Erschöpft lehne ich mich auf der abgewetzten Couch zurück und schließe meine Augen. Ich habe mich bei dem Auftritt vollkommen verausgabt und wünsche mir nichts sehnlicher als eine heiße Dusche und mein Bett, damit ich bis zum Weckerklingeln schlafen kann. Das wird heute eine verdammt kurze Nacht. Jedoch habe ich einen kurzen Bürotag und muss mich dort nicht zwingend verausgaben. Mein Lichtblick am Horizont! Warum habe ich dem nur zugestimmt? Sicher würde George nun ständig auf mich zukommen und mich des Geldes wegen überreden. Immerhin gab es gutes Trinkgeld und die Gäste haben ordentlich Getränke geordert. Ich stand mit meinem Poledance den anderen Mädels in nichts nach. Außer der Tatsache, dass diese sich anfassen lassen. Nicht mit mir. Alles, aber nicht das.
Seufzend ziehe ich den Bademantel enger und puste eine Strähne aus meinem Gesicht. Ich habe an diesem Abend zusätzlich zu meinem eigentlichen Lohn ganze 250 Dollar extra verdient. Das ist ein Auftritt gewesen, der sich auf jeden Fall gelohnt hat. Hoffentlich war niemand heute Abend anwesend der mich erkannt hat. Es wäre peinlich, wenn jemand hier gewesen ist, der meine Vorgesetzten bei der Bank kennen und erzählen was ich nachts so treibe. Mir wäre das sehr unangenehm muss ich mir selbst eingestehen. Mein Selbstbewusstsein war schon mal besser, stelle ich genervt fest und zwinge mich meine Augen zu öffnen, um nicht im Sitzen im hinteren Bereich der Bar einzuschlafen.
„M-Mr. Modovan?“, stammle ich irritiert und starre ihn verdattert an.
Da steht mein Bodyguard, entspannt angelehnt in der Türzarge und verschränkten Armen. Sein Gesichtsausdruck ist undeutbar, sein Kiefer jedoch angespannt. Das kann ich aus der Entfernung erkennen. Ich schlucke und setze mich gerade auf, damit ich nicht aussehe wie ein Schluck Wasser in der Kurve.
„Wann genau hatten Sie vor, mir von Ihrem Nebenjob zu erzählen, Miss Myers?“
Seine Stimme klingt ernst. Er ist sicherlich überhaupt nicht erfreut gewesen, als er mich auf der Bühne erkannt haben muss. Woher sonst sollte er von meinem zweiten Job hier in der Tanzbar wissen? Schließlich habe ich absichtlich nichts hiervon erzählt. Irgendwie schien es mir unpassend. Keine Ahnung warum mich der Gedanke gestört hat, ihm von der Bar und meinem Job als Barkeeperin zu erzählen. Warum sollte es mich jedoch stören? Immerhin ist er ein Fremder. Zwar ein Personenschützer, aber ein Fremder. Seine Meinung müsste mich nicht interessieren. Verdammt.
„Ich… Ich wusste nicht das es sich hierbei um ein wichtiges Detail handelt. Wassib weiß nicht das ich hier jobbe. Den Job habe ich erst vor einigen Monaten angefangen, als wir schon einige Zeit getrennt waren. Was verschlägt Sie hier her? Und dann noch in den Bereich nur für Mitarbeiter? Wo ist George?“
„Ich vermute, George ist der Besitzer dieses Lokals? Nun, er war äußerst entgegenkommend als ich nach Ihnen gefragt habe“, antwortet er mir schulterzuckend und stößt sich leicht vom Türrahmen ab, um langsam auf mich zuzukommen.
„Das beantwortet nicht meine Frage, was Sie hier tun.“
„Man hat mir diese Bar empfohlen. Die Drinks sollen gut sein habe ich mir sagen lassen.“
Mein Blick trifft seinen und mein Herz setzt einen Schlag aus, um dann etwas schneller seinen Dienst wieder aufzunehmen. Seine Aura ist der Wahnsinn in diesem schummrigen Lokal. Er ist attraktiv und wirkt unnahbar. Ich frage mich, ob er wirklich unnahbar ist oder ob er eine sanfte Seite an sich hat. Zeigt er diese privat? Befand er sich aktuell im Dienst? Mein Kopf schwirrt und ich fahre mir mit der rechten Hand verwirrt durch die Locken. Was sind das für Gedanken? Verwundert beiße ich mir auf die Unterlippe und stehe auf, dabei den Mantel zusammenhaltend, damit mein Outfit bedeckt bleibt.
„Ich ziehe mich kurz um. Für heute habe ich Feierabend“, informiere ich ihn leicht unsicher.
„In Ordnung. Ich warte hier und bringe Sie dann nach Hause.“
„Das müssen Sie nicht, Mr. Moldovan. Sie haben seit einigen Stunden Feierabend und den möchte ich Ihnen nicht vermiesen.“
„Keine Sorge. Ich bin im Dienst, sobald Sie unterwegs sind. Das gehört zum Personenschutz dazu. Man hat manchmal nie Feierabend. So ist das in dieser Branche einfach“, entgegnet er ausdruckslos und lässt sich lässig auf der Couch nieder.
Nickend trete ich hinter den Paravent und atme tief durch. Hier habe ich vor meinem spontanen Auftritt meine Kleidung deponiert. Schnell schäle ich mich aus dem geliehenen Outfit und schlüpfe in meine Unterwäsche. Meine Haare binde ich zu einem unordentlichen Dutt zusammen und ziehe mir dann mein Shirt und die Jeans wieder an. In diesen Klamotten fühle ich mich einfach am wohlsten. Zufrieden schiebe ich meine Füße in meine schwarzen Bikerboots und trete hinter dem Paravent hervor. Calin Moldovan mustert mich mit einem undurchschaubaren Gesichtsausdruck und erhebt sich wieder von der Couch, die Hände dabei in die Tasche seiner Lederjacke schiebend.
„Fertig?“
„Fertig. Ich gebe nur kurz George Bescheid das ich gehe. Sie parken sicherlich auf dem Parkplatz am Hinterausgang? An der Straße vorn gibt es kaum freie Plätze.“
„Korrekt.“
„Dann bin ich direkt wieder hier.“
Mit schnellen Schritten begebe ich mich nach vorn und trete durch die Tür in den Gastraum der Tanzbar, um mich hinter die Theke zu begeben. George ist in seinem Element und flirtet was das Zeug hält mit einer drallen Blondine, die wie eine Malibu-Barbie geschminkt ist und mit ihren falschen Wimpern klimpert. Entweder sie ist ein Instagram-Girlie oder ein Anhängsel von einem Geschäftsmann. Ich tippe meinem Chef auf die Schulter und er dreht sich zu mir um.
„Ah, Rilana. Dein Auftritt war perfekt. Ein wenig mehr Haut und wir hätten direkt einen Umsatz generiert, der durch die Decke gegangen wäre“, grinst er mich verschlagen an und ich unterdrücke den Drang meine Augen zu verdrehen.
Ich lächle ihn stattdessen an und versuche locker zu wirken.
„Das ist toll. Aber von mir wird es definitiv keine nackte Haut geben. Nicht mehr, als es heute zu sehen gab, weil das Outfit es nicht anders zulässt. Ich mache jetzt Feierabend, George. Kannst du mir meinen Barkeeperlohn geben, bitte?“
„Überleg es dir, Ri. Du könntest richtig Kohle damit scheffeln, wenn du regelmäßig tanzt und ein bisschen mehr Haut zeigst“, macht er einen weiteren Versuch, während er meinen Lohn abzählt. „Du hast echt Potential, Mädchen.“
„Das mag gut sein, George. Aber du weißt wie ich ticke“, lächle ich ihn schwach an und nehme meinen Lohn entgegen, um ihn in meine Jeanstasche zu stecken und meine Handtasche zu schnappen, welche ich in einem abschließbaren Fach unter dem Tresen aufbewahre.
„Schade. Aber vielleicht findest du irgendwann Gefallen daran und überlegst es dir noch anders.“
„Wir sehen uns morgen. Ciao.“
Mit diesen Worten drehe ich mich winkend um und mache mich auf den Rückweg in den hinteren Bereich, wo Calin auf mich wartet. Er steht bereits in der Tür vom Hinterausgang und schaut mich über die Schulter hinweg an.
„Alles in Ordnung?“, erkundigt er sich bei mir.
„Ja. Ja, alles in Ordnung. Nur eine kleine Grundsatzdiskussion mit George. Nichts wildes. Wir können los, ich habe alles.“
Gemeinsam verlassen wir die Bar und ich ziehe die Tür hinter mir zu. Calin öffnet seinen Camaro über den Funkschlüssel und öffnet mir die Beifahrertür, damit ich einsteigen kann. Der Innenraum sieht luxuriös und sehr teuer aus. Ich kenne mich mit Autos nicht sonderlich gut aus, aber sein Wagen muss sündhaft teuer gewesen sein. Kann man sich solche Fahrzeuge leisten, wenn man ein Objekt- und Personenschützer ist? Zugegeben: ich bin ein wenig neugierig, fragen möchte ich ihn jedoch nicht. Dafür kann ich ihn zu wenig einschätzen. Sicherlich gibt er wenig von sich preis und möchte seine Privatsphäre schützen. Wenige Sekunden später ist auch er eingestiegen und startet den Camaro, welcher mit einem tiefen Schnurren zum Leben erwacht. Eine leichte Gänsehaut macht sich auf meinen Armen breit und ich kann nicht fassen das ich hier drin sitze.
„Kann es losgehen?“, fragt er mich und startet die Playlist mit leichten Dance-Songs auf einer angenehmen Lautstärke. „Ich hoffe Sie mögen Dance.“
„Oh, ich höre alles was sich gut anhört. Ich habe keine feste Musikrichtung. Außerdem ist es Ihr Wagen und Sie können hören was Sie mögen“, lächle ich ihn von der Seite an und schaue dann aus dem Seitenfenster. „Ein schönes Fahrzeug im Übrigen.“
„Danke. Es hat gedauert bis ich ihn mir leisten konnte. Eisernen Sparen hat sich bewährt.“
Ich bin überrascht das er mir das erzählt und schaue ihn heimlich aus dem Augenwinkel an, während ich zur Windschutzscheibe hinausschaue. Von seinem Gesicht kann ich noch immer nichts ablesen und ich merke wie es mich anfängt zu reizen, denn ich wünsche mir wirklich das ich erkennen kann was er denkt oder fühlt. Bisher habe ich noch keinen Menschen kennen gelernt bei dem das unmöglich war. Bis ich meinen persönlichen Bodyguard kennen gelernt habe. Er fordert mich unbewusst heraus und ich habe bereits die Herausforderung angenommen. Wenn ich ihn so oder so jeden Tag um mich haben werde, kann ich auch versuchen das Rätsel rund um Calin Moldovan zu lösen.
„Darf ich Sie etwas fragen?“, spreche ich ihn zögerlich an.
„Fragen dürfen Sie mich alles. Ob ich Ihnen auf Ihre Fragen antworte ist die andere Geschichte.“
„Woher kommt Ihr Vorname?“
„Aus dem Irischen. Wieso interessiert Sie das, Miss Myers?“
„Bisher habe ich diesen Namen noch nie gehört und war einfach neugierig. Mein Name kommt aus Indien. Aber das konnten Sie sich sicherlich denken an Hand des Namens meiner Mutter, nehme ich an“, erkläre ich mich und meine Frage.
„Durchaus, ja. Jedoch tragen Sie nicht den Familiennamen Ihrer Mutter“, stellt er nüchtern fest.
„Das liegt daran das ich den Namen meines Vaters trage. Meine Eltern waren nie miteinander verheiratet“, beantworte ich seine nicht gestellte Frage.
„Verstehe. Arbeiten Sie morgen Abend wieder in der Bar?“, wechselt er das Thema und ich schaue ihn wieder von der Seite an.
„Ja. Aber normalerweise tanze ich nicht. Ich bin eigentlich die Barkeeperin. Das heute war eine Ausnahme. Eine der Tänzerinnen hat Urlaub, die Andere hatte einen Arbeitsunfall und konnte nicht auftreten. Für die nächsten Auftritte wurde ein Ersatz gefunden.“
Ich weiß nicht warum mir so wichtig ist, ihm diese Information mitzuteilen, aber ich verspüre den Drang einfach. Er brummt leise und ich unterdrücke ein Grinsen. Das war die erste Regung die er vermutlich unbewusst von sich gegeben hat. Auch, wenn ich nicht weiß was er damit zum Ausdruck bringen möchte. Vielleicht gefällt ihm die Tatsache nicht das ich nicht regulär eine der Tänzerinnen bin? Oder ist doch das Gegenteil der Fall.
Calin Moldovan – das Rätsel meines Lebens?