit besorgtem Blick an.
»Was war das?«, fragte der Halbelf.
»Ich bin mir nicht sicher«, meinte Lefkó. »Ich habe davon gehört, aber mir ist es noch nie passiert.«
»Was meinst du?«
»Ich weiß nicht genau, ob dies der richtige Zeitpunkt ist, es dir zu sagen.«
»Du meinst, weil wir uns noch nicht so lange kennen?«
»Unter anderem. Normalerweise passiert so etwas nur dann, wenn Tier und Mensch eine, über Jahre aufgebaute, tiefe, Verbundenheit haben. Wenn sie einander blind vertrauen können.«
Hinter den beiden raschelte etwas. Doch es war nur Astor, welcher auf sie zu kam. Als Lefkó ihn ansah, blieb er stehen.
»Störe ich?«, fragte der Hund.
»Nein«, meinte Lefkó, »was gibt’s denn?«
»Ich wollte nur Bescheid geben, dass das Essen so weit ist.«
Njellen sah zum Himmel. Die Sonne stand schon sehr tief und warf lange Schatten übers Land. So erhob er sich und die drei gingen gemeinsam zum Haus.
»Astor, hast du einen Moment?«, fragte Lefkó, als sie vor der Tür standen. »Ich würde gerne unter vier Augen mit dir reden.«
Also betrat Njellen alleine die Küche, während die beiden Tiere, in der Abenddämmerung über die Wiesen schlichen.
»Was gibt es denn?«, fragte Astor.
»Njellen hat einen Traum von mir mitbekommen«, begann Lefkó. »In dem Traum wurde mein vorheriger Partner getötet.«
Astor sah ihn an. »Du kannst dich daran erinnern?«
»Nun ja. Ich hatte nicht genug Zeit, um alle Erinnerungen loszuwerden.«
Astor blieb stehen. »Du musstest dich entscheiden, ob du alles vergessen oder sein Partner sein willst?«, fragte er.
Lefkó nickte. »Ich hatte vier Tage Zeit, um mich, so gut es ging zu erholen.«
»Du meinst, in deinem Unterbewusstsein sind noch alte Erinnerungen?«
»Genau. Aber ich will nicht, das er noch mehr davon sieht.«
»Ich kann dich verstehen, aber ich weiß nicht wie ich dir Helfen könnte«, meinte Astor.
Lefkó schwieg. Er sah hinauf zum Himmel. »Meinst du sie hätten etwas dagegen, wenn ich nachts meinen Geist vor ihm verschließe?«
»Das wirst du sie schon selbst fragen müssen.«
»Du hast Recht«, meinte Lefkó. »Ich werde sie mal fragen.«
Astor machte einen Sprung zur Seite, als Lefkó in einem blauen Licht verschwand.
»Und was soll ich Njellen sagen?!«, rief Astor dem Löwen nach, doch er bekam keine Antwort. Also machte sich der Dobermann, alleine, auf den Weg zum Haus. Bevor er die Küche betrat, blieb er noch einmal stehen. Doch dann trat er hinein.
»Ah, Astor. Da bist du ja«, sagte Trakner. »Lefkó sagte uns, das du etwas später kommst.«
Astor starrte den Löwen an. Dieser lag neben Njellens Stuhl und sah ihn an.
»Ja. Ich ähm ich brauchte etwas Zeit für mich.« Astor ging um den Tisch herum und legte sich neben Trakners Stuhl. Doch als er an Lefkó vorbeikam, hauchte er ihm ins Ohr: »Du bist mir 'ne Erklärung schuldig.«
Lefkó nickte kaum merklich.
Am nächsten Morgen wurde Njellen von Schattenschwinge geweckt. Verschlafen sah er das Adlerweibchen an.
»Was ist los?«, fragte er und gähnte. »Wo ist Lefkó?«
»Der ist mit Astor unterwegs«, antwortete Schattenschwinge. »Ich weiß auch nicht, was die zu besprechen haben.«
Njellen stieg aus dem Bett, während Schattenschwinge aus dem Zimmer schwebte. Njellen wusch sich das Gesicht, kleidete sich ein und ging hinunter in die Küche. Auf dem Tisch stand ein Korb, mit einem Zettel und Geld darin. Njellen nahm den Korb und verließ das Haus. Vor der Tür saß Lefkó, der anscheinend auf ihn wartete. Von Astor war nichts zu sehen.
»Ich mochte dich nicht wecken. Deswegen habe ich hier auf dich gewartet«, meinte Lefkó.
»Schattenschwinge meinte, du wehrst mit Astor unterwegs«, sagte Njellen.
»Das stimmt auch. Wir haben uns etwas unterhalten und er hat mir einiges über die Gegend hier erzählt. Aber jetzt lass uns zum Markt gehen«, beim letzten Satz grinste Lefkó leicht, »wollen doch mal sehen, wie die Jungs so reagieren, nach dem was im Wald passier ist.«
Njellen sah ihn an. »Du findest das lustig, oder?«
Lefkó blieb stehen und sah Njellen an. »Ich weiß, dass es für dich nie einfach war, wenn du im Dorf warst. Aber vergiss nicht, du bist nicht mehr alleine.«
Njellen nickte nur. Doch als er weitergehen wollte, stellte sich Lefkó ihm in den Weg.
»Und nach dem, was im Wald geschehen ist, werden ihre Tiere sie wohl daran hindern etwas zu tun.«
»Wir werden ja sehen«, meinte Njellen.
Lefkó nickte nur und so machten sich die beiden wieder auf den Weg. Lefkó schritt neben Njellen her. Als der Marktplatz in Sicht kam, blieb Njellen wieder stehen.
»Na komm«, Lefkó gab ihm einen kleinen Schubs.
Njellen atmete tief durch und ging geradewegs zum Marktplatz. Am Brunnen saßen die Kinder aus dem Dorf. Sie warfen Njellen böse Blicke zu, doch keiner von ihnen sagte etwas. Njellen kaufte Äpfel, Käse und Fleisch. Anschließend kaufte er bei Hjon zehn Eier. Als Njellen und Lefkó auf ihn zu kamen, sah Hjon auf.
»Hey Njellen«, rief er. »Wie ich sehe, bist du nicht mehr alleine.«
Hjons Otter sah Lefkó an und zwinkerte ihm zu. Lefkó neigte leicht den Kopf.
»Seit wann ist er bei dir?«, wollte Hjon wissen.
»Seit drei Tagen«, antwortete Njellen.
»Freut mich für dich, dass du nicht mehr...«, doch Hjon brach ab, als Lefkó ihn ansah.
»Bitte, sprich weiter«, meinte der Löwe.
»...du nicht mehr alleine bist«, beendete Hjon den Satz.
»He! Halbelf!«, rief jemand.
Njellen wandte sich um. Es war Alina, die Tochter des Bäckers. An ihrer Seite stand eine graue Wölfin.
»Brauchst du noch lange? Mein Vater braucht Eier für seinen Teig.«
»Nein. Ich brauche nicht mehr lange.«
»Pass auf Alina! Sonnst verschleppt er dich in den Wald und fällt über dich her!«
Njellen und Alina wandten sich um. Es war einer der Jungs, welche am Brunnen saßen. Die anderen lachten. Lefkó warf ihnen einen bösen Blick zu. Die Tiere der Jungen wichen etwas zurück.
»Lass sie doch reden«, meinte die Wölfin gelangweilt.
»Alina? Wie viele Eier brauchst du denn?«, fragte Hjon.
»Drei Dutzend.«
Hjon gab ihr die Eier. Alina legte sie in ihren Korb und wandte sich dann an Njellen.
»Ich habe gehört, was letzte Woche passiert ist«, sie warf einen Blick auf Lefkó. »Ich denke, dass du nun keine Probleme mehr haben solltest.«
Njellen sah ihr nach, während Alina verschwand.
»Njellen? Zehn Eier?«
Njellen wandte sich wieder zu Hjon um. »Ja, bitte.«
Hjon gab ihm die Eier und Njellen verstaute sie im Korb.
»Kommst du wieder öfters ins Dorf, jetzt, da du deinen Partner hast?«
»Weis ich noch nicht. Du weist ja, ich war nie gerne hier.«
»Wir sehen uns ja spätestens nächste Woche wieder«, meinte Hjon.
Njellen nickte, nahm den Korb und machte sich, zusammen mit Lefkó, auf den Weg zurück nach Hause. Der Löwe schwieg, bis sie das Dorf hinter sich gelassen hatten, dann meinte er: »Du magst sie, oder?«
Njellen blieb stehen und wandte sich zu Lefkó um. »Du kennst die Antwort.«
»Ja«, Lefkó nickte. »Ich kenne die Antwort.«
Njellen wollte gerade weitergehen, als er merkte, dass sie verfolgt wurden. Auch Lefkó hatte es bemerkt, denn er starrte auf einem Baum, hinter dem jemand sich versteckte.
»Wer glaubst du ist es?«, fragte Njellen.
Lefkó antwortete nicht gleich. Er starrte noch immer auf den Baum. Doch endlich meinte er: »Ich würde sagen, es ist deine Schwester.«
»Ich habe wohl wieder zu lange gebraucht«, meinte Njellen und gluckste. »Komm. Lass uns nach Hause gehen.«
»Warum zeigt sie sich nicht?«, fragte der Löwe, als sie sich wieder auf den Weg machten.
»Weil sie denkt, ich wüsste nicht dass sie mich beobachtet, wenn ich zu lange unterwegs bin.«
»Und warum sagst du es ihr nicht?«
»Warum sollte ich? Außerdem hofft sie ja immer, dass sie ihre Partnerin findet.«
»Du weißt, wenn man nach seinem Partner sucht, wird man ihn nicht finden«, meinte Lefkó.
»Sie sucht ja nicht danach. Sie schaut ja nur nach mir«, erwiderte Njellen und öffnete die Haustür.
»Deswegen sagst du also nicht?«
»Unteranderem«, meinte Njellen und er stellte den Korb auf den Tisch. »Aber auch, weil es ihr Spaß macht.«
Lefkó antwortete nicht, da Namidha gerade hereinkam. Sie sah in den Korb. Dann sah sie Lefkó an. »Darf ich dich etwas fragen?«
»Natürlich.«
»Seit du bei meinem Bruder bist, habe ich weder gesehen, dass du etwas gegessen noch getrunken hast. Wovon ernährst du dich?«
»Das würde uns auch interessieren.«
Astor und Schattenschwinge hatten die Küche betreten.
»Ich sag es euch. Aber nicht hier. Njellen, lass uns auf dein Zimmer gehen.«
Also verließen die drei Tiere und die beiden Kinder die Küche und gingen auf Njellens Zimmer. Njellen schloss die Tür hinter ihnen und setzte sich aufs Bett. Die Tiere legten sich auf den Boden und Namidha setzte sich auf den Stuhl. Lefkó sah sie der Reihe nach an. »Ich bin kein normales Seelentier. Ich bin ein Himmelstier.«