Bereits vor dem Wecker bin ich wach und trinke meinen ersten Kaffee des Tages. Mit den Unterarmen lehne ich auf der Balustrade meiner Terrasse und halte die Tasse mit beiden Händen fest. Mein Blick wandert entspannt über das Meer und den Horizont. Diese Ruhe und Sorglosigkeit genieße ich jeden Tag aufs Neue. Es gibt nichts schöneres, als hier zu sitzen oder zu stehen und alles in sich aufzunehmen. Vereinzelt sehe ich Menschen die am Strand ihre Runde joggen und einige Frühaufsteher, die sich mit ihrem Surfbrett in die ersten Wellen des Tages stürzen. Fürs Surfen habe ich mich nie begeistern können, lieber gehe ich laufen oder spiele eine Runde Basketball. Wenn ich Adrenalin will, nehme ich mir meinen Jetski und pflüge durch die Wasseroberfläche.
Meine Nachbarin Elena winkt mir von ihrer Terrasse aus zu und ich nicke ihr freundlich zu. Sie ist vor einigen Wochen in das Haus rechts von mir gezogen und hat sich in den Kopf gesetzt, mich zu erobern. Freundlich, aber bestimmt habe ich ihr mitgeteilt das ich keinerlei Interesse an einer Beziehung habe und meine Freizeit knapp begrenzt. Das stört sie laut eigener Aussage jedoch überhaupt nicht. Zu meinem Leidwesen. Seit dem nutzt sie jede sich bietende Gelegenheit, um mich zu umgarnen und überzeugen zu wollen. Gelinde gesagt bin ich genervt von ihr. Elena ist nett und eine hübsche junge Frau, aber ich habe absolut keinerlei Interesse an ihrer Person. Nun beobachte ich aus dem Augenwinkel, dass sie sich auf ihren Liegestuhl im Bikini aalt und ich verdrehe die Augen, weil absolut kein Sonnenschein am Himmel zu sehen ist.
Ich leere meine Tasse und betrete meine gemütliche Küche, um aus der Sichtlinie meiner Nachbarin zu verschwinden. Mich verwundert es schon das sie nicht wieder zu mir rüber gekommen und ihr honigblondes Haar ständig lasziv über die Schultern geworfen hat und mich aus ihren blauen Augen anhimmelt. Und darüber bin ich verdammt froh. Zügig spüle ich meine Kaffeetasse ab und stelle sie umgedreht auf die Ablage bevor ich mir meinen Rucksack schnappe, in der sich einige Arbeitsutensilien befinden, welche nützlich sein können. Diesen schnalle ich mir um und setze mich auf meine Aprilia RS 660. Motorräder sind seit jeher meine Leidenschaft und aktuell besitze ich die Aprilia und eine BMW R 18. Wobei ich Letztere eher für längere Ausfahrten nutze und die Aprilia mein Arbeitsmodell ist.
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Mein Blick gleitet über die Fassade des Bürogebäudes und ich runzle die Stirn kurz. Das komplette Gebäude ist aus verspiegeltem Glas erbaut worden und die Sonne würde einen zwangsläufig erblinden lassen, sollte man ohne Sonnenbrille zu lang hineinschauen. Man wird innen vermutlich ohne Klimaanlage bei lebendigem Leib gegrillt vermute ich und betrete den Glaskomplex mit dem Rucksack über meinen rechten Schulter und dem Helm in der linken Hand, um mich zur Anmeldung zu begeben, an der ein brünettes Mädel steht und mir entgegen lächelt.
„Guten Tag. Wie darf ich Ihnen weiterhelfen?“, begrüßt sie mich freundlich.
„Guten Tag. Mein Name ist Calin Moldovan und ich soll mich bei Miss Rilana Myers melden. Einen festen Termin konnte man mir am Telefon jedoch leider nicht geben“, erkläre ich mich.
„Einen kleinen Moment bitte. Ich schaue im System, ob Miss Myers aktuell einen Termin hat“, informiert die Kleine mich erneut lächelnd und tippt etwas in ihren Computer ein. „Hm… Miss Myers hat momentan keinen Kunden. Ich melde Sie telefonisch an, Sie können bereits in die fünfte Etage. Büro drei – rechte Seite, wenn Sie aus dem Aufzug steigen, Mr. Moldovan.“
„Vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag“, bedanke ich mich und nicke ihr freundlich zu, um mich zu den Aufzügen zu begeben.
Fünfte Etage also. Der Aufzug kommt und die Türen öffnen sich. Aktuell ist nicht viel Betrieb in dem Gebäude und nur ein Mann im Anzug steht gegen die Wand gelehnt und mit verschränkten Armen in der Kabine. Ich grüße ihn mit einem knappen Kopfnicken, welches er mit ernstem Gesicht erwidert und betätige den Knopf für Etage fünf. Das Gebäude hat mit dem Keller insgesamt 10 erreichbare Ebenen, wie die Schalttafel mir Aufschluss gibt.
Nach wenigen Minuten befinde ich mich in der gewünschten Etage und verlasse den Aufzug, um mich rechtsseitig auf die Suche nach dem Büro von Rilana Myers zu machen. Schnell werde ich fündig und klopfe an die dunkle Holztür.
„Herein“, ertönt eine weibliche Stimme und ich öffne die Tür.
„Guten Morgen.“
„Guten Morgen. Mr. Moldovan, nehme ich an?“, grüßt sie mich zurück und zieht die Augenbrauen leicht zusammen, während sie mich mustert. „Wo drückt denn der Schuh?“
Innerlich schmunzle ich über ihre lockere Art und bin überrascht, dass sie so salopp ist und augenscheinlich gar nicht so richtig ins Bild einer Finanzberaterin passen will. Normalerweise sind diese geschniegelt und gestriegelt. Und gänzlich humorlos. Ich bin neugierig, ob Rilana Myers den Humor hat, den sie durchblitzen hat lassen.
„Nun“, beginne ich meine Erklärung und schließe die Tür hinter mir, da ich Zuhörer nicht gebrauchen kann. „Normalerweise wissen meine Zielpersonen über die Aufträge Bescheid. Ich gehe stark in der Annahme, dass Ihre Mutter Sie nicht informiert hat?“
„Zielpersonen? Aufträge? Meine Mutter? Ich verstehe Sie nicht ganz. Sie wollen keine Beratung bezüglich einer Finanzierung?“, hakt sie irritiert nach und ihre Augen weiten sich ein wenig.
Sie hat die faszinierendsten Augen, die ich jemals bei einer Frau gesehen habe. Mittlerweile stehe ich direkt vor ihrem Schreibtisch und habe meinen Helm an der Kante abgelegt. Ihre Augen funkeln in einem Grünton, der mir den Atem für einige Sekunden verschlägt. Und ihre Wimpern sind dicht und dunkel. Eine grade Nase die Andere wohl als Stupsnase bezeichnen würden, ein hübsches Gesicht und tiefschwarze, gelockte Haare, die sie offen über die Schultern trägt. Sie sind lang. Sehr lang vermutlich. Ich ziehe meine Handschuhe aus und lege sie in meinen Helm, um meinen Rucksack abzunehmen und ihn neben dem Sessel abzustellen, in den ich mich nun langsam und entspannt sinken lasse, den Blick nicht von ihr abwendend.
„Mein Name ist Calin Moldovan und ich bin Objekt- und Personenschützer. Ihre Mutter Meena Kapoor hat mich kontaktiert und mir den Auftrag erteilt, Sie vor Ihrem Ex-Freund Wassib Nazari zu schützen, der Sie wohl seit einigen Wochen stalkt.“
„Wassib? Oh. Nun ja… Ich weiß nicht, ob man das bereits als Stalking bezeichnen kann? Er versucht halt mich zurück zu bekommen. Aber direkt einen Bodyguard engagieren? Ist das nicht verdammt teuer?“
Rilana beißt sich unsicher auf die Unterlippe und sieht mich zweifelnd an. Hinreißend. In meiner Leistengegend zieht es angenehm und ich schlucke. Ihre Lippen sind wohlgeformt und ich muss mich zwingen in ihre wundervollen grünen Augen zu schauen, um mich nicht zu verraten. Sie haut mich um, ich gebe es zu. Normalerweise reagiere ich nicht so auf die Damenwelt. Das letzte Mal bei meiner Ex, die seit vielen Jahren Geschichte ist. Warum also nun bei Miss Myers?
„Das ist leicht geklärt, Miss Myers. Meine Personenschutzdienste sind erschwinglich für Jedermann. Ich habe es mir auf die Fahne geschrieben, den Menschen zu helfen, die dringend Hilfe benötigen. Und meistens sind es keine gut betuchten Politiker oder Promis. Vielleicht erzählen Sie mir von Mr. Nazari und seinen Versuchen Sie zurück zu bekommen. Dann kann ich Ihnen sagen, ob es sich um Stalking handelt. Fühlen Sie sich denn bedroht, Miss Myers?“
„Ich verstehe. Dann sind Sie sehr fair gegenüber Ihren Klienten. Das hätte ich nicht erwartet. Also, dass es in dieser Branche auch Menschen gibt, die es nicht nur auf Geld abgesehen haben“, lächelt sie mich an und ich bewundere ihre leichten Grübchen, welche sich nun zeigen. „Mein Ex… Wassib… Er ist Araber und kann nicht akzeptieren, dass ich ihn verlassen habe. Er hat mich in einen goldenen Käfig gesperrt und das Einzige, was ich durfte war mich zur Arbeit zu begeben. Durch ihn hätte ich meinen Job hier im Unternehmen fast verloren. Denn auch der Gang zur Arbeit war zu viel für ihn. In seinen Augen darf kein Mann mich anschauen. Das ist eine Todsünde.“
„Und wie versucht er nun Sie wieder an sich zu binden?“
„Er taucht ab und an hier auf. Entweder zur Mittagspause oder wenn ich Feierabend habe. Mittlerweile mache ich immer zu unterschiedlichen Zeiten Mittag oder verlasse das Gebäude nicht mehr vor Feierabend. Nach Feierabend werde ich von meiner besten Freundin abgeholt.“
„Er lauert Ihnen also auf. Bezieht sich dieses Auflauern lediglich auf Ihre Arbeit, oder taucht er auch unangemeldet vor Ihrer Wohnung auf?“, erkundige ich mich und mache mir in Gedanken Notizen.
„Er weiß tatsächlich nicht wo ich derzeit lebe. Wir haben zusammen gelebt und ich bin ausgezogen. Aktuell halte ich mich im Gästezimmer einer guten Freundin auf. Die kennt er allerdings nicht. Auch habe ich meine Telefonnummer gewechselt. Hier in der Firma wird er nicht mehr zu mir hoch gelassen, die Security ist informiert.“
Ihr Blick trübt sich für einen kurzen Augenblick und dann schaut sie mich an. Ich kann nicht genau herauslesen, was in ihnen steht, aber sie wirkt insgesamt bedrückt auf mich. Vermutlich hat sie bisher nicht wahr haben wollen, wie gefährlich ihr Ex ihr werden kann. Bisher versucht er nur sie abzufangen, allerdings kann auch dieses Abfangen schnell in Gewalt umschlagen. Das weiß ich aus meiner beruflichen Erfahrung heraus. Opfer von Stalkern, die auch noch der Ex-Partner sind werden oftmals unterschätzt. Man meint sie zu kennen. Und doch kennt man sie überhaupt nicht.
„Das ist gut. Ich werde ab sofort ständig an Ihrer Seite sein, wenn Sie arbeiten oder anderweitig unterwegs sind. Wenn Sie bei Ihrer Freundin sind, sind Sie sicher. Wir stellen sicher, dass er Sie nicht bis dorthin verfolgt. Morgens hole ich Sie zur Arbeit ab und Abends bringe ich Sie nach Hause. Beachten Sie mich ansonsten nicht“, instruiere ich sie sachlich und lehne mich ein wenig im Sessel zurück.
„Ist das wirklich alles nötig, Mr. Moldovan?“, fragt sie zögernd.
„Besser man sorgt vor, als wenn es hinterher zu spät ist, Miss Myers. Glauben Sie mir: jetzt wirkt alles noch harmlos. Lassen Sie es nicht so weit kommen, dass Ihr Leben eventuell bedroht wird.“
Seufzend nickt sie mir zu und ich verschränke meine Arme vor der Brust.