Erneut öffnete sie die Augen und sah auf ihre Uhr, stirnrunzelnd sah sie, dass es gerade erst einmal kurz nach sechs war. Sie war tatsächlich gestern Abend mit Klamotten auf dem Bett eingeschlafen. Sie verstand immer noch nicht, warum sie ausgerechnet von ihm geträumt hatte. Verdammt. Eigentlich hätte sie nach dem Tag gestern wie ein Stein schlafen müssen und nicht noch irgendwelche … seltsame … erotischen Träume von jemandem haben, den sie gar nicht wollte. Wenn sie in ihn verknallt wäre, so wie wohl Doreen und Tina, dann würde sie es ja verstehen, aber so? Nein, sie war nicht in ihn verliebt, zum Teufel, sie kannte ihn doch nicht einmal. Außer dass er was mit ihrer Schwester gehabt hatte und dieses Projekt leitete, wusste sie absolut nichts über ihn. Man konnte sich doch nicht in einen Fremden verlieben, oder? Und schon mal gar nicht in jemanden der einem so etwas angetan hatte. Seinetwegen war sie nun ganz allein, keine Familie und auch keine Schwester mehr. Das Einzige was sie noch hatte, war Pie, aber das zählte nicht...
Entschlossen stand sie auf und ging zur Türe, vorsichtig zog sie sie auf und steckte den Kopf aus dem Zimmer. Nervös sah sie nach rechts und links den Flur entlang. Doch außer Pie, der vor Anderson's Schlafzimmertür lag und leise schnarchte, war alles ruhig. Wieso zum Teufel lag Pie bei ihm vor der Türe?
...Verräter, erst gestern, dass im Wald und nun das...
...Anderson … Nenn' ihn Rick, Su. Wenn du willst, dass das was du vorhast auch klappt, fang an dich so zu benehmen. Und da zugehört auch … nenn ihn Rick...
Seufzend schüttelte Su den Kopf, als sie sich sofort selbst ermahnte. Sie würde verrückt werden hier, ganz bestimmt.
Anderson … Rick! Hatte scheinbar gestern noch alle Koffer und Kisten hochgebracht, wie nett!
...Zu nett, was zum Teufel will er?...
Langsam machte Su sich daran die Koffer in ihr Zimmer zu holen und einige der Kisten. Zwei der Kisten gehörten Pie und enthielten sein Spielzeug, das musste irgendwie nach draußen, hier drinnen konnte er nicht toben und sich bewegen.
Sie ließ die Türe ein Stückchen offen, damit Pie rein konnte, wenn er wollte und fing an ihre Sachen aus dem Koffer und in die vielen Schränke und Schubladen zu packen. Seufzend sah sie sich um, eigentlich war das ein ziemlich schönes Zimmer und verdammt groß. Su runzelte die Stirn, die ganze erste Etage ihres Häuschens in Frisco hätte locker in diesem einen Raum Platz. Überhaupt war hier alles riesig, jeder einzelne verdammte Raum war so riesig, dass da locker eine Familie drin wohnen könnte, ohne sich irgendwann mal irgendwo im Weg zu stehen. Zwei große Fenster, eingerahmt von bodenlangen Gardinen und schweren Vorhängen dominierten zu beiden Seiten des Bettes den Raum. Unter den Fenstern standen jeweils zwei kleine Schränke, die, die Schlafstätte mit den Fenstern flankierten und das riesige Bett noch betonten. Gegenüber dem Fußende des Bettes war die Türe, die komplette Wand um die Türe herum war mit Schränken zugebaut und links neben dem Bett gegenüber an der Wand war ein Spiegeltischchen mit diversen Schubladen, rechts neben dem Bett. oben in der Ecke war ein offener Kamin und mittig an der Wand stand ein kleiner Tisch mit zwei gemütlichen Sesseln.
Der ganze Raum wirkte eher wie ein Hauptschlafzimmer als wie ein Gästezimmer und Su fragte sich, wie Rick's Schlafzimmer aussah. Ob es genauso war? Endlich hatte sie alles ausgepackt und überlegte stirnrunzelnd, wo sie die Koffer hineinpacken sollte. Schulterzuckend öffnete sie eine der Schranktüren, die sie nicht benutzt hatte und packte die Koffer vorsichtig dort hinein. Nicht schick, aber praktisch. Grinsend schloss sie die Schranktüre und schnappte sich dann frische Wäsche, um duschen zu gehen.
Leise und vorsichtig verließ sie ihr Zimmer und warf einen nervösen Blick auf Rick's Schlafzimmertüre, bevor sie ins Bad huschte und die Türe schloss. Aufatmend lehnte sie sich kurz dagegen und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Er roch immer noch oder schon wieder … nach Rick und am liebsten hätte sie die Türe doppelt und dreifach abgeschlossen. Doch da war kein Schlüssel, eigentlich hatte die Türe nicht mal ein abschließbares Schloss, welche Türe hatte kein Schloss, das war doch total bescheuert. Stirnrunzelnd fiel ihr ein, dass selbst die Schlafzimmertüre keinen Schlüssel hatte. Die ganze Etage war scheinbar wirklich nur seines und er dachte wohl, dass er keine Schlösser benötigen würde, … scheiße, … das hieß aber auch … er konnte jederzeit ins Bad oder in ihr Schlafzimmer, selbst wenn sie schlief.
...Du kannst aber auch bei ihm rein, wenn er schläft...
Sehnsüchtig ließ sie ihren Blick über die große Eckbadewanne mit dem eingebauten Whirlpool-Düsen gleiten. Sie würde zu gerne, … aber wenn er dann hereinkommen würde … seufzend zog sie sich schnell aus und stieg unter die Dusche. Ohne es zu wollen sah sie automatisch wieder Rick unter der Dusche stehen, wie das Wasser an ihm herunterlief und fluchend fing Su sich an einzuschäumen. Warum zum Teufel spukte er andauernd in ihrem Kopf herum. Das war doch nicht mehr normal. Mit einem erneuten nervösen Blick zur Türe stellte sie die Dusche ab und griff nach dem Handtuch. Blitzschnell trocknete sie sich ab und zog sich an. Mit energischen Schritten bürstete sie ihre langen Haare durch und wollte sie gerade wieder zu einem Zopf binden, als sie plötzlich stoppte. Hatte nicht in einem dieser bescheuerten Texte gestanden, dass manche Männer auf lange Haare standen? Weil es sie unbewusst dazu reizte hineinzufassen?
…Wird Zeit das zu testen und irgendwie musst du ja mal, damit anfangen dafür zu sorgen, dass er deinetwegen den Kopf verliert!...
Mit einem Blick in den Spiegel, wuschelte sie etwas durch ihre Haare, sodass die sanften natürlichen Wellen wieder zum Vorschein kamen und sah sich zufrieden an. Sie würde sich nicht als schön bezeichnen, aber durchaus als Hingucker. Gerade mal etwas über einen Meter und sechzig und schlank, dazu schön gebräunt mit langen mittel-blonden Haaren, wo einige von der Sonne gebleichten Strähnchen drin waren, dazu ihre hellbraunen Augen, über die Matt mal gesagt hatte, dass sie wie Bernsteine aussahen und ihn an alten Whiskey erinnerten. Enge Jeans, Stiefel und ein weites, aber trotzdem sexy wirkendes Shirt für im Haus. Alles in Schwarz, was ihre Haare und ihre Augen unterstrich und ihre Bräune betonte.
...warte ab Anderson, du bist reif. Ich werde dich sowas von umhauen...
Draußen würde sie wohl Pulli und Jacke anziehen müssen. Seufzend fragte Su sich, ob es hier jemals warm wurde. Sie hätte sich wirklich intensiver vorbereiten sollen auf dieses Land. Aber bis zum letzten Tag hatte sie insgeheim gehofft, dass alles abgesagt würde.
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Rick ritt mit Diego seit knapp einer Stunde die Zäune ab, auch wenn die Tiger noch nicht da waren, hatten sie es sich zur Gewohnheit gemacht in zwei Gruppen jeden Tag einen Großteil der Zäune abzureiten und abzufahren, um alles zu kontrollieren. Zwei ritten die nähere Umgebung ab und zwei fuhren mit den Jeeps ein Stückchen weiter hinaus. Heute war er mit Diego dran die nähere Umgebung abzureiten und schweigend ritten sie langsam an den Zäunen entlang. Jeder hing seinen Gedanken nach und ließ dabei seine Augen immer über den Zaun gleiten. Plötzlich brach Diego das Schweigen und Rick zuckte kurz zusammen.
„Rick? Ich … hm...“ Diego seufzte innerlich auf und sah dann auf seinen Chef, der ihn kurz fragend ansah und sich dann scheinbar wieder auf den Zaun konzentrierte.
„Doreen war gestern ziemlich unglücklich über die Aussage von dir und Joan. Ich kenne euch nicht so lange und gut, wie ihr euch. Aber … du weißt das Doreen in dich...“
Rick stöhnte leise auf und zügelte sein Pferd. „Eigentlich geht es dich wirklich nichts an, Diego. Aber nein, bis gestern hatte ich absolut keine Ahnung, dass Doreen anscheinend etwas für mich empfindet. Gott, sind jetzt alle hier völlig wahnsinnig geworden? Was ist verdammt nochmal so urplötzlich daran wichtig, ob irgendwer irgendjemand ... was auch immer.“
Diego sah verlegen an Rick vorbei, bevor er leise seufzte. „Ich liebe meinen Job Rick. Und ich habe keinen Bock gefeuert zu werden, weil ich dir vielleicht in die Quere komme.“
Rick sah ihn plötzlich prüfend an. „Du magst sie ja? Meinen Segen hast du, Gott, ich will nichts von ihr. Weder von ihr noch von Tina...“ Er sah ihn scharf an. „...aber wage es nicht sie zu verarschen. Ich kenne Doreen, seit sie zehn war.“
Diego grinste erleichtert und sah Rick dann offen an. „Dann bin ich mehr als erleichtert. Ich mag sie wirklich gerne, ich habe nicht vor sie … zu verarschen. Und Tina...“ Er räusperte sich und sah dann wieder an Rick vorbei. „Wir alle wissen das sie verheiratet ist, aber wir alle wissen auch dass sie dich keine Sekunde aus den Augen lässt und dich ehm...“ Plötzlich wurde ihm bewusst was er da redete und brach verlegen ab.
„Ja?“ Rick warf ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu, während er seinem Pferd das Kommando zum Weiterlaufen gab.
„Naja, keiner traut sich etwas zu sagen, aber jeder denkt sich seinen Teil. Ehm … alle denken ihr beide habt etwas miteinander, obwohl sie verheiratet ist, weil sie dich nicht aus den Augen lässt und immer an dir dranhängt, egal wo du bist.“
Rick stoppte sein Pferd erneut und sah Diego kurz fassungslos an, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte und sein Gesicht ausdruckslos wurde.
„Zum Teufel … ich kenne ihren Mann und sie seit ein paar Jahren. Ich würde niemals mit einer verheirateten Frau … Gott.“ Kopfschüttelnd strich er sich durch die Haare und sah aus den Augenwinkeln, wie Diego ihn ansah.
„Naja, du hast einen gewissen Ruf und ich … ich wollte dir nicht zu nahetreten, es nur mal angesprochen haben. Vor allem nachdem gestern fast die Fetzen in der Küche flogen. Jeder weiß davon mittlerweile. Su hat nur ausgesprochen was hier jeder denkt.“
„Mein Gott, seid ihr alle durchgedreht, seit O'Brien hier aufgetaucht ist? Himmelherrgott nochmal.“ Rick presste die Lippen zusammen und ein Muskel zuckte unkontrolliert an seiner Wange. Man sah ihm an das er sich kaum noch unter Kontrolle hatte und fuchsteufelswild war.
Selbst hier hatte er also keine Ruhe vor seiner Vergangenheit und vor dem Ruf, den er und Ryan hatten. Wie hatte er nur glauben können, das Alaska weit genug weg sei und er hier Ruhe finden würde. Seit Jahren bemühte er sich nun ausschließlich um das Projekt, versuchte seinen Ruf als sprichwörtlicher Weiberheld und Playboy loszuwerden. Doch immer und immer wieder wurde er daran erinnert. Und Ryan machte es ihm auch nicht gerade leichter, dadurch das er öfters seinen Namen benutzte. Rick gab seinem Pferd die Zügel frei und ritt wütend weiter. Verdammte scheiße...
Schweigend ritt er ein gutes Stück den Zaun entlang als plötzlich sein Handy schellte. Stirnrunzelnd zog er es aus der Tasche und sah kurz auf die Nachricht, die er bekommen hatte.
Absender: Dad
Lisa's Maschine landet um zwölf Uhr Ortszeit in Anchorage, mit Wartezeit und Weiterflug sollte sie gegen fünfzehn Uhr in Fairbanks sein. Liebe Grüße Dad
Stirnrunzelnd sah er auf die Uhr und ließ sein Pferd etwas schneller laufen. Kurz warf er einen Blick auf Diego der ihn verwirrt ansah.
„Wir müssen uns etwas beeilen, ich muss nachher nach Fairbanks jemanden abholen.“
„Klar, ich kann auch alleine weiter, wenn du jetzt lieber zurückwillst?“
„Nein...“ Prüfend sah Rick kurz in den Himmel. „Wir haben die Regel nicht umsonst aufgestellt das niemals jemand allein unterwegs ist, wenn er sich weiter als eine Stunde Fußmarsch vom Haus entfernt. Wir müssen unsere Runde halt nur etwas schneller erledigen.“
„Klar.“ Diego schnalzte mit der Zunge und sein Pferd fiel in einen etwas schnelleren Trab.
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Lisa sah müde aus dem Fenster und auf die Stadt Anchorage, die noch ein Stückchen entfernt unter einer dünnen Wolkendecke lag. Gerade war die Durchsage gekommen, dass es nicht mehr lange dauern würde und sie bald mit dem Landeanflug beginnen würden und dass man sich bitte anschnallen sollte. Von Anchorage aus würde sie weiterfliegen nach Fairbanks und dort würde sie abgeholt werden. Sie hoffte nur, dass Louis wirklich recht behielt und Anderson keine Ahnung hatte, wer sie war. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Gedankenverloren strich sie über die Kette, die sie immer noch trug und die sie nicht ablegen konnte. Sie spürte wieder, wie ihre Augen anfingen zu brennen und presste die Lippen zusammen, bis es wehtat. Sie wollte jetzt nicht weinen, hatte sie in den letzten Stunden mehr als genug.
Bryan's Blick vorgestern Abend, so unglaublich entsetzt, wie er kurz blass geworden war, bevor er sich wieder unter Kontrolle gehabt hatte. Und das alles nur als sie ihn gefragt hatte, was er denken würde, wenn sie schwanger wäre, obwohl sie die Pille nahm. Sie hatte schon seit einigen Tagen den Verdacht gehabt, dass etwas nicht mit ihr stimmte und als Nik einen Test gemacht hatte, hatte sich ihr Verdacht bestätigt. Sie war schwanger, Nik war kein Gynäkologe, doch nach einer kurzen Untersuchung hatte er getippt das sie ungefähr im dritten Monat sein müsste. Doch das kurze antasten bei Bryan, was er denken würde, hatte ihr jegliche Illusion geraubt das er sich vielleicht freuen würde. Nein, da war absolut keine Freude in seinem Blick gewesen … nur absolutes, geschocktes Entsetzen.
Ein dreiviertel Jahr nach dem süßen und romantischen Heiratsantrag von Bryan im Central Park war sie schwanger. Bryan, Gott sie war gerade mal seit zwölf Stunden von ihm getrennt und drehte fast durch, wie sollte sie ein ganzes restliches Leben ohne ihn aushalten. Ohne es zu merken, rannten ihr die Tränen über ihr Gesicht. Aber sie könnte niemals … um Himmelswillen, allein der Gedanke in die Richtung brach ihr fast das Herz. Nein Sie könnte niemals, … selbst, wenn sie noch Zeit gehabt hätte, um eine Wahl zu treffen. Was Bryan wohl denken würde, wenn er nach Hause kam und sie weg war? Sie hatte nicht einmal Skuya mitgenommen. Erneut rannten ihr Tränen übers Gesicht und leise schluchzte sie auf. Sie war im dritten Monat schwanger und hatte die Liebe ihres Lebens verlassen, weil er kein Kind wollte und obendrein ihr kleines geliebtes Hündchen, das sie von ihm bekommen hatte.
Ein verdammt hoher Preis für ein Baby, das von beiden nicht geplant war. Langsam wischte sie sich über das Gesicht und spielte an dem Ring herum, den sie trug. Eigentlich stand ihr weder der Ring noch die Kette zu, nicht, nachdem was sie nun getan hatte. Sie war gegangen ohne ein Wort, still und leise. Hatte ihm nur einen Brief hingelegt das sie schwanger war und Zeit brauchte. Zeit zum Nachdenken, weil er kein Baby wollte. Sie hatte nicht einmal einen Koffer gepackt, weil sie ihre Sachen hier nicht gebrauchen konnte. Sie hatte sich einen kleinen Koffer und eine Ersatzgarderobe gekauft, das musste reichen. Selbst ihr Handy hatte sie nicht mitgenommen, um nicht in einem verzweifeltem Moment Bryan anzurufen. Ein einziges Wort von ihm und sie würde sofort wieder zurückfliegen.
Lisa spürte, wie der Druck auf den Ohren zunahm und der Flieger tiefer ging. Langsam schloss sie die Augen und atmete tief durch. Vor ihrem inneren Auge sah sie Bryan lachend auf dem Bett liegen, wie er sie verführerisch anblitzte und grinsend eine Hand nach ihr ausstreckte, um sie neben sich zu ziehen. Ihr letzter gemeinsamer Abend, ihre letzte gemeinsame Nacht, bevor sie ihn verlassen hatte … zärtlich berührte sie das kleine Tattoo auf der Innenseite ihres Handgelenkes, das Jorey ihr damals gemacht hatte, als sie aus New York zurückgekommen waren. Ein kleiner weißer Wolfskopf mit einer winzigen indianischen Schrift drumherum … Istahota micante niye kici un. Trotz ihrer Tränen musste sie lächeln als sie sich Bryans Gesichtsausdruck erinnerte, als er dieses Tattoo gesehen hatte. Er hatte auf das Tattoo gesehen, dann in ihre Augen und sein Blick war so voller Liebe, Stolz und fassungslosem Staunen gewesen, dass ihr damals Tränen in die Augen getreten waren.
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Rick stand an der Wand gelehnt, gegenüber der Anzeigetafel und trank einen Kaffee. Nachdenklich sah er sich die Leute, an, die um ihn herum huschten. In knapp einer halben Stunde sollte der Flieger dieser Lisa landen, sofern er keine Verspätung hatte. Gereizt rieb er sich über die Schläfe und nippte erneut an seinem Kaffee. Die letzten beiden Tage hatten ihn wieder absolut unter Stress gesetzt, ihn ausgelaugt und gefühlt wieder um Jahre zurückgeworfen. Er hatte sich nicht umsonst von allem und jedem zurückgezogen. Doch immer und immer wieder holte ihn die Vergangenheit ein oder wurde ihm etwas präsentiert, dass ihn an früher denken ließ, ihn wieder aufwühlte und seine Ruhe und seine Entscheidungen über Bord warf.
Erst rief sein Vater an, dass er einer schwangeren Unterschlupf geben sollte, damit sie zur Ruhe kam und nachdenken konnte, dann sagte Diego ihm, das sein Ruf selbst hier bekannt war, obendrein lud Tina Ryan hierher ein und als wäre das alles nicht schon genug für seine Nerven, wurde ihm noch eine Blondine vor die Nase gesetzt, die absolut keine Erfahrung mit Männern hatte, ihn bis aufs Blut reizte, seine Selbstkontrolle fast zum Einstürzen brachte und die ihm absolut den Atem nahm. „Scheiße...“
Er hätte niemals gedacht das er sich noch einmal verlieben würde, nicht nach dem Desaster mit Linda. Ohne es zu wollen wanderten seine Gedanken zu dem Abend zurück, zu dem Sommer vor fünf Jahren, der alles änderte in seinem Leben. Spöttisch verzog er seinen Mund. Bis dahin hatte er das Leben genauso wie Ryan genossen, sie hatten ihren Spaß, reichlich Vermögen angehäuft durch Spekulationen, eine kleine Firma gegründet und jede Frau erobert, die ihren Weg kreuzte. Ob allein oder zu zweit oder einen richtig geilen Abend zu dritt oder viert. Sie hatten nichts ausgelassen.
Bis er Linda begegnet war. Sie war niedlich, unschuldig und er fand sie bezaubernd. Das erste Mal in seinem Leben dachte er an mehr als nur an Sex. Er wollte nicht sofort mit ihr ins Bett, wollte sie kennenlernen, wollte mehr … und sie schien ihn auch zu mögen. Also hatte er sich Zeit gelassen … gedacht, dass er alle Zeit der Welt hätte. Wochenlang hatte er sich beherrscht, war mit ihr ausgegangen, war ihr nie zu nahegetreten. Hatte es nie weiter gehen lassen als ein bisschen Kuscheln auf der Couch … er wollte es diesmal richtig machen, sich prüfen, ob es mehr war, wollte das sie sich sicher war.
Verächtlich verzog er den Mund, als die Gedanken wieder auf ihn einstürmten, ihn erneut in den Magen boxten und ihm den Boden unter den Füßen wegzogen.
Bis er an einem Abend zu ihr wollte, er hatte sich für diesen Abend etwas Besonderes ausgedacht. Essen gehen, ins Kino und dann wollte er es diesmal nicht beenden, sondern weiter gehen lassen. Er mochte sie, mochte sie wirklich. Nicht das er sagen würde es wäre liebe, aber verdammt … er hatte sie wirklich gerne. Und gerade als er vor ihrem Haus stand, die Treppen hochwollte, sah er sie … in Ryan's Armen, wie sie vor der Türe standen, gerade von drinnen kamen. Sah, wie Ryan sie küsste, Linda lachend die Arme um ihn legte und sich an ihn schmiegte. Wie sie seinen Bruder mit seinem, Rick’s, Namen ansprach. Und er sah, wie Ryan grinste, dieses Grinsen was er immer im Gesicht hatte, wenn er mit einer Frau geschlafen hatte. Sah das zarte Leuchten in Linda's Gesicht, bis sie plötzlich den Kopf drehte und ihn ansah. Fassungslos hatte sie von einem zu anderen gesehen und während er blass unten an der Treppe gestanden hatte, hatte Ryan nur gegrinst und sich aus ihren Armen befreit. Sie angelacht und gemeint das er nicht Rick, sondern Ryan sei und sie mit dem falschen Bruder im Bett gewesen wäre. Dann war er die Treppen hinuntergekommen, hatte ihm auf die Schulter geklopft und gemeint das Rick sich wieder einkriegen sollte, Linda wäre eh nicht die Richtige gewesen.
Rick strich sich über die Augen und sah kurz zu der Anzeigetafel. Noch zehn Minuten bis zur Landung. Er wollte die Gedanken abstreifen, sie loswerden, nicht mehr daran denken, es einfach vergessen wie alles andere in all den Jahren.
Während Ryan verschwand, sah Linda ihn an und kam die Treppen herunter, wollte ihn in den Arm nehmen. Sagte ihm weinend, dass sie nicht wusste, dass er einen Zwillingsbruder habe. Natürlich nicht, dabei hatte er es mehr als einmal erwähnt das er ein Zwilling war.
Rick schnaubte verächtlich. Vielleicht hatte Ryan ihm damals wirklich einen Gefallen getan, eine Frau, die sie nicht auseinanderhielt, konnte nicht die Richtige sein. Doch es hatte sich damals alles andere als gut angefühlt und dafür hasste er Ryan. Vor allem, wenn er daran dachte, dass Ryan immer und immer wieder seinen Namen benutzt hatte und es auch immer noch tat, wenn er nicht da war. Rick ballte die Hände zu Fäusten, ja … mittlerweile hasste er seinen Bruder, wollte ihn nicht mehr in seiner Nähe haben. Und jetzt stand er hier und wartete auf eine schwangere Frau, um ihr Unterschlupf zu bieten, das war einfach nur lächerlich oder ein Wink des Schicksals … Rick runzelte die Stirn, … war da nicht mal was mit einer Schwangeren gewesen? Kopfschüttelnd versuchte er sich zu erinnern, doch das war schon so verdammt lange her. In all den Jahren waren so viel Frauen bei ihm aufgetaucht oder hatten sich gemeldet oder wollten etwas von ihm und immer war der Ursprung sein Bruder gewesen. Irgendwann schaltete er einfach nur noch ab, wenn etwas kam, wo er genau wusste, das war Ryan. Und doch … während er noch grübelte, sprang die Anzeigetafel um und eine blecherne Stimme verkündete, dass die Maschine aus Anchorage gelandet sei und an welchem Gate die Ankömmlinge erwartet wurden.
Dieses ganze Theater damals hatte ihn alles überdenken lassen, er hatte sein Leben von Grund auf geändert. Sich größtenteils sogar von Frauen ferngehalten. Natürlich hatte er sich hin und wieder mit einer getroffen und auch einige Affären gehabt in den letzten Jahren, doch niemals wieder so wie früher. Und niemals hatte er zugelassen, dass in irgendeiner Form Gefühle ins Spiel kamen. Und doch hatte es ihn nun eiskalt erwischt.
Fassungslos runzelte er die Stirn als ihm klar wurde, warum sie ihn so reizen konnte. Denn normalerweise reagierte er nicht auf Spott und schon gar nicht auf so schnippische Sprüche. Er amüsierte sich darüber und dann ignorierte er es. Aber O'Brien, Su ... Gott, er hatte sich wirklich Hals über Kopf in sie verliebt. In dieses spöttische, bissige, süße California Biest, mit dieser sexy, rauchigen Stimme die ihn schwach machte. Sonne und Honig, allein der Gedanke an sie, brachte sein Blut zum Kochen und er wollte sie besitzen … scheiße verdammte … Diese sprichwörtliche Liebe auf den ersten Blick, etwas woran er noch nie geglaubt hatte. Zum Teufel, das war unmöglich. Und doch war es da, es fühlte sich so ganz anders an als damals bei Linda, stärker, wilder und irgendwie unmöglich zu ignorieren. Su hatte ihn mit ihren bernsteinfarbenen Raubkatzenaugen angesehen und er hatte das Spiel von vorneherein verloren.
...das ändert aber nichts daran, dass sie dich nicht ausstehen kann, hm?...