„Also, wie kann ich dir helfen, Duncan?“, frage ich ihn lächelnd und reibe die Hände aneinander, mich dabei im Lager umschauend. „Soll ich dir beim Verräumen der neuen Ware helfen?“
„Mhm. Nicht ganz. Ich möchte gern umräumen, um mehr Platz für eine neue Kreation von Fiona zu schaffen, die sie demnächst bei uns in den Verkauf gehen lassen will. Du musst wissen, sie ist ein Ass was Backwaren angeht. Aber verrate es niemandem, sonst wollen sie alle abwerben. Die Konkurrenz ist groß“, zwinkert er mir verschwörerisch grinsend zu und schiebt einen Karton mit dem Fuß zur Seite.
„Hast du eigentlich auch eine Ausbildung im Personenschutz, oder wie kommt es, dass Calin dem ohne mit der Wimper zu zucken zugestimmt hat? Ich meine… nachdem Wassibs Gorillas es nun zwei Mal auf mich abgesehen hatten, lässt er mich nicht mehr aus den Augen. Bei dir ist das allerdings scheinbar gar kein Thema?“
Duncan verschiebt ein schmales Schwerlastregal auf die andere Seite des Raumes und ich fege den frei gewordenen Bereich, da sich ziemlich viel Staub und anderer Schmutz dort drunter abgesetzt hat über die Zeit. Da er nicht sofort antwortet, halte ich inne und schaue ihn über meine linke Schulter hinweg an. Die Hände hat er in die Hüften gestemmt und blickt mich nachdenklich an, was mich stutzig macht. Bevor ich jedoch nachhaken kann, verschwindet dieser Ausdruck wieder und kurz frage ich mich, ob er wirklich da gewesen ist.
„Ja, ich habe zusammen mit Calin trainiert und bin so ungefähr auf dem gleichen Stand wie er. Natürlich betreibt er weiterhin sein Training, während ich mich auf das Verschieben von Backwaren, Getränken und Regalen beschränke“, antwortet er feixend und zuckt dann kurz mit den Schultern, ehe er ein paar leere Kisten übereinanderstapelt. „Da er weiß, dass ich niemanden an dich heranlassen werde, außer Fiona, lässt er dich machen. Seine Mitarbeiter halten die Firma zwar am Laufen, dennoch wollte er sich dort mal zeigen und dich nicht unnötig langweilen, in dem du nur an seinem Schreibtisch hockst und wartest das ihr wieder los könnt. Außerdem habe ich so eine Hilfskraft gratis.“
Ich schnaufe amüsiert und strecke ihm dann meine Zunge raus, weil er frech wie Oskar ist. Dieser Kerl schäkert mit mir, wohlweislich in dem Wissen, dass ich an ihm keinerlei romantisches Interesse hege. Freundschaftlich schon, aber daraus würde tatsächlich niemals mehr werden als das. Duncan lacht leise und schüttelt dann kurz seinen Schopf. Flink säubere ich die Ecke fertig und stelle den Besen dann zur Seite, um das mannshohe Regal mit Duncan an diesen Ort zu stellen. Einige Bleche sind bereits verankert, damit die verschiedenen Backwerke von Fiona darauf später ihren Platz fanden.
„Hoffentlich gibt mein Ex bald auf und sieht ein, dass es mit uns nichts mehr wird“, seufze ich nach einer Weile leise und schiebe mir eine Haarsträhne aus den Augen.
Als ich Duncan anschaue, wundere ich mich über seinen seltsamen Gesichtsausdruck und ziehe meine Augenbrauen fragend in die Höhe, während ich meine Arme verschränke.
„Warum dieser Blick, Duncan?“
„Welcher Blick?“, fragt er und reibt sich ertappt den Nacken. „Ich hab ganz normal geguckt.“
„Nope. Du hast einen ganz komischen Blick drauf gehabt. Willst du mir vielleicht irgendwas mitteilen?“, bohre ich weiter und beobachte ihn mit Argusaugen.
„Nein, alles gut“, sagt er schief lächelnd und schaut auf seine Armbanduhr. „Oh, wir haben es schon nach zwölf. Hast du Hunger, Ri?“
Für den Moment lasse ich ihm dieses Ausweichmanöver durchgehen und nicke kurz, da mein Magen sich schon seit einiger Zeit leise grummelnd meldet und ich durchaus etwas zu essen vertragen könnte.
„Lass mich schnell ein paar Nudeln mit Tomatensauce machen. Setz dich schon mal in den Gastraum, ja?“, grinst er mich an und betritt die kleine Küche, um sich dort an den Herd zu begeben.
Beim Gehen ziehe ich mein Smartphone aus der Hosentasche und checke, ob ich Nachrichten erhalten habe, die ich vielleicht im Eifer des Gefechts nicht mitbekommen habe und lasse mich dann auf eine der bequemen Eckbanken ins weiche Polster sinken, die Flasche Mineralwasser stelle ich vor mir auf dem Tisch ab, welche Duncan mir vorab noch in die Hand gedrückt hat. Lächelnd lese ich die Nachricht von Calin, in der er mir mitteilt, dass er mich vermisst und mich liebt. Wie gut, dass ich aktuell allein hier sitze und niemand meinen schmachtenden Blick sehen kann. Schnell tippe ich eine Antwort in das Gerät, in dem ich ihm mitteile, dass ich ihn ebenso liebe und vermisse und mich auf den Abend freue. Er will mich später abholen, damit Duncan mich nicht extra fahren muss.
Nach dem ich die Nachricht verschickt habe, lege ich das kleine Gerät auf den Tisch und köpfe die Flasche Sprudel, um die Öffnung an meine Lippen zu führen und einen großen, erfrischenden Schluck davon zu nehmen. Meine Kehle ist ausgedörrter, als ich vermutet habe und ich leere den Liter fast in einem Zug.
„Magst du Parmesan, Ri?“, ruft Duncan aus der Küche.
„Jap“, gebe ich laut genug zurück und scrolle durch meine social media App.
Natürlich bin ich nicht mit meinem Klarnamen angemeldet, sondern nutze ein Pseudonym, von denen nur ganz wenige wissen das ich es bin. Aber ein klein wenig Amüsement darf ich mir wohl noch gestatten. Wobei nichts spannendes passiert und ich eher gelangweilt die Zeit überbrücke, bis es die Nudeln gibt und Duncan und ich gemeinsam essen können. Regulär bin ich kein Freund von Smartphones und Konsolen, lieber lese ich ein gutes Buch. Hier dann der elektronische Weg des eBooks, da ich meinen Reader in meine Handtasche stecken kann und auf diesem über hundert Werke gespeichert sind. Ich lese oft und viel, weswegen sich der Kauf eines Buches eigentlich überhaupt nicht lohnt. Ganz ehrlich: ich wäre arm wie eine Kirchenmaus und mein Reich, hätte ich aktuell eines, wäre vollgestopft mit Büchern bis unter die Decke.
„Bitte sehr, die Dame“, sagt Duncan, stellt mir einen Teller mit einem Berg Nudeln, Tomatensauce und Parmesan vor die Nase und setzt sich mit seinem eigenen Teller mir gegenüber. „Lass es dir schmecken.“
„Vielen Dank. Das sieht auf jeden Fall sehr lecker aus“, stelle ich fest und pieke mit der Gabel eine Spirellinudel auf, um sie zum Mund zu führen. „Mhhm.“
Einträchtig kauen wir unsere Portion nach und nach weg und ich schiele immer wieder auf das Smartphone, was ihm nicht verborgen bleibt.
„Wartest du auf eine Antwort von Cal?“, schmunzelt er wissend.
„Ja. Aber ich denke, er wird einiges zu tun haben. Ich bremse ihn momentan aus und er muss sicherlich gewisse Dinge regeln.“
„Du bremst ihn nicht aus, Kleines. Er macht das aus freien Stücken; nicht weil er muss. Das war vielleicht ganz zu Anfang des Auftrages so, jedoch bist du schon eine ganze Weile nicht mehr einfach nur ein Job für ihn. Das wird er dir doch hoffentlich auch gesagt haben?“
„Natürlich hat er das. Aber ich bin nicht so naiv und glaube das er nicht doch noch andere Dinge zu erledigen hat. Wer möchte denn bitte die ganze Zeit das Kindermädchen für jemanden spielen?“, erwidere ich und seufze am Ende schwer.
Ich lege die Gabel beiseite und schiebe den leeren Teller ein kleines Stückchen von mir fort. Calin ist ganz sicher nicht mein Kindermädchen, aber es fühlt sich mittlerweile schlecht an, weil ich so viel seiner Zeit raube und er gar keine Freizeit mehr hat. Immer in Alarmbereitschaft und angespannt, wenn wir uns zusammen in der Öffentlichkeit bewegten. Sei es zum Einkaufen oder einfach nur, weil wir spazieren gehen.
„Kindermädchen?“, wiederholt er nachdenklich und schüttelt dann den Kopf. „Sei nicht so hart zu dir. Bevor du ihn sein Leben getreten bist, hat der Knabe das Wort ‚Freizeit‘ nur aus dem Wörterbuch gekannt. Seit dem du in sein Leben getreten bist, hat er eine Dreihundertsechzig-Grad-Wendung durchgemacht. Ins Positive. Ich kenne Cal jetzt seit knapp drei Jahren und in dieser Zeit habe ich ihn so oft lachen hören – ich kann es an einer Hand abzählen, ganz easy. Und diese paar Mal passierten in den letzten Wochen, Ri. Er lacht, weil du es ihm wiedergegeben hast. Weißt du, Calin ist nicht so ein harter Hund, wie er vorgibt zu sein.“
Mit einem zweifelndem Blick sehe ich ihn an und fahre mit meinem Finger geistesabwesend über das Display des Smartphones, welches noch immer keine neue Nachricht anzeigt.
„Dein Herzbube ist ein kleiner Softie, der sich nach Nähe und Geborgenheit sehnt. Sein Elternhaus ist nicht lieblos gewesen, aber seine Vater hat eine strenge Hand. Niemals hat er diese gegen seinen Sohn erhoben, dennoch sind Körpernähe und offizielle Bezeugungen der Zuneigung… Sagen wir es so: er kennt es einfach nicht. Das er mit dir so offen und ehrlich umgeht ist ein gutes Zeichen für mich. Fiona ist vorgestern vollkommen aus dem Häuschen gewesen, als wir von euch weggefahren sind. Ri, als Lani vor drei Jahren gestorben ist, hat Cal sich verschlossen. Niemanden hat er an sich herangelassen – zumindest nicht näher als nötig. Und nun ist er mit dir zusammen und zeigt seine Gefühle ganz offen“, erzählt Duncan mir und lächelt mich aufmunternd an.
„Ich… Duncan? Wie… ich meine, warum…“, suche ich nach den richtigen Worten und beiße mir auf die Unterlippe. „Was ist mit Calins kleiner Schwester geschehen? Bisher habe ich es nicht angesprochen, weil ich keine alte Wunde aufreißen wollte.“
„Das ist okay. Er spricht auch ungern darüber, macht jedoch kein Geheimnis daraus. Sie hatte damals einen fiesen Typen als Freund, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hat. Sie bezeichnete ihn als große Liebe, dabei hat er sie ausgenutzt. Sie irgendwann geprügelt, als sie die rosarote Brille nach und nach abgesetzt und seinen wahren Charakter erkannt hatte. Cal wollte sie beschützen, aber sie hat ihn jedes Mal aufs neue weichgeklopft und ihm versichert das sie alleine klarkommen würde und alles im Griff hätte. Eines Abends waren er und sie fürs Kino verabredet, doch Lani erschien nicht und war auch telefonisch nicht erreichbar. Also rief er mich an und wir trafen uns vor dem Apartmentkomplex, in dem sie damals lebte. Gemeinsam klingelten wir, doch sie rührte sich nicht“, fängt er an zu erzählen und fixiert einen unbestimmten Punkt hinter mir an der Wand. „Wir haben nicht lang gefackelt und bei allen Bewohnern des Gebäudes geklingelt, bis jemand den Türöffner betätigt hat und wir das Treppenhaus hochstürmen konnten. Ihre Tür hat Cal kurzerhand aufgebrochen, um nicht weitere wertvolle Zeit zu vergeuden.“
Duncan bricht die Erzählung ab und reibt sich mit beiden Händen über sein Gesicht, welches einen schmerzlichen Zug angenommen hatte und atmet tief durch. Mein kompletter Körper besteht aktuell aus einer einzigen Gänsehaut und ich schlucke trocken, da mich eine Ahnung überfällt, welche mir ganz und gar nicht gefällt.
„Calin hat das Schlafzimmer und Bad übernommen, ich habe Küche und Wohnzimmer übernommen. Ich… Ich habe sie auf dem Sofa liegend gefunden, auf dem Boden eine verschüttete Dose mit Schlaftabletten, daneben eine geleerte Flasche Rotwein. In ihren Händen hielt sie mehrere Blatt Papier, welche sich im Nachhinein als Abschiedsbriefe entpuppten. Lani wurde psychisch so fertig gemacht, dass sie keinen anderen Ausweg mehr gesehen und ihrem Leben ein Ende gesetzt hat.“
Emotional ergriffen schiebe ich meine Hand über den Tisch und umfasse Duncans linke Hand, welche er geistesabwesend anstarrt, um dann seinen Kopf leicht zu schütteln, als ob er die Bilder vertreiben will, die seine Erinnerungen stürmen. Das muss ein wirklich schlimmer Moment in seinem Leben gewesen sein, auch wenn es nicht seine eigene Schwester gewesen ist, sondern Calins. Und, oh Gott, wie muss es Calin selbst ergangen sein? Als er festgestellt hat, dass seine geliebte kleine Schwester sich aus Liebeskummer das Leben genommen hat?
„Es tut mir so leid, Duncan…“, hauche ich traurig und er lächelt gezwungen.
„Das muss es nicht. Du kannst nichts dafür und es leider auch nicht ungeschehen machen. An diesem besagten Abend hat es ‚klick‘ in Calins Kopf gemacht und er hat sich komplett abgeschottet und dicht gemacht. Zu diesem Zeitpunkt kannten er und ich uns erst wenige Monate und ich bin nicht in in gedrungen, um ihn nicht in seiner Trauer zu stören, was im Nachgang vielleicht sogar ein Fehler gewesen ist…“, führt er die traurige Geschichte weiter fort. „Lani war… sie war eine kluge, hübsche und eigensinnige junge Frau, die einen solchen Tod nicht verdient hat. Und auch nicht einen solchen Typen, der sie in diesen, für sie, letzten Ausweg gedrängt hat.“
„Du warst in Lani verliebt“, stelle ich leise fest und mein Herz zieht sich vor Mitgefühl schmerzhaft zusammen, als mir klar wird das es ihn mindestens genau so hart getroffen haben musste wie seinen Freund. „Und du machst dir ebenso Vorwürfe wie Calin sich. Das du ihr nicht helfen konntest.“
Traurig lächelt er mich an und nickt dabei knapp, drückt kurz meine Hand und löst sie dann aus meinem tröstenden Griff, um sich zu erheben und die Teller zusammenzustellen.
„Ich räume das Geschirr schnell in den Geschirrspüler und dann müssen wir nur noch die leeren Kartons entsorgen. Du warst mir auf jeden Fall eine große Hilfe heute, Ri. Dafür hast du bei mir was gut“, wechselt er das Thema und zwinkert mir zu.
„Vermutlich komme ich irgendwann darauf zurück“, grinse ich ihn an und lehne mich zurück, nachdem er durch die Tür verschwunden ist, die in den hinteren Bereich des Lokals führt.
Da Duncan nach mehreren Minuten nicht wieder in den Gastraum gekommen ist, mache ich mich auf den Weg in die Küche und bleibe wie angewurzelt an der Tür stehen und überlege, ob ich wieder kehrt machen soll. Ich verstehe kein Wort, weil er auf Gälisch mit jemanden spricht, kann allerdings an der Tonlage heraushören, dass er angespannt ist und sich scheinbar auch Sorgen zu machen scheint.
„Càit a bheil Calin? A bheilear a ’toirt aire dha? Mu dheireadh bruidhinn!“
Telefoniert er etwa mit Calin? Aber warum dann auf Gälisch? Sollte ich nicht wissen um was es geht? Und wieso klang Duncan immer mehr danach, als wenn er dem Gesprächspartner am anderen Ende ans Leder will? Leider kann ich mir bei der Geschwindigkeit der gesprochenen Worte durch ihm auch nichts merken, um es gegebenenfalls über meine App übersetzen zu lassen.
„Anns an ospadal?“, fragt er nun und ich kann das Entsetzen quasi fühlen. „Dè a thachair? Agus dè mu dheidhinn Nazari?“
Mein Körper spannt sich augenblicklich an und meine Gedanken überschlagen sich. Das Wort ‚Ospadal‘ kenne ich, denn ein wenig habe ich über meine Sprachlern-App durchaus gelernt. Denn ich will Calin damit überraschen, in dem ich ab und an mal ein paar Sätze Gälisch mit ihm wechsle. Aber warum erwähnt Duncan das Krankenhaus im Zusammenhang mit Wassib? Er regt sich doch ganz sicher nicht darüber auf, sollte dieser Mistkerl im Krankenhaus liegen – wieso, weshalb auch immer. Unschlüssig kaue ich auf meiner Unterlippe herum und überlege was ich tun soll.
„Fiona! Rede endlich!“, wechselt er nun ungeduldig wieder die Sprache und knurrt zornig.
Was geht hier vor sich? Warum ist Fiona involviert?
„Duncan? Was ist los?“, frage ich ernst und betrete die Küche, um ihn mit einem Blick zu mustern, der ihn auf der Stelle erstarren lässt.
„Ri.“
„Duncan…“
„Ich… es…“, sucht er nach den passenden Worten und ich verenge meine Augen zu Schlitzen. „Fiona? Ja… ja…, ich reiche dich weiter, Sekunde.“
Er hält mir sein Smartphone entgegen und ich nehme es ihm irritiert ab, um es mir ans Ohr zu halten. Scheinbar möchte Fiona mit mir sprechen und eventuell klärt sich diese verfahrene Situation jetzt endlich auf. Von Duncan werde ich vermutlich kein Sterbenswörtchen erfahren wie mir scheint.
„Ri, hör mir bitte zu und unterbrich mich nicht. Flipp bitte auch nicht aus, es wird alles wieder gut, okay?“, vernehme ich Fionas sanfte Stimme und runzle verwirrt die Stirn.
„Warum sollte ich ausflippen? Fiona, was zur verdammten Hölle ist hier eigentlich los? Und was hat Wassib mit dem Krankenhaus zu tun?“
„Oh, du lernst Gälisch?“, kommt es von einer erstaunt klingenden Rothaarigen am anderen Ende. „Nazari hat nichts mit dem Krankenhaus zu tun. Zumindest nicht direkt. Ri? Sitzt du?“
„Nein, ich sitze nicht, verdammte Axt! Jetzt sag mir endlich was los ist, sonst muss ich Duncan gleich erwürgen“, knurre ich warnend ins Telefon und höre Fiona schlucken.
„Ich verstehe was Calin an dir findet. Du bist gefährlich, wenn du wütend bist. Okay, du bist taff. Cal hat ein Treffen mit Nazari ausgemacht, um ihn dazu zu bringen sich zu stellen. Oder um ihn ein für alle male zum Schweigen zu bringen“, weiht sie mich nun endlich in das konfuse Gerede ein. „Ich stand mit ihm die ganze Zeit über in Verbindung, via Sicherheitsheadset, damit ich direkt handeln kann, wenn irgendwas schief laufen sollte. Erst haben sie diskutiert, dann gab es einen Faustkampf und zum Schluss fielen zwei Schüsse. Da Cal mir nicht mehr geantwortet hat, habe ich einen befreundeten Arzt alarmiert, der sich zum Standort der Beiden begeben hat, um nach dem Rechten zu sehen und bin selbst ins Auto, um….“
„WAS?“, kommt es mir jetzt endlich laut und fassungslos über die Lippen, da ich vorher wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft geschnappt habe. „Wann? Wo? Warum?“
„Etwas außerhalb von Miami, circa zwanzig Minuten Fahrt. Das Ganze ist vor etwa einer Dreiviertelstunde passiert. Zuerst habe ich Dunc nicht erreicht, weil…“
„Sein Handy lag im Lager und ist auf stumm“, falle ich ihr unwirsch ins Wort. „Was ist mit Calin, verdammt!“
„Er liegt gerade auf dem OP-Tisch; Nazari hat es nicht geschafft.“
„Nein… bitte… nein…“
Das Smartphone rutscht mir aus der Hand und ich muss mich an der Anrichte festhalten, weil meine Beine nachgeben und ich mich nicht mehr halten kann. Geistesgegenwärtig umfasst Duncan meine Taille und stützt mich, doch das alles fühlt sich gerade an, als würde es mich nicht betreffen. Calin wurde angeschossen und wird gerade operiert. Wassib ist tot… doch das tangiert mich wirklich peripher.
„Ich will zu ihm, Duncan. Jetzt.“