Mit angespanntem Kiefer parke ich meinen Wagen auf einem der Stellplätze hinter der Tanzbar und steige aus. Was um Himmelswillen trieb dieses unvorsichtige Mädel in ein solches Lokal? Das kann doch nicht nur der Tatsache geschuldet sein, dass sie ihrer Familie helfen will? Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich wütend oder entsetzt sein soll. In einer solchen Situation habe ich mich bisher noch nie befunden. Leise knurrend nutze ich den Funkschlüssel und schließe meinen Camaro ab, um den kurzen Weg um die Bar herum zum Haupteingang zu machen, während ich den Schlüssel in die Tasche meiner Lederjacke gleiten lasse. Wenn ihr hier jemand auflauern würde, hätte sie sicherlich keine Chance. Und hierbei schwebt mir weitaus weniger ihr Ex-Freund Nazari im Kopf herum. Es mag sich bei dem La Rouché um eine Tanzbar für die gehobene Gesellschaft handeln, jedoch heißt das nicht das sich nicht auch zwielichtige Gestalten herumdrücken.
Mit schnellen Schritten betrete ich die Bar und verschaffe mir einen Überblick über die anwesenden Gäste und die Angestellten. Hier gibt es ganze zwei Türsteher – die mit einer Hühnerbrust ausgestattet sind. Mich würden die Beiden ganz sicher von nichts abbringen können was ich mir in den Kopf setze. Innerlich verziehe ich missbilligend meinen Mund, äußerlich lasse ich mir keinerlei Emotionen anmerken. Von meiner Zielperson kann ich bisher nichts erkennen. Hat Kirana unrecht und ihre Schwester arbeitet hier nicht mehr? Vielleicht hat sie ihren Nebenjob aufgegeben, als sie gemerkt hat, dass Nazari langsam aber sicher aufdringlicher wird? Nachdenklich schiebe ich meine Hände in die Jackentaschen und begebe mich in eine Ecke der Bar, um mich in die gut gepolsterte Sitzgruppe zu schieben. Einen Augenblick werde ich bleiben und beobachten. Eventuell befand sie sich in einer kurzen Pause oder ist zur Toilette gegangen. Nicht das ich sie verpasste und hinterher etwas passieren würde bei dem ich nicht einschreiten kann.
Eine blutjunge Bedienung mit blondem langen Haar kommt aufreizend lächelnd an meinen Tisch und ich stelle fest das ihre Brüste fast aus dem viel zu engen Mieder quellen. Der Rock ging gerade noch als solcher durch, konnte allerdings auch als etwas breiterer Gürtel bezeichnet werden. Weiter nach unten mochte ich nicht schauen – diese Art von Mann bin ich ganz eindeutig nicht. Egal, was viele Frauen von mir denken mochten.
„Was kann ich Ihnen bringen?“, fragt sie mich mit einer Stimmlage die mir Erotik vermitteln soll.
„Eine Coke, bitte“, ordere ich mit neutralem Gesicht mein Getränk.
„Kommt sofort.“
Ich kann ihr ansehen das meine Wahl ihr nicht passt und sie dreht sich ohne einen weiteren Blick von mir weg, um zur Bar zu eilen. Mir ist es herzlich egal was sie nun von mir denkt und ich lehne mich leicht zurück, um meinen Blick erneut schweifen zu lassen. Es ist zwar recht voll hier, allerdings nicht allzu laut. Musik spielt dezent im Hintergrund und man kann sich dabei gut unterhalten, ohne andere Gäste zu stören. An der Wand links von der Bar gibt es eine Art Bühne mit Poledance-Stange. Weit und breit sind keine Tänzerinnen zu sehen. Oder tanzen zwischendurch die Kellnerinnen eine Runde? Vermutlich findet heute einfach keine Show statt. Soll ja durchaus vorkommen, habe ich mir sagen lassen.
Die Bedienung bringt mir betont freundlich meine Bestellung und ich zahle direkt. So wie es aussieht, werde ich mich hier nicht lang aufhalten. Von Miss Myers ist bisher nichts zu sehen, somit entfällt der Grund meines spontanen Aufenthaltes vollkommen. Durstig nehme ich einen großen Schluck meines Getränks mit einem Eiswürfel und stelle das Glas wieder vor mir auf dem Tisch ab. Das Licht wird just in diesem Moment noch schummriger und ich runzle irritiert die Stirn, als mir diese Tatsache auffällt. Ein Raunen geht durch die Menge. Scheinbar findet heute doch eine Show statt, denn es wird eine Tänzerin für die Pole angekündigt.
Mein Blick gleitet automatisch zur Stange und ich kann erkennen, dass eine weibliche Silhouette sich auf die Pole zu bewegt. Die Hüften schwingen verführerisch und sie hat Schuhe mit ziemlich hohen Absätzen an. Sie befindet sich im Schatten und ich kann ihr Gesicht nicht erkennen. Im Grunde genommen ist es mir egal, denn um meine gesuchte Zielperson handelt es sich sicher nicht. Rilana Myers würde ich an ihrer Körperbewegung erkennen. Des Weiteren zieht sie sich nicht so aufreizend an und ist eher zurückhaltend in ihrer Art und Weise. Vollkommen ausgeschlossen.
Mit einem tiefen Schluck leere ich mein Glas und erhebe mich, als der Spot der Scheinwerfer die Tänzerin ausleuchtet, welche eine zierliche Hand um das vermutlich kühle Metall der Pole gelegt hat und mit rot geschminkten Lippen in das Publikum lächelt. Überrascht lasse ich mich in die Polster zurückfallen und starre sie fast schon an. Auf der Bühne steht keine angekündigte Joyce, sondern eine vollkommen verwandelte Rilana Myers. Warte! Joyce… Wieso klingelt es bei diesem Namen bei mir? Richtig! Ihr zweiter Vorname. Also spielt sie tagsüber die brave und unscheinbare Büroangestellte und nachts lässt sie die Puppen auf der Bühne in einer Bar tanzen. Normalerweise verurteile ich andere nicht direkt, aber hier wird mir wieder ganz eindeutig gezeigt wie falsch Menschen doch sein können. Exakt aus diesem Grund lasse ich niemanden mehr an mich heran. Bislang hat sich jeder in meinem Bekannten- und Freundeskreis als doppelzüngig herausgestellt.
Mag sein das hier nur der Zusatzverdienst im Vordergrund steht, aber ich bezweifle stark, dass ihr diese Art Job keinerlei Vergnügen bereitet. Sie tanzt als ob sie nie zuvor etwas anderes getan hätte und setzt dabei ihre volle Weiblichkeit ein. Zeigt keine nackte Haut, die nicht sowieso schon zu sehen ist, lässt sich aber Dollarscheine in die Hotpants stecken. Ich verschränke meine Arme vor der Brust und merke wie mein Gesicht sich grimmig verzieht. Wie kann sie hier einem solchen Nebenjob nachgehen, ohne einen Begleitschutz dabei zu haben? Warum hat sie mir verschwiegen das sie hier arbeitet? Ist es ihr womöglich unangenehm? Wiederholt stelle ich mir diese Frage, doch verwerfe sie wieder als Rilana einem besonders spendablen Gast ein keckes Grinsen zukommen lässt und dabei neckisch zwinkert. Diese Frau genießt die Aufmerksamkeit ganz offensichtlich.
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Als der Auftritt beendet ist, verlässt sie die Bühne an der Seite welche zur Bar zeigt und verschwindet mit eiligen Schritten in einer unscheinbaren Tür. Ich habe mir noch eine Coke bestellt und diese in einem Zug geleert, um darüber nachdenken zu können, was zum Teufel in diese Person gefahren ist. Einerseits schüchtern und ängstlich, andererseits aufreizend und verrucht. Kann wirklich die eben gezeigte Seite ihr wirklicher Charakter sein? Eine leise Stimme flüstert mir ein ‚Nein‘ zu und ich seufze innerlich auf. Vermutlich passte eher der erste Eindruck und das hier war eine Art Maske, um ihrer Familie zu helfen.
Entschlossen stehe ich auf und bahne mir einen Weg zur Theke, hinter der ein Mann stand, der aussah als würde ihm der Schuppen hier gehören. Er flirtet ununterbrochen mit den wenigen weiblichen Gästen und poliert nebenbei ein paar Gläser, um sie dann in das Regal zu stellen.
„Entschuldigen Sie bitte“, spreche ich ihn einfach an. „Könnte ich mit Ihrer Tänzerin Joyce kurz sprechen, bitte?“
„Mit Joyce? Was wollen Sie von ihr, Mister?“, hakt er misstrauisch nach.
„Mit ihr sprechen. Ich würde sie gern kennenlernen.“
„Kennenlernen? Sie ist eine einfache Tänzerin. Was sollten Sie von einer solchen Frau wollen?“
„Das lassen Sie besser meine Sorge sein. Ist es möglich oder nicht?“, entgegne ich fest.
„Was springt dabei raus, wenn ich Sie zu ihr lasse?“
Aha. Daher weht der Wind. Er will also Profit aus der Situation schlagen. Es wäre also für einen reichen Sohn eines Scheichs eine Leichtigkeit an Rilana ran zukommen, würde er es nur versuchen. Ich muss dringend mit ihr sprechen. Allein kann sie keinesfalls wieder herkommen. Es führt kein Weg dran vorbei: ich muss auch zu diesem Job mit. Das wird ein hartes Stück Arbeit mit diesem Frauenzimmer. Dabei schien es erst entspannt zu sein.
„Ich zahle Ihnen die doppelte Höhe dessen was Sie Joyce für ihren regulären Arbeitseinsatz bezahlen.“
„Hundert Dollar also für ein Gespräch mit einer Ihnen vollkommen fremden Person? In Ordnung, wir haben einen Deal, Mister. Vorkasse und ich gebe Ihnen Zugang. Den Weg finden Sie auch allein – ist nicht schwer. Einfach durch die Tür und geradeaus“, grinst der Kerl mich an und ich verziehe innerlich angewidert den Mund.
Er zahlt ihr für einen Abend lächerliche fünfzig Dollar? Am liebsten würde ich dem Typen eine in seine dämliche Visage geben, beherrsche mich jedoch eisern. Das war die Sache nicht wert. Ich will keine unnötige zusätzliche Aufmerksamkeit auf meine Zielperson oder mich ziehen. Das würde Fragen aufwerfen und Klatsch in die Stadt bringen. Deswegen nicke ich ihm zu und ziehe aus meiner Geldbörse die geforderten hundert Dollar, um ihm diese über den Tresen zu reichen. Wieder grinst er und steckt sie sich in die Gesäßtasche seiner Jeans.
„Dort rein und dann wie gesagt geradeaus. Es befindet sich dort ein Bereich in dem sich die Mädchen umziehen und vorbereiten. Aufwärmen und das alles. Dort sollten Sie Joyce finden. Lassen Sie sich ruhig Zeit“, zwinkert er mir zu.
Ich nicke ihm unverbindlich zu und mache mich auf den Weg durch die besagte Tür, um mit meiner Zielperson zu sprechen.