Mir geht nicht aus dem Kopf das er sich für mich eingesetzt hat, obwohl er sonst nicht viel sagt. Aber er hat sich gegen Lynn aufgelehnt obwohl sie ihm um die Ohren gehauen hat wo sie arbeitet. Nicht das sie in der Lage wäre seine Karriere aufs Eis zu legen, aber sie könnte negative Publicity in Umlauf über seine Firma bringen, die es ihm zukünftig schwer machen könnte, wenn es schlecht läuft. Ich traue ihr nicht zu, dass sie solche Sachen tut, aber manchmal ist sie einfach unberechenbar und sehr impulsiv. Sie neigt dazu nicht nachzudenken und handelt unüberlegt.
„Das Bistro befindet sich hinter der nächsten Straßenecke. Waren Sie schon einmal im Barelly‘s?“
„Nie gehört, sorry. Ist das bekannter?“, antwortet ich zerknirscht und schaue ihn fragend an.
„Nicht wirklich. Eher ein Geheimtipp. Das Barelly‘s wird von einem guten Freund betrieben. Es wurde erst vor ein paar Wochen eröffnet.“
„So oft esse ich ehrlich gesagt nicht auswärts.“
„Verständlich, wenn man einen Ex-Freund hat, der einem quasi überall auflauern könnte. Aber ich bin bei Ihnen. Fühlen Sie sich frei bei solchen Ausflügen. Ich kann mich auch im Hintergrund aufhalten so, dass niemand mitbekommt, dass ich Ihr Bodyguard bin. Dann müssen Sie meine Anwesenheit erst gar nicht erklären.“
Ich betrachte ihn aus dem Augenwinkel und denke kurz darüber nach. In seiner Nähe fühle ich mich sicher und auch irgendwie wohl. Sicherlich wäre es auch mit seiner Anwesenheit im Hintergrund getan, aber das möchte ich eigentlich gar nicht. Aber wie sollte ich ihn gegenüber meinen Kollegen erklären? Sie wissen ja, dass er kein Praktikant ist. Solche neu besetzten Stellen sprechen sich schnell herum und die Praktikanten wuseln überall im Gebäude herum und hielten sich nicht nur bei einem Sachbearbeiter auf.
„Wie wird Ihre Anwesenheit in der Firma erklärt?“, schwenke ich das Thema ein wenig um.
„Ich bin zu Ihren zuständigen Vorgesetzten offen gewesen und habe mitgeteilt worum es geht. Offiziell bin ich für die Belegschaft ein Praktikant. Nur zuständig für Ihre Belange.“
„Nur für meine Belange?“
„Ja. Es ist alles geregelt und niemand wird groß Fragen stellen. Höchstens aus Neugierde bezüglich meiner Person. Machen Sie sich keine Gedanken.“
Leise seufze ich und nicke dann nachdenklich. Ein persönlicher Praktikant. Normalerweise ist das in den Abteilungen weit über mir der Fall. Das sind dann jedoch persönliche Assistenten auf Zeit – keine Praktikanten. Und in den meisten Fällen tatsächlich weibliche PAs.
„Wir sind da, Miss Myers“, reißt er mich aus meinen Gedanken und hält mir gentlemanlike die Tür des Bistros auf.
„Vielen Dank“, entgegne ich lächelnd und betrete das gemütlich wirkende Lokal neugierig.
Die rothaarige Bedienung sieht auf und strahlt uns erfreut an.
„Calin! Hey, welch Überraschung. Und wen hast du da bei dir?“, begrüßt sie mehr ihn als mich.
„Hi, Fiona. Ja, ich war in der Nähe und uns haben die Mägen geknurrt. Und wo isst man besser als bei euch? Das ist Rilana.“
Während mich Fiona mustert, stelle ich fest, dass er auch ihr gegenüber kein Lächeln zeigt. Ist er wirklich ein so ernster Typ? Zwischendurch im Büro schien er zumindest belustigt zu sein als er sich mit Lynn einen Schlagabtausch gegeben hat. Aber auch dabei haben seine Mundwinkel nicht einmal gezuckt. Ich würde sterben, wenn ich so ernst bleiben müsste. Ein Leben ohne Lachen kann ich mir absolut nicht vorstellen. Das geht doch überhaupt nicht, oder?
„Rilana also? Hübscher Name. Nicht amerikanisch, oder?“
„Nein. Mein Name stammt aus Indien“, antworte ich ihr lächelnd.
„Oh, okay. Das ist schon ziemlich cool. Sucht euch gern einen Platz, ich bringe euch die Karten, damit ihr in Ruhe schauen könnt. Möchtet ihr schon was trinken? Eistee wie immer, Calin?“
Er nickt zustimmend und ich überlege kurz.
„Den nehme ich auch. Ist Zitrone okay?“, äußere ich meinen Getränkewunsch schüchtern.
„Klar. Ich bringe euch eure Getränke gleich zusammen mit den Karten.“
Calin lässt mir mit einer auffordernden Handbewegung die freie Wahl und ich entscheide mich für einen Sitzplatz mit gepolsterter Bank und Rückenlehne. Erlässt sich mir gegenüber auf einem der Stühle nieder und sieht sich nicht einmal um, was mich verwundert. Sonst scannt er jeden Ort nach möglichen Gefahren ab – nur dieses Mal nicht.
„Warum schauen Sie sich hier nicht um? Ist es, weil Ihrem Freund das Bistro gehört?“, kann ich mir meine neugierige Frage nicht verkneifen und kaue nervös auf meiner Unterlippe herum.
„Nicht ganz. Hier kommt nur nicht jeder rein. Ich informiere Duncan, wenn ich einen Auftrag als Bodyguard habe. Generell bin ich gut vernetzt und jeder weiß, wen er gerade nicht rein lassen darf. Somit sind wir hier auch sicher und ich muss mich nicht umschauen“, erklärt er mir, ohne zu zögern.
„Oh. Das ist sicher nützlich, oder? Wenn ich zu viel frage, dann tut es mir leid.“
„Das ist in Ordnung. Wenn Sie involviert sind, fühlen Sie sich sicherer und ich kann mich voll und ganz auf das Wesentliche konzentrieren, wenn wir uns an Orten befinden, die meine ganze Aufmerksamkeit erfordern.“
Fiona bringt uns die Getränke nebst Karten und lächelt uns an.
„Duncan kommt gleich und sagt auch kurz hallo. Er ist grade noch im Lager beschäftigt, Calin.“
Calin nickt ihr knapp zu und prostet mir dann kurz zu, um danach einen kräftigen Schluck Eistee zu nehmen. Ich beobachte ihn fasziniert und sehe aus dem Augenwinkel wie Fiona wieder hinter der Theke verschwindet, um mit der Arbeit weiterzumachen, die sie mit unserem Eintreffen unterbrochen hat. Er stellt sein Glas wieder vor sich ab und lehnt sich entspannt zurück. Sein Blick trifft meinen und ich schlucke leicht. Seine Augen sind wirklich der Wahnsinn.
„Möchten Sie nichts trinken?“, fragt er mich.
„Ähm, oh, doch. Ich war gerade in Gedanken, tut mir leid“, stammle ich irritiert und umfasse dann mein Glas, um einen kleinen Schluck zu nehmen. „Der Eistee ist wirklich gut.“
„Hausgemacht“, brummt eine mir unbekannte männliche Stimme amüsiert. „Freut mich, dass es schmeckt. Ich bin Duncan. Sie müssen Rilana sein?“
Ich schüttle kurz seine Hand, die er mir reicht und nicke. Dem Namen nach müsste auch Duncan ein Ire oder Schotte sein. Sehen die da alle so heiß aus? Duncans Augen sind grün-blau, seine Haare haben einen rot-blond Ton und sein Grinsen könnte breiter nicht sein. Sein Körperbau kommt nahezu an den von Calin ran, jedoch ist er nicht ganz so im Training, wie mir scheint. Er dreht einen Stuhl mit der Lehne nach vorn und lässt sich dann rittlings darauf nieder, die Unterarme auf der Rückenlehne abgelegt.
„Korrekt. Rilana Myers. Freut mich.“
„Toll, dass Cal Sie direkt mit hergebracht hat. Wir haben das most wanted Bild direkt hinter die Theke gepinnt, damit Ihr Ex gar nicht erst einen Schritt über die Türschwelle macht. Wir sind also quasi das Fort Knox der Bistros“, zwinkert er mir verschwörerisch zu und ich muss kichern.
„Übertreib direkt, Dunc“, schüttelt Calin den Kopf und boxt ihm leicht gegen die rechte Schulter.
„Irgendwer muss hier doch ein bisschen Spaß reinbringen, du oller Griesgram. Ein Lächeln wäre mal drin, oder? Bei einer solchen Schönheit kannst du das mal springen lassen.“
Mein Gesicht fühlt sich plötzlich warm an und ich weiß nicht ob oder wie ich auf Duncans Aussage reagieren soll. Mein Blick heftet sich auf die Speisekarte, die ich aufklappe. Ich werde einfach so tun, als hätte ich das gerade nicht gehört und Schwamm drüber.
„Du hast sie in Verlegenheit gebracht. Großartig gemacht.“
„Ich? Wer hat denn den Spruch gebracht?“, entrüstet Calin sich und ich grinse hinter der Karte.
„Na ich. Aber du hättest ja vorher mal ein freundlicheres Gesicht machen können. Und lächeln. Dann wäre der Spruch hinfällig gewesen, Cal.“
Nun kann ich mir ein unterdrücktes Kichern nicht mehr verkneifen und linse über die Karte hinweg die beiden Freunde an, welche mich mustern. Jeder mit einem anderen Ausdruck in den Augen. Duncan ist belustigt und hat den Schalk im Nacken. Bei Calin bin ich mir absolut nicht sicher. Seine Augen haben einen etwas dunkleren Blauton angenommen, sonst kann ich erneut keinerlei Gefühlsregung erkennen. Ist er ebenso amüsiert oder tangiert ihn das grade so gar nicht? Mich betrübt es ein bisschen, dass er wirklich nie zu lächeln scheint. Muss das nicht wahnsinnig anstrengend sein?
„Sie haben ein wirklich schönes Lachen, Rilana“, macht Duncan mir ein Kompliment.
„Oh – danke.“
„Habt ihr schon etwas zu Essen gewählt?“, kommt Fiona an unseren Tisch.
„Ich hätte gern einen Cheeseburger mit Pommes, bitte“, erwidere ich lächelnd und klappe die Karte zu, damit Fiona sie mitnehmen kann.
„Cal?“
„Ich schließe mich dem an“, antwortet er, ohne zu zögern.
Duncan und Fiona werfen sich einen kurzen Blick zu und ich frage mich, ob er sonst immer etwas anderes bestellt und heute von seinen Gewohnheiten abweicht. Fiona nickt und eilt mit beiden Karten im Arm wieder hinter die Theke.
„Dann werde ich mich mal wieder ins Lager trollen und die Lieferung verräumen, ihr zwei. Und Cal? Tu mir bitte den Gefallen und guck nicht die ganze Zeit so griesgrämig. Ich mache drei Kreuze im Kalender, wenn ich dich mal lächeln sehe. Wir kennen uns jetzt zwei Jahre und in dieser Zeit hast du immer eine unbewegte Mine zur Schau gestellt.“
„Du siehst mich auch nicht den ganzen Tag. Vielleicht lächle ich ja, wenn ich allein bin?“, gibt Calin mit hochgezogenen Augenbrauen zurück.
„Vermutlich grinst du dich morgens im Spiegel selbst an, honey“, kontert Duncan leise lachend und erhebt sich. „Man sieht sich, Cal. Rilana? Es war mir ein Vergnügen Sie kennenzulernen.“
„Ebenfalls“, entgegne ich und lächle wieder.
Duncan hebt die Hand zum Gruß und macht sich dann wieder auf den Weg in sein Lager. Ich schaue ihm nachdenklich hinterher und streiche mir eine Strähne meines widerspenstigen Haars hinters Ohr zurück. Er scheint ein echter Spaßvogel zu sein. Das Gegenteil von Calin, wenn man so möchte. Mein Blick wandert zu ihm zurück und ich stutze. Ein kurzer Ausdruck huschte gerade über sein Gesicht. Wenn ich es nicht besser wissen würde, dann war es Ärger. Aber das habe ich mir vermutlich nur eingebildet. Warum sollte er jetzt gerade verärgert sein? Darauf kann ich mir absolut keinen Reim machen.