George schiebt mir mit dem Fuß geschickt eine neue Kiste Coke rüber und ich räume die Flaschen, dabei in der Hocke verharrend, in den Unterbaukühlschrank, welcher sich unter der Theke befindet. Es ist sehr voll heute und die Gäste können kaum treten, so dicht an dicht sind die Menschen gedrängt. Wir haben zu zweit allerhand zu tun und ich komme kaum dazu, mir Gesichter zu merken. So voll war es bisher nie. Abgehetzt puste ich mir eine Strähne aus den Augen, welche sich aus meinem hohen Pferdeschwanz gelöst hat und wische mir mit dem Unterarm über die verschwitzte Stirn. Hier drin sind es gefühlt vierzig Grad Tropenwaldfeeling. Calin hat sich wieder auf seinem Stammplatz positioniert und lässt mich nicht aus den Augen. Sobald mir einer der männlichen Gäste zu sehr auf die Pelle rückt, schreitet er ein und hält mir denjenigen vom Leib. Gott sei Dank kommt das eher seltener vor.
„Haben wir noch Crushed Ice, George?“, frage ich ihn über meine Schulter hinweg. „Ich bin out of order und kann nur noch zwei Cocktails mixen, wenn es hochkommt.“
„In der Gefriertruhe auf dem Hinterhof. Der Schlüssel liegt in der Kasse, Ri.“
„Alles klar. Ich geh schnell welches holen, ja? Kriegst du das die paar Minuten hin?“
„Logo.“
Mit dem Schlüssel schlüpfe ich schnell durch die Tür in den Hinterraum und eile den Flur bis zur Außentür lang, um den Schlüssel im Schloss zu drehen und sie zu öffnen. Fröstelnd trete ich in die kühle Nachtluft hinaus und wende mich direkt an die riesige Industrietruhe neben der Tür, um das Vorhängeschloss zu öffnen, welches das Crushed Ice vor Dieben schützen soll.
„Du warst ein unartiges Mädchen.“
Erschrocken drehe ich mich um und stütze mich mit den Händen auf dem Truhendeckel ab. Vor mir steht nun Blaster mit samt dem Kerl, dem Calin in der Hütte eine Tracht Prügel verpasst hat, welcher mich nun schmierig grinsend betrachtet. Sein Gesicht ist grün und blau, seine Unterlippe aufgeplatzt, was ihn noch unattraktiver macht, als er es sowieso schon ist. Verdammt, ich habe Calin nicht Bescheid gesagt und er ist mir auch nicht gefolgt. Vermutlich denkt er, ich bin im toten Winkel unter der Theke zu Gange. Die mit Menschen vollgestopfte Bar hat mich den Überblick verlieren lassen. Fuck!
„Habt ihr noch nicht genug? Lasst mich einfach in Ruhe und gut ist“, sage ich ruhiger, als ich aktuell bin und schiebe mich langsam Richtung Tür. „Ich werde niemals Wassibs Gespielin.“
„Das entscheidest nicht du, Mädchen“, informiert Blaster mich mit verschränkten Armen und einer hochgezogenen Augenbraue. „Er will dich – er kriegt dich. So einfach ist das.“
Ich muss auf Zeit spielen. Calin wird auffallen, dass ich nicht mehr hinter der Theke stehe und Georg nach meinem Verbleib fragen. Gerade könnte ich mich für meine Unachtsamkeit selbst ohrfeigen. Warum habe ich nicht einen Blick zu Calin geworfen, um mich zu vergewissern das er sieht was ich vorhabe? Jetzt nur nicht nervös werden und den Kopf verlieren, Ri. Am besten du läufst in die Bar und versuchst deinen Hintern so schnell wie möglich in den Gastraum zurück zu kommen, damit jemand auf dich aufmerksam wird.
Tief atme ich durch und wage dann einen Sprint in den hinteren Teil der Bar und widerstehe dem Drang die Tür hinter mir abzuschließen, denn diese Aktion ginge definitiv nach hinten los, da die beiden Pitbulls sich gegen die Tür werfen und mich gegen die Wand schleudern würden. Lieber nutze ich die Chance und laufe den schummrigen Flur entlang, der mir noch nie so endlos vorgekommen ist wie in diesem Augenblick.
„Versuch es gar nicht“, lacht Blaster hinter mir und packt mich am rechten Handgelenk, was mich mit einem Ruck nach hinten reißt und stolpern lässt.
„Lass mich los, verdammt!“, rufe ich und versuche mich loszumachen, nachdem ich mein Gleichgewicht wiedergefunden habe. „Loslassen habe ich gesagt!“
Blasters namenloser Begleiter verpasst mir einen Hieb mit der Faust gegen das Kinn und ich sehe kurzzeitig Sterne, reflexartig habe ich mein Knie hochgezogen und treffe ihn, dem schmerzhaften Ton nach zu urteilen, in den Weichteilen. Die getroffene Stelle an meinem Kinn pocht und ich beiße die Zähne zusammen, mich dabei in Blasters Griff windend.
„Wenn du deine Hände nicht sofort von ihr nimmst, jage ich dir eine Kugel direkt in den Frontallappen. Überleg es dir gut“, höre ich eine mir vertraute Stimme und ich möchte aufschluchzen vor Erleichterung.
„Und du bist?“, verlangt Blaster zu wissen. „Ihr Babysitter?“
„Nein. Der Mann, der es absolut nicht leiden kann, wenn man seine Frau anfasst und sie das nicht will. Solltest du sie jetzt nicht umgehend loslassen, wirst du dir die Radieschen von unten anschauen können. Ich wiederhole mich nicht noch einmal“, knurrt Calin und seine Augen sind vor Zorn schon fast wieder weiß.
Nach einem kurzen Zögern lässt der Gorilla mein schmerzendes Handgelenk los und ich laufe die vier Schritte zu Calin, der mich mit seinem linken Arm schützend hinter sich schiebt, die beiden Lakaien von Wassib dabei nicht aus den Augen lassend, in der rechten Hand hält er eine auf die Beiden gerichtete Handfeuerwaffe. Selbst in diesem Augenblick komme ich nicht umhin ihn unglaublich heiß zu finden. Ich beiße mir auf die Unterlippe und befühle vorsichtig die schmerzende Stelle an meinem Kinn. Der Mistkerl hat ordentlich getroffen – davon werde ich sicherlich noch einige Tage was haben. Inklusive eines blauen Fleckes.
„Ruf die Cops, mo chridhe.“
Mit Calins Smartphone, welches er mir gereicht hat, rufe ich unseren Freund und Helfer, behalte es dann in meiner Hand und fixiere einen Punkt zwischen den Schultern meines Freundes. Er hat mich als seine Frau bezeichnet, was eigentlich sehr machohaft ist und ich muss mir ein Lächeln verbeißen. Wir haben bisher nicht darüber gesprochen, was wir aktuell füreinander sind, doch nun habe ich Gewissheit. Vergessen ist die Angst um mein Leben, denn ich schwebe auf Wolke sieben.
Die Cops waren zügig vor Ort und haben die beiden Handlanger verhaftet und mitgenommen. Sie wollen versuchen ein Geständnis zu erwirken, damit sie Wassib dingfest machen können; diesmal ohne Aussicht auf eine Kaution. Die Befürchtung liegt nahe, dass ich sonst nie mehr in meinem Leben zur Ruhe kommen und außer Gefahr sein werde. Alternativ könnte ich meinen Namen ändern lassen und untertauchen, aber das ist für mich keine Option. Weglaufen möchte ich nicht mehr, denn ich habe in Calin meine wahre Liebe gefunden. Um nichts in der Welt werde ich ihn zwingen mit mir auf der Flucht zu sein und ständig den Ort zu wechseln.
„Bist du in Ordnung?“, fragt er mich unvermittelt und hebt mit Daumen und Zeigefinger sanft mein Kinn an, was mich leicht zusammenzucken lässt, da er die Stelle berührt, die der Vollpfosten getroffen hat. „Hat der Kerl dir etwa einen Kinnhaken verpasst?“
Wut blitzt in seinen wunderschönen Augen auf und ich senke meine Wimpern, um ihn dann wieder anzuschauen. Er kann die Antwort in meinen grünen Augen lesen und ich kann ihn leise knurren hören. Wäre der Mistkerl noch anwesend, würde er nun sein blaues Wunder erleben. Erneut. Aus dem ersten Mal hatte die Amöbe scheinbar nicht gelernt. Calins Arme umschlingen mich und er zieht mich so nah an sich, dass kein Blatt Papier mehr zwischen uns passen würde. Sofort fühle ich mich beschützt und lehne meine Stirn an seinen Hals, die Augen dabei schließend.
„Es tut mir leid, dass ich dir nicht gesagt habe wohin ich gehe“, murmele ich zerknirscht.
„Ich war einen Augenblick abgelenkt und dachte du würdest noch in der Hocke unter der Theke herumhantieren. George hat mir dann mitgeteilt, dass er sich Sorgen macht, weil du mit dem Crushed Ice noch nicht wieder zurück bist und dann bin ich direkt los.“
„Danke“, hauche ich erschöpft und lächle an seinem Hals.
„George weiß Bescheid das wir jetzt fahren. So lassen wir beide dich nicht weiterarbeiten. Außerdem bist du völlig geschafft.“
„Mhm. Ein bisschen, ein ganz kleines Bisschen.“
Mir fallen schon die Augen zu und ich blinzle angestrengt, um nicht im Stehen einzuschlafen. Ein leises Lachen seitens Calin lässt mich den Kopf heben und ihn ansehen. Sanft haucht er mir einen Kuss auf die Lippen und hebt mich kurzerhand im Brautstil auf seine starken Arme. Mit meinen Armen umschlinge ich seinen Hals und reibe meine Wange wie ein Kätzchen an seiner Brust, dabei umspielt ein Grinsen meine Mundwinkel.
„Was ist so lustig, Kleines?“
„Du bist so wahnsinnig sexy, wenn du wütend bist und dann noch mit einer Waffe auf böse Jungs zielst“, kichere ich verhalten und drücke meine Stirn gegen sein Kinn. „Verboten sexy.“
„Du befindest dich in Gewalt von einem wandelnden Wandschrank und stellst also derweil fest, dass ich sexy mit Waffe in der Hand aussehe?“
„Sehr. Sehr. Sexy“, schnurre ich wohlig.
„Tha thu gam mharbhadh.“
„Hm?“
„Du machst mich fertig, Kleines“, übersetzt er mir mit rauer Stimme und setzt mich nun vor der Beifahrerseite seines Camaro ab.
„Calin?“
„Ja, mo chridhe?“
„Tha gràdh agam ort“, nutze ich das Gälische und lächle ihn unsicher an, da ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich es richtig genutzt und ausgesprochen habe.
„Du bist unglaublich“, lächelt er zurück „Tha gaol agam ort cuideachd, mo ghrèin.“
Behutsam küsst er mich und streicht mir dann eine Strähne meines Haars aus der Stirn.
„Lass uns nach Hause fahren, mein Sonnenschein. Du gehörst ins Bett und in meine Arme.“
Ich lasse mich in den bequemen Beifahrersitz sinken und er schließt die Tür, damit er den Wagen umrunden und auf der Fahrerseite einsteigen kann. Ein weiterer Kuss trifft meine Lippen als die Tür geschlossen ist und dann startet er den Motor, um uns von hier wegzubringen, als mich meine Müdigkeit übermannt und der Schlaf siegt.