Mit meinem Notebook sitze ich in einem der gemütlichen Sessel im Büro meiner Zielperson und informiere mich über den Inhaber der Tanzbar. George McAdams hat das Lokal vor fünf Jahren von seinem Großvater geerbt und aus einem irischen Pub eine amerikanisches Poledance-Bar gemacht. Er hat derzeit zwei angestellte Tänzerinnen und soll laut den mir vorliegenden Informationen selbst als Barkeeper fungieren. Verwundert runzle ich die Stirn und werfe einen prüfenden Blick zu Rilana, die aktuell ein Kundengespräch am Telefon führt. Wenn sie doch aber laut ihrer Aussage als Barkeeperin eingestellt ist, warum wird sie dann nicht vertraglich aufgeführt? Ich werde Jake bitten, dass er die Aktualität der Datensätze prüft, denn Miss Myers ist noch nicht lang in ihrem Nebenjob aktiv. Ansonsten hat McAdams keine Vorstrafen oder ist anderweitig auffällig geworden. Er ist unverheiratet und hat keine Kinder. Zumindest von Seiten Nebenjob ging augenscheinlich keine Gefahr aus. Das beruhigt mich auf seltsame Art und Weise.
Seit dem ich Rilana Myers kenne, stelle ich fest das ich auf andere Weise reagiere als typisch für mich. Regulär sehe ich alles mit einem gewissen emotionalen Abstand. Doch gestern Abend habe ich Enttäuschung verspürt, weil sie eine Showeinlage an der Pole hatte. Dabei ist es ihre Sache was sie tut. Sie ist meine Zielperson, mein Auftrag – mein Job. Sie hat mich als Person nicht zu interessieren. Alles was ihre Person bezüglich meines Auftrags betrifft ist für diesen Zeitraum relevant. Ihr Lachen erklingt und ich bekomme eine Gänsehaut an den Armen, so berauschend finde ich diesen Laut. Was genau stimmt mit mir nicht? Jahrelang hat mich nichts so berührt wie diese Frau. Ich kenne sie nicht einmal richtig. Warum geht sie mir so unter die Haut? Innerlich seufzend wende ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Bildschirm.
In ihrer Jugend hat Rilana Joyce Myers eine Tanzausbildung genossen. Ihr großes Hobby war damals der Poledance. Ihre Mutter Meena fand das überhaupt nicht in Ordnung und es gab viel Diskussion darüber. Rilana hat mit sechzehn Jahren dann gejobbt, um sich ihren Traum selbst zu finanzieren und ist jeden Tag nach der Schule heimlich in den Kurs gegangen. Bewunderung für diese Disziplin macht sich in mir breit und ich schüttle leicht meinen Kopf, verwundert über mich selbst. Ihr Vater ist kurz vorher verstorben, ihr Verhältnis war quasi nicht vorhanden. Ihre Eltern haben sich getrennt, als sie noch im Kleinkindalter gewesen ist und Meena lebte damals bereits mit dem Vater von Kirana zusammen. Ab und an hat Rilana was mit ihrem Dad unternommen, doch als innig hat ihre Mutter die Beziehung nicht beschrieben. Sie ist eine Einzelgängerin und hat ihrer Mutter nur ihre beste Freundin Lynn vorgestellt. Mehr Freunde scheint es nie gegeben zu haben. Ihre Ausbildung bei der Bank hat sie ohne Schwierigkeiten bestanden – als Prüfungsbeste.
„Miss Myers?“, erklingt eine mir unbekannte weibliche Stimme von der Tür her und ich schaue auf. „Da ist jemand unten am Empfang für Sie.“
„Ein Mann?“, hakt Rilana nach.
„Nein, eine junge Frau. Sie hat sich als Lynn Parker vorgestellt und möchte gern zu Ihnen.“
„Oh – das ist in Ordnung. Schicken Sie sie gern hoch. Sie kennt den Weg“, lächelt Rilana ihre Kollegin an.
Mit einem kurzen Nicken verlässt besagte Kollegin das Büro wieder und macht sich vermutlich zurück auf den Weg zum Empfang. Warum sie sich die Mühe macht nach oben zu kommen, anstatt anzurufen ist mir jedoch ein Rätsel.
„Jenny ist froh, wenn sie sich die Füße mal vertreten kann. Und so lang der Empfang unten voll besetzt ist kommt sie des Öfteren zu uns in die Büros und kündigt Besucher oder Kunden an.“
Hat sie gerade meine Gedanken gelesen? Ich weiß nicht, ob ich beunruhigt oder erstaunt sein soll.
„Verstehe. Den ganzen Tag auf einer Stelle stehen ist auch nicht mein Fall“, erwidere ich einfach.
„Liegt Ihnen der Personenschutz deswegen eher als der Objektschutz?“
Ich nicke ihr zu und klappe mein Notebook zu, um es in meinen Rucksack zu verstauen. Bisher habe ich alle Informationen die wichtig sind und kann mich ganz auf die Umgebung konzentrieren. Es passiert zwar nichts spannendes, aber ich darf nicht nachlässig werden. Lynn Parker betritt das Büro und scheint mich nicht zu bemerken, als sie lachend ihrer Freundin um den Hals fällt.
„Ri! Gut siehst du aus! Wie geht es dir? Du hast dich seit Tagen nicht wirklich gemeldet, da dachte ich das ich dich einfach spontan besuche.“
„Es ist alles in Ordnung. Ich habe nur ein wenig mehr um die Ohren als sonst. Nichts dramatisches“, beruhigt Rilana ihre Freundin und lächelt sie an.
Lynn dreht sich in meine Richtung und ihre Augen weiten sich etwas als sie mich erblickt.
„Wer ist denn diese stattliche Erscheinung, Ri? Hast du vergessen mir etwas zu erzählen?“
Stattliche Erscheinung? Ich habe bisher schon viel gehört, aber das fehlte tatsächlich noch. Ich bin gespannt, wie sie Lynn gegenüber meine Anwesenheit erklären wird und verziehe keine Miene, während ich warte.
„Nein, Lynn. Das ist… mein Praktikant. Calin. Er möchte in den Beruf des Finanzberaters reinschnuppern und schauen ob das etwas für ihn ist.“
Praktikant? Innerlich muss ich grinsen. In einer Bank arbeiten wäre das Letzte was mir einfallen würde, vermute ich spontan. Lynns Augen funkeln und sie grinst mich herausfordernd an.
„Praktikant? Also nicht dein Date?“, erkundigt sie sich mit einem Seitenblick auf Rilana.
„Kein Date, nein.“
Ich stehe auf und reiche Lynn Parker meine Hand.
„Hi. Miss Myers hat recht. Ich bin für einige Zeit in der Firma, weil ich herausfinden möchte ob mir dieser Job gefällt.“
„Calin also. Freut mich, ich bin Lynn. Aber das hat Ri bereits gesagt, nicht wahr?“, lächelt sie mich an und ich komme mir in diesem Moment sehr begutachtet vor. „Sind Sie Single?“
„Lynn!“, höre ich Rilana schockiert rufen und lasse Lynns Hand wieder los.
„Was denn? Ich muss doch abchecken ob er noch auf dem Markt und zu haben ist.“
Am liebsten würde ich meine Augen verdrehen, aber ich unterdrücke den Drang vehement. Solche Frauen kann ich ja leiden, denn als nett kann ich sie nicht gerade bezeichnen. Miss Parker ist attraktiv, jedoch die Sorte Frau, die einen Mann nicht von der Bettkante stoßen würden. Höchstens, um auf dem Boden davor weiterzumachen. An dieser Art weiblicher Wesen habe ich noch nie Interesse gehabt. Ich zähle mich zu den typischen Eroberern. Und wenn, dann auf dem herkömmlichen Weg: umwerben und kennenlernen im alten Stil. Durch die Betten flippern ist absolut nicht mein Ding.
„Beziehungsstatus: kein Interesse“, informiere ich freundlich.
„Wie schade“, seufzt Miss Parker enttäuscht und ich zucke leicht mit der rechten Schulter. „Ri? Hast du bereits deine Mittagspause gemacht, oder wollen wir was essen gehen?“
„Uhm..“, gibt Rilana von sich und wirft mir unauffällig einen fragenden Blick zu.
„Ich habe Miss Myers eingeladen, um ehrlich zu sein. Sie hat mir geholfen dieses Praktikum durchführen zu dürfen und ich wollte ihr dafür danken“, springe ich ihr zu Hilfe und schaue ihre Freundin entschuldigend an.
„Du Glückspilz!“
Rilana verzieht zerknirscht das Gesicht. Ich glaube ihr ist das Verhalten ihrer besten Freundin ein wenig unangenehm. Irgendwie amüsiert mich das grade alles mehr, als dass es mich nervt. Im Normalfall hätte ich den Raum kommentarlos verlassen, aber ich bin neugierig, wie Lynn sich weiter verhalten wird. Lädt sie sich selbst zu dem Mittagessen ein oder wird sie das Feld räumen?
„Sorry, Lynn. Sonst jederzeit, aber heute bin ich bereits verabredet.“
„Ach was, Süße. Du solltest das Mittagessen genießen. Wann kommst du schon mal in den Genuss mit so einem Bild von einem Mann in der Öffentlichkeit essen zu gehen?“, erwidert Lynn und grinst Rilana an.
Bilde ich mir das ein oder hat sie ihr gerade unterschwellig zu verstehen gegeben, dass sie sonst keinen ‚richtigen‘ Mann abbekommt?
„Oh, ähm… du hast wahrscheinlich recht, ja.“
„Wassib hat zwar Geld, aber sieht aus wie ein Kameltreiber im Sudan. Aber da kannst du nichts für. Würdest du dich mehr an mich halten, würdest du gutaussehende und gut betuchte Männer kennenlernen, Ri. Doch du allein musst entscheiden was für ein Leben du leben willst.“
Rilana öffnet ihren Mund und presst dann die Lippen fest zusammen. Sie verschließt sich vor ihrer Freundin und ich sehe, dass sie sich komplett verspannt, während sie lediglich ein knappes Nicken zustande bringt. Das ist jetzt nicht Lynns Ernst. Sie sollte ihre beste Freundin unterstützen und aufbauen und ihr keine Sprüche drücken, während eine für sie fremde Person zugegen ist.
„Es gibt durchaus auch gutaussehende Kameltreiber im Sudan, Miss Parker. Zumindest hat Miss Myers keinen Sinn für Oberflächlichkeit und lernt die Menschen, so gut es eben möglich ist, kennen. Das kann ich von Ihnen aktuell nicht behaupten“, melde ich mich zu Wort und lehne mich mit der Hüfte mit vor meiner Brust verschränkten Arme gegen den Schreibtisch von Rilana. „Sie, Miss Parker, sind oberflächlich und in meinen Augen keine wirkliche Freundin. Sollten Sie Ihre Freundin nicht aufbauen und unterstützen? Und nicht vor fremden Personen niedermachen?“
Die Augen meines Gegenüber werden immer größer und ich kann sehen, dass sie sich echauffiert. Sie sieht fast aus wie ein Fisch auf dem Trockenen und ich unterdrücke ein echtes Grinsen. Ich blicke sie ernst an und ziehe fragend eine Augenbraue hoch, weil sie den Mund nun immer wieder öffnet und schließt, jedoch nicht zu einer Antwort ansetzt. Neben dem Tisch räuspert sich Rilana leise und ich unke das sie ein Kichern kaschiert. Nun stemmt Lynn Parker ihre Hände in die schmalen Hüften und funkelt mich wütend an.
„Sie…! Wie können Sie es wagen so mit mir zu sprechen? Haben Sie eigentlich eine Ahnung mit wem Sie grade reden?“, bringt sie nun gepresst heraus.
„Und wenn ich mit der Kaiserin von China spreche. Es herrscht Meinungsfreiheit und diese nutze ich just in diesem Moment, Miss Parker.“
„Unglaublich! Ri, was hast du für einen Bauerntrampel angeschleppt?“, wendet sie sich fassungslos an ihre angebliche beste Freundin.
„Unglaublich, dass Sie sich nicht mehr zu helfen wissen und nun Miss Myers in unser Gespräch einbinden“, kommentiere ich die Aktion mit einem Hauch Arroganz in der Stimme.
„Anscheinend wissen Sie tatsächlich nicht, wen sie vor sich stehen haben! Mit Lynn Parker spricht niemand so! Ich bin eine angesehene Reporterin der Miami Times und könnte Ihnen sofort das Praktikum nebst potentielle neue Stellenangebote zerstören. Sie sollten also aufpassen, Calin.“
„Selbst wenn mich das beeindrucken würde – was es nicht tut – wissen Sie denn mit wem Sie es zu tun haben?“, halte ich dagegen und amüsiere mich innerlich königlich. „Ich kann mich nämlich nicht daran erinnern das ich Ihnen namentlich formvollendet vorgestellt wurde. Ihnen ist mein Vorname bekannt. Mehr nicht.“
„Das… das sollte bei Ihrem seltenen Vornamen ein leichtes sein dies raus zu finden. Ich habe Kontakte in dieser Bank!“, zischt sie wütend.
„Auf Grund des Datenschutzes werden Sie kläglich scheitern, Miss Parker. Amüsant, wie wenig Sie sich in diesem Bereich als Reporterin doch auskennen. Sind Sie sich sicher das der Beruf für Sie der Richtige ist?“
„Oh! Sie…! Sie…! Ganz schön großes Ego für einen popeligen Praktikanten!“
Sie schnauft wenig damenhaft und ich hatte bisher selten so viel Spaß an einem Schlagabtausch. Unterhaltsam ist sie ja, die ‚Dame‘. Mehr aber auch nicht. Vermutlich könnte ich sie mit einem Teelicht röntgen.
„Dann ist es durchaus von Vorteil das die Tür offen steht, sonst hätte mein großes Ego ein deutliches Platzproblem, oder?“, kontere ich und sie wird rot im Gesicht.
Ich werfe Rilana einen Seitenblick zu und sehe, dass sie eine Hand vor dem Mund hält und unserer Gespräch mit großen Augen verfolgt. Sie ergreift für Lynn Parker keinerlei Partei und ich bin mir unsicher, ob sie das mit Absicht nicht tut oder ob sie einfach sprachlos ist, weil sich jemand für sie einsetzt. Spätestens jetzt ist mir klar, dass sie gar nicht die ist, die sie in der Tanzbar gestern an der Pole gemimt hat. Rilana Myers ist zurückhaltend und möchte scheinbar die Menschen in ihrer Umgebung nicht vor den Kopf stoßen und hält somit mit ihrer Meinung hinter dem Berg.
„Sie sind definitiv unter meiner Würde, Calin. Ri, ich gehe jetzt. Wir sehen uns. Und glaube nicht, dass mir nicht aufgefallen ist das du mich in keiner Weise verteidigt hast. Das tut man als beste Freundin aber! Das letzte Wort hierüber ist nicht gesprochen, dass verspreche ich dir feierlich“, wirft sie uns an den Kopf, macht auf dem Absatz kehrt und stapft aus dem Büro.
Ihre Absätze hallen auf dem Marmorboden im langen Flur wider und ich schüttle nur den Kopf, weil ich mir bereits gedacht habe das sie ihren Unmut über mich an Rilana auslassen würde. Die Ankündigung hat sie platziert, der Sturm wird folgen. Mir tut es leid das ich doch etwas gesagt und ihr den Ärger somit eingebrockt habe. Aber ich kann Ungerechtigkeit überhaupt nicht leiden.
„Ich wollte nicht das ihre Freundin wütend auf Sie wird, Miss Myers. Vielleicht hätte ich mich da raus halten sollen.“
„Schon gut. Sie kennen Lynn nicht so wie ich sie kenne. Normalerweise ist sie nicht so… so aufbrausend. In der Regel ist sie eine freundliche und höfliche Person. Vielleicht hat sie einfach einen schlechten Tag“, verteidigt sie ihre Freundin halbherzig und zuckt die Schultern hilflos.
Mir steht es nicht zu diese fragwürdige Freundschaft zu bewerten und ihr Ratschläge zu geben, also nicke ich nur und stoße mich von der Tischkante ab, damit ich sie direkt anschauen kann.
„Dann schnappen Sie sich mal Ihre Tasche, wir werden jetzt gemeinsam etwas essen gehen. Immerhin bin ich Ihnen ein Dankeschön für Ihren Einsatz schuldig, Miss Myers.“
Überrascht schaut sie mich an und blinzelt ein paar Mal, als würde sie verarbeiten müssen, was sie soeben gehört hat. Schätzungsweise hat sie nicht damit gerechnet das ich wirklich mit ihr zu Mittag esse. Aber wenn ich etwas äußere, dann stehe ich auch zu meinem Wort. Und ich kenne da in der Nähe ein kleines Bistro welches einem guten Freund gehört. Ein Geheimtipp sozusagen. Genau dorthin werde ich sie entführen.