Langsam stieß er sich von der Türe ab und zog den Reißverschluss der Lederjacke hoch, tief vergrub er die Hände in den Taschen der Jacke und machte sich auf den Weg zum Haupthaus. Bitter verzog er den Mund, einige Stunden laufen sollten genug Zeit sein, um den Kopf klar zu bekommen und alles verarbeitet zu haben, was er gerade gehört hatte.
Grübelnd schlug er den Kragen hoch und fiel in einen leichten schnellen Lauf. Vor etwas über fünf Jahren … fünf Jahre … da war das damals mit Linda gewesen. Die Frau, die er einmal nicht direkt flachgelegt hatte, die er gemocht hatte, die Ryan ihm mehr oder weniger weggenommen hatte, dadurch das er mit ihr ins Bett war und sich obendrein als Rick ausgegeben hatte.
...und doch hat sie dich nicht so fasziniert, so berührt wie Su...
Linda hatte nicht einmal den Unterschied zwischen ihm und Ryan bemerkt, wochenlang war er mit ihr ausgegangen und an einem Abend ging sie mit Ryan ins Bett und merkte nicht einmal das es nicht der Mann war, mit dem sie die ganzen letzten Tage verbracht hatte. Und gleichzeitig sollte Ryan eine Affäre mit Su's Schwester gehabt haben? Zuzutrauen würde er es ihm. Aber sie schwängern? … Scheiße.
Rick's Atem stockte kurz, … das würde heißen, Ryan hatte sich öfters mit einer Frau getroffen, sie war schwanger geworden und dann hatte er Schluss gemacht und die Frau hatte das nicht verkraftet? Und zeitgleich war er mit Linda ins Bett gegangen? Egal was für ein Arsch sein Bruder war, ... würde er so etwas tun?
...mach dir keine falschen Illusionen, ja würde er...
Rick bog nach links ab und lief den schmalen kaum sichtbaren Weg entlang, der mehr einem platt getretenen Pfad ähnelte. Nach ungefähr fünf bis sechs Kilometer müsste er dann auf den Weg treffen, der in einem gewundenen Bogen zum Haus lief. Kurz zog er sein Handy aus der Tasche und überprüfte seine Position, bevor er es wieder einsteckte und weiterlief. Wenn man normal lief, dauerte es ungefähr vier bis fünf Stunden, die Strecke zu gehen, wenn er lief, sollte er die Zeit etwas abkürzen können. Kurz runzelte er die Stirn. Trotzdem war das mehr als genügend Zeit zum Grübeln und Nachdenken und immer wieder kehrten seine Gedanken zu dem zurück was Su ihm an den Kopf geworfen hatte.
...“Du Dreckskerl hast mit meiner Schwester geschlafen … ohne verdammten Schutz … und als sie schwanger war, hast du sie sitzen lassen, aber ich bin dir nicht gut genug?“
„Ich habe das Bild von Euch beide gesehen, dass sie in der Hand hielt, als ich sie fand. Du und sie … Arm in Arm und in die Kamera schauend. Und ihre Verabschiedung, dass sie ohne dich nicht mehr leben will, dass sie schwanger ist und du sie verlassen hast … SIE IST TOT UND DU BIST SCHULD!“...
Wütend blieb er stehen und stützte die Hände gegen einen Baum und ließ den Kopf locker fallen. Versuchte die Gedanken loszuwerden, nicht daran zu denken. Doch wie tausend kleine Nadeln bohrten sie sich in ihn hinein, fraßen sich fest und mit einem heiseren Aufschrei holte Rick aus und schlug volle Wucht gegen den Baumstamm, augenblicklich schoss ein scharfer Schmerz durch seine Hand und seinen Arm hinauf und zischend holte er Luft. Doch der rasende Schmerz in seiner Hand war nur halb so schmerzhaft wie das, was in seinem Inneren tobte, der Schmerz, den sie mit ihren Worten bei ihm angerichtet hatte, was sein Bruder ihm angetan hatte … wieder einmal. Ob unbewusst oder bewusst, wie immer durfte er das ausbaden was sein Bruder Gedanken- und Rücksichtslos anrichtete.
Langsam drehte er sich mit dem Rücken zum Baum und rutschte langsam an dem Baumstamm hinunter, bis er auf dem Boden saß, den Kopf an den Stamm legend, zog er seine Knie an und legte seine Arme darauf, während er gleichzeitig die Augen schloss. „Scheiße verdammte...“
Lange blieb er sitzen und rührte sich nicht, bevor er dann endlich wieder aufstand und sich auf den Weg zum Haupthaus machte. Es gab doch nichts Tolleres als nachts stundenlang durch einen Wald zu joggen. Spöttisch verzog er den Mund und fiel in einen leichten Trab.
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James sah Su kurz von der Seite an, während er den Wagen langsam Richtung Haupthaus fuhr. Langsam, weil Pie auf der Ladefläche lag und James nicht wollte das er durchgerüttelt wurde und obendrein nicht wusste, wie schnell er mit einem Tiger hinten drauf fahren konnte.
Stirnrunzelnd sah er die leicht blaue Wange und die Flecken am Hals. Also deshalb … nachdenklich fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare und packte dann das Lenkrad wieder fester. Alan war um vier in der früh ins Haus gestürmt, hatte seine Sachen gepackt und ihn dann geweckt, damit er ihn nach Fairbanks flog. James hatte ihn nur gähnend angesehen und gefragt, ob er nicht mehr ganz dicht sein. Doch Alan hatte gedrängt und gemeint das er sofort wegmüsse. Er wollte auch nicht reden und hatte nur gemurmelt das Rick stinksauer auf ihn sei und ihn rausgeschmissen habe wegen Su. Er hatte Alans Gesicht gesehen, die aufgeplatzte Augenbraue und Lippe und das blaue Auge. Stirnrunzelnd hatte er überlegt, dass er Rick jetzt, seit etwas über zwei Jahre kannte und in dieser Zeit hatte ihn niemals etwas aus der Ruhe gebracht oder ansatzweise wütend werden lassen. Dass er jetzt so total ausgerastet zu sein schien, musste einen verdammten Grund haben.
„War das Alan oder Rick?“ James warf ihr erneut einen kurzen Blick zu und sah, wie sie zusammenzuckte und dann den Kragen ihrer Lederjacke höherschlug. Er konnte sich nicht vorstellen, dass einer der beiden eine Frau schlagen würde, aber etwas musste passiert sein. Sonst hätte Rick Alan nicht verprügelt und Su sah im Moment auch nicht gerade gut aus.
„Alan...“ Su brach das kurz schweigen und drückte sich etwas tiefer in ihren Sitz. Sie wollte nicht mehr daran denken und auch nicht was danach geschehen war … das Rick sie abgewiesen hatte, dass sie sich ihm an den Hals geworfen hatte, wie eine billige Prostituierte und er sie nicht gewollt hatte. Su merkte, wie ihre Augen anfingen zu brennen. Nein, sie würde jetzt nicht weinen, nicht schon wieder und nicht wegen einem Kerl. Und ganz bestimmt nicht wegen Rick, dem Arsch.
Fassungslos sah James erneut kurz zu Su, er hatte, wie alle in der Nacht, die Nachricht von Alan bekommen, dass er Su gefunden habe und mit ihr in die Hütte wollte. Daraufhin sind alle zurück nach Hause nur Rick scheinbar nicht, er war wohl zur Hütte. „Was ist passiert? Alan sah beschissen aus, als er die Nacht zum Haus kam und du...“
Su rutschte unbehaglich hin und her, bevor sie James ansah. Der Mann könnte vom Alter her ihr Vater sein und seufzend sah sie kurz aus dem Fenster. „Alan hat mich gegen meinen Willen angefasst und … ich wollte das nicht, also hat er mich...“ Su fasste sich an die Wange und zuckte zusammen.
James wurde blass und warf ihr erneut einen schnellen Blick zu. Er wollte das Wort nicht denken, nicht aussprechen was ihm gerade in den Sinn kam. Gott, Alan hatte doch nicht...? Doch bevor er etwas sagen konnte sprach Su schon wie abwesend weiter.
„...er hat mich geschlagen und … dann kam Rick in die Hütte, er hat Alan verprügelt und rausgeworfen.“
„Warum ist er dann nicht bei dir geblieben? Ich hatte nur vorhin eine Nachricht von ihm auf dem Handy, das ich dich bitte abholen soll und ein Stück Fleisch für Pie mitnehmen. Und für dich halt einen Kaffee und ein Sandwich.“ Er warf ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zu und sah, wie sie erst rot und dann blass wurde.
Su sah aus dem Fenster und presste die Lippen zusammen und James fragte nicht weiter nach, sie sah gerade nicht so aus, als würde sie weiterreden wollen. Aber früher oder später würde er eh alles erfahren. Das was scheinbar in der Nacht passiert war, würde nicht lange verborgen bleiben oder versteckt werden könne. Alan war weg und Su sah furchtbar aus. Also würden sich alle Gedanken machen und irgendjemand würde herausfinden was passiert war und dann wussten es die anderen auch. Dafür war die Gruppe, die hier arbeitete, zu klein und zu übersichtlich...
...und untereinander teilweise zu quasselbedürftig...
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Wütend wischte Joan über die Anrichte. Seit Rick heute Morgen wortlos in die Küche gestürmt war und sich einen großen Sack zerstoßenes Eis geschnappt hatte, war sie am Putzen, wütend und zornig.
Rick war einfach an ihr vorbeigestürmt, ohne ein einziges Wort, er hatte furchtbar ausgesehen, übernächtigt, wütend, und fertig, richtig fertig. So hatte sie ihn noch nie erlebt, in den ganzen zwanzig Jahren nicht. Sie hatte ihn mehrmals angesprochen, was los sei, doch er hatte ihr nur einen kühlen Blick zugeworfen und sich das Eis geschnappt. Dann war er nach oben gestürmt. Gut eine Stunde später war er wieder heruntergekommen, geduscht und rasiert und Joan hatte die angeschwollene Hand gesehen, fassungslos hatte sie ihn gefragt, was denn passiert sei, doch er hatte nur schweigend einige Vorräte eingepackt und ihr dann nur gesagt, dass er die hinteren Zäune abreiten wolle und das Alan gefeuert sei. Dann war er einfach ohne ein weiteres Wort gegangen.
„Zum Teufel, die hinteren Zäune? Das wird normalerweise mit dem Jeep gemacht. Wie lange will er da unterwegs sein, verflucht...“
„Da ich keine Ahnung habe, wo oder was die hinteren Zäune sind, kann ich das leider nicht beantworten.“ Lisa war leise und unbemerkt in die Küche getreten und setzte sich Wasser für einen Tee auf. Seufzend zog sie den Duft des frischen gebrühten Kaffees in die Nase. Gott, was würde sie nicht für einen großen Becher Kaffee geben...
„Guten Morgen Lisa. Nein, ich habe nur Selbstgespräche geführt. Rick ist allein unterwegs zu den hinteren Zäunen, die sind mehr als einen halben Tagesritt von hier entfernt.“ Grummelnd wischte sie wieder über die Anrichte und seufzte dann, als sie Lisa's Blick sah. „Also einen Kaffee kannst du ruhig trinken, das schadet dem Baby nicht. Und es gilt eine Regel hier, nicht weiter als eine Stunde vom Haupthaus entfernen, wenn man allein unterwegs ist. Es ist hier zu wild, zu ursprünglich. Man kann sich leicht verirren.“
Lisa setzte sich an den Tisch und stützte ihren Kopf in die Hände. „Ja aber er gehört doch hierher, oder? Er wird sich kaum verlaufen. Ich denke, er weiß schon was er tut.“
Joan seufzte und schnappte sich einen Sack Kartoffeln, langsam stellte sie eine Schüssel auf den Boden und setzte sich zu Lisa, während sie gleichzeitig Kartoffeln schälte. „Nein, Rick kommt aus San Francisco. Er ist vor knapp drei Jahren hierhergezogen. Vor fünf ... oder etwas über fünf Jahren hat er mit dem Projekt angefangen und vor drei Jahren war das Haus hier fertig. Durch seine vielen Geschäfts.- und auch Privatbeziehungen, ging alles schneller über die Bühne, als normalerweise...“ Grinsend zwinkerte sie Lisa zu und seufzte dann wieder.
Lisa sah sie verständnislos an und Joan grinste nur. „Sein Vater war CEO in einer, sagen wir einmal gut betuchten und sehr einflussreichen Firma und er hat ein bisschen seine Muskeln spielen lassen. Rick weiß davon natürlich nichts, sonst wäre er verdammt sauer. Die Frau des Firmeninhabers hat ebenfalls einiges ins Rollen gebracht, als sie von dem Projekt hörte. Sie ist so eine Dame, die alles und jedem helfen will und alles unterstützt was nur irgendwie nach Natur oder Tierschutz klingt. Eine sehr, sehr nette ältere Dame.“
Lisa lächelte, die Schilderung erinnerte sie gerade irgendwie an Bella, aber das war natürlich unmöglich. So eine verdammte Menge an Zufällen, war absolut nicht normal und üblich.
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Vorsichtig stoppte James vor dem Haupthaus und augenblicklich sprang Pie von der Ladefläche, während Su die Beifahrertüre aufmachte. „Dankeschön James.“
James sah sie nur kurz an und brummte grinsend, bevor er langsam Richtung Garage fuhr, um den Wage auf seinen Platz zu stellen.
Langsam betrat Su die Veranda, sie wollte nicht hinein oder nach oben. Sie wollte Rick nicht sehen und daran erinnert werden das er sie abgewiesen hatte, nachdem sie sich ihm mehr oder weniger an den Hals geworfen hatte. Seufzend und sich auf die Lippen beißend öffnete sie die Türe und betrat das Haus.
Sie wollte direkt hoch in die Wohnung, doch Lisa und Joan sahen sie an, als sie die Türe gehört hatten und Joan winkte sie in die Küche rein. „Komm her Su, du armes Ding. Das muss ja schrecklich gewesen sein, sich zu verlaufen. Gottseidank hat dich...“
Sie brach erschrocken ab, als sie Su sah, die nun langsam in die Küche kam und sich seufzend auf einen Stuhl setzte, währen Pie sich im Flur einfach fallen ließ. Besser hier unten sitzen als oben Rick begegnen. Zumindest sah sie ihn gerade hier unten nicht. Lisa sah, wie sie den Blick umherwandern ließ und sah sie prüfend unter halb geschlossenen Augen an, währen Joan ihr einen Kaffee hinstellte.
„Himmel, was ist denn mit dir passiert?“ Joan sah sie erschrocken an und Lisa riss ebenfalls die Augen erschrocken auf.
Su seufzte und nahm die Kaffeetasse „Nix, alles gut.“
„Sicher. Verdammt, was ist hier los?“ Joan sah sie prüfend an und runzelte die Stirn „Alan ist gefeuert worden. Rick sah heute Morgen fix und fertig aus und von seiner Hand will ich erst gar nicht reden, so dick und geschwollen, wie sie war. Dazu hat er kein Wort geredet, sich nur einige Vorräte geschnappt und ist wieder weg. Zäune abreiten, wenn überhaupt kommt er erst morgen wieder … und du … Himmelherrgott du siehst aus, als hätte dich jemand geschlagen.“
Joan ließ sie nicht aus den Augen und Lisa sah sie unter ihren langen Wimpern verdeckt an. Sie sah wie Su zusammenzuckte als Joan Alan und Rick erwähnte und dann blass wurde, als sie hörte, das Rick weg sei.
„Ich … ich würde gerne Duschen gehen Joan.“ Su stand auf und sah kurz auf Rick's Freundin, bevor sie aus der Küche stürzte und nach oben lief. Obwohl sie gehofft hatte ihn nicht zusehen, war sie bestürzt, dass er weggeritten war. Wollte er ihr aus dem Weg gehen? Wieso war seine Hand verletzt, die Nacht war sie doch noch ok gewesen, oder? Er hatte sie schließlich berührt, so unendlich sanft gestreichelt, bevor...
Su schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben und gab den Code in die Türe ein, Pie drängte sich an ihr vorbei und warf sich vor Rick's Türe. „Verräter...“
Langsam ging sie in den Flur entlang und in ihr Zimmer. Seufzend drehte sie sich einmal im Kreis und setzte sich dann auf das Bett, durch die geöffnete Türe konnte sie Pie brummen hören und plötzlich konnte sie es nicht länger unterdrücken. Erneut stieg ein Schluchzen in ihr auf und frierend schlang sie die Arme um sich. Sie fühlte sich so kalt, so unwohl und furchtbar einsam und allein.
Müde stand sie nach einigen Minuten wieder auf und schnappte sich frische Sachen, sich auf die Lippe beißend, ging sie rüber ins Badezimmer und lehnte die Türe nur an. Wenn sie schon allein war, konnte sie auch die Badewanne nutzen.
Keine fünf Minuten später glitt sie vorsichtig in das Schaumbad und zuckte zusammen als das heiße Wasser ihren Rücken berührte. Zuerst hatte sie den Whirlpool einschalten wollen, doch dann kam ihr ein langes und ausgedehntes Schaumbad um einiges verlockender vor. Langsam glitt sie tiefer in das Wasser und schloss dann die Augen. Das ganze Badezimmer roch nach ihm und ließ sie unruhig werden. Selbst wenn er nicht da war, machte sein Geruch und der Gedanke an ihn sie nervös.