Er flog durch die Lüfte. Die Arme ausgesteckt schwebte er mit den weisen Wolken durch den hellblauen Himmel. Sein Blick nach unten offenbarte ihm das Miniaturwunderland seiner Heimatstadt. Er sah den See, an dem er immer mit seinen Eltern baden war. Gleich daneben tummelte sich ein kleiner Vorort von Karlsruhe. Die Straßen wirkten wie ein Labyrinth sah er die Menschen als winzige Pünktchen und kleine Fahrzeuge, die auf den grauen Linien fuhren oder liefen. Die frische Brise blies ihm ins Gesicht. Ein Gong ertönte, als er sich dem Kirchenturm zuwandte. Er wollte auf der Spitze landen, um dann die umliegende Landschaft zu bewundern. Der Gong wurde immer lauter, je näher er kam. Die Kirchenuhr zeigte sieben Uhr an. Ein Rabe redete neben ihm.
„Aufstehen, Maxi.“, krächzte der Vogel. Maxi stutzte. Hannahs Stimme in seinen Träumen?
Das laute stetige Geräusch der Kirchenuhr verwandelte sich in ein nerviges Schrillen seines Weckers, als Maxi in der Realität ankam. Er regte sich im zerwühlten Bett, als mit einem Knall das Familienbild zu Boden fiel. Er hob es auf und tastete am Holz nach neu entstandenen Schrammen. Die üblichen Kratzer. Er atmete erleichtert aus und stellte es auf den Nachttisch. Hannah war noch im Zimmer, als er aufstand und nach der Kleidung griff. Frische Luft schlug ihm entgegen. Sie hatte das Fenster aufgemacht.
„Guten Morgen!“, murmelte sie selbst ein wenig verschlafen. "Das Frühstück steht auf dem Tisch, dein Stock liegt links neben dir. Du solltest aufstehen. Es ist Sonntag und du weißt, dass wir heute fahren.“, trällerte sie hektisch vor sich hin.
Maxi hörte mit halbem Ohre zu. Richtig, ab Sonntag fuhren sie für drei Tage in den Urlaub. Und da die Ferienwohnung nicht behindertengerecht war, konnte er nicht mit. Seine Schwester würde über die Zeit kommen und sich um ihn kümmern. Leider waren gerade Ferien und er konnte die Schule nicht als Ausrede nehmen, sie nicht sehen zu müssen. Er nickte stumm und zog sich die frische Kleidung an.
„Lisa kommt gegen drei. Also halte sich bereit, denn sie hat keinen Schlüssel!“,machte Hannah deutlich und schlug in dem Stress des baldigen Urlaubs die Zimmertür zu.
Er trug sich müde zum Küchentisch und setzte sich. Er fühlte die Schüssel mit trockenen Flakes, nahm sich die erst beste Packung zur Hand. Zufrieden hörte er das Plätschern, als Luna an seinem Oberteil zerrte.
„Maxi vermissen!“, brabbelte sie und wollte ihm einen Kuss geben. Er tätschelte sie auf dem Kopf und aß den ersten vollen Löffel. Sein Gesicht verzog sich sofort, als er den schrecklichen Geschmack im Mund hatte.
Orangensaft und Cornflakes. Nette Mischung, dachte er in Gedanken. Und würgte den Bissen hinunter. Er nahm sich schnell eine neue Schale und bat Luna um die Milch.
Maxi blieb am Tisch, bis alle ihn verabschiedet hatten und er endlich allein in der Wohnung war. Eigentlich wollte er sich direkt wieder hinlegen und weiter über die Stadt fliegen. Aber seine Gedanken schienen ihm entweder zu klar wegen des Kaffees, oder zu zerstreut, wenn er schon Milch und Orangensaft verwechselte.
Er hatte keine wirklichen Pläne für heute, außer sich in der Wohnung zurecht zu finden, also trieb es ihn zum Sofa und ließ über den Fernseher das Radio laufen.
„Guten Morgen…“, hörte er die angenehme Frauenstimme. Stöhnend hörte er zu, wie an dem Sonntag Schlager gespielt wurden. Vielleicht spielte ein anderer Sender bessere Musik? Er kannte auf der Fernbedienung nur wenige Tasten und deren Funktion auswendig und er würde sonst alles verstellen, wenn er blindlings alles drückte. Maxi wollte sich nicht die Mühe machen zu suchen, also stand er auf und suchte nach der dicken Herbstjacke. Im Hintergrund spielte man gefühlt „Atemlos durch die Nacht“ in Dauerschleife, als er in die dicken Schuhe schlüpfte. Maxi hasste Schlager. Wäre er nicht schon blind, hätte er sich freiwillig für die Taubheit entschieden. Er schmunzelte.
Mit einem Klicken war das Radio am Fernseher aus, er trat mit dem Stock aus der Wohnung und damit ins Freie.
Ein tiefer Atemzug und ein komisches Gefühl im Magen.
Würde man ja sehen, wie er sich anstellte. Es war immerhin das erste Mal seit einem Jahr, dass er freiwillig und vor allem allein nach außen trat.