Da saßen sie nun. Maxi schlürfte an dem heißen Kakao mit einem Schuss Vanillesirup. Lisa gab sich mit einem einfachen Cappuccino zufrieden. Beide schwiegen sich seit der Fahrt in die Stadt an.
Wie Lisa direkt das Café gefunden hatte, ahnte Maxi bereits. Durch das Internet fand man genügend gute Restaurants und Cafes. Aber Karlsruhe war keine Stadt für Autofahrer. Also fuhren Maxi und Lisa mit der Straßenbahn ins Zentrum. Wie auch als Sehender hatte Maxi die Stadt ebenso laut wie tummelnd in Erinnerung gehabt. Die Bauarbeiten und die ständigen Änderungen der Fahrpläne brachten Lisas ohnehin schon kurzen Geduldsfaden fast zum Reisen.
„Wie kommst du hier nur zurecht?“, fragte sie mehr zu sich selbst als zu ihrem Bruder. Nun, ganz einfach. Man ging nicht aus der Wohnung. Maxi kommentierte das nur im Stillen, denn er war mit der Reizüberflutung auf sein Gehör ganz und gar überfordert gewesen. Auf die Durchsagen, seiner Umgebung, dem Gefühl am Blindenstab und Lisa zu hören, überstiegen seine Fähigkeiten bei Weitem.
Darum war er mehr als froh, als beide nun in der Sonne in einer ruhigen Ecke saßen und Maxi sich nur um die Hitze des Getränks Sorgen machen musste. Und Luna. Und Hannah und Manuel. Und wie er mit Jelly weiter verfuhr. Sein Lächeln erstarb. Eigentlich brachte Kaffee ihn immer zur Ruhe, da er sich genügend Zeit nahm, ihn zu konsumieren. Aber heute wirkte alles düsterer als sonst.
Lisa trank einen Schluck und stellte die Tasse ab. Ihre ständigen unruhigen Atmungen oder tiefen Seufzer waren ihm nicht entgangen. Nur wollte Maxi nicht fragen, weil er eine weitere schlechte Nachricht nicht vertragen konnte. Schließlich stand Lisa auf.
„Ich gehe mich kurz frisch machen!“, meldete sie und schnappte sich, ohne auf einen Kommentar zu warten, die Handtasche. Das Klimpern der Schlüssel und das Knarzen des Leders wurde leiser, bis Maxi eine weitere Stimme vernahm.
„Irigion!“, flüsterte Angy. Maxi drehte sich nicht um, denn Angy saß direkt links von ihm. Er hörte sie gut und vor allem sehr nah.
„Angy?“, fragte Maxi beunruhigt. War diese Frau ihm gefolgt?
„Was tust du hier?“
„Ich wollte mich noch entschuldigen, weil ich dich vorgestern…doof angemacht habe.“, das Kratzen der Stimme wurde kehliger, doch das Ende des ausgesprochenen Satzes verlor sich in ein Flüstern. Maxi musste sich richtig konzentrieren, dass er sie verstand.
„Das ist schon okay.“, milderte Maxi ihre sorgenvolle Stimme ab. Sein Bedürfnis, wieder in die Welt des fremden Königreichs abzutauchen, war mehr als verlockend. Lisa würde sicher noch einige Zeit brauchen. Wie er sie kannte, zog sie ihre Schminke nach oder versuchte, Hannah zu erreichen. Seit Hannahs Meldung bezüglich Luna war bereits ein halber Tag vergangen. Auch sonst hatte Maxi nichts Besseres vor. Und so entschied er sich in der Abwesenheit seiner Schwester die Rolle als Irigion kurzzeitig aufzunehmen.
„Und wie geht’s es dir, Angy?“, fragte Maxi. Seine tiefere Stimme sollte heiter klingen. Doch er dachte noch zu sehr an Luna.
„Scheinbar besser als dir.“, sagte sie. „Ich habe es aber geschafft, meine eigene Mahlzeit zu kochen!“, berichtete sie stolz. „Hühnereintopf mit Gemüse und dazu ein Soufflee aus Winterbananen und Juliusbeeren! Und dann kann ich noch eine Vorspeise auf Rigastreis.“
„Klingt lecker.“, auch wenn Maxi keine kulinarischen Erfahrungen besaß, Irigion war ein wahrer Meister darin.
„Ich würde sagen, dass solltest du mal kochen. Dann komme ich und kann mir selbst ein Bild davon machen und es kosten.“, schlug er vor. Er lächelte, als er sich den Eintopf mit einer ganzen Keule und ungeschälten Bananen im kochenden Wasser vorstellte.
Angy horchte auf und stieß eine Art Lachen aus. Ihre Gefühle anhand ihrer Atmung zu erkennen mit der Tonlage in der Stimme vereinfachten es nicht gerade. Maxi wollte sich schon entschuldigen, dass er ihr etwas zumutete, was sie nicht wollte.
„Wirklich?“, fragte sie überrascht. Sie lachte wirklich. Er atmete leise auf.
„Das wäre wirklich großartig, Irigion. Dann kann ich das in dem Restaurant vorschlagen. Vielleicht setzen sie es ja auf die Karte!“
„Bestimmt.“, pflichtete Maxi ihm bei. Seine Stimmung nahm einen düsteren Klang an. Er dachte zu viel und fühlte noch mehr. Aber auf das Gespräch konzentrieren konnte er sich nicht.
„Irigion?“, fragte Angy.
„Ja, Angy?“
„Ich finde es toll, dich kennengelernt zu haben. Und wir sehen uns bestimmt wieder!“, damit hörte er einen Stuhl zurückschieben und Schritte, bevor er sich von Angy verabschieden konnte.
Maxis Lächeln erreichte seine düstere Aura. Auch wenn vieles um ihn herum nicht funktionierte oder toll war, hatte er eine Freundin gefunden. Tief im inneren breitete sich ein warmes Gefühl aus, dass Maxi seit einem Jahr nicht mehr gespürt hatte.
Hoffnung.