Ich kann noch immer nicht glauben, dass Wassibs Handlanger nicht gestanden haben. Sie haben tatsächlich angegeben, dass sie nicht in seinem Auftrag gehandelt haben, sondern das Ganze alles ihre Idee gewesen sei, um von Wassib Lösegeld zu erpressen. Immer noch könnte ich diesen Zellklumpen an den Kragen gehen und ihnen den ganzen Tag lang Backpfeifen verpassen – mit ständig wachsender Begeisterung. Warum belasten diese Einzeller sich selbst und nicht ihren Auftraggeber? Vermutlich aus Angst vor Wassib. Warum habe ich mich auf diesen arroganten Narzissten überhaupt eingelassen? Mittlerweile bin ich mir sicher, dass es sich meinerseits nicht um Liebe gehandelt hat. Gemocht habe ich ihn, und ja, auch attraktiv gefunden, von Liebe mag ich allerdings nicht sprechen.
Frustriert stütze ich meinen Kopf in meinen Händen und starre auf den Standabschnitt vor der Terrasse, während meine Gedanken immer wieder im Kreis schwirren. Wenn das so weitergeht, kann ich keinen Schritt mehr machen, ohne Angst zu haben, dass mir jemand auflauert und ans Leder möchte. Zwar schwebe ich nicht unmittelbar in Lebensgefahr, kann aber ins Ausland verschleppt werden, wo ganz andere Gesetze gelten. Und obendrein bringe ich Calin noch um weitere, lukrative Jobs. Seine Firma läuft zwar gut weiter, allerdings steht er selbst nicht zur freien Verfügung, da er auf mich aufpassen muss. Es frustriert mich, dass ich ihm ein solcher Klotz am Bein bin. Seufzend richte ich mich auf und ziehe die Strickjacke enger um meinen Körper, da es mich fröstelt.
„Musst du mir die schöne Aussicht ruinieren?“
Mein Blick wandert zu Elena, Calins nerviger Nachbarin und ich ziehe eine Augenbraue hoch. Die hat mir ja heute noch zu meinem Glück gefehlt. Sie hat ihre Hände in die Hüften gestemmt und blitzt mich aus zornigen Augen an, während sie die Stufen hinaufkommt, um neben mir stehen zu bleiben. Da es nicht mein Grundstück ist, halte ich mich zurück und wünsche sie nicht zum Teufel. Dazu habe ich keinerlei Recht, denn schließlich wohne ich hier nicht. Nicht offiziell jedenfalls.
„Ich wusste nicht, dass ich mich anmelden muss, wenn ich an die frische Luft gehe und den Ausblick genieße“, gebe ich lahm zurück und zucke kurz mit den Schultern. „Gibt es einen Antrag, den ich ausfüllen muss?“
„Versuch erst gar nicht lustig zu sein – denn das bist du definitiv nicht. Wann gedenkst du wieder abzuschwirren? Komplett, meine ich.“
An Dreistigkeit nicht zu überbieten dieses Weib. Ich kann sie nicht leiden. Absolut nicht leiden. Sie mischt sich in Dinge ein, die sie nichts angehen und macht zu allem den Mund auf. Innerlich seufze ich und verschränke meine Arme mit einem unbewegten Gesicht.
„Warum gehst du nicht auf deine Terrasse zurück und genießt den Abend?“, schlage ich ihr betont freundlich lächelnd vor. „Bei einem Glas Wein zum Beispiel. Und ich gehe wieder rein und kuschle mich an die Seite des Mannes, der mich liebt. Dann ist jeder zufrieden mit dem was er bekommen kann.“
„Der dich liebt? Pah! Das sagt er doch jeder Frau. Du bist nur eine von vielen. Bilde dir nichts darauf ein. Hier sind vor dir zig Frauen ein und aus gegangen. Aber das nehme ich so hin, denn das ist eben sein Naturell. Er ist nicht monogam und muss seine Vorzüge mit allen Frauen teilen, die das auch wollen. Vermutlich hast du einfach nur Glück, dass er dich länger bei sich aushält. Darüber mache ich mir keinerlei Gedanken. Aber ich denke hierbei an dich: du wirst nur mit gebrochenem Herzen zurückbleiben, wenn er es mit euch beendet. Glaub mir einfach.“
Ob sie selbst an das glaubt, was sie mir hier einzureden versucht? Vermutlich schon, anders kann ich es mir nicht erklären. Wassib und Elena würden ein äußerst kompatibles Paar abgeben, wie ich soeben feststelle. Vielleicht sollte ich ihr der Einfachheit halber seine Nummer geben, dann schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Je länger ich darüber nachdenke, um so verlockender klingt das Ganze in meinem Kopf.
„Weißt du, Elena, an und für sich lohnt es sich nicht mit jemanden zu sprechen, den man mit einem elektrischen Teelicht röntgen kann, aber…“, setze ich an „irgendwie tust du mir schon leid. Du klammerst dich an einen Menschen, der dich vielleicht mag, aber auf eine platonische Art und Weise, aber niemals lieben wird. Und du willst dir das selbst nicht eingestehen. Du idealisierst einen Mann, stellst ihn auf ein Podest. Bis vor einigen Monaten habe auch ich das bei meinem Ex-Freund getan und bereue es heute zutiefst, weil ich mir selbst eingeredet habe diesen Menschen über alles zu lieben. Doch das tat ich nicht. Ich habe mich belogen; ihn belogen – meine Umwelt. Tu dir das selbst nicht an, denn es wird am Ende nur unnötig wehtun, wenn es dir bewusst wird.“
„Was redest du?“
„Nimm es als gut gemeinten Ratschlag an: lass los und akzeptiere es. Calin möchte auf romantischer Ebene nichts von dir, sonst hätte er alle Zeit der Welt gehabt, es dir zu offenbaren. Und er hat es dir das letzte Mal auch direkt ins Gesicht gesagt. Ich vertraue ihm und glaube ihm, wenn er mir sagt das er mich liebt und vorher niemals eine Frau für längere Zeit sein Haus betreten hat.“
„Ach nein? Und was war das den einen Abend vor circa zwei bis drei Wochen? Eine wunderschöne junge Frau war spät abends hier und er hat sie ins Haus gelassen. Sie war eine ganze Weile drin und dann hat er sie sogar gefahren. Vermutlich nach Hause. Er kam erst morgens wieder zurück. Das sah mir nicht danach aus, als wenn es eine rein platonische Bekanntschaft gewesen ist.“
„Da kannten er und ich uns nur flüchtig und es wäre sein gutes Recht gewesen, wenn er mit jemanden ausgegangen ist. Was soll ich mich daran aufhängen, Elena?“, erwidere ich ruhiger, als ich mich fühle.
Eifersucht sticht in meiner Brust und ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen. Nach und nach fließt zäh die Enttäuschung durch meine Adern und ich lächle gezwungen.
„Wie dem auch sei. Ich werde wieder rein gehen, denn ich bin müde und ich muss zeitig aufstehen. Ich wünsche dir noch einen angenehmen Abend.“
Mit diesen Worten drehe ich mich von ihr weg und betrete die Küche durch die Terrassentür, um sie hinter mir zu verschließen und mich mit dem Rücken gegen das kühle Holz zu lehnen. Warum trifft mich dieses neue Wissen so? Oder lügt sie mich einfach nur an? Ich will nicht an ihm zweifeln, kann es andererseits nicht unterdrücken, so sehr ich auch möchte – es gelingt mir einfach nicht. Leise stöhnend reibe ich mir mit der Hand über die Stirn und schüttle dann meinen Kopf.
„Alles in Ordnung, mo chridhe?“, schreckt Calin mich besorgt aus meinem Elend und ich schaue ihn zusammenzuckend an. „Geht es dir nicht gut?“
Er tritt dicht an mich heran und zieht mich in eine enge Umarmung, welche mich leise seufzen lässt. Sein beruhigender Duft hüllt mich ein und ich vergrabe mein Gesicht an seiner breiten Brust, um tief durchzuatmen. Mein Herz schmerzt und ich würde am liebsten weinen, weil mir derzeit alles zu viel ist. Innerlich fühle ich mich zerrissen und nirgends zugehörig.
„Rilana? Sprich mit mir, bitte. Ich mache mir Sorgen um dich.“
„Elena...“, murmele ich undeutlich und schiebe meine Hände nach Wärme suchend unter sein Henley, um seine Haut unter meinen Fingern zu spüren.
„Was hat sie gesagt, Süße?“, möchte er mit grollender Stimme wissen.
„Sie will, dass ich hier verschwinde.“
„Das ist nicht ihr Ernst. Sie hat rein gar nichts zu wollen. Ich will dich bei mir haben und niemand sonst wird hier jemals bei mir willkommener sein als du, mein Herz. Schon gar keine andere Frau. Danke, kein Interesse.“
„Ich weiß. Aber...“, fange ich unsicher an und seufze wieder.
„Was hat sie noch erzählt?“, sanft legt er seinen Zeigefinger unter mein Kinn und zwingt mich behutsam ihn anzuschauen. „Sprich offen mit mir. Egal was sie gesagt hat, ich bin mir sicher, dass ich das Ganze aufklären kann. Niemals habe ich eine Frau so sehr geliebt wie dich. Und ich will dich nicht verlieren. Jetzt nicht und auch nicht in dreißig oder vierzig Jahren. Mit dir will ich irgendwann alt und grau werden; in glücklichen Erinnerungen schwelgen.“
„Fuck, du bist so verdammt süß, Calin“, erwidere ich mit Tränen in den Augen und lächle zittrig. „Und das war die schönste Liebeserklärung, die ich bisher bekommen habe.“
„Die Schönste? Und was war das letztens im Bett?“, grinst er mich verschmitzt an.
„Außergewöhnlich. Aber das grade… das war… unglaublich, gaol mo bheatha.“
Seine Augen weiten sich vor Überraschung darüber, dass ich Gälisch spreche, obwohl ich ihn nie nach diesen Worten gefragt habe. Meine Mundwinkel zucken verräterisch und mein Herz fühlt sich auf einmal wieder vollkommen leicht an. Das Vertrauen in Calin und seine Gefühle für mich ist wieder unanfechtbar. Er würde mich niemals belügen. Okay, vielleicht, um mich zu überraschen, aber das ist vollkommen in Ordnung.
„Woher…?“
„Ich habe recherchiert. Und ich wollte dich unbedingt überraschen. Dich einfach ‚Baby‘ zu nennen finde ich zu abgedroschen.“
„Aber du weißt, was du gerade zu mir gesagt hast, ja?“, möchte Calin mit ungläubiger Tonlage von mir wissen. „Das du...“
„...die Liebe meines Lebens bist? Ja. Da bin ich mir absolut sicher.“
Seine Lippen senken sich leidenschaftlich auf meine und wir seufzen beide auf, während meine Hände seine samtene, warme Haut am Rücken streicheln. Am liebsten würde ich in ihn hineinkriechen und nie wieder rauskommen. Langsam löse ich meinen Mund von seinem und schaue ihn dann an.
„Ich wollte dir noch sagen, was deine Nachbarin von sich gegeben hat. Ich wäre unehrlich, wenn ich nicht zugeben würde, dass ich kurz Zweifel hatte. Nimm es mir bitte nicht übel, aber diese Frau ist eine echte Giftnatter“, mit einem schlechten Gewissen kaue ich mir auf der Unterlippe herum und seufze dann bedrückt.
„Ich weiß. Erzähl was sie von sich gegeben hat, Kleines. Ich bin mir sicher, ich nehme ihr sofort den Wind aus den Segeln.“
„Sie hat mir erzählt, dass du vor einigen Wochen Besuch von einer Frau hattest. Spät abends… und mit ihr weggefahren bist. Zurückgekommen bist du erst morgens wieder.“
„Das stimmt“, sagt er schlicht und ich schaue ihn entsetzt und mit rasendem Herzen an.
„Es...es stimmt?“
„Ja“, bestätigt er ruhig und lächelt mich dann sanft an. „Die kleine Schwester einer Frau hat mich besucht, nachdem sie sich meine Adresse von ihrer Mutter organisiert hat. Sie hat sich Sorgen um ihre große Schwester gemacht, welche einen Nebenjob in einer gewissen Tanzbar angenommen hat, um ihr das Studium weiterhin zu ermöglichen und zusätzlich Geld für teure Medikamente aufzutreiben. Die junge Frau ist zwar hübsch, auf ihre eigene Art und Weise, aber mein Herz schlägt einzig und allein für ihre große Schwester, die mich von Anfang an verzaubert und in ihren Bann gezogen hat. Vielleicht kennst du ja beide?“, schmunzelt Calin mich an und seine rechte Hand krault sanft meinen Nacken, in den sie sich geschlichen hat, während er erzählt hat.
„Kirana war hier?“, kann ich nur verdattert erwidern und er lacht leise, während er nickt. „Oh. Okay. Dann hat Elena ausnahmsweise mal die Wahrheit gesagt und kennt nur die halbe Geschichte? Wow.“
„Und ich bin nur morgens nach Hause gekommen, weil ich die schönste Frau auf diesem Planeten nach Hause gefahren habe, nachdem sie einen, zugegebener Weise, sehr heißen Tanz aufgeführt hat. Was mir nicht sonderlich geschmeckt hat war eigentlich nur, dass ihn auch andere Männer sehen konnten.“
„Ich habe nicht vor jemals wieder auf dieser Bühne zu stehen und mich an der Pole zu räkeln“, beruhige ich ihn, denn ich kann sehen das seine Augen einen besitzergreifenden Ausdruck angenommen haben, der mir durchaus gefällt. „Und wenn ich an einer Pole tanze, dann nur noch privat – ganz allein für dich“, küsse ich ihn auf das Kinn und kichere bei seinem zufriedenen Grinsen.
„Das wollte ich hören, mo chridhe. Habe ich deine Eifersucht besänftigen können?“
„Eifersucht?“, frage ich betont unschuldig. „Welche Eifersucht? Du warst ein freier Mann. Zur Eifersucht hatte ich für diesem Zeitpunkt kein Recht, selbst wenn es sich nicht um meine kleine Schwester gehandelt hätte.“
„Wie bereits gesagt; du hast mir vom ersten Moment an den Kopf verdreht und ich hätte im Traum keine andere Frau mehr näher angeguckt als nur oberflächlich im Vorbeigehen. Und nun...“, informiert er mich ernst und nimmt meine Hände von seinem unteren Rücken. „werde ich mit dieser wundervollen Frau in meinem Bett verschwinden und ihr mit Taten zeigen, wie viel sie mir bedeutet und dass sie die Einzige in meinem Leben ist.“
„Ich glaube, ich bekomme weiche Knie.“
Mit einem Ruck hebt er mich an der Taille hoch und ich schlinge meine Beine um seine Hüften, mich an seinem Hals festhaltend. Grinsend steigt er mit mir auf seinen Armen die Treppe in die obere Etage hinauf und ich kann es kaum erwarten bis unsere nackten Leiber sich endlich berühren und ich ihm ebenso zeigen kann, das er der Mann ist, auf den ich all die Jahre gewartet habe. Für ein paar Stunden meine Sorgen vergessen und mich fallen lassen ist das Ziel des heutigen Abends. Morgen kann ich mir noch immer meinen Kopf über meine derzeitige Situation brechen.