Jared und Channing sind nett, aber ich fühle mich in ihrer Gegenwart nicht zu hundert Prozent wohl. Das liegt jedoch nicht an ihnen selbst, sondern einfach daran, dass ich bei fremden Männern generell vorsichtig bin. Das Misstrauen ist mein ständiger Begleiter, wenn man so will. Wobei es natürlich auch Ausnahmen gibt, wie man bei Calin und Duncan gesehen hat. Bei Duncan gehe ich allerdings stark davon aus, dass es an Calins Anwesenheit gelegen hat und ich deswegen nicht befangen ihm gegenüber bin. Je mehr ich nachdenke, desto mehr fällt mir auf, dass ich ihn vermisse. Seufzend drehe ich mich wieder auf die andere Seite und knautsche das Kissen unter meinem Kopf frustriert zusammen, weil ich einfach nicht einschlafen kann. Mit einem Blick auf das Smartphone stelle ich fest, das wir es bereits ein Uhr in der Nacht haben und ich setze mich entnervt auf. Zu den Männern möchte ich mich nicht setzen, dazu fühle ich mich nicht fit genug. Nicht, dass ich dann im Sitzen auf dem Sofa einschlafe. Am besten noch zwischen den Beiden.
Müde stehe ich auf, bleibe unschlüssig mitten im Raum stehen und atme tief durch. Ohne über meinen spontanen Einfall weiter zu grübeln, verlasse ich mein Zimmer, wende mich der Tür von Calins Schlafzimmer zu und umfasse den Türknauf zögerlich. Ob ich mir das herausnehmen darf? Meine innere Stimme flüstert mir zu, dass ich eingehüllt in seinem Duft durchaus in Nullkommanichts einschlafen würde. Mit klopfendem Herzen öffne ich die Tür und tappe in den vom Mondschein leicht erhellten Raum, sofort umgeben von Calins wunderbarem Geruch den ich umgehend tief inhaliere, wie eine Abhängige. Eine innere Ruhe erfasst mich und ich muss lächeln, denn ich habe es geahnt. Ohne zu zögern begebe ich mich zu seinem Kingsize Bett und schlüpfe unter die Decke, um mich einzukuscheln. Hier fühle ich mich beschützt und unglaublich geborgen – auch ohne seine direkte Anwesenheit.
Von einem dumpfen Geräusch werde ich wach und blicke mich schlaftrunken um, weil mir erst einmal nicht bewusst ist, wo ich mich befinde. Ermattet reibe ich mir mit der Hand über meine Augen und setze mich auf. Was war das für ein Geräusch? Kommt Calin gerade nach Hause, oder waren das Jared oder Channing? Da meine Blase drückt, schiebe ich mich über die Bettkante und stehe auf, mit leisen Schritten zur Tür gehend, um in den Flur hinaus zu spähen. Ich werde das Gästebad benutzen, wenn ich schon so dreist in Calins Bett schlafe, dann möchte ich nicht auch noch sein Badezimmer benutzen. Lautlos husche ich aus dem Zimmer, schließe die Tür hinter mir und tapse barfuß zum Badezimmer, um meine Notdurft zu verrichten. Innerlich brumme ich müde und frage mich, wie spät es ist, während ich mir die Hände wasche.
Ich öffne die Tür und laufe gegen irgendwas, beziehungsweise gegen irgendwen. In der Annahme, dass es es ich hierbei nur um Calin oder seine Männer handeln kann, hebe ich meinen Kopf und will mich entschuldigen – werde dann jedoch blass. Scheiße. Das ist niemand den ich kenne. Bevor ich überhaupt reagieren kann, legt sich ein Arm um mich und ich werde grob hochgehoben. Der Fremde ist gebaut wie ein Gorilla und ich bekomme augenblicklich Panik. Wer ist das und was will er hier im Haus?
„L-lassen Sie mich runter!“, bringe ich krächzend hervor und strample wild. „Wer sind Sie und wie kommen Sie hier rein, verdammt?“
„Schnauze, Weibsbild! Ich habe meine Anweisungen und führe diese nur aus. Stell nicht so viele Fragen, denn diese beantworte ich dir so oder so nicht.“
Seine Stimme klingt schneidend und duldet keinen Widerspruch. Mir wird heiß und kalt auf einmal, meine Gedanken überschlagen sich panisch und ich versuche nicht zu hyperventilieren. Ich denke hektisch nach. Wo sind Jared und Channing? Hat er sie…? Oh Gott, bitte nicht! Lass sie einfach nur eingeschlafen sein und nicht blutend irgendwo im Haus liegen.
„Ich kann selbst laufen, lassen Sie mich runter!“
„Auch noch Ansprüche stellen?“, knurrt der Wandschrank, lässt mich überraschenderweise dennoch auf den Boden gleiten, damit ich auf eigenen Beinen stehen kann. „Der Boss meinte, ich soll dir kein Haar krümmen und dir deinen Willen lassen, sofern er nicht mit seinen Wünschen kollidiert. Du hast verdammtes Glück. Ich hingegen würde dich verschnüren wie ein Paket und in den Kofferraum werfen bis wir am Ziel sind.“
Mein Herz rast wie verrückt und ich konzentriere mich auf den Unbekannten, gedanklich überlege ich krampfhaft, wie ich das Smartphone auf dem Nachttisch in meinem Zimmer bediene, ohne das er davon etwas mitbekommt. Einen Vorwand! Ich brauch einen Vorwand, damit ich eine Sekunde für mich habe, ohne das er mir auf die Finger schauen kann.
„Ich nehme an, ich habe keine andere Wahl? Kann ich mir dann wenigstens etwas zu Trinken mitnehmen? Und ich brauche… brauche meine Tabletten“, versuche ich ihn davon zu überzeugen, dass ich mich ihm beuge, jedoch einen Kompromiss schließen möchte.
„Tabletten? Davon hat der Boss nichts gesagt. Was für Tabletten?“
„Ich… ich leide derzeit unter furchtbarer Migräne und halte es ohne die Tabletten nicht aus. Der Stress“, lüge ich und bete das er diese Lüge nicht durchschaut.
„Deswegen bist du so blass. In Ordnung. Ich will mir vom Boss nicht vorwerfen lassen, dass seine Frau unnötig Schmerzen erleiden muss. Wo bewahrst du die auf? Ich hole sie dir“, geht er mir auf den Leim.
„Nicht nötig. Ich muss nur kurz in mein Zimmer“, deute ich auf die Tür hinter ihm. „Sie werden sie nicht finden.“
„Keine Tricks. Ich bleibe in der Tür stehen – beeil dich gefälligst, verstanden?“
Erleichtert nicke ich knapp, schiebe mich geschwind an ihm vorbei und öffne die Tür, um schnurgerade auf den Nachttisch zuzugehen, so dass ich diesen mit meinem Körper verdecke. Während ich mich herabbeuge, öffne ich hörbar die Schublade, wühle mit der einen Hand darin und bediene mit der anderen Hand das Smartphone, welches dem Himmel sei Dank keine Displaysperre besitzt. Das Gerät habe ich in die Schublade gelegt und tippe nun den grünen Hörer an, welcher den Anruf an Calin startet. Mir ist übel und ich schlucke angestrengt, richte mich auf und halte einen Blister Tabletten in die Höhe.
„Ich hab sie. Sorry, ich habe sie nicht direkt gefunden“, rufe ich und hoffe, dass er mir meine Nervosität nicht anmerkt oder meine Stimme zu sehr zittert. „Ich ziehe mir nur schnell Socken an und dann… dann...“
„Stammel nicht so dumm herum! Du wirst bald bei deinem Mann sein. Kein Grund hier Panik zu schieben, die überhaupt nicht notwendig ist. Beeil dich, sonst gehst du barfuß“, grollt der Unbekannte und ich nicke stumm, mir dabei auf die Lippen beißend.
Zittrig ziehe ich die Schublade unter der noch zum Teil geöffneten Lade auf und beuge mich herab, um nach ein Paar Socken zu greifen. Dabei erhasche ich einen Blick auf das kaum erleuchtete Display des Smartphones. Gott sei Dank habe ich die Helligkeit immer aufs Minimum gestellt, da ich sonst halb erblinden würde, wenn ich des nachts aufwache und auf die Uhrzeit schaue. Der Anruf ist angenommen und ich halte den Atem an, während ich die Socken flugs anziehe.
„Bin fertig. Wirst du mich zu Wassib nach Hause bringen?“, frage ich mit fester Stimme.
„Nein. Dort würde man dich am ehesten vermuten. Er ist nicht dumm, weißt du, Mädchen. Ich bringe dich in eine seiner Hütten in den Southern Glades. Dort wird man dich nicht vermuten und zu Fuß wirst du nicht weit kommen, sollte dir eine Flucht wider Erwarten gelingen“, erwidert er mir mit belustigter Stimme. „Du hättest dem Boss gehorchen sollen. Nun liegen deine Bewacher sicher verzurrt in der Küche. Nachdem sie aufgewacht sind, werden sie Kopfschmerzen haben. Nun komm, wir haben nicht ewig Zeit. Nachher taucht der tolle Bodyguard wieder auf, den wir erfolgreich weggelockt haben. War erstaunlich einfach. Was Kontakte so bewirken können...“
Der Gorilla lacht gehässig auf und ich verziehe meinen Mund angewidert. Wie kann man nur so unehrenhaft sein? Dieser Kerl hat keinen Funken Anstand im Leib. Lautlos seufze ich und denke für eine Millisekunde darüber nach, dass Smartphone in die Tasche meiner Jogginghose zu stecken, verwerfe den Gedanken jedoch wieder. Ich will nicht das Wassib die Daten von Calin in die Hände fallen. Nicht noch mehr, als er vermutlich sowieso schon hat, denke ich wütend und presse meine Lippen aufeinander als ich an dem Gorilla vorbei gehe.
„Wie soll ich dich eigentlich nennen?“, will ich wissen und bleibe mit dem Rücken zu ihm stehen.
„Man nennt mich Blaster“, gibt er mit arrogantem Ton von sich und packt mich grob am Arm, um mich zur Treppe zu ziehen, was mich zum Aufzischen bringt, da es im Oberarm schmerzt.
Sicherlich werde ich vom heutigen Abend den ein oder anderen blauen Fleck davontragen. Hoffentlich bleibt es dabei. Mir graust es davor meinem Ex gegenübertreten zu müssen. Noch habe ich das zweifelhafte ‚Glück‘ in eine seiner abgelegenen Hütten untergebracht zu werden, in der er mich mit absoluter Sicherheit aber aufsuchen wird. Und dann habe ich keinerlei Fluchtmöglichkeit. Meine Gebete liegen darin, dass Calin unser Gespräch live mitbekommen, oder die Mailbox zumindest den kompletten Verlauf aufgezeichnet hat. Mühsam unterdrücke ich die aufkeimenden Tränen und rutsche auf den Beifahrersitz des dunklen Range Rovers und lasse zu, dass Blaster meine Handgelenke mit einem Seil fesselt und mich angurtet. Danach umrundet er den Wagen, steigt ein und startet den Motor, um mit quietschenden Reifen loszufahren.
Mit verschwommenem Blick werfe ich einen letzten Blick auf Calins Haus, bevor es aus meinem Sichtfeld verschwindet.