Trakner richtete sich in dem Sessel auf. Sein dunkles Haar war, trotz seines noch recht jungen Alters, bereits von grauen Strähnen durchzogen. Mit seinen haselnussbraunen Augen schaute er zu den beiden Kindern, die auf dem Boden saßen und seiner Geschichte gelauscht hatten. Das Mädchen war zwölf Jahre alt. Ihr blond braunes Haar fiel ihr weit den Rücken hinunter. Ihre Augen waren braun, wie die ihres Vaters. Der Junge saß mit gesenktem Kopf da und starrte zu Boden. Seine Augen waren silbrig und sein dichtes braunes Haar, verdeckten die spitzen Ohren. Er war ein Halbelf von vierzehn Winter. Trakner und seine Frau, Hellen, hatten ihn vor fünf Jahren aufgenommen. Er und seine Mutter, waren aus dem Elfendorf vertrieben worden, da sie sich mit einem Menschen eingelassen hatte. Während sie durch die Wälder streiften, war seine Mutter krank geworden und kurz darauf gestorben. Trakner hatte ihn dabei erwischt, als er versuchte, etwas Essbares zu stehlen. Doch als er seine Geschichte gehört hatte, hatte er Mitleid gehabt und ihn bei sich aufgenommen.
»Njellen? Ist alles in Ordnung?«, fragte Trakner.
Der Halbelf sah auf. »Jedes Mal, wenn du diese Geschichte erzählst, frage ich mich, ob ich auch einen Seelenpartner bekommen.«
»Warum den nicht?«, fragte Namidha.
»In der Geschichte heißt es, dass die Menschen ein Seelentier bekommen. Ich bin aber nur ein halber Mensch. Also bekomme ich vielleicht keines.«
Ein Brummen war aus einer Ecke zu hören und ein Dobermannrüde kam zu ihnen herübergetrottet. Er blieb neben dem Sessel stehen und sah zu Njellen. »Mach dir nicht so viele Sorgen. Du bist Mensch genug«, meinte er.
Njellen sah zu dem Hund auf. »Bist du sicher, Astor?«
Der Dobermann sah ihn freundlich an und nickte. Da kam ein Adlerweibchen hereingeschwebt und landete auf Astors Kopf. Dieser schüttelte sich und der Adler flatterte auf die Stuhllehne.
»Ich habe dir schon oft gesagt, dass du das lassen sollst, Schattenschwinge«, meinte Astor zu ihr.
Sie raschelte nur mit dem Gefieder.
»Streitet euch nicht«, ertönte eine Frauenstimme an der Tür. Hellen kam herein. Ihr langes dunkles Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten. Schattenschwinge flog zu ihr hinüber, wobei sie es nicht lassen konnte, mit der Flügelspitze, Astors Ohr zu streifen. Dieser sah ihr missmutig nach. Doch bevor er etwas tun, oder sagen konnte, klopfte es laut an der Tür.
»Wer mag das sein?«, fragte Hellen verwundert und schaute hinaus in den dunklen Abend.
Trakner erhob sich und ging zur Tür. Astor folgte ihm auf den Fersen. Als Trakner die Tür öffnete, sträubten sich Astors Nackenhaare und er fing an zu knurren. Ein Mann, ein langes Messer in der Hand, stand auf der Schwelle. Schattenschwinge schoss von Hellens Schulter und zerkratzte dem Mann das Gesicht. Dieser stieß mit dem Messer nach ihr und erweichte sie am Flügel. Schattenschwinge stürzte ab. Im selben Moment griff Hellen nach ihrem linken Arm, welche angefangen hatte zu bluten. Njellen kroch zu ihr herüber. Als Halbelf, beherrschte er leichte Heilungsmagie. Als Astor sah, das Schattenschwinge abstürzte, ging er auf den Mann los, stieß ihn zu Boden und seine Zähne gruben sich in dessen Oberarm.
Schwer atmend und in Schweiß gebadet, wachte Njellen auf. Er zitterte am ganzen Körper. Nach etwa einer Minute hatte er sich wieder beruhigt. Als Njellen den Kopf zur Seite wandte, sah er, dass Astor neben seinem Bett saß und ihn beobachtete.
»Alles in Ordnung?«, fragte der Hund besorgt. »Du hast etwa fünf Minuten wie wild um dich geschlagen.«
Njellen setzte sich auf und rieb sich die Stirn. »Albtraum«, murmelte er. »Von dem Abend, an dem Schattenschwinge verletz wurde.«
»Das ist knapp vier Jahre her«, meinte Astor, doch sein Blick wurde etwas düsterer.
»Das ist mir bewusst«, erwiderte Njellen. »Ich weiß nicht, warum mich dieser Traum jetzt heimsucht.«
»Du machst dir Sorgen«, meinte Astor. »Du wirst in einigen Tagen volljährig und hast dein Seelentier noch nicht getroffen.«
Njellen sah ihn wütend an. Doch dann meinte er: »Und wenn ich nun doch keinen Partner bekomme, weil ich ein Halbelf bin?«
Astor kratzte sich am Hals. »Es könnte sein«, sagte er sehr langsam, »dass kein Tier bei einem Halbelfen sein möchte.«
Njellen sah ihn traurig an. »Würdest du?«, fragte er. »Sei ehrlich.«
Astor zögerte. Doch dann meinte er: »Ganz ehrlich? Nein. Tut mir leid.«
Schweigend stieg Njellen aus dem Bett. Er zog sich an und verließ das Haus. Die Sonne war noch nicht richtig aufgegangen und so schlief noch alles im halbdunkel. Njellen setzte sich an den Bach, welcher hinter dem Haus lag und starrte ins Wasser. Der Dobermann trat leise zu ihm. Njellen sah in an.
»Weißt du«, sagte er leise, »für ein Seelentier ist es eine sehr wichtige Angelegenheit, zu wählen, welchen Menschen es Jahrzehnte lang begleiten will. Und wenn es um, entschuldige bitte das Wort, Mischlinge geht, gibt es nicht viele Tiere, welche dazu bereit sind.«
»Warum denn?«, wollte Njellen wissen.
»Nun. Wenn der Mensch stirbt, dann kehrt das Tier zurück in das Reich der Wächter. Dort bleibt es, bis Kjoga die Seele des Menschen zu sich geholt hat. Da die beiden Seelen miteinander verschmolzen sind, müssen sie nun wieder getrennt werden. Wenn dies geschieht, vergisst das Seelentier alle Wünsche, Sorgen, Geheimnisse und so weiter, welche er von dem Menschen kennt. Die meisten wünschen, alle Erinnerungen zu verlieren, die sie an ihren Partner haben, damit sie sich voll auf ihren neuen Partner einlassen können. Nun sind die Seelen der Lebewesen nicht alle gleich. Die Seelen der Menschen lassen sich einfacher von denen der Tiere trennen, da dies ja von den Wächtern so vorgesehen war. Genauso, wie sie einfach miteinander verschmelzen können. Wenn aber die Seele nicht komplett menschlich ist, dann kann nicht jedes Tier sie mit seiner verschmelzen. Es gibt aber immer jene, welche dazu imstande sind. Da jedoch ihre Zahl sehr gering ist, und niemand weiß, wie viele Mischlinge ein Tier haben, kann auch niemand sagen, ob zurzeit, welche ungebunden sind. Und dann, müssen diejenigen auch noch den Mischling auswählen. Denn nur, weil sie in der Lage dazu sind, heißt es nicht, dass sie keinen normalen Menschen wählen dürfen.«
Njellen starrte wieder ins Wasser. »Du machst mir nicht grade Hoffnung«, meinte er.
»Tut mir leid«, murmelte der Hund.
Njellen wandte sich wieder zu ihm um. »Du kannst doch nichts dafür«, meinte er. »Ich hatte nur gehofft, das er zu mir kommt, bevor die anderen Kinder sich wieder über mich lustig machen können.«
»Nach all den Jahren immer noch?«, fragte Schattenschwinge, welche gerade auf Njellens anderer Seite landete.
»Jeden Tag«, meinte dieser. Dann äffte er die anderen Kinder nach. »Seht. Da kommt das Spitzohr. – Er hat kein Seelentier, weil Elfen keine Seele haben. – Sie haben ihn verstoßen, weil er selbst für die Elfen zu hässlich war. – Wenn er jemals ein Seelentier bekommt, wird es ein Nacktmull sein.«
»Hör auf«, unterbrach Schattenschwinge ihn.
Njellen sah auf. Namidha kam zu ihnen an den Bach. »Wer hat einen Nacktmull?«, fragte sie und setzte sich neben Schattenschwinge.
»Ich dachte, ich hätte einen auf der anderen Seite des Baches gesehen. Aber es war nur eine Ratte«, meinte Njellen schnell.
»Och schade«, Namidha sah enttäuscht aus. »Ein Nacktmull ist so süß.«
»Mit etwas Glück bekommst du einen«, meinte Astor. Wehend er sprach, verdunkelte sich Njellens Gesicht.
»Ich weiß nicht«, meinte Namidha. »Die sind zwar niedlich, aber ich hätte gerne ein Tier, welches etwas mehr Eindruck hinterlässt.«
»Zum Beispiel?«, fragte Schattenschwinge neugierig.
»Ich weiß nicht so recht. Ein Pferd? Oder ein Ozelot vielleicht.«
»Und? Wie sieht es bei dir aus?«, wandte sich Schattenschwinge an Njellen.
Njellen sah zu dem Adlerweibchen auf. »Versteh mich jetzt bitte nicht falsch«, meinte er, »aber, wenn ich wirklich noch einen Partner bekommen, dann hätte ich gerne ein Tier, was nur durch dessen Präsents dafür sorgt, dass man mich in Ruhe lässt.«
Die beiden Tiere sahen ihn an. Doch sie erwiderten nichts darauf. Namidha jedoch fragte: »Was für ein Tier wäre das denn?«
»Ein großer Wolf zum Beispiel. Oder eine Anakonda.«
»Eine Anakonda?«, fragte Astor vorsichtig nach. »Du meinst diese riesen Schlange?«
»Ja. Dann würden man mich endlich mal in Ruhe lassen.«
Astor und Schattenschwinge sahen sich schweigend an. Namidha saß dar und starrte ins Wasser.
»Das spielt doch eh keine Rolle. In einigen Tagen bin ich volljährig und dann war’s das eh.«
»Verliere nicht die Hoffnung«, meinte Schattenschwinge. »Er kann immer noch zu dir kommen.«
Njellen erhob sich. »Danke, dass ihr mich aufmuntern wollt«, meinte er und schritt davon. Die anderen sahen ihm nach.
»Glaubt ihr wirklich, dass er sein Tier noch trifft?«, fragte Namidha.
»Ich hoffe es für ihn«, meinte Schattenschwinge und sie folgte Njellen mit den Augen.
Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, war Njellen bereits auf. Er saß am Tisch, in der Küche und starrte aus dem Fenster. Als die Sonnenstrahlen durch das Fenster fielen, nahm er einen großen Korb, das Geld, welches daneben lag, und machte sich auf, die Straße hinunter zum Marktplatz. Da es noch recht früh war, waren noch nicht viele Menschen unterwegs. Und so kam Njellen rasch voran. Den wenigen Menschen, welche unterwegs waren, wich er aus und erreichte schnell den Marktplatz. Dort schaute er auf die Liste, welche im Korb lag. An oberster Stelle standen Äpfel. Also machte sich Njellen auf zu dem Mann, welche Obst verkaufte. Dieser kannte ihn bereits, da Njellen seit fünf Jahren, wöchentlich kam, um einzukaufen. Ihn störte das nicht. Er schlenderte gerne über den Markt. Doch noch lieber wäre es ihm, wenn er ein Tier an seiner Seite hätte.
»Das übliche Njellen?«, fragte der Obsthändler.
Njellen warf rasch einen Blick auf die Liste. Dann nickte er. Der Obsthändler reichte ihm einige Tüten. Njellen bezahlte ihn und ging dann weiter zu dem Jungen, der Eier verkaufte. Einer der wenigen Jungen, die nett zu ihm waren.
»Hallo Njellen. Zehn Eier? Wie immer?«
»Hallo Hjon. Ja. Bitte.«
Hjon reichte ihm die Eier. »Immer noch nicht?«, fragte er, während es sich sein Otter auf seinen Schultern bequem machte.
»Wie du siehst, nicht«, antwortete Njellen.
Der Otter sah ihn scharf an. Doch er sagte nichts. Njellen packte die Eier in den Korb und sah wieder auf die Liste. Er verabschiedete sich von Hjon und ging weiter. Njellen kaufte noch etwas Fleisch, einen halben Laib Käse, etwas Schmalz und Butter. Dann machte er sich auf den Heimweg. Doch als er Brunnen, welcher sich in der Mitte des Platzes befand, vorbeiging, bekam er einen Stoß in den Rücken. Njellen stolperte nach vorne, fand aber sein Gleichgewicht rasch wieder. Er wandte sich um. Seine fröhliche Stimmung verschwand mit einem Schlag. Es waren die Kinder aus dem Dorf. Einer riss ihm den Korb aus der Hand und drehte ihn um. »Oh nein. Wie ungeschickt von mir.« Die anderen lachten. Die Seelentiere, der Jungen, hielten sich im Hintergrund und taten so, als würde sie das alles nichts angehen.
»Verschwinde aus unserem Dorf, Missgeburt!«, zischte der älteste der Gruppe und er gab Njellen einen Schups, so das dieser auf dem Rücken landete. Die anderen nutzten die Gelegenheit, um ihn mit den Eiern und den Äpfeln zu bewerfen. Einige traten auch nach ihm. Einer traf Njellen im Gesicht und aus dessen Nase schoss das Blut.
»Hört auf damit!«, brüllte eine donnernde Stimme.
Njellen, der die Arme schützend vors Gesicht gezogen hatte, konnte nicht sehen, wer da kam. Doch da die anderen sofort aufhörten nach ihm zu treten, musste es ein Herr von hohem Stand sein. Die Jungen wollten sich verdrücken. Doch die Stimme brüllte: »Hier geblieben!«
Njellen kämpfte sich hoch und ließ sich auf dem Brunnenrand nieder. Als er aufsah, um dem Mann zu danken, erstarrte er. Der Mann trug einen Umhang aus blauem Licht. Sein Haar war rot. Auf der einen Seite lang, auf der anderen kurz. Neben ihm stand ein großer, schwarzer Panther. Der Mann hob den Korb auf und drückte ihn einem der Jungen in die Hand.
»Der gehört nicht mir, Herr«, sagte dieser schüchtern.
»Die Liste liegt noch drin«, meinte der Wächter. »Ihr werdet alles neu kaufen und dann wieder herkommen. Und passt ja auf, dass die Äpfel keine Druckstellen haben.«
Der Panther trat auf die Tiere der Jungen zu. »Ihr seit eine Enttäuschung«, sagte er. »Das war das letzte Mal, das ihr als Seelentier wiedergeboren werdet. Erinnert euch an den Eid, welchen ihr damals abgelegt habt.«
Ein grauer Luchs trat auf den Panther zu. »Spiel dich nicht so auf!«, fauchte der Luchs. »Du hast kein Recht dazu…«
»Wozu habe ich kein Recht?!«, donnerte der Panther und drückte den Luchs mit seiner Pfote zu Boden. »Es wird wohl mal Zeit, das ihr wieder Respekt gegenüber uns bekommt. Ihr, die ihr keine Ahnung habt, wie es ist, wenn man sein Leben lang unterdrückt wird. Wenn keiner da ist, um euch zu helfen. Keiner, der andere davon abhält euch zu verletzen. Und gerade ihr, wollt mir sagen, ich hätte kein Recht zu etwas. Ihr habt wohl vergessen, zu wem ich gehöre.«
»Lass ihn jetzt los«, sagte der Wächter ruhig.
Der Panther ließ den Luchs frei. Dieser erhob sich. Er sah den Panther an. In seinem Blick lag purer Abscheu. »Wie kannst du es wagen, mich zu berühren?«, fauchte er.
Nun trat der Wächter neben sein Tier. »Wir können dich auch direkt degradieren«, meinte er.
»Komm mit«, sagte der Junge, welcher den Korb hielt und Luchs folgte ihm.
»Was für ein arrogantes Pack«, fauchte der Panther wütend. »Da wird Brogern ein leichtes Spiel haben.«
Der Wächter wandte sich nun zu Njellen. Dieser saß noch auf dem Brunnenrand. Gesicht und Hände blutverschmiert.
»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte der Panther und er trat vor Njellen.
»Ja. Ich danke euch.«
Der Mann setzte sich neben ihn. Njellen sah zu ihm auf. Er lächelte.
»Hier!«, wütend stelle der Junge den Korb neben Njellen. Der Mann warf einen Blick hinein. Dann meinte er: »Ihr werdet ihn von heute an in Ruhe lassen.«
Der Junge nickte. Jedoch zischte er dabei sehr leise: »Wir sehen uns, Halbling.«
Der Panther schien dies gehört zu haben, denn er sah den Jungen mit einem drohenden Blick an. Dieser nickte seinen Freunden zu und sie verschwanden. Der Panther starrte ihnen nach. Doch der Wächter meinte: »Lass gut sein.«