Minutenlang stand er nur da und sah den beiden zu, die unterschiedlichsten Gefühle tobten in ihm und wütend glitzerten seine Augen auf. Endlich befreite er sich aus der Starre und ging weiter auf die beiden zu. Endlich war er nahe genug und hörte, wie Su weinte. Himmel, was hatte sein Bruder ihr angetan.
„Ryan!“ Wütend peitschte seine Stimme zwischen sie und abrupt fuhren die beiden auseinander. „Du verdammter...“
„Es ist nicht so, wie du denkst.“ Ryan unterbrach ihn und ließ Su langsam los, tief grub er seine Hände in die Taschen seiner Lederjacke, während er einen Schritt zurücktrat und seinen Bruder nervös ansah.
„Rick?!“ Su sah nervös zwischen Rick und seinem Bruder hin und her. Gott es gab absolut keinen Unterschied und doch kribbelte ihre Haut um einiges mehr, wenn sie Rick ansah. Aber wieso war er so wütend auf seinen Bruder?
„Was denke ich denn?“ Rick sah Ryan an und sah dann zu Su, die ihn nervös ansah und scheinbar nicht sicher war, wie sie reagieren sollte. Langsam ging er die zwei, drei Schritte zu ihr und blieb vor ihr stehen, während er seinen Bruder weiter ansah.
Su sah von einem zum anderen und auf die geplatzten Augenbrauen und Lippen, beide bewegten sich zudem etwas vorsichtiger, als sie es von Rick kannte. Langsam dämmerte ihr, dass die beiden sich wohl nicht sehr nahestanden und das für Zwillinge. Nachdenklich sah sie von einem zum anderen.
„Wisst ihr was? Ihr seid beide sowas von, … mir fällt gerade kein passendes Wort ein, aber ihr seid mehr als bescheuert. Verdammt. Es geht mich ja eigentlich nix an, aber ihr beide … wisst ihr eigentlich, wie gut ihr es habt?“ Su merkte, wie ihr wieder die Tränen über das Gesicht flossen. Wieder sah sie von einem zum anderen, während ihre Lippen bebten.
„Meine Schwester und ich haben unsere Eltern verloren als wir fünf und acht waren. Als ich knapp zwanzig war, hab ich meine Schwester auch verloren. Ich habe niemand mehr. Und ihr beide? Ihr seid verdammte Zwillinge, ihr habt euch, ihr habt euren Vater und schlagt euch die Köpfe ein. Ihr seid verdammte, bescheuerte, egoistische, scheiß Idioten.“
Wütend schob sie Rick beiseite, der sie mehr als verdutzt ansah und stürmte dann davon. Pie sah von einem zum anderen und beeilte sich dann ihr schnell hinterherzulaufen, während die beiden Brüder erst ihr und dann sich mehr als betreten ansahen.
Rick sah ihr immer noch hinterher als Ryan plötzlich erst leise und dann lauter anfing zu lachen. „Davon ab, dass sie recht hat und wir uns was schämen sollten als Geschwister, ist dein Gesicht einfach zu köstlich Bruderherz.“
„Was soll das heißen?“ Rick knurrte seinen Bruder an und zwang sich den Blick von Su abzuwenden, die immer noch Richtung Häuser stürmte.
„Du bist verliebt Bruderherz. Du fährst voll auf die Kleine ab. Mir ist sie etwas zu wild, ich mag mehr die sanften Frauen, aber deinen Geschmack scheint sie ja absolut zu treffen. Was also wirst du machen, Bruderherz? Willst du sie dir schnappen?“ Ryan grinste und Rick merkte, wie es wieder in ihm anfing zu brodeln, doch dann grinste er nur und sah Ryan an.
„Ich werde sie heiraten.“ Zufrieden grinsend sah er wie sein Bruder ihn entgeistert und fassungslos ansah.
„Du willst was?“
Rick zuckte die Schultern und sah kurz in die Richtung, in die Su gerannt war, bevor er seinen Bruder wieder ansah. „Ich werde sie heiraten. Ich muss sie nur noch davon überzeugen, dass ich absolut perfekt zu ihr passe.“
„Du hast 'nen Knall Rick.“
„So wie du? Zumindest werde ich es mir nicht antun und sie zwanzig Jahre von weitem ansehen und nichts unternehmen.“ Langsam zog er die Kette aus der Tasche, hielt sie aber noch in seiner Hand verborgen.
„Was? Wieso zwanzig Jahre von weitem ansehen?“ Stirnrunzelnd sah Ryan auf Rick und hob fragend eine Augenbraue.
„Du und Doreen. Du bist seit Ewigkeiten in sie verliebt, hm? Aber du machst absolut nichts.“ Langsam öffnete er die Hand und ließ die Kette mit dem Einhorn an seinen Fingern baumeln. Ryan warf nur einen kurzen Blick darauf, bevor er kurz blass wurde und dann gleichgültig mit den Schultern zuckte.
„Ich habe keine Ahnung was du meinst. Ich bin nicht in sie, … verliebt … wie du es nennst.“
„Verdammt hör auf Ryan. Sie hat mir vorhin alles erzählt. Seit fast zwanzig Jahren, schickst du Karten, Blumen, Geschenke. Jeden Geburtstag, Valentinstag, Weihnachten, andauernd. Früher, als wir alle noch zu Hause waren, hast du sie ihr direkt auf die Fensterbank gelegt, danach hast du sie geschickt. Und sie dachte all die verdammten Jahre, dass ich das war, weil sie meint, mich einmal in ihrem verfluchten Garten gesehen zu haben. Aber das warst du, verdammt nochmal, nicht ich.“
Ryan zuckte mit den Schultern und drehte sich um, gleichgültig sah er über den See und vergrub seine Hände noch tiefer in den Taschen.
„Ich mag ihr vielleicht hin und wieder etwas geschenkt haben, aber lieben tut sie dich Rick, nicht mich.“
„Verdammt, du spinnst. Sie liebt nicht mich, sie hat sich in den Verliebt, der ihr die Sachen geschenkt hatte und da ich immer mit ihr unterwegs war und du dich...“ Er brach ab und sah seinen Bruder fassungslos an „...deshalb bist du nie mit uns zusammen unterwegs gewesen damals. Du dachtest, dass sie sich in mich verliebt hatte und oder ich mich in sie, ja? … Gott Ryan. Sie ist für mich genau das, was Dad wollte … eine kleine Schwester. Sie war noch nie mehr und wird niemals mehr werden.“
„Das ändert nichts an ihren Gefühlen Rick.“
Rick trat neben ihn und hielt ihm die Kette erneut hin. „Doch das ändert alles Brüderchen. Entweder nimmst du die Kette und klärst das mit Doreen und sagst ihr die Wahrheit … oder ich werde das tun.“
Ryan drehte den Kopf und sah seinen Bruder an, der ihn unnachgiebig ansah und die Kette hochhielt, sodass sich das Licht der untergehenden Sonne auf der Brust des kleinen Einhorns spiegelte und es aufblitzen ließ.
„Wenn du nicht endlich dazu stehst, dass du sie liebst, … wie soll sie dich dann … lieben? Klär das, … solange du hier bist, sonst werde ich das tun Ryan.“
Ryan fluchte leise und griff nach der Kette, fest ballte er seine Hand zur Faust, bevor er sie mitsamt dem Einhorn in die Tasche steckte.
„Du bist ein Arsch Bruderherz.“
„Ja, das sagte man mir öfters nach.“ Rick verzog spöttisch die Lippen und sah auf den See hinaus, während er, wie sein Bruder, die Hände tief in den Taschen seiner Lederjacke vergrub und beide ihren Gedanken nachhingen.
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Su stürmte Richtung der Häuser und versuchte mit allen ihren Gefühlen, die gleichzeitig auf sie einstürmten klarzukommen. Rick und Ryan, Zwillinge. Himmel, sie hatte Rick glauben wollen, wirklich glauben wollen, doch irgendwo in irgendeiner der hintersten Ecken ihres Kopfes war doch immer noch die kleine Stimme gewesen, die ihr erzählt hatte, dass er lügen würde. Sie hatte sie nicht vertreiben können, vielleicht kurz zum Schweigen bringen, aber nicht vertreiben. Und dann stand plötzlich wirklich sein Zwillingsbruder vor ihr und dachte einen Moment, sie sei Biene.
...Scheiße … Gottseidank, Rick hatte die Wahrheit gesagt...
Und als Rick dazugekommen war, ... sie hatte seine aufgeplatzte Augenbraue gesehen und die leicht geschwollene Unterlippe und die Abschürfungen auf seinem Wangenknochen und ihr Herz hatte sich krampfhaft zusammengezogen. Ryan hatte das auch, doch bei ihm … nicht, dass es ihr egal gewesen war, … hatte sie es aber nicht so getroffen wie bei Rick. Sie hätte ihn am liebsten in den Arm genommen und geküsst und die Verletzungen weggezaubert.
Warum mussten sich Brüder streiten, wenn sie sich doch so ähnlich waren? Sollten sie nicht eigentlich zusammenhalten? Sie müssten sich doch eigentlich noch enger stehen als normale Geschwister, oder? Su seufzte, sie hätte gerne noch ihre Schwester und die beiden hatten sich und prügelten sich, … das Leben war einfach ungerecht.
Sie wollte gerade an den kleinen Häusern vorbei und zum Platz vor dem Haupthaus laufen, als sie zufällig Lisa sah, die hinter dem Häuschen auf der Bank saß und scheinbar weinte. Abrupt blieb sie stehen und sah Lisa nachdenklich an, bevor sie vorsichtig näher ging.
„Lisa? … Ehm, geht es dir nicht gut?“ Su trat vorsichtig näher und sah, wie Lisa sich schnell über die Augen wischte und ihr Handy einsteckte.
„Nein, alles gut. Danke Su.“ Lisa sah nur kurz in ihre Richtung und dann wieder auf ihre Hände, die sie im Schoß liegen hatte.
„Du hast geweint...“ Su blieb vor der Bank stehen und Pie nutze die Ruhe, um sich zufrieden brummend hinzulegen und zu dösen.
„Ach das … das ist nichts. Es ist alles in Ordnung.“ Sie sah zu Su und erneut rannten ihr Tränen übers Gesicht. „Ach Scheiße verdammte … ich vermisse einfach meinen Mann. Ich kann nicht schlafen und … ach vergiss es, wahrscheinlich nur die Scheiß Schwangerschaftshormone.“
Su setzte sich neben sie und seufzte leise. „Wenn du ihn so vermisst, warum rufst du ihn nicht an und fliegst zurück nach Hause?“
„Ich habe tausendmal am Tag das scheiß Handy in der Hand, es ist nicht einmal mein richtiges, nur so ein scheiß Ersatzhandy, ich habe meines zu Hause gelassen, damit ich nicht in Versuchung komme, … aber seine Nummer hab ich nicht aus dem Kopf löschen können und jetzt Sitz ich jeden Tag herum und bin kurz davor ihn anzurufen...“
Su sah sie verwirrt an „Dann mach es doch einfach verdammt, … wenn du so leidest, glaubst du nicht, dass er vielleicht genauso leidet?“
Lisa wurde leichenblass und erneut liefen ihr Tränen über die Wange „...ich kann nicht Su.“
„Warum nicht verdammt nochmal … Himmelherrgott … weißt du das ich gerade erfahren habe, dass meine Schwester mich belogen hat? All die Jahre dachte ich, das ihr Freund sie verlassen hat, als sie schwanger war und er das erfahren hat. Doch heute habe ich erfahren, dass es genau umgekehrt war. Sie hat ihn verlassen, ihm nicht einmal gesagt, dass sie schwanger war … und weißt du, was das schlimmste daran ist Lisa? Nicht das sie mich angelogen hat, das ist mehr als hart, aber nein … Sie hat dem Vater des Babys nichts erzählt und ihm nicht gestattet Vater zu sein. Und ich habe heute erfahren, dass er das Kind hätte haben wollen. Meine Schwester ist tot und das Baby ebenfalls. Sie hat ihm das Baby weggenommen, ohne Chance etwas zu sagen und mir hat sie … egal. Weißt du, was mich ankotzt Lisa? Du hast einen Mann der dich, scheinbar wahnsinnig liebt, so wie ich das verstanden habe, den du ebenfalls wahnsinnig liebst und du machst dir alles kaputt. Warum zum Teufel?“
Lisa war von Satz zu Satz blasser geworden und schniefte leise. „Ich kann nicht.“
„WARUM ZUM TEUFEL?“
„Schrei mich bitte nicht an Su.“ Sie schloss kurz die Augen, bevor sie blind in die ferne sah. „Versprich mir, dass du es niemanden sagst Su. Niemals niemanden, ok?“ Lisa wartete, bis Su widerstrebend nickte und seufzte dann leise, bevor sie ihren Blick wieder ins Nirgendwo wandern ließ.
„Als ich schwanger geworden bin, hab ich mich zuerst gefreut, dann war ich geschockt und wollte es Bryan sagen. Also fragte ich ihn, was er sagen würde, wenn ich schwanger wäre … er sah mich an, wurde leichenblass und sein Blick war so volles Entsetzen. Dann meinte er, … irgendwann wäre es schön, aber jetzt nicht...“ Lisa brach ab und sah einfach nur blind in die Ferne. „...du musst wissen, Bryan's Job ist mehr als gefährlich und seine Familie will, dass er seit Ewigkeiten das Familienunternehmen übernimmt und seinen Job aufgibt. Er hat zwar die Firma mittlerweile übernommen, aber nur unter der Voraussetzung, dass er sich darum nicht kümmern muss und er seinen Job weiter machen kann. Er liebt seinen Job und ich liebe ihn dafür ... Doch sein Job … ist nicht ganz einfach. Ich bin vierzig Su, wer weiß, ob ich nochmal schwanger werden würde. Und irgendwie hab' ich mir ein Baby von ihm gewünscht, nur dachte ich, … egal … er will jetzt kein Baby und ich werde ihn nicht zwingen Vater zu sein. Verstehst du nun, warum ich ihn nicht anrufen kann und gegangen bin?“
Su seufzte leise „Ich kann es nachvollziehen, doch es ist und bleibt das gleiche wie bei meiner Schwester. Du gibst ihm keine Chance Lisa. Keine Chance seine Meinung zu ändern. Keine Chance das Baby zu wollen und keine Chance Vater zu sein, … weil du das entschieden hast.“
...zumindest bringst du dich nicht um und lügst deine einzige Schwester an...
Su setzte sich neben Lisa und sah sie schweigend an. Sie kam sich gerade älter vor als die Frau neben sich und irgendwie, sie wusste selbst nicht warum, legte sie den Arm um die Schulter von Lisa.
„Wie heißt der Papa? Und weißt du, was es wird?“
„Bryan Harper, aber sein Geburtsname ist Thomas Bryan Darsteen-Harper.“ Lisa antwortete automatisch und wurde dann blass. Erschrocken sah sie Su an. „Um Himmelswillen … bitte behalte das für dich, ok?“
„Warum? Ist der Name etwas Besonderes?“ Stirnrunzelnd sah Su Lisa an und dachte angestrengt nach, ob sie den Namen kannte.
„Nein.“ Lisa lächelte leicht „vergiss ihn einfach und sag ihn niemand. Bryan benutzt ihn auch niemals. Er ist einfach nur Bryan Harper.“
„Hmm … und das Baby?“
„Mein Arzt konnte noch nicht feststellen, was es wird. Aber ich weiß es. Es wird ein Junge, ein kleiner Thomas Bryan Junior.“
„Weil du es willst, oder weil du es weißt?“
Lisa lächelte das erste Mal, seit Su hier saß „...wahrscheinlich ein bisschen von beidem.“
„Und wann soll es so weit sein? Man sieht ja noch nicht so viel.“
„Im November, er wird ein kleiner Skorpion wie sein Daddy. Deshalb bekommt er auch seinen Namen.“ Lisa strich sich sanft über den Bauch und lächelte leicht.